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Verhandlungen in der EU folgen immer demselben Ritual, so auch im Februar 2020. Nach langen Verhandlungen haben sich die Regierungschefs vorerst nicht auf einen Entwurf für den neuen Mittelfristigen Finanzrahmen (2021 bis 2027) der EU einigen können. Das kommt nicht überraschend, weiß doch jeder, dass Krisen- und Sondersitzungen sowie das Anhalten der Uhr dazu gehören, wenn die EU verhandelt. Jede und jeder muss demonstrieren, dass man hart gerungen hat und als eigentlicher Gewinner vom Platz geht. Also wird wohl erst in der zweiten Jahreshälfte ernsthaft etwas Bewegung in die Sache kommen. Zudem hat Deutschland dann die Präsidentschaft inne und wird somit besonders am Kompromiss interessiert sein. Die anderen Staaten werden darauf setzen, dass dies die Zahlungsbereitschaft Deutschlands erhöht und einzelne Staaten sich ihre Zugeständnisse durch den deutschen Steuerzahler werden abgelten lassen können. Die Bundesregierung hat ja bereits im Koalitionsvertrag angekündigt, mehr für Europa leisten zu wollen. Man wird sie beim Wort nehmen.

Die EU-Kommission möchte die Verluste in Höhe von rund 65 Mrd. Euro in der Budgetperiode (2021 bis 2027) durch das Ausscheiden Großbritanniens mit Ausgabenkürzungen einerseits und Erhöhung der Eigenmittel andererseits ausgleichen. Dem stimmen die Mitgliedstaaten aber nicht zu. Die „sparsamen Vier“ (Österreich, Schweden, Dänemark und die Niederlande) wollen das Budget strikt auf 1 % des Bruttonationaleinkommens der Mitglieder begrenzen, während Ratspräsident Michel 1,07 % vorschlägt, und die süd- und osteuropäischen Staaten gerne noch etwas mehr Geld hätten. Das sieht auch das Europäische Parlament so, das seinerseits 1,3 % gefordert hat. Die EU-Kommission hingegen schlägt 1,1 % vor. Sieht man vom Vorschlag des Parlaments ab, sind die Unterschiede in der Höhe kaum unüberbrückbar. Entscheidender ist eher die unterschiedliche Vorstellung darüber, wofür das Geld ausgegeben werden soll. Die Kommission sieht zu Recht neue Aufgaben der EU im Bereich Klima, Außen- und Sicherheitspolitik, Migration sowie Digitales und Innovation. Dafür sollen die Ausgabenanteile für die Hauptausgabenbereiche Agrarpolitik und Kohäsion moderat schrumpfen (was nicht unbedingt absolute Kürzungen bedeutet). Dem stehen die „Freunde der Kohäsion“ gegenüber, die das nicht akzeptieren wollen und ihrerseits Sparpotenzial bei gemeinsamer Verteidigung und Forschung sehen.

Komplizierend kommt hinzu, dass es, anders als bislang, nicht mehr die klare Front zwischen Nettozahlern und Nettoempfängern gibt. Je nach Kategorie verlaufen die Verteilungskonflikte quer dazu: Deutschland und Frankreich liebäugeln mit einem Eurozonenbudget innerhalb des EU-Haushalts, was die „Hansegruppe“ (zu der Deutschland nicht gehört) ablehnt, die ihrerseits uneins ist über die Frage der Höhe des Budgets und des Anteils für Kohäsion. Frankreich hingegen verweigert die Kürzung der Agrarausgaben und will die Abschaffung der Beitragsrabatte für die sparsamen Vier und Deutschland, was wiederum die Kanzlerin zurückweist. Tatsächlich entfällt mit dem Ausscheiden Großbritanniens der ursprüngliche Grund für die Rabatte und es ist generell unsinnig, einerseits Beiträge an der Wirtschaftsleistung von Staaten auszurichten, andererseits aber Rabatte zu gewähren. Die machen mit 6,5 Mrd. Euro immerhin rund 10 % dessen aus, was durch den Austritt Großbritanniens fehlt. (Auf Deutschland entfallen davon rund 3,8 Mrd. Euro.) Erklärbar ist dieser Widerspruch nur durch das Bestreben, möglichst mindestens so viel herauszuholen, wie man eingezahlt hat, während man gleichzeitig Solidarität und Gemeinschaft beschwört.

Dabei betonen Kommission und einige Mitgliedstaaten wie Deutschland und Frankreich die besondere Bedeutung und Verantwortung, die Europa angesichts der globalen Machtverschiebungen und Herausforderungen habe, und dass es als Impuls- und Orientierungsgeber wirken müsse. Es ist schwer zu sehen, wie Europa diese Rolle spielen will, wenn es selbst so uneins und orientierungslos ist, dass es nicht einmal eine Entscheidung über einen, relativ zum Anspruch, recht kleinen Budgetrahmen treffen kann. An seinem globalen Anspruch wird Europa scheitern, da von Einheit weniger denn je die Rede sein kann, wenn die EU nicht einmal weiß, wofür sie stehen will und was ihre Ziele sein sollen. Es ist nicht zu sehen, wie sich der Stillstand der EU aufheben lassen soll, solange im Finanzbereich das Einstimmigkeitsprinzip erhalten bleibt. Gleichzeitig ist aber klar, dass eine Änderung der Verträge auf längere Sicht politisch nicht möglich ist. Die Mitglieder werden also weiterhin faule Kompromisse finden, die bewahren statt in die Zukunft zu weisen. Und der Zuschauer kann sich weiterhin auf viele lange und hoch dramatische Sitzungen einstellen, deren Ergebnisse weit hinter den eigenen Ansprüchen und objektiven Erforderlichkeiten zurückbleiben.

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© Der/die Autor(en) 2020

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DOI: 10.1007/s10273-020-2589-3