Das internationale Unternehmensteuersystem ist nicht gemacht für eine hochmobile Welt. Seine Grundpfeiler stammen aus dem frühen 20. Jahrhundert, als Firmen kaum über Grenzen hinweg tätig waren. Heute agieren viele von ihnen weltweit. Sie verschieben Investitionen in Niedrigsteuerländer und drücken ihre Steuerquoten über Gewinnverlagerung an Niedrigsteuerstandorte (wobei die Wissenschaft noch streitet, wie prävalent das Problem ist). Staaten konkurrieren um die Ansiedelung mobiler Investitionen und Gewinne. In den letzten Jahrzehnten sind die Unternehmensteuersätze weltweit substanziell gefallen. In Deutschland hat sich die Belastung seit den 1990er Jahren fast halbiert. Dass Firmen keinen „fairen“ Beitrag zur Finanzierung der Staatshaushalte leisten, verletzt das Gerechtigkeitsempfinden vieler Menschen. Regierungen haben in den letzten Jahrzehnten vor allem multinationale Gewinnverschiebungen in den Blick genommen und umfassende Regeln erlassen, um diese zu unterbinden. Im Rahmen internationaler Projekte (BEPS und ATAD) wurden Gewinnverschiebungsregeln seit 2013 international koordiniert und verschärft.
Nun sind weitere Regeln geplant. Aktuell verhandeln 140 Länder im Rahmen des Inclusive Frameworks der OECD über eine globale Mindeststeuer. Konkret sollen die Mutterländer „Übergewinne“ an Tochterstandorten nachbesteuern, wenn die Steuerquote unter dem festgeschriebenen Mindeststeuersatz liegt. Flankierend sollen bestimmte Zahlungen an Niedrigsteuerländer nicht mehr von der Steuerbasis abzugsfähig sein. Anfang April 2021 hat sich die neue US-Regierung hinter die Mindeststeuervorschläge gestellt und damit ordentlich Rückenwind erzeugt.
Ob eine globale Mindeststeuer den Beitrag des Unternehmenssektors zur Staatsfinanzierung erhöht, ist fraglich. Der Effekt des Systems hängt entscheidend an Ausgestaltungsdetails, z. B. der Höhe des gewählten Mindeststeuersatzes. Hier waren bislang aus OECD-Kreisen unambitionierte Werte zu hören: 10 %. Vielleicht 12,5 %. Das verhindert Nullbesteuerung, aber nicht Anreize zur Gewinnverlagerung. Deutsche multinationale Unternehmen (MNU), die hierzulande mit 30 % besteuert werden, würden weiterhin von Gewinnverschiebung nach Irland profitieren, wo ein Satz von 12,5 % gilt. Und selbst wenn Gewinnverlagerung eingedämmt wird, könnten Unternehmensteuersätze und damit der Unternehmensbeitrag zur Staatsfinanzierung sinken. Staaten haben weiterhin Anreize, über Steuersatzsenkungen Firmenaktivität anzuziehen. Der Weg von aktuell rund 30 % Gewinnsteuerbelastung in Deutschland zu 12,5 % ist weit. Und es ist nicht klar, ob der Mindeststeuersatz als Haltelinie im Steuerwettbewerb fungiert: Wenn nur „Übergewinne“ der Mindestbesteuerung unterliegen, haben Länder immer noch Anreize, mit niedrigeren Steuern auf „Normalgewinne“ Firmenaktivität anzulocken.
Die US-Finanzministerin Janet Yellen will das System daher strikter ausgestalten. Sie plädiert für eine Mindeststeuer, die alle Auslandsgewinne einbezieht, sowie für einen hohen internationalen Mindeststeuersatz von 21 %. Fraglich ist, ob sich die Staatengemeinschaft hinter Yellens Vorschlag stellt. Niedrigsteuerländer wie Irland haben keinen Anreiz dazu. Das ist die Crux bei der Debatte: Das Mindeststeuersystem kann Gewinnverlagerung und Steuerwettbewerb nur unterbinden, wenn es strikt ausgestaltet ist. Aber dann machen nicht alle mit. Und wenn viele Länder außen vor bleiben, können MNU über die Verlagerung ihrer Firmensitze in nicht partizipierende Staaten die Mindeststeuer umgehen. Flankierende Maßnahmen sollen das unterbinden – wie gut sie wirken, ist unklar. Und sie tragen zur Komplexität des Systems bei.
Es lohnt ein Schritt zurück und die Frage, ob es Alternativen gibt. Das Grundproblem heißt Mobilität: Firmen sind mobil und entziehen sich der Besteuerung. Gewinnverschiebungsregeln und Mindeststeuern versuchen hier, Dämme einzuziehen. Aber es ist schwer, jedes Schlupfloch zu schließen. Und Staaten selbst haben Anreize, Regeln nicht (adäquat) anzuwenden, um Firmenaktivität anzuziehen. Dass so ein stabiles internationales System geschaffen werden kann, das dem öffentlichen Bedürfnis nach einem „fairen“ Beitrag von MNU zur Staatsfinanzierung gerecht wird, darf zumindest bezweifelt werden. Zudem ist der Aufwand hoch: Gewinnverschiebungsregeln erzeugen schon heute hohe Befolgungs- und Verwaltungskosten. Mit der Mindeststeuer dürften diese weiter ansteigen.
Warum also nicht das Problem an der Wurzel packen und Unternehmensbesteuerung an Faktoren knüpfen, die immobil sind? Den Standort der Konsument:innen oder der Eigentümer:innen. Viel spricht dafür: Gewinnverschiebung wäre eliminiert. Steuerwettbewerbsanreize würden sinken. Das System wäre leichter administrierbar. Und Staaten hätten, bei adäquater Ausgestaltung, Anreize beizutreten. Die OECD macht in ihren „Pillar 1“-Vorschlägen Mini-Schritte in diese Richtung. Umfassendere sollten folgen.