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Am Arbeitsmarkt ist Corona die Krise der Minijobs. Aktuell liegt die ausschließlich geringfügige Beschäftigung saisonbereinigt um mehr als 11 % unter dem Vorkrisenstand vom Februar 2020. Und dabei geht es bei weitem nicht nur um Studierendenjobs und auch nicht nur um das Gastgewerbe: Zwar gibt es bestimmte Schwerpunkte, aber betroffen sind viele Gruppen und Branchen (vgl. Tabelle 1). Zum Vergleich: Bei sozialversicherungspflichtigen Jobs, in der Arbeitslosenversicherung durch Kurzarbeit abgesichert, lag das Minus in der Spitze gerade mal bei gut 1 %.

Tabelle 1
Ausschließlich geringfügig Beschäftigte Februar 2021, ausgewählte Branchen
Differenz in % zum Februar 2020
Verarbeitendes Gewerbe Handel, Reparatur von Kfz Verkehr und Lagerei Gast-gewerbe Information und Kommunikation Sonstige wirtschaftliche Dienstleistungen Arbeitnehmer-überlassung Erziehung und Unterricht Sonstige Dienstleistungen
-8,6 -6,0 -5,8 -30,0 -14,0 -9,0 -31,6 -5,7 -17,7

Quelle: Statistik der BA.

Für viele Beschäftigte und Betriebe gibt es dennoch sicher gute Gründe, sich für Minijobs zu entscheiden. Aus Arbeitsmarktperspektive gibt es aber auch gute Gründe für ein Umsteuern. Soziale Absicherung, berufliche Entwicklung, Weiterbildung: Alles das ist bei Minijobs kaum gegeben. Gerade der Wert sozialer Absicherung hat sich in der Krise deutlich gezeigt – und die Lücken sind schmerzhaft zutage getreten.

Bei Minijobs gibt es Fehlanreize, gerade für Ehepartner, die Arbeitszeit nicht über einen Minijob hinaus auszuweiten, weil sonst der unter Umständen sehr hohe gemeinsame Grenzsteuersatz im Ehegattensplitting fällig wird (Krebs und Scheffel, 2021). Die Krankenversicherung bekommt man zudem über die Ehegattenmitversicherung ganz ohne eigene Beitragszahlungen. Viele Frauen würden ihr Potenzial im Arbeitsmarkt besser nutzen, wenn es die Minijobfalle nicht gäbe. Da bei den Minijobs für die Beschäftigten brutto für netto gilt, sind zudem viele bereit, zu niedrigeren Bruttolöhnen zu arbeiten. Ohne diese Regelung wäre daher auch der Niedriglohnsektor kleiner. Weiterhin zeigen repräsentative Befragungen, dass sich rund die Hälfte der Minijobber:innen eine teils deutlich höhere Arbeitszeit wünscht (Weber und Zimmert, 2018). Für die Wirtschaft bieten Minijobs zwar durch variable Einsatzmöglichkeiten des geringen Stundenvolumens mehr Flexibilität. Aber sie bringen auch Einschränkungen, denn bei der Personalplanung sind stets Grenzen zu berücksichtigen, die einer freien Wahl der Arbeitszeit im Wege stehen. Das zeigt sich etwa bei Mindestlohnanpassungen und in der Debatte um eine Erhöhung der Minijobgrenze.

Ein erfolgreicher Neustart der Arbeitsmarktentwicklung nach Corona muss ohnehin über Klasse statt Masse laufen. Denn die Masse – also die Zahl von Arbeitskräften – wird mit dem demografischen Wandel immer kleiner; mit der Verrentung der Babyboomer wird eine Beschäftigungsausweitung kaum mehr möglich sein. Die Minijobregelung begünstigt aber durch die komplette Steuer- und Abgabenfreiheit für Arbeitnehmer:innen dauerhaft gering entlohnte Jobs mit wenig Perspektive.

Wie könnte ein Neustart aussehen? Abbildung 1 zeigt die Entwicklung der Erwerbstätigkeit sowie der sozialversicherungspflichtigen und ausschließlich geringfügigen Beschäftigung seit dem Vorkrisenjahr 2019. Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ist offenbar auf dem Wege der Besserung – auch wenn der ohne Kriseneffekte erreichbare Pfad noch weit unterschritten wird. Die Entwicklung der Erwerbstätigkeit, die auch marginal Beschäftigte, Beamte und Selbständige einschließt, bleibt dagegen weit zurück. Der wesentliche Grund: Die geringfügige Beschäftigung ist eingebrochen und erst ganz zuletzt zaghaft auf einen Erholungspfad eingeschwenkt.

Abbildung 1
Erwerbstätige, sozialversicherungspflichtig und ausschließlich geringfügig Beschäftigte
Differenz zum Februar 2020 in 1.000 Personen, saisonbereinigt
Erwerbstätige, sozialversicherungspflichtig und ausschließlich geringfügig Beschäftigte

Quellen: Destatis, Statistik der BA.

Genau hier liegt die Chance: Anstatt einfach wieder Kurs auf den Vorkrisenzustand zu nehmen, sollte ein Neustart mit sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung initiiert werden. Perspektivisch wäre eine Änderung der Minijob-Regeln bzw. genereller Steuer- und Abgabenregeln ins Auge zu fassen, welche die einseitige Begünstigung kleiner Jobs vermeidet. Aber unmittelbar nach der Krise sollten wir positive Anreize setzen und diejenigen Firmen unterstützen, die Beschäftigung oberhalb der Minijobgrenze wieder aufbauen. Denn wichtig ist nun, den Umbruch zügig unter für viele Unternehmen noch immer schwierigen Bedingungen einzuleiten. Das ließe sich durch vorübergehende Personalkostenzuschüsse für Betriebe erreichen, die von geringfügigen auf sozialversicherungspflichtige Jobs umsteuern. Denn jetzt oder spätestens nach der vierten Welle ist das Zeitfenster da, in dem sich im (Minijob-)Arbeitsmarkt vieles neu finden wird.

Konkret könnte ein Betrieb, wenn die Zahl seiner Minijobber:innen unter dem Vorkrisen-Vergleichsmonat aus dem Jahr 2019 liegt, für jeden neuen sozialversicherungspflichtigen Job, der über das Niveau des Vorkrisen-Vergleichsmonats hinausgeht, einen monatlichen „Sozial­versicherungsbonus“ (vgl. auch Weber, 2021) erhalten. Der Rückgang bei den Minijobs muss neben dem aktuellen Monat dabei schon in der Vergangenheit (etwa im Mai 2021) vorgelegen haben, damit die Voraussetzung nicht durch neue Entlassungen von Minijobbenden geschaffen werden kann. Eine Ausnahme von dieser Stichtagsregelung könnte gelten, wenn ein geringfügig Beschäftigter im selben Betrieb in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung wechselt.

Möglich wäre, den Sozialversicherungsbonus vor allem auf Krisenbetriebe zu fokussieren, die also Beschäftigungsverluste aus der Krise wettmachen. Dafür könnte man z. B. festlegen, dass zusätzliche Förderungen nur begonnen werden, bis die Zahl der geringfügig und sozialversicherungspflichtig Beschäftigten des Betriebs in der Summe wieder das Vorkrisenniveau erreicht hat.

Der Sozialversicherungsbonus sollte so bemessen sein, dass er zumindest einen relevanten Ausgleich für das höhere Steuer- und Abgabenniveau bei sozialversicherungspflichtigen Jobs bietet. Das sollte auch noch bei relativ hohen persönlichen Einkommensteuersätzen der Beschäftigten der Fall sein. Anzusetzen wäre deshalb wohl zumindest ein Drittel der Arbeitskosten (Arbeitgeberbrutto) pro Monat.

Das Programm sollte zeitlich begrenzt sein, um Anreize für ein frühzeitiges Umsteuern direkt nach der Krise zu setzen. Denkbar wäre z. B. ein halbes Jahr. Die Förderung sollte zudem daran geknüpft werden, dass das Plus bei sozialversicherungspflichtigen gegenüber geringfügigen Jobs im Sinne einer Nachbeschäftigungspflicht über eine längere Zeit erhalten bleibt. Ähnliches ist etwa beim Einstellungszuschuss im SGB II erprobt. Der Sozialversicherungsbonus würde einen initialen Anreiz setzen, und angesichts der Potenziale bei Arbeitszeit, beruflicher Entwicklung und Arbeitszufriedenheit wären die Chancen hoch, in vielen Fällen auch dauerhafte Effekte zu erreichen.

Die zu erwartenden Kosten der Förderung hängen offensichtlich von der Entwicklung der geringfügigen und sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung auf Betriebsebene ab. Betrachten wir einen hochgegriffenen Fall: Die Hälfte des Defizits von 500.000 Minijobs werde in anspruchsberechtigten Betrieben als sozialversicherungspflichtige Beschäftigung gleichmäßig über die Förderperiode von sechs Monaten hinweg wieder aufgebaut und mit einem Drittel des Arbeitgeberbruttos bezuschusst. Den durchschnittlichen Monatslohn bei Einstellung geben Merkl und Weber (2020) mit 2.292 Euro an, die durchschnittliche Arbeitszeit liegt nach IAB-Arbeitszeitrechnung bei 30,4 Stunden. Geht man davon aus, dass die neuen Jobs in Teilzeit mit 20 Wochenstunden aufgebaut werden, ergeben sich (unter der hochgegriffenen Annahme von über die Arbeitszeit gleichverteilten Löhnen) noch gut 1.500 Euro, oder als Arbeitgeberbrutto gut 1.800 Euro. Dann lägen die gesamten Förderkosten bei gut 300 Mio. Euro. Die tatsächliche Summe wird wohl darunter liegen.

Den staatlichen Ausgaben stünden über die Zeit zusätzliche Einnahmen bei Steuern und Sozialbeiträgen gegenüber. Diese können beträchtlich ausfallen. Denn verstärkt werden kann die Wirkung dadurch, dass geringe Stundenzahlen steigen, und noch mehr, wenn berufliche Entwicklung jenseits der Minijobfalle in Gang gesetzt werden kann.

Einstellungszuschüsse zeigen in wissenschaftlichen Untersuchungen eine hohe Effektivität (Merkl und Weber, 2020) und sind jüngst mit der Ausbildungsprämie und der „Restart-Prämie“ bereits umgesetzt worden. Jetzt sollte man die Chance nutzen, derartige Instrumente einzusetzen, um den Arbeitsmarkt gezielt auf ein höheres Niveau zu heben. Die Erholung nach der Corona-Krise kann der Aufbruch aus den Minijobs werden.

Literatur

Krebs, T. und M. Scheffel (2021), Raus aus der Minijobfalle. Reformen zur Entlastung geringer Einkommen und ihre Auswirkungen auf Beschäftigung, Wachstum und Verteilung sowie öffentliche Finanzen, Bertelsmann Stiftung.

Merkl, C. und E. Weber (2020), Raus aus der Neueinstellungskrise!, Wirtschaftsdienst, 100(7), 507-509, https://www.wirtschaftsdienst.eu/inhalt/jahr/2020/heft/7/beitrag/raus-aus-der-neueinstellungskrise.html (1. September 2021).

Weber, E. (2021), Corona und Arbeitsmarkt: Neustart aus der Minijobkrise, SPIEGEL, 17. August.

Weber, E. und F. Zimmert (2018), Der große Trend zur Freizeit?, Wirtschaftsdienst, 98(4), 296-298, https://www.wirtschaftsdienst.eu/inhalt/jahr/2018/heft/4/beitrag/der-grosse-trend-zur-freizeit.html (1. September 2021).

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© Der/die Autor:in 2021

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DOI: 10.1007/s10273-021-3030-2