Unternehmen nutzen Daten zur Optimierung von Preisen. Mit zunehmender Kenntnis individueller Kundenprofile könnte der Spielraum steigen, Individuen gezielt über personalisierte Angebote anzusprechen. Die wettbewerblichen Effekte sind ambivalent: Personalisierte Preise können zur Ausbeutung im Sinne einer Abschöpfung der Konsumentenrente führen, aber auch die Wettbewerbsintensität erhöhen. In der Praxis scheuen sich die Unternehmen bisher weitgehend, individualisierte Preise einzusetzen.
Mit der Digitalisierung entstehen neben allen Vorteilen auch neue wettbewerbliche Probleme (Schweitzer et al., 2018; Kerber, 2019; Genth et al., 2016; Dewenter und Lüth, 2016). Die möglicherweise „ausbeuterische“ Verwendung von Daten zur Etablierung personalisierter Preise ist ein Teilaspekt dieser Diskussion: Zwingen Unternehmen und Datenhändler ihre Kunden zur Aufgabe der Anonymität, um in Zukunft individuelle Zahlungsbereitschaften besser abschöpfen zu können? Preisdiskriminierung, also das Abschöpfen von Konsumentenrente durch unterschiedliche Preissetzung für (nahezu) identische Produkte, gibt es schon lange. Ein Blick in den Supermarkt genügt: Im Kühlregal sind enorme Preisunterschiede für einfache Produkte wie z. B. Milch üblich. Aber auch unterschiedliche Packungsgrößen verschleiern zum Teil sehr unterschiedliche Preise für homogene Produkte. Diese Form der Preisdiskriminierung, die auf die Selbstselektion der Kunden setzt, ist eine Alltagserscheinung.
Online-Tracking: neue Dimension der Preisdiskriminierung
Mit der Digitalisierung tritt die Preisdiskriminierung ersten Grades wieder stärker in den Vordergrund. Sie ist eigentlich ein theoretischer Referenzfall, der davon ausgeht, dass ein Unternehmen die Zahlungsbereitschaft jedes einzelnen Kunden genau kennt. Dies ist in der Realität faktisch nie erfüllt, da die Informationsanforderungen an die Unternehmen viel zu hoch sind. Praktisch spielen daher Gruppenpreise eine größere Rolle. Sie beinhalten das Setzen von Preisen gemäß der Zahlungsbereitschaft bestimmter Kundengruppen, die sich aufgrund objektiv überprüfbarer Kriterien zuordnen lassen.1 Voraussetzung für jede Form der Preisdiskriminierung ist die fehlende Möglichkeit zur Arbitrage, d. h. ein Weiterverkauf der Produkte auf einem Sekundärmarkt ist unmöglich oder aufgrund hoher Transaktionskosten stark eingeschränkt.
Gruppenpreise und personalisierte Preise sind verwandt: Werden Gruppen detailliert genug beschrieben, konvergieren Gruppenpreise zu denen perfekter Preisdiskriminierung (etwa Belleflamme und Peitz, 2015, Kap. 8). Informationen lassen sich auf zahlreiche Arten sammeln: Cookies, Trackingpixel oder das Aufzeichnen von Clickverhalten und Verweildauern auf Webseiten zeigen Surfverhalten und damit Interessen, Browser verraten Daten über das Computersystem und den Standort. Externe Daten geben Auskunft über Gewohnheiten, Familienstatus, Einkommen und Kreditwürdigkeit. Kunden helfen aktiv bei der Datensammlung, indem sie Kundenkarten nutzen, ihre E-Mails nach Inhalten scannen lassen und die Kontaktdaten ihrer Freunde an Facebook weitergeben. Gegen einzelne Aspekte dieser Datensammlung kann sich der Konsument zwar wehren: Cookies und Werbe-IDs lassen sich löschen, bestimmte Messengerdienste vermeiden. Dies ist aber mit Kosten verbunden und nur partiell möglich. Eine völlige Kontrolle über die eigenen Daten ist nicht möglich (Acquisti, 2008).
Verhaltensbasierte Preisdiskriminierung
Aspekte, die im Zuge der Digitalisierung und der personalisierten Preisdiskriminierung diskutiert werden, sind:
- Wie wirkt die Fähigkeit zur Preisdiskriminierung auf Preise, Gewinne, Konsumenten und die allgemeine Wohlfahrt? Es wird zwischen personalisierter Preisdiskriminierung aufgrund von Kaufhistorien (Behavior-Based Price Discrimination), und solcher, die vor dem Kauf auf Informationsauswertung beruht (Tracking, Datenbroker) unterschieden. Welche Rolle spielt dabei Wettbewerb?
- Daten können die Qualität der Angebote erhöhen. In diesem Fall entsteht ein Trade-off zwischen besseren Produktangeboten und der Fähigkeit zu personalisierten Preisen.
- In welchem Ausmaß setzen Unternehmen personalisierte Preise ein? Welche Ratio könnte hinter dem aktuell beobachtbaren Verhalten stehen?
Zentral für das Verständnis verhaltensbasierter Preisdiskriminierung ist der sogenannte Ratchet-Effekt, der wie eine einrastende Sperrklinke wirkt (Freixas et al., 1985; Laffont und Tirole, 1988; Conitzer et al., 2012): Können aus vergangenen Käufen Informationen gewonnen werden, nutzen Unternehmen dies, um Zahlungsbereitschaften in der Zukunft abzuschöpfen. Der Kauf wirkt wie ein Schalter, der Verbraucher der zukünftigen Rentenabschöpfung durch individualisierte Preise aussetzt. Dies setzt allerdings voraus, dass Konsumenten den langfristigen Effekt des gegenwärtigen Konsums ignorieren, also nicht strategisch vorausschauen und auch, dass Unternehmen keinem Wettbewerb ausgesetzt sind.
Sind Kunden nicht naiv, können sie sich wehren und den Konsum aus strategischen Gründen aufschieben. Dies bedeutet zwar kurzfristigen Konsumverzicht, führt in der Zukunft aber zu niedrigeren Preisen. Unternehmen müssten verlässlich versichern, Daten über die Kaufhistorie zu löschen oder personalisierte Preise nicht anzuwenden, um frühen Konsum zu induzieren. Sie leiden hier allerdings unter einem Glaubwürdigkeitsproblem, denn ein solches Verhalten wäre ex post nicht rational. Im Wettbewerb kann die verhaltensbasierte Preisdiskriminierung die Wettbewerbsintensität zugunsten der Verbraucher erhöhen, selbst wenn diese kurzfristig denken. Die Fähigkeit, aus vergangenem Konsum zu lernen, erlaubt es den Unternehmen, die Nachfrage je nach Zahlungsbereitschaft zu segmentieren und separat zu adressieren. Da jedes Segment in Hinblick auf die Zahlungsbereitschaft homogener ist als die Gesamtmenge, steigt die Wettbewerbsintensität in den jeweiligen Segmenten. Weil die Unternehmen im Wettbewerb Anreize haben, Kunden des Wettbewerbers abzuwerben, wird die Preissetzung insgesamt aggressiver. Als Konsequenz sinken die Preise im Vergleich zur Situation ohne verhaltensbasierte Preisdiskriminierung, die Konsumentenrente steigt. Im Extremfall, wenn die Unternehmen perfekt über die Zahlungsbereitschaft jedes einzelnen Konsumenten informiert sind, entsteht ein Bertrand-ähnlicher Wettbewerb zugunsten der Nachfrager.
Die Bedeutung von Anonymität
Die Literatur zur Anonymisierung von Daten im Kontext von Preisdiskriminierung diskutiert diese im Wesentlichen anhand verhaltensbasierter Preisdiskriminierung. Die zentrale Frage ist, ob die Anonymisierung von Daten durch das Löschen von Kaufhistorien für die Konsumenten von Vorteil ist. Auch hier spielt wieder eine zentrale Rolle, ob sich die Unternehmen im Wettbewerb zueinander befinden oder über Marktmacht verfügen.
Ausgangspunkt ist die Idee, dass Privatsphäre im Sinne einer Anonymisierung der eigenen Kaufhistorien zum Nachteil der Konsumenten führen kann. Sie geht in Anlehnung an Coase von einem Monopolunternehmen und rationalem Verhalten aller Akteure aus (Coase, 1972; Acquisti und Varian, 2005; Conitzer et al., 2012; Montes et al., 2019). Konsum findet intertemporal über mehrere Perioden statt, Konsumentenpräferenzen sind differenziert. Wenn ein Kauf zu einem früheren Zeitpunkt zum Ratchet-Effekt führt, reagieren die Konsumenten strategisch und schieben ihre Kaufentscheidungen aus strategischen Gründen auf (Acquisti und Varian, 2005). Um dies zu vermeiden, muss der Monopolist die Preise in der frühen Periode senken und den Konsumenten Anreize zu geben, sich der zukünftigen individualisierten Preisdiskriminierung auszusetzen. In der Konsequenz profitieren die Konsumenten von niedrigen Preisen heute. Sie werden nur deshalb angeboten, weil der Monopolist Preisdiskriminierung bei seinen Bestandskunden durchsetzen kann. Aus Verbrauchersicht kann fehlende Anonymität also erlauben, Konsumaufschub glaubwürdig erscheinen zu lassen und dadurch Preissenkungen zu induzieren.
Das Unternehmen könnte diese aus seiner Sicht nachteilige Situation vermeiden, wenn es glaubwürdig versichern könnte, die durch Konsum gewonnenen Daten nicht zur Preisdiskriminierung einzusetzen. Dies ist jedoch nicht einfach, weil sich ein solches Verhalten ex post nicht rationalisieren lässt. Sind die Konsumenten nun aber in der Lage, ihre Daten zu anonymisieren, existiert ein Substitut für die fehlende Selbstbindung des Unternehmens: Die Anonymisierung von Daten hindert das Unternehmen, zu einem späteren Zeitpunkt Preisdiskriminierung durchzuführen. Dies nimmt den Kunden Anreize, den Konsum aufzuschieben, was wiederum das Unternehmen erkennt. In der Konsequenz führt die Anonymisierung zu höheren Preisen im heutigen Konsum, sie ist zum Nachteil der Verbraucher. Doch warum sollten sich die Konsumenten zu ihrem eigenen Nachteil verhalten und Daten löschen? Natürlich gibt es zahlreiche allgemeine Motive jenseits ökonomischer Überlegungen, die für eine Aufrechterhaltung der Privatsphäre sprechen. Wenn die Kosten der Anonymisierung gering sind, befinden sich die Konsumenten in einem Gefangenendilemma: Individuell ist es sinnvoll, die eigenen Daten zu löschen, da die Möglichkeit zur Personalisierung genommen wird und der Effekt des Einzelnen auf die frühen Preise vernachlässigbar ist. Diese Rationalität gilt aber für alle, was der Monopolist antizipiert. In der Konsequenz steigen die Preise. Die Möglichkeit der Anonymisierung übt damit einen negativen externen Effekt auf die anderen Konsumenten aus, sie findet in zu starkem Ausmaß statt.
Informationen, Preise und Wettbewerb
Zahlreiche Beiträge diskutieren Verfeinerungen dieser Idee (Acquisti und Varian, 2005; Conitzer et al., 2012; Montes et al., 2019; Taylor, 2004). Dabei ist eine zentrale Frage, ob das Löschen von Daten, also das Aufrechterhalten von Privatsphäre, tatsächlich zum Nachteil der Konsumenten ist, wie es die Coase-Vermutung suggeriert. Zentrale Aspekte sind die Kosten der Anonymisierung und die Intensität des Wettbewerbs.
Kosten der Anonymisierung können selbst im Monopolfall dazu führen, dass auch die Konsumenten von der Möglichkeit zur Anonymisierung profitieren (Conitzer et al., 2012). Niedrigere, also insbesondere nicht zu hohe Kosten der Anonymisierung, erhöhen das strategische Potenzial des Konsumaufschubs gegenüber dem Unternehmen. In der Konsequenz sinken die Preise in der frühen Konsumperiode, ohne dass die Konsumenten von der Anonymisierung tatsächlich Gebrauch machen müssen. Dies ist nur möglich, wenn die Kosten der Anonymisierung einerseits nicht zu hoch sind, da dann das Drohpotenzial fehlen würde; und andererseits auch nicht zu niedrig, da die Konsumenten sonst rational anonymisieren würden, was das Unternehmen erkennen und zu seinem Vorteil nutzen würde.
Ein weiterer Aspekt ist die Ausprägung des Wettbewerbs. Der Zusammenhang zwischen Wettbewerb und Anonymisierung hängt stark von den zugrunde liegenden Marktcharakteristiken und Wettbewerbsparametern ab (Taylor und Wagman, 2014). Einer besonderen Bedeutung kommt dabei die Rolle von Datenmärkten zu (Montes et al., 2019). Wenn es möglich ist, Daten über Dritte zu kaufen, lassen sich Anreize zur Preisdiskriminierung von der Notwendigkeit früher Lockangebote separieren. So entfällt die Basis für die Coase-Vermutung, die ja gerade auf dem Zwang zur Datensammlung durch frühe Konsumanreize aufbaut. Unabhängige Datenbroker können also dazu beitragen, dass fehlende Anonymisierung und personalisierte Preissetzung zulasten der Konsumenten geht.
Eine weitere Rolle spielt der Zugang zu Daten. Allgemeine Datenverfügbarkeit führt bei personalisierter Preissetzung zur Annäherung an Bertrand-ähnlichem Wettbewerb um jeden einzelnen Kunden. Wettbewerb ist also geeignet, die Konsumenten aus dem Gefangenendilemma zu befreien. Anonymisierung findet zwar nicht statt, aber der Datenreichtum auf Seiten der Unternehmen wird zum Vorteil für die Verbraucher (Montes et al., 2019).
Information und Qualität
Neben der Preissetzung kann auch die Qualität des Angebots eine wichtige Rolle im Zuge der Personalisierung spielen. Aus Sicht der Konsumenten kann es rational sein, Informationen zu offenbaren, wenn diese zu einer besseren Angebotsqualität führen. Dies setzt voraus, dass die Konsumenten nicht vollständig über ihre eigenen Präferenzen informiert und damit auf Angebote des Unternehmens angewiesen sind. Nur dann besteht ein Interesse, möglichst passende Produkte vorgeschlagen zu bekommen. Beispielsweise werden Vorschläge für Medieninhalte auf Online-Plattformen wie Amazon besser, wenn das Unternehmen seine Kunden individuell kennt (Buch-, Film- oder Musikempfehlungen). Auch Suchergebnisse auf Einkaufsportalen liefern bessere Ergebnisse, wenn der Kunde viele Informationen über sich preisgibt.2
Ein potenzieller Nachteil dieser Informationsoffenbarung liegt aus Sicht der Konsumenten darin, dass das Unternehmen gleichzeitig etwas über die individuelle Zahlungsbereitschaft lernt, was sich im Zuge der personalisierten Preissetzung abschöpfen lässt. Diese Fähigkeit, bessere Ergebnisse durch höhere Preise zu erkaufen, gibt dem Konsumenten Anreize, relevante Informationen zurückzuhalten. Aus ihrer Sicht besteht ein Abwägungsproblem zwischen der Informationsweitergabe zum Zweck besserer Angebote und den damit einhergehenden höheren Preisen.
Die Theorie analysiert diese Fragestellungen im Kontext monopolistischer Mehrprodukt-Unternehmen, die ein einzelnes Produkt identifizieren und als Take-it-or-leave-it-Angebot unterbreiten müssen (Ichihaschi, 2020; Hidir und Vellodi, 2020). In Hinblick auf die Anonymität besteht ein entgegengesetztes Interesse zwischen Unternehmen und Konsumenten. Das Unternehmen profitiert von umfassender Information, da es so in die Lage versetzt wird, ein passendes Angebot zu unterbreiten und den Kauf zu realisieren. Gleichzeitig ist es in der Lage, die Zahlungsbereitschaft über einen höheren Preis abzuschöpfen. Der Konsument hingegen profitiert von einer gewissen Informationszurückhaltung: Wenn der Anbieter die Präferenzen nicht exakt kennt, besteht ein Anreiz den Preis zu senken, um auch bei nicht perfekt passenden Angeboten Kaufentscheidungen zu induzieren. Das Zurückhalten von Informationen ist damit aus Sicht des Konsumenten rational, da sie von sinkenden Preisen profitieren. Sie kann aber zu ineffizienten Lösungen für alle Beteiligten führen, da weniger zielgerechte Angebote unterbreitet werden und Handelsmöglichkeiten brachliegen.
Wie lassen sich solche Ineffizienzen vermeiden?
- Wenn sich der Anbieter verpflichtet, die gewonnenen Informationen für die Angebotsunterbreitung, nicht aber für die Preissetzung einzusetzen, fällt die Abwägungsentscheidung für den Konsumenten weg und es bleibt allein der Anreiz, sämtliche Informationen für bessere Angebote zu offenbaren. Fraglich ist, wie dies glaubwürdig ausgestaltet sein könnte. Denkbar sind Reputationseffekte. Einheitspreise, wie bei Apple Music, Netflix und Amazon Prime, könnten eine mögliche Form des Reputationsaufbaus sein. Dies könnte also ein Erklärungsansatz sein, warum Unternehmen bisher wenig von personalisierten Preisen Gebrauch machen.
- Märkte für Daten könnten ebenfalls beitragen, Ineffizienzen zu reduzieren (Ichihaschi, 2020). Wenn das Unternehmen den Konsumenten für die Weitergabe der Daten bezahlt, lassen sich die Aspekte der Angebotsqualität und der Preisdifferenzierung über den Preis für Daten separieren. Der Konsument wird für die vollständige Informationsoffenlegung so entlohnt, dass er für die induzierten Preiserhöhungen im Zuge der Personalisierung von Preisen kompensiert wird.
Welche Rolle spielen personalisierte Preise in der Praxis? Medien thematisieren Beispiele flexibler Preissetzung regelmäßig, auch in der Politik scheint das Thema angekommen zu sein (Bundesregierung, 2019; Munsberg, 2020; Schneiders, 2015; o. V., 2016; Walker, 2017). Dabei ist es wichtig, zwischen der dynamischen und der personalisierten Form der Preisdiskriminierung zu differenzieren. Während es zeitliche Preisanpassungen relativ häufig gibt, hat bislang kaum eine empirische Untersuchung einen belastbaren Nachweis für eine großflächige und systematische Personalisierung von Preisen erbracht (BEVH und Boniversum, 2017; Dautzenberg et al., 2018b; PricewaterhouseCoopers, 2019; Goldfarb und Tucker, 2019; Ngwe et al., 2019; Europäische Kommission, 2018; Mikians et al., 2012; Hannak et al., 2014).
Bislang ist die Zahl empirischer Untersuchungen zur personalisierten Preisdiskriminierung überschaubar. Insbesondere die Abgrenzung zu Gruppenpreisen ist ein kritischer Aspekt, da Preissetzung basierend auf unterschiedlichen Zeitpunkten oder Standorten eher als Preisdiskriminierung dritten Grades einzuordnen ist, oder sich durch mögliche Kostenfaktoren erklären lassen (z. B. Transportkosten, Steuern) (Hannak et al., 2014). Aus den bisherigen empirischen Studien lassen sich folgende Erkenntnisse ziehen:
- Systematische personalisierte Preisdiskriminierung findet bisher nicht in umfassendem Maße statt.
- Der Umfang von Preisschwankungen ist relativ gering.
- Die Evidenz für personalisierte Preise ist bei Hotel-, Flug- und Mietwagenanbietern höher als in anderen Branchen.
Die Faktenlage ist insgesamt eher dünn
Insgesamt ist eher eine Preisdifferenzierung nach Gruppen zu beobachten, auf die Anwendung personalisierter Preise deutet bisher wenig hin. So hat eine Studie für die USA 2012 gezeigt, dass insgesamt nur drei von 200 untersuchten Einzelhändlern eine Preisdifferenzierung nach Standort durchführen (Mikians et al., 2012). Eine Studie der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2018 zeigt für eine Minderheit der untersuchten Produktgruppen signifikante, wenn auch geringe Abweichungen der Preise je nach Standort (Europäische Kommission, 2018). Die untersuchten Preisdifferenzen zwischen den verdeckten Testkäufern und der Kontrollgruppe war zwar statistisch signifikant, insgesamt waren die Preisaufschläge jedoch sehr gering (im Mittel 0,22 %). Zudem wiesen 94 % der beobachteten Produktpaare überhaupt keine Preisdifferenz auf.
Wenn überhaupt, so scheint die Reisebranche (Hotels, Flüge, Mietwagen) anfällig für personalisierte Preise zu sein. Dies sind Sektoren, in denen das Online-Buchen über Preisvergleichsportale traditionell eine große Rolle spielt. Bei Flugtickets ergab die EU-Studie z. B. eine mittlere Abweichung von 1,78 %, während diese bei anderen Produkten wie Sportschuhen (0,08 %) und Fernsehgeräten (0,02 %) deutlich geringer ausfielen. Insgesamt scheint der Umfang der Preisdifferenzierung gering, zumal andere Studien gar keine Ausdifferenzierung nach persönlichen Kriterien identifizieren (Iordanou et al., 2017). Auch die EU-Studie kommt zu dem Fazit, dass personalisierte Preise zurzeit in Europa keine bedeutende Rolle spielen. Für die USA untersuchen Hannak et al. (2014) Einzelhändler und Reiseanbieter.3 In ihrer Analyse zeigen einzelne Einzelhändler und Hotelanbieter, aber alle untersuchten Mietwagenanbieter Zeichen von personalisierter Preisdiskriminierung, dies allerdings nur für einen Bruchteil der untersuchten Produktangebote (meist unter 2 %). Die Höhe scheint durchaus relevant: Beim Einzelhandel lagen die Preisunterschiede im Mittel unter 100 US-$, bei den Hotel- und Mietwagenanbietern darüber.
Ein Hinweis darauf, dass Preisdifferenzierung in der Zukunft eine stärkere Rolle spielen könnte, ist der Nachweis von A/B-Testing bei zwei Hotelvergleichsportalen in der genannten Studie. Dabei werden Kunden von den Unternehmen zufällig in Gruppen aufgeteilt, die unterschiedliche Preise angeboten bekommen. Ziel ist es, die Reaktion auf Preisvariationen zu messen. Auch wenn diese Methode nicht mit einer personalisierten Preisdiskriminierung gleichzusetzen ist, könnte A/B-Testing als Grundlage für ein umfassenderes Verständnis über die Zahlungsbereitschaften der Kunden dienen und die Basis für personalisierte Preisdiskriminierung schaffen (Iordanou et al., 2017). Auch ist eine Differenzierung nach „digitalem Fußabdruck“ (Browser- und Systemeinstellungen) nicht ausreichend empirisch belegt. Der Standort der Kunden kann hingegen durchaus eine Rolle spielen (Hupperich et al., 2018). Interessant ist ein Fund von Hannak et al. (2014) zur Reisesuchmaschine Orbitz, in der eine Differenzierung nachgewiesen wurde, wenn der Benutzer bereits einen Account besaß. In diesem Fall erhielten Nutzer mit Account das angebotene Hotel um 12 US-$ günstiger. Dies betraf 5 % der angebotenen Hotels.
Die Situation in Deutschland
Eine Personalisierung von Preisen in Deutschland ist bisher nur in Einzelfällen belegt. 2018 untersuchten die Verbraucherzentrale Brandenburg Unternehmen verschiedener Branchen (Dautzenberg et al., 2018a). Während in keinem Fall eine Preisdifferenzierung nach Endgerät beobachtet wurde, kam es bei sechs Händlern zu Differenzierungen gemäß Standorten der Kunden. Bei zwei Unternehmen wurde dabei eine Systematik festgestellt: Ein Händler für Autoteile und Reparaturdienstleistungen bot Online-Kunden in den Städten Marburg, Berlin und München in unterschiedlicher Häufigkeit eine Reduzierung bei 8 % der Produkte an. Im Falle eines Online-Shops eines Baumarktes wurde bei über 50 % der untersuchten Produkte eine Preisdifferenz nach Standort festgestellt. Kunden aus Berlin erhielten deutlich häufiger dasselbe Angebot zu einem niedrigeren Preis im Online-Shop als die aus München.
Ein Gutachten für den Sachverständigenrat für Verbraucherfragen mit Daten aus dem Jahr 2015 findet in neun von zehn Branchen keine Hinweise auf Preisdiskriminierung nach Betriebssystem, Endgerät oder Standort (Schleusener und Hosell, 2016). Lediglich bei Flugreisen wurde bei einem einzelnen Flug eine Preissenkung in Höhe von 40 Euro festgestellt, wenn der Flug über ein Online-Portal anstatt direkt über die Anbieterwebsite angeboten wurde. Diese Praxis der Differenzierung nach Vergleichsplattform und Anbieterwebsite konnte sowohl im Einzelhandel als auch bei Fluganbietern für andere Märkte außerhalb Deutschlands gefunden werden (Mikians, 2016).
Insgesamt sind systematisch personalisierte Preise damit momentan kaum belegt. Dies schließt aber nicht aus, dass sie ein Potenzial für die Zukunft bieten. Im Einzelhandel lassen sich Ansätze erkennen, die darauf hinweisen, dass Unternehmen mit personalisierten Preisen liebäugeln. Zurzeit testet der Lebensmitteldiscounter Lidl seit 2019 in Berlin und Brandenburg eine App Lidl Plus (Lidl, 2020), mit der der Kunde persönliche Daten über sich und sein Kaufverhalten an das Unternehmen weitergibt. Im Gegenzug erhält der Kunde personalisierte Rabatte direkt beim Einkauf. Kundenkarten und Kundenbindungsprogramme wie Payback oder DeutschlandCard sind zwar schon länger ein fester Bestandteil des Einzelhandels, eine explizite Personalisierung der Preise findet durch diese jedoch noch nicht statt, da die Speicherung der individuellen Daten durch die Anonymisierung nicht zu personalisierten Preisen führt (Schwaiger und Hufnagel, 2018).
Zurückhaltung bei personalisierten Preisen
Obwohl personalisierte Preise durchaus profitabel sein können, existieren sie offenbar bisher nur in geringem Maße. Was sind Erklärungsansätze für dieses scheinbare Paradox? Einen Ansatz liefert die Theorie: Wenn Unternehmen Daten nutzen, um personalisierte Angebote zu unterbreiten, kann dies dazu führen, dass Kunden ihre Daten gar nicht erst zur Verfügung stellen. Damit dies nicht geschieht, müssen Unternehmen glaubwürdig erscheinen und eine Reputation der Verlässlichkeit aufbauen.
Auch die Kundenwahrnehmung spielt eine entscheidende Rolle. Kunden empfinden Preisdifferenzierung im Allgemeinen als unfair, selbst wenn sie von der Differenzierung profitieren (Reinartz et al., 2017). Diese Wahrnehmung ist weniger stark ausgeprägt, wenn die Kunden die Differenzierung anhand einer Gruppenzugehörigkeit (z. B. Studierendentarife) oder durch eigene Entscheidungsgewalt (z. B. Zustimmung durch Teilnahme an einem Loyalitätsprogramm) nachvollziehen und ein gewisses Maß an Kontrolle ausüben können. Eine Rolle spielt dabei das Framing von personalisierten Preisen als Rabatt oder Coupon. Die Kunden können dann selbst entscheiden, ob sie den Coupon einlösen oder einen Rabatt vor Ort akzeptieren. So haben sie weniger das Gefühl, der Preissetzung der Unternehmen passiv ausgesetzt zu sein.
Doch insgesamt scheinen personalisierte Preise aus Gründen der Fairness zu einem Vertrauensverlust gegenüber den Unternehmen zu führen. Der Imageschaden oder zumindest das Risiko ihm ausgesetzt zu sein, scheint für die Unternehmen schwer zu wiegen. Berücksichtigt werden sollte auch, dass bestimmte Formen der Differenzierung rechtliche Grenzen in Anti-Diskriminierungsnormen finden, die sich zudem von Land zu Land unterscheiden können (an der Heiden und Wersig, 2017). Möglicherweise sehen Unternehmen bisher auch deshalb von einer Personalisierung in großem Umfang ab.
- 1 Beispiele sind Rabatte für Studierende, Senioren oder Kinder oder die Differenzierung nach Regionen, etwa beim Kauf eines Neuwagens innerhalb Europas.
- 2 Beispiele finden sich nicht nur in der digitalen Welt. Ein Auto- oder Hausverkäufer profitiert davon, die Präferenzen seiner Kunden genau zu kennen. So ist es möglich, zusätzliche Zahlungsbereitschaft abzuschöpfen.
- 3 Der Standort der Kunden wurde durch die IP-Adresse fixiert, die Datenerhebung fand im Frühjahr 2014 statt und umfasst die zehn größten Einzelhändler (ohne Amazon) und sechs Reiseanbieter (Hotel, Mietwagen).
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