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Der Konsens ist klar: Deutschland will nicht nur aus der Atom-, sondern auch aus der Kohleenergie aussteigen. Untrennbar verbunden hiermit ist, parallel die Energieerzeugung aus erneuerbaren Energien deutlich auszubauen. Genau hier allerdings hakt es. Deutlich wird dies am Beispiel der Windkraft, die eine zentrale Rolle im zukünftigen Energiemix spielen soll. Bereits 2019 überholte Windkraft erstmals Braunkohle als wichtigste Energiequelle Deutschlands und kam auf einen Anteil von 24,4 % am Strommix. Im gleichen Jahr lag die Gesamtleistung der Energieerzeugung aus Windkraft bei 61,4 GW (davon 53,9 GW an Land und 7,5 GW auf See).

Der weitere Ausbau stockt jedoch. Im zweiten Halbjahr 2020 erfolgte kein weiterer Zubau und im gesamten Jahr entsprach der Ausbau nur 15 % des Niveaus von 2017. Der fehlende Ausbau in Nord- und Ostsee hat bereits zu gravierenden Folgen wie Entlassungen und Unternehmensschließungen vor allem bei Anlagenproduzenten geführt. Dabei wurden die vielversprechenden Potenziale der Windenergie in Deutschland schon in den frühen 1990er Jahren erkannt: Gemeinsam mit Dänemark entwickelte sich das Land zum Pionier im Windenergiebereich. Einen ersten Dämpfer erfuhr der Sektor hierzulande 2002, als die bisher vorteilhafte Regulierung durch Anpassungen im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) verändert wurde. Erst 2013 wurden wieder Zubauzahlen wie in den frühen 2000ern erreicht, ehe ein erneuter Systemwechsel im EEG 2017 erst zu starken Vorzieheffekten führte und schließlich einen Negativtrend vor allem im Onshore-Bereich in Gang setzte, der bis heute anhält. 2019 lag der Zubau an Land auf dem niedrigsten Wert seit 1998.

Drei Punkte bilden die wesentlichen Ursachen für den Negativtrend: Erstens, die Reformen des EEG haben durch den Wechsel von einer langfristigen und garantierten Einspeisevergütung zu einem Ausschreibungsmodell die Planbarkeit erschwert. Zweitens, die Genehmigungsverfahren für neue Anlagen sind deutlich komplexer geworden, etwa durch neue Abstandsregelungen zu Wohnbebauung. Drittens, trotz genereller Zustimmung zur Energiewende und Windenergie allgemein nimmt der „Not-in-my-backyard“-Habitus in der Bevölkerung zu, der die Realisierung zahlreicher Projekte verzögert und Neuplanungen wegen des erwartbaren Widerstands verhindert. Hinzu kommt in der Wahrnehmung ein „Behördensumpf“, in dem neue Genehmigungen nur langsam vergeben werden und eine geringe Innovationsoffenheit vorherrscht. Der deutsche Markt ist mittlerweile derart kompliziert geworden, dass Wachstumspotenziale vor allem im Ausland gesehen werden.

Zwar war das Ziel der EEG-Reformen sinnvoll, auch im Windenergie­sektor Marktmechanismen zu etablieren, und die sinkenden Erzeugungskosten sprechen eine eindeutige Sprache. Die gesetzlichen Verordnungen allerdings wirken erratisch und kurzfristig und schaffen keine Planungs­sicherheit für die Branche. Der letzten EEG-Reform vom Dezember 2020 wird dabei immerhin eine positive Tendenz zugutegehalten. Zahlreiche problematische Punkte sind jedoch noch unbearbeitet oder nicht hinreichend konkretisiert. Manche einst angekündigte Maßnahmen sind ohne konkrete Auswirkungen geblieben. Beklagt werden auch nach der jüngsten Reform das Fehlen einer Repowering-Strategie, unklare Abstandsregelungen oder der Wegfall von Vergütungen bei negativen Strompreisen ab einer Stunde. Hinzu kommen zahlreiche Klagemöglichkeiten, die Projekte massiv verzögern und die Kalkulation erschweren. Für viele dieser Fragen ist es notwendig, unterschiedliche Interessen miteinander in Einklang zu bringen und grundlegende Regeln zu etablieren. Weiter umfasst der Anforderungskatalog die Ausweisung zusätzlicher Flächen, verschlankte Genehmigungsprozesse und den Abbau von Hürden, um Planungs- und Rechtssicherheit zu schaffen. Ein großer Wurf ist jedoch bisher ausgeblieben.

Neue Hoffnung verspricht nun der Entschließungsantrag zum EEG für 2021, der 16 bisher strittige Punkte enthält, die noch in diesem Jahr gelöst werden sollen. Neben einer Erhöhung der Ausbaupfade werden auch Maßnahmen zur beschleunigten Planung und Genehmigung von Projekten, ein neues Finanzierungsmodell und steuerliche Reformen in Aussicht gestellt. Der Entschließungsantrag richtet sich zur Umsetzung an die Bundesregierung. Hinzu kommt eine zusätzliche Dynamik im Windkraftsektor von europäischer Seite durch den „Green Deal“ der EU und die Ankündigung, die europaweiten Offshore-Kapazitäten auf 300 GW bis 2050 zu steigern. Auch Deutschland hat das bisherige Offshore-Ausbauziel von 15 GW bis 2030 auf 20 GW erhöht, der bisherige Ausbaupfad entspricht der Zielsetzung allerdings noch nicht. Zusätzliche Energiebedarfe ergeben sich dabei noch vor dem Hintergrund der Diskussion um grünen Wasserstoff. In der aktuellen Marktdynamik steckt eine große Chance für Deutschland, Hindernisse abzubauen, einen neuen Investitionsschub in der Windenergie auszulösen und international wieder Anschluss zu finden.

© Der/die Autor:in(nen) 2021

Open Access: Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht (creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de).

Open Access wird durch die ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft gefördert.


DOI: 10.1007/s10273-021-2840-6

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