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Dieser Beitrag ist Teil von Nachhaltiges Wachstum: Braucht Deutschland ein Investitionsprogramm?

Die Corona-Pandemie trifft Deutschland und Europa mitten in einem umfassenden Strukturwandel, dessen Treiber insbesondere die Digitalisierung sowie die Transformation zu einer klimaneutralen Wirtschaft sind. Schon vor der Corona-Krise zeichnete sich das Bekenntnis zur Klimaneutralität im Jahr 2050 und damit ein großer und auch dringlicher Investitionsbedarf ab. Die Europäische Kommission beziffert diesen auf 2,6 Billionen Euro in diesem Jahrzehnt allein für den Umbau hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft in der EU (Europäische Kommission, 2019a, 2020a). Privatwirtschaftliche Investitionen in großem Umfang werden nötig sein, damit die Transformation gelingt. Öffentliche Investitionen spielen eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, ein optimales Umfeld für private Investoren zu schaffen, z. B. durch den Infrastrukturausbau oder die Forschungsförderung. Vor diesem Hintergrund war es zielführend, einen signifikanten Anteil des Corona-Konjunkturpakets für Investitionen in die Zukunftsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft vorzusehen und auf europäischer Ebene ebenso mit dem Aufbaufonds zu verfahren.

In konjunkturellen Schwächephasen können öffentliche Investitionen langfristige Wachstumsperspektiven eröffnen. Obgleich staatliche Investitionen aufgrund des langen Vorlaufs bei ihrer Umsetzung weniger gut als unmittelbares konjunkturpolitisches Instrument geeignet sind, dürften über mehrere Jahre angelegte öffentliche Investitionsvorhaben eine entscheidende Rolle für eine langfristige und nachhaltige wirtschaftliche Erholung spielen. Öffentliche Investitionen unterscheiden sich dabei jedoch durchaus hinsichtlich ihrer produktivitäts- und wachstumssteigernden Effekte. Es gilt daher, wachstumsfördernde Ausgabenkategorien zu identifizieren und zu priorisieren.

Wachstumsimpulse durch Investitionen entstehen insbesondere dort, wo die gesamtwirtschaftliche Produktivität nachhaltig erhöht wird (Ramey, 2020). Eine wichtige Rolle für die gesamtwirtschaftliche Produktivitätsentwicklung spielen Investitionen in den produktiv einsetzbaren Kapitalstock sowie solche, die technologischen Fortschritt auslösen. Werden öffentliche Investitionen in eine zukunftsorientierte Infrastruktur, in Forschung und Entwicklung sowie in die Ausbildung von Fachkräften gezielt eingesetzt, können sie den Strukturwandel unterstützen, Produktivitätssteigerungen auslösen und das Wachstum langfristig erhöhen (SVR, 2020). Über die Steigerung des Humankapitals können öffentliche Ausgaben für Bildung und Weiterbildung unmittelbar zum Wachstumspotenzial beitragen. Zielgerichtete Investitionen und Reformen im Gesundheitsbereich können die Widerstandsfähigkeit gegenüber zukünftigen Gesundheitskrisen erhöhen. Dabei ist stets mitzudenken, dass durch staatliche Investitionen eine Hebelwirkung auf private Investitionsaktivität in den entsprechenden Bereichen erreicht werden sollte und nicht im Gegenteil private Investitionen verdrängt werden.

Bereits seit Jahren steht in der Diskussion, dass Deutschland zu wenig in seine öffentliche Infrastruktur investiert. In der Vergangenheit scheiterte eine Ausdehnung der öffentlichen Investitionen oftmals nicht an einem Mangel an finanziellen Mitteln, sondern an ungeeigneten Gouvernance-Strukturen (Wissenschaftlicher Beirat beim BMWi, 2020). Parallel zu den aktuellen Investitionsvorhaben ist es daher notwendig, Fehlanreize zu beseitigen und durch institutionelle Reformen eine Verstetigung der Investitionsplanung zu erreichen (Wissenschaftlicher Beirat beim BMWi, 2020). Außerdem sollte durch Strukturreformen die Hebelwirkung von öffentlichen Investitionen verbessert werden, z. B. durch eine umfassende Energiepreisreform (SVR, 2020).

Öffentliche Investitionsbedarfe in Zukunftsfeldern

Um die Diffusion digitaler Technologien zu beschleunigen und neue Geschäftsmodelle zu ermöglichen, sollte dem Ausbau der digitalen Infrastruktur hohe Priorität eingeräumt werden. Die Verfügbarkeit von Glasfaseranschlüssen bis ins Haus oder die Wohnung (Fiber-to-the-Premises, FTTP) liegt in Deutschland deutlich unterhalb des europäischen Durchschnitts (SVR, 2020; Europäische Kommission, 2019b). Insbesondere der ländliche Raum verfügt nur über eine schwache Abdeckung mit FTTP (vgl. Abbildung 1 links). Da Marktlösungen durch privatwirtschaftliche Netzbetreiber hier aufgrund geringerer Profitabilität zu einer Unterversorgung führen könnten (Homann et al., 2018), dürfte die Notwendigkeit einer regionalen angebotsseitigen Förderung für den Ausbau der Netze bestehen (Gerpott, 2017).

Abbildung 1
FTTP-Verfügbarkeit und Qualität von IKT-Ressourcen im Schulalltag
FTTP-Verfügbarkeit und Qualität von IKT-Ressourcen im Schulalltag

Anmerkungen:

1 Fiber-to-the-Premises (FTTP).

2 Bandbreite – Bandbreite und Geschwindigkeit der Internetverbindung ausreichend, Rechenleistung – Rechenleistung der digitalen Geräte ausreichend, Software – ausreichende Verfügbarkeit geeigneter Software, Online-Plattformen – Online-Plattformen zur Unterstützung verfügbar, Kompetenzen – technische und pädagogische IKT-Kompetenzen der Lehrkräfte ausreichend, Lernmaterialien – Zugang zu Lernmaterialien für Lehrkräfte zur Nutzung digitaler Geräte ausreichend, Qualifiziertes Personal – Qualifiziertes Personal zur technischen Unterstützung ausreichend.

Quellen: Europäische Kommission, Reiss et al. (2019).

Öffentliche Investitionen in Forschung und Entwicklung wachsen in Deutschland seit 2010 kontinuierlich (SVR, 2019b). Ihr Anteil am BIP hat jedoch in den vergangenen 30 Jahren in Deutschland auf mittlerem internationalen Niveau stagniert (SVR, 2020). Insbesondere bei der öffentlich finanzierten Forschung im Bereich Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) liegt Deutschland, gemessen am BIP, international nur im Mittelfeld. Hier könnten öffentliche Investitionen den Innovations­standort Deutschland stärken.

Im Zuge der Corona-Pandemie erfahren die öffentliche Verwaltung, das Gesundheits- sowie das Bildungswesen in Deutschland einen Digitalisierungsschub. Es entstehen Chancen, diese Entwicklungen nachhaltig zu nutzen. Im Bereich digitale Verwaltung (E-Government) war Deutschland vor der Corona-Krise im EU-Vergleich unterdurchschnittlich aufgestellt (Europäische Kommission, 2020b). Eine stärkere Digitalisierung der Verwaltung könnte die Produktivität des öffentlichen Sektors erhöhen (Beck et al., 2017). Dabei ist darauf zu achten, dass durch eine generationenübergreifende Ausbildung digitaler Kompetenzen die Bürger:innen auch befähigt werden, die digitalen Dienste zu nutzen. In Kombination mit einer flächendeckenden digitalen Infrastruktur kann dies den Boden für attraktive Geschäftsmodelle bereiten.

Über die aktuelle Krisensituation hinaus ist der Ausbau digitaler Lehr- und Lernmöglichkeiten an Schulen zwingend notwendig, um zukünftige Generationen mit digitalen Schlüsselkompetenzen auszustatten (EFI, 2016). Die Einschätzung der Qualität der materiellen und personellen IKT-Ressourcen an Schulen durch deren Leitungen in Deutschland lag vor Ausbruch der Corona-Pandemie unter dem OECD-Durchschnitt (vgl. Abbildung 1 rechts). Für eine konsequente Umsetzung der Digitalisierung in Schulen dürften Investitionen in die IKT-Infrastruktur (Europäische Kommission, 2020c) sowie in die Aus- und berufliche Weiterbildung der Lehrkräfte zwingend erforderlich sein (Escueta et al., 2017).

Die effizienz- und produktivitätssteigernden Effekte, die durch die Anwendung von IKT im Gesundheitssektor entstehen könnten, bleiben in Deutschland häufig ungenutzt (SVR, 2020; Bavafa et al., 2018; Hitt und Tambe, 2016). Hinsichtlich der aktuellen und möglichen zukünftigen pandemiebedingten Herausforderungen ist zudem die Digitalisierung der kommunalen Gesundheitsämter besonders in den Blick zu nehmen. Mit digitaler Unterstützung lassen sich die Verfolgung von Infektionsketten sowie, bei Anordnungen von Tests und Quarantäne, die Meldewege schneller und weniger fehleranfällig gestalten.

Für die Transformation zu einer klimaneutralen Wirtschaft in Deutschland werden komplementäre Maßnahmen zum CO2-Emissionshandel, insbesondere im Verkehrssektor, notwendig sein (SVR, 2019a; 2020; EWK, 2021). So sind etwa öffentliche Investitionen in ÖPNV und ÖPFV dringend angezeigt, um ausreichende Optionen für eine Verlagerung von Verkehren zu schaffen. Darüber hinaus lassen sich Emissionsreduktionen im Verkehrssektor insbesondere durch direkte oder indirekte Elektrifizierung erreichen. Ein breites Netz an öffentlich zugänglichen Ladesäulen oder Wasserstofftankstellen kann dazu beitragen, dass sich Elektrofahrzeuge als Substitut für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren etablieren lassen. Regional besteht bei der Ladeinfrastruktur für batteriebetriebene Fahrzeuge in Deutschland noch eine große Heterogenität (vgl. Abbildung 2 links). Die öffentliche Förderung der Wasserstofftankstellen- und Lade­infrastruktur sollte sich insgesamt auf die Phase der Marktetablierung beschränken und insbesondere eingesetzt werden, um private Investitionen zu mobilisieren.

Um den Fachkräftebedarf in nachhaltigen Technologiefeldern langfristig decken zu können, ist es zentral, dass frühzeitig entsprechende Ausbildungsgänge etabliert werden. Weiterbildung kann überdies bestehenden Fachkräften die Möglichkeit bieten, ihre Kenntnisse um neue Technologiefelder zu erweitern. In den MINT-Berufen besteht bereits heute ein Fachkräfteengpass (vgl. Abbildung 2 rechts), der durch gezielte Maßnahmen, etwa der Förderung von Frauen in MINT-Fächern, adressiert werden sollte.

Abbildung 2
Ladepunkte für batteriebetriebene Fahrzeuge und Engpässe in MINT-Berufen
Ladepunkte für batteriebetriebene Fahrzeuge und Engpässe in MINT-Berufen

Anmerkungen:

1 Bestand zum Datenstand 6.1.2021.

2 Bestand zum Datenstand 1.1.2020

3 Abgeschlossene Medianvakanzzeit in Tagen und Median der Arbeitssuchenden-Stellen-Relation. HT – Hoch und Tiefbauberufe, PM – Produktdesign und kunsthandwerkliche Berufe, bildende Kunst, Musikinstrumentenbau, MINT – MINT-Berufe, LG – Lebensmittel- und Gastgewerbeberufe, LFG – Land-, Forst- und Gartenbauberufe, KUD – Kaufmännische und unternehmensbezogene Dienstleistungsberufe, SKD – Soziale und kulturelle Dienstleistungsberufe.

Quellen: Bundesagentur für Arbeit; Bundesamt für Kartographie und Geodäsie; Bundesnetzagentur; Kraftfahrtbundesamt; eigene Berechnungen.

Neuer Spielraum für öffentliche Investitionen

Die Eindämmung der Corona-Pandemie hat zu einem sehr starken Wirtschaftseinbruch geführt, auf den die Politik auf nationaler sowie europäischer Ebene mit einer deutlichen Ausweitung der Staatsausgaben reagiert hat. Sowohl das Corona-Konjunkturpaket als auch die für Deutschland vorgesehenen Mittel aus dem EU-Aufbaufonds sind zum Teil für eine deutliche Ausweitung der öffentlichen Investitionen in den Bereichen Digitalisierung, Klimaschutz, Bildung und Gesundheitswesen vorgesehen.

Das Konjunkturpaket vom Juni 2020 enthält Investitionsausgaben im Umfang von etwa 46 Mrd. Euro. Allerdings enthält das Paket auch Investitionen, die bereits vor der Corona-Pandemie geplant waren. Die im Koalitionsausschuss (2020) vorgesehenen Investitionsmittel verteilen sich in etwa in gleicher Höhe auf die Bereiche Klimaschutz und Digitalisierung. Etwas geringere Mittel sind für die Bereiche Bildung sowie Gesundheitswesen eingeplant (vgl. Abbildung 3). Einige Investitionsvorhaben lassen sich mehr als nur einem Bereich zuordnen. Zu berücksichtigen ist, dass in der Umsetzung dieses Plans einige Investitionen möglicherweise nicht oder nur mit deutlichen Verzögerungen realisiert werden. Zudem besteht eine Abgrenzungsproblematik für den Begriff Investitionen, der unterschiedlich weit gefasst werden kann (Christofzik et al., 2019).

Abbildung 3
Investitionsausgaben nach Verwendungsbereichen
in %
Investitionsausgaben nach Verwendungsbereichen

Anmerkungen:

1 Auf Grundlage der Ergebnisse des Koalitionsausschusses vom 3. Juni 2020.

2 Auf Grundlage des Entwurfs der Bundesregierung für den „German Recovery and Resilience Plan“ im Dezember 2020.

Quellen: BMF; Koalitionsausschuss; eigene Berechnungen.

Die Staats- und Regierungschefs der EU haben sich 2020 auf einen einmaligen Aufbaufonds geeinigt. Aus diesem Fonds stehen Deutschland insgesamt bis 2023 direkte Zuschüsse in Höhe von etwa 25,5 Mrd. Euro zur Verfügung. Darüber hinaus werden EU-weit insgesamt 77,5 Mrd. Euro über verschiedene EU-Töpfe, wie etwa den Invest-EU-Fonds, in Form indirekter Zuschüsse auf alle Länder verteilt. Die Mittel sollen insbesondere für Ausgaben in den Bereichen des grünen (mindestens 37 %) und des digitalen (mindestens 20 %) Wandels eingesetzt werden (Europäischer Rat, 2020). Der Ausgabenplan der Bundesregierung für die Deutschland zustehenden Mittel enthält zu fast der Hälfte Ausgaben für den Klimaschutz, etwa ein Viertel ist für die Digitalisierung vorgesehen, während der Rest auf die Bereiche Bildung und Gesundheit verteilt ist (vgl. Abbildung 3). Zum Teil sollen die Mittel verwendet werden, um Projekte zu finanzieren, die bereits im Konjunkturpaket vorgesehen waren, stellen also nicht vollumfänglich zusätzliche Investitionen dar.

Die Konjunkturprogramme kommen zu einer Zeit, in der bereits seit Jahren eine Diskussion über zu geringe Investitionen in die öffentliche Infrastruktur stattfindet. Die Bruttoanlageinvestitionen des Bundes steigen dabei seit 2014 kontinuierlich an und lagen seit 2018 wieder auf dem Niveau zu Zeiten der Wiedervereinigung (vgl. Abbildung 4 links). Der starke Rückgang insbesondere bei den Gemeinden in den 1990er- und frühen 2000er Jahren ist auf die erhöhte Investitionstätigkeit nach der Wiedervereinigung zurückzuführen. Die Nettoanlageinvestitionen, deren Werte mit Vorsicht zu betrachten sind (SVR, 2019b, Ziffer 526), zeigen eine ähnliche Entwicklung (vgl. Abbildung 4 rechts). Seit 2017 sind diese für den Gesamtstaat wieder positiv. Der negative Wert für die Gemeinden zeigt, dass seit einigen Jahren die Abschreibung die Investitionen übertreffen und somit der Investitionsbedarf zusätzlich zu den zukünftigen Herausforderungen steigt.

Abbildung 4
Investitionen des Staates
Investitionen des Staates

Anmerkungen:

1 Bruttoanlageinvestitionen abzüglich Abschreibungen.

2 BIP (real); Veränderung zum Vorjahr.

Quellen: Statistisches Bundesamt; eigene Berechnungen.

Die schleppende Inanspruchnahme bestehender Investitionstöpfe lässt auf verschiedene Hemmnisse bei der Umsetzung von Investitionsvorhaben schließen (vgl. Abbildung 5). Aus dem Energie- und Klimafonds wurden 2019 von 4,6 Mrd. Euro eingeplanter Mittel lediglich 3,1 Mrd. Euro abgerufen. Für das Bundesförderprogramm für den Breitbandausbau stehen seit 2015 11 Mrd. Euro zur Verfügung, wovon bis Juni 2020 etwa 566 Mio. Euro ausgezahlt wurden. Förderbescheide liegen immerhin für 6,6 Mrd. Euro vor, was jedoch ebenfalls ausbaufähig ist. Für 91 Projekte aus diesem Programm haben Kommunen sogar auf die bereits bewilligte Förderung verzichtet (Deutscher Bundestag, 2020). Der Kommunalinvestitionsförderungsfonds, bestehend aus einem Infrastruktur- und einem Schulsanierungsprogramm (Kapitel 1 und 2), hat mittlerweile einen vergleichsweise hohen Anteil vorgesehener Vorhaben (97,5 % bzw. 83,1 %), jedoch liegen die abgerufenen Mittel bisher lediglich bei 72 % bzw. 18 % (BMF, 2021). Allerdings werden teilweise abgerufene Mittel erst als solche verbucht, wenn das Projekt vollständig abgeschlossen ist. Aufgrund nicht abgerufener Mittel mussten gleichwohl beide Programme um ein Jahr verlängert werden. Das BMF (2021) begründet die Verlängerung offiziell mit Kapazitätsengpässen in der kommunalen Bauverwaltung und insbesondere in der Bauwirtschaft. Die Inanspruchnahme ist zwischen den Ländern heterogen verteilt. Mecklenburg-Vorpommern hat mit 49,7 % bzw. 0 % die geringste und Hamburg mit 93,1 % und 73,7 % jeweils die höchsten Abrufquote.

Abbildung 5
Bundesfinanzhilfen aus verschiedenen Förderprogrammen1
Bundesfinanzhilfen aus verschiedenen Förderprogrammen

Anmerkungen:

1 Zeilen über der Abbildung: Angaben in Mrd. Euro entsprechend der bewilligten Fördermittel des jeweiligen Programms im betrachteten Zeitraum.

2 Abgerufene und gebundene Finanzhilfen bis zum 31.12.2020.

3 Mittelauszahlungen und gebundene Finanzmittel bis zum 18.06.2020.

4 Soll-Ausgaben und Ist-Ausgaben für 2019.

Quellen: BMF; Deutscher Bundestag; eigene Berechnungen.

Insgesamt dürften drei Hemmnisse für die geringe Abrufung der Investitionsmittel verantwortlich sein (SVR, 2020, Kasten 10). Ein Hemmnis liegt, wie es auch das BMF beschreibt, in den begrenzten Personalkapazitäten in der kommunalen Verwaltung, insbesondere in der Bauverwaltung. Hier sank die Zahl der Angestellten bezogen auf Vollzeitäquivalente zwischen 2011 und 2015 um 9 %. Sowohl die hohe Altersstruktur als auch die Corona-Pandemie dürften diesen Engpass eher verschärfen. Investitionen in die Digitalisierung der Verwaltung könnten in Zukunft in diesem Bereich Abhilfe schaffen. Zusätzlich bestehen seit einigen Jahren Kapazitätsengpässe im Bausektor, die sich nur langsam und mit verlässlichen Perspektiven für zukünftige Bauprojekte auflösen lassen. Ein zweites Hemmnis für eine schnellere Umsetzung von Investitionen stellen aufwendige Planungs- und Genehmigungsverfahren dar. Beschleunigte Gerichtsverfahren, wie sie der nationale Normenkontrollrat empfiehlt, sowie stärkere Standardisierungen könnten diese Verfahren vereinfachen. Ein drittes Hemmnis besteht durch die finanzielle Ausstattung der Kommunen. Hier stellen insbesondere die Kassenkredite und Altschulden viele Kommunen vor Herausforderungen, wenn es darum geht, die Eigenleistungen für geförderte Investitionsprojekte zu stemmen. Die heterogene Relevanz dieses Problems bei den Kommunen zeigt, dass nicht alle Länder ihre Kommunen finanziell ausreichend ausstatten. Hier sind Bund und Länder gefragt Lösungen zu entwerfen, die den Kommunen ausreichend Investitionsspielraum lassen, ohne dass diese in eine neue Schuldenspirale getrieben werden.

Mobilisierung von nachhaltigen privaten Investitionen

Öffentliche Investitionen können in der aktuellen Situation aus mehreren Gründen das langfristige Wachstumspotenzial stärken. In den oben genannten Bereichen stehen transformative Disruptionen bevor, die viele Märkte, Produkte und Dienstleistungen verändern. Um in diesen Bereichen zukunftsfähig aufgestellt zu sein, bedarf es hoher Investitionen. Das Konjunkturpaket der Bundesregierung sowie der europäische Aufbaufonds bieten die Chance, der Transformation durch einmalige Investitionsprojekte einen Schub zu verleihen, ohne dass eine längerfristige, wiederkehrende Projektfinanzierung notwendig wird. Diese Investitionen führen dabei zu direkten wachstumssteigernden Effekten, wenn sie zusätzlich zu den ohnehin geplanten Ausgaben umgesetzt werden und parallel Strukturreformen auf den Weg gebracht werden, die die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft in diesen Zukunftsbranchen stärkt. Alternativ könnte ein Wachstumseffekt durch temporär erhöhte Investitionen dann entstehen, wenn, etwa durch die Mittel aus Konjunkturpaket oder Aufbaufonds, Ausgabenreduktionen oder Steuererhöhungen unterbleiben können.

In welchem Umfang öffentliche Investitionsmittel benötigt werden, hängt wesentlich davon ab, wie zielgerichtet diese eingesetzt werden und ob es gelingt, komplementär private Investitionen zu mobilisieren. Damit durch die Mittel aus Konjunkturpaket oder Aufbaufonds eine Hebelwirkung entsteht, müssen für Unternehmen längerfristige Wachstumsperspektiven entstehen und damit bereits kurzfristig positive Ertragserwartungen erzeugt werden. Um in der kurzen Frist in die Umsetzung zu kommen, müssen bestehende Hemmnisse, die der Realisierung von Investitionsvorhaben im Wege stehen, abgebaut werden. Andernfalls werden die umfangreichen Mittel aus Konjunkturpaket und Aufbaufonds nicht die intendierte Wirkung entfalten können. Die Einrichtung rechtlich eigenständiger Investitionsfördergesellschaften (Wissenschaftlicher Beirat beim BMWi, 2020) könnte mittelfristig dazu beitragen Planungs- und Verwaltungshemmnisse zu überwinden.

Im Zuge des Strukturwandels, sind auch in der langen Frist umfangreiche private und öffentliche Investitionen notwendig. Um diese Investitionen, ebenso wie Investitionen in den Erhalt und Ausbau des Kapitalstocks in Deutschland, zu ermöglichen, sollte außerhalb der krisenbedingten Programme die Investitionsquote des Staates nachhaltig erhöht und insbesondere verstetigt werden. Das schafft Planungssicherheit für die Unternehmen, stabilisiert die Erwartungen und begünstigt den Aufbau von Kapazitäten. Begleitend werden Anpassungen der Rahmenbedingungen und strukturelle Reformen notwendig sein, damit private Investitionen in nachhaltige Bereiche kanalisiert werden. Dazu können etwa eine möglichst umfassende CO2-Bepreisung begleitet von einer Energiepreisreform beitragen (SVR, 2020, Ziffern 391 ff.). Ebenso könnte der Abbau von Informationsasymmetrien, etwa durch die EU-Taxonomie für nachhaltige Projekte, an den Finanzmärkten privates Kapital in nachhaltige Investitionen lenken (Liebich et al., 2020).

Literatur

Bavafa, H., L. M. Hitt und C. Terwiesch (2018), The Impact of E-Visits on Visit Frequencies and Patient Health: Evidence from Primary Care, Management Science, 64(12), 5461-5480.

Beck, R. et al. (2017), Digitale Transformation der Verwaltung, Empfehlungen für eine gesamtstaatliche Strategie, Bertelsmann Stiftung.

BMF (2021), Förderung von Investitionen finanzschwacher Kommunen, https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Oeffentliche_Finanzen/Foederale_Finanzbeziehungen/Kommunalfinanzen/Kommunalinvestitionsfoerderungsfonds/Foerderung-von-Investitionen-finanzschwacher-Kommunen.html (10. Februar 2021).

Christofzik, D., M. Yeter und L. P. Feld (2019), Öffentliche Investitionen: Wie viel ist zu wenig?, Working Paper, 1, Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.

Deutscher Bundestag (2020), Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Margit Stumpp, Oliver Krischer, Sven-Christian Kindler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Drucksache, 19/21141.

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Escueta, M., V. Quan, A. J. Nickow und P. Oreopoulos (2017), Education technology: An evidence-based review, NBER Working Paper, 23744, National Bureau of Economic Research.

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SVR (2019b), Den Strukturwandel meistern, Jahresgutachten 2019/20, Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.

SVR (2020), Corona-Krise gemeinsam bewältigen, Resilienz und Wachstum stärken, Jahresgutachten 2020/21, Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.

Wissenschaftlicher Beirat beim BMWi (2020), Öffentliche Infrastruktur in Deutschland: Probleme und Reformbedarf, Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, Juni.

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© Der/die Autor:in(nen) 2021

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DOI: 10.1007/s10273-021-2867-8

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