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Die einzige zurzeit mögliche Maßnahme, um Corona wirkungsvoll zu bekämpfen, ist die frühzeitige Isolierung von Infizierten. Eine Contact-Tracing-App zur Nachverfolgung von Infektionsketten würde dies erheblich vereinfachen. Die Contact-Tracing-App hat das Potenzial, die bislang weitgehend händische Arbeit der Gesundheitsämter skalierbar zu machen, insbesondere während einer möglichen zweiten Infektionswelle. Eine frühzeitige Isolierung von Infizierten könnte die Notwendigkeit weitflächiger Bewegungs- und Kontaktbeschränkungen reduzieren. Um die volle Wirkung zu entfalten, müssten jedoch mehr als zwei Drittel der Bevölkerung die App nutzen. In Singapur ist eine entsprechende App schon seit Mitte März 2020 verfügbar, aber bis jetzt nutzt sie lediglich jeder Vierte. Doch wie kann man in Deutschland hier einen deutlich höheren Anteil erreichen?

Die bisherige Entwicklung der App war holprig. Nach langem Hin und Her soll sie nun durch die Deutsche Telekom und SAP umgesetzt werden. Bluetooth-Schnittstellen von Apple und Google bilden dafür die Grundlage. Es ist geplant, die App nicht verpflichtend zu machen. Die Bürger müssen also überzeugt werden! Zu Beginn wird es vermutlich einen Appell politischer Entscheidungsträger geben. Das Ziel sollte die sich am schnellsten und am weitesten verbreitende App aller Zeiten sein. Dies klingt vermessen, aber eine App, die zwei Drittel der Bürger erreicht, dürfte es bisher noch nicht gegeben haben. Fast jeder Smartphone-Besitzer müsste die App installieren.

Die durch Umfragen belegte Bereitschaft, die App zu installieren, scheint grundsätzlich hoch zu sein. Geäußerte Präferenzen und tatsächliches Handeln unterscheiden sich jedoch häufig. Zudem deutet die Dynamik der öffentlichen Diskussion der vergangenen Wochen an, dass Datenschutzbedenken und Sorgen um staatliche Überwachung das Meinungsbild schnell kippen könnten. Diesen Bedenken muss konstruktiv und vorausschauend begegnet werden.

Erfolgreiche Apps sind meist so beschaffen, dass das Einladen weiterer Nutzer sehr einfach, spielerisch gestaltet oder mit konkreten Vorteilen verbunden ist. Das Ziel ist ein schnelles, sich selbst verstärkendes Wachstum. Weder staatliche Organe noch Unternehmen wie die Deutsche Telekom oder SAP haben praktische Erfahrung damit, solche Verbreitungsdynamiken zu erzeugen. Ein Patentrezept gibt es jedoch ohnehin nicht. Steile Adaptionskurven, also eine schnelle und weitreichende Verbreitung, sind meist das Ergebnis von vielen Iterationen, in denen verschiedene Hypothesen zur Produktgestaltung und zur Verbreitung empirisch an den Nutzern getestet werden. Diesem Vorbild sollte auch bei der Verbreitung der Contact-Tracing-App gefolgt werden. Dazu müssen die technischen und organisatorischen Voraussetzungen geschaffen werden. Dies beinhaltet die politische Unterstützung breit angelegter Experimente, was starke Überzeugungsarbeit notwendig machen dürfte.

Wenn Hypothesen für eine schnelle und weite Verbreitung formuliert werden, können Ökonomen, die sich mit digitalen Plattformen und der App-Ökonomie beschäftigen, sowie Verhaltensökonomen einen wertvollen Beitrag leisten. Sie beschäftigen sich mit solchen Dynamiken (wie dem Verbreitungsgrad) und der Wirkung von Anreizen. Anreize dürfen in diesem Zusammenhang nicht nur als monetäre Vorteile verstanden werden, sondern können auch Wege der sozialen Anerkennung sein. Während der Cloud-Speicherdienst „Dropbox“ anfänglich für Kundenanwerbungen zusätzliche Speicherkapazität versprach, wird im Frage-Antwort-Forum „Stack Overflow“ Hilfsbereitschaft durch virtuelle Auszeichnungen angeregt. Nicht alle diese Beispiele sind Eins-zu-Eins auf Contact-Tracing-Apps übertragbar, sie bieten jedoch eine Grundlage, um Hypothesen zu bilden. Zu bedenken ist dabei, dass unterschiedliche Bevölkerungsgruppen auch unterschiedlich auf Anreize reagieren könnten. Weiterhin sollte der Gemeinsinn durch Anreize nicht geschwächt, sondern verstärkt werden. Die Priorisierung der zu testenden Hypothesen sollte diese Aspekte berücksichtigen. Letztlich werden jedoch nur Tests „im Feld“ Klarheit bringen. Die zu erwartenden hohen Nutzerzahlen der App und die Natur von einfach veränderbarer Software, würden viele experimentelle Interventionen in kurzer Zeit ermöglichen. Nach erfolgreichen Tests könnte die jeweilige Intervention dann breiter ausgerollt werden.

Akademiker und Praktiker der digitalen Ökonomie sowie Verhaltensökonomen sollten sich in die Formulierung der Hypothesen und die Begleitung ihrer Überprüfung einbringen. Auch andere Sozialwissenschaften sind angesprochen. Viele relevante Akteure sind auf Twitter aktiv. Sie sind eingeladen, sich unter dem Hashtag #AnreizeGegenCorona mit der Frage einer umfassenden Verbreitung von Contact-Tracing-Apps auseinanderzusetzen.

© Der/die Autor(en) 2020

Open Access: Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz (https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de) veröffentlicht.

Open Access wird durch die ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft gefördert.


DOI: 10.1007/s10273-020-2642-2

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