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Die im Rentenversicherungsbericht 2020 vorgelegten Projektionen der Rentenanpassungen der kommenden Jahre sind auf den ersten Blick überraschend. Nach einer De-facto-Nullrunde im laufenden Jahr folgt nach aktuellen Prognosen in den alten Ländern eine Rentenerhöhung von 4,8 % im Jahr 2022 und 3,2 % im darauffolgenden Jahr. 2024 folgt dann wieder eine Nullrunde. Die Abfolge von prognostizierten Nullrunden und Rentenanstiegen basiert dabei nicht auf Schwankungen der makroökonomischen Rahmendaten, die für die Berechnungen im Rentenversicherungsbericht angenommen werden. Sie entstehen vielmehr im Zusammenspiel mit den gesetzlichen Regelungen zur Rentenanpassung. Für das laufende und kommende Jahr gehen sie vor allen Dingen auf die Lohnkomponente der Rentenanpassungsformel zurück.1 Dieser Beitrag präsentiert einen Vorschlag zur Anpassung der Lohnkomponente, der das Auf und Ab der Rentenanpassungen abschwächen würde.2

Die Rentenanpassungsformel setzt sich aus drei Termen zusammen:

aRWt = aRWt-1× Lohnkomponentet × Riesterfaktort × Nachhaltigkeitsfaktort‘

wobei aRWt den aktuellen Rentenwert und das Subskript das aktuelle Jahr bezeichnet. Der Riesterfaktor mindert Rentenerhöhungen und der Nachhaltigkeitsfaktor berücksichtigt das Verhältnis von Rentner:innen und Beitragszahler:innen. Die Lohnkomponente soll dafür sorgen, dass die Rentner:innen an den Steigerungen der beitragspflichtigen Einkommen pro Beitragszahler:in teilhaben:

BE gibt dabei die Bruttolöhne und -gehälter (BLG) je Arbeitnehmer:in ausschließlich Ein-Euro-Jobs an, bBE die beitragspflichtigen Einkommen je Beitragszahler:in. Die BLG umfassen weitestgehend die Einkünfte aus abhängiger Beschäftigung. Sie unterliegen allerdings nicht in Gänze Rentenversicherungsbeiträgen. So zählen z. B. auch das Salär von Beamt:innen zu den BLG sowie Löhne über der Beitragsbemessungsgrenze. Die BLG entsprechen somit nicht den versicherungspflichtigen Einkommen. Zudem gibt es Einkommen, die Beitragszahlungen auslösen, die nicht in den BLG erfasst sind. Hier sind insbesondere das Kurzarbeitergeld und das Arbeitslosengeld zu nennen, für die der Arbeitgeber bzw. die Bundesagentur für Arbeit Beitragszahlungen an die Rentenversicherung entrichten.3

Zum Zeitpunkt der jährlichen Rentenanpassung liegen die bBE nur für das vorvergangene Jahr vor. Wohl aus diesem Grund fließt zunächst als Näherung an die Veränderung der beitragspflichtigen Einkommen die Veränderung der BLG im Vorjahr in die Lohnkomponente ein. Sie wird mit einem Korrekturfaktor für die unterschiedliche Entwicklung von BLG und beitragspflichtigen Einkommen im Vorvorjahr multipliziert. Mittelfristig sorgt der Korrekturfaktor dafür, dass die Renten mit den beitragspflichtigen Einkommen wachsen. Entspricht die vergangene prozentuale Veränderung von bBE der Veränderung von BE, vereinfacht sich die Lohnkomponente auf BEt-1/BEt-2 und die Lohnkomponente steigt schlicht mit der Lohnentwicklung des Vorjahrs. Dies ist in den meisten Jahren annähernd der Fall. In Situationen, in denen Kurzarbeitergeld in großem Umfang beansprucht wird – wie etwa 2020 – wachsen die beitragspflichtigen Einkommen hingegen deutlich stärker als die BLG.

Im Jahr 2021 ist die Nullrunde bei den Westrenten inzwischen Realität geworden. Nach der aktuellen Rentenanpassungsformel hätten die Renten aufgrund einer Änderung der statistischen Erfassung der rentenversicherungspflichtigen Einkommen sogar sinken müssen.4 Darüber hinaus bewirkt das Anschwellen der Kurzarbeit 2020, dass der Rentenwert deutlich unter der Entwicklung der beitragspflichtigen Einkommen zurückbleibt. Die Rentenkürzung wurde jedoch ausgeschlossen und der sogenannte Nachholfaktor, der die unterbliebene Rentenkürzung in Folgejahren ausgeglichen hätte, ist ausgesetzt. Da 2020 die beitragspflichtigen Einkommen stärker als die BLG gewachsen sind, dürfte der Korrekturfaktor 2022 deutlich über 1 liegen. Folglich dürfte es im kommenden Jahr zu einer Rentensteigerung kommen, die wohl sogar stärker als die allgemeine Lohnentwicklung ausfallen wird. Das Muster ist in der derzeitigen Ausgestaltung der Rentenanpassungsformel angelegt; kommt es in einer Krise zu höherer Arbeitslosigkeit oder einem deutlichen Anstieg der Kurzarbeit, laufen die beitragspflichtigen Einkommen und die BLG auseinander. Im Sinne der Rentenanpassung führt dies in der Regel dazu, dass typischerweise in dem Jahr nach der Krise eine deutlich schwächere Rentenanpassung erfolgt, als es die beitragspflichtigen Einkommen hergeben würden und im dann folgenden Jahr eine deutlich stärkere. Die Dynamik der Renten ist dadurch Schwankungen ausgesetzt, die über Schwankungen der beitragspflichtigen Einkommen hinausgehen. Bisher wurden von der Politik zwei zusätzliche Instrumente genutzt, um diesen Schwankungen entgegenzuwirken – die Rentengarantie, die einen Rückgang der Renten nach einer Krise verhindert, und der Nachholfaktor im Nachgang der Nullrunde des Jahres 2010. Letzterer ist in der aktuellen Situation ausgesetzt.

Durch eine in Krisenzeiten besser geeignete Approximation der beitragspflichtigen Einkommen ist es möglich, auch ohne Rentengarantie und Nachholfaktor eine Stabilisierung der Rentenanpassungen zu erzielen. In Krisen werden die beitragspflichtigen Einkommen durch die Leistungen der Arbeitslosenversicherung stabilisiert. Durch die Nutzung der BLG in der Fortschreibung wird dieser stabilisierende Einfluss in der Rentenanpassung missachtet. Daher schlagen wir Alternativen zu den BLG vor, an denen der Lohnfaktor ausgerichtet werden soll, die sich auch in und nach Krisen besser an den beitragspflichtigen Einkommen orientieren.

Wir bringen zwei Varianten in die Diskussion ein: Zum einen eine Modifizierung der BLG, die die fiktiven Entgelte, auf deren Basis Beiträge bei Kurzarbeit und Bezug von Arbeitslosengeld geleistet werden, den BLG in den VGR zuschlägt. Die fiktiven Entgelte können anhand der empfangenen Beiträge von der Rentenversicherung berechnet werden und sollten für die Rentenanpassung zur Mitte des Jahres rechtzeitig vorliegen. Für die folgende Darstellung unterstellen wir vereinfachend, dass das fiktive Entgelt in etwa dem Doppelten des geleisteten Kurzarbeitergeldes bzw. des Arbeitslosengeldes entspricht. Für die Berechnung der Pro-Kopf-Größe wird ferner der Zahl der Arbeitnehmer:innen laut VGR die Zahl der Empfänger:innen von Arbeitslosengeld hinzugefügt.

Die zweite Alternative besteht darin, die um Beitragssatzeffekte bereinigten Beiträge auf die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten plus der Empfänger:innen von Arbeitslosengeld zu beziehen. Beiträge für Kindererziehungszeiten, die der Bund leistet, werden dabei in der Summe der Beiträge nicht berücksichtigt. Tabelle 1 zeigt, wie gut die BLG sowie die beiden Alternativen die beitragspflichtigen Einkommen approximieren.

Tabelle 1
Veränderungsraten der beitragspflichtigen Einkommen, der BLG und alternativer Näherungswerte
  Beitragspflichtige Einkommen BLG Modifizierte BLG Modifizierte Beitragseinnahmen
2009 0,32 0,10 0,77 0,13
2010 1,72 2,66 2,54 1,56
2011 2,14 3,51 3,10 0,99
2012 2,39 2,90 2,72 1,40
2013 2,60 2,21 2,28 2,58
2014 2,79 2,94 2,88 2,32
2015 2,93 2,97 2,95 2,06
2016 2,48 2,49 2,48 1,91
2017 2,35 2,54 2,53 2,34
2018 3,25 3,18 3,14 3,13
2019   2,94 2,97 2,91
2020   -0,09 1,70 0,51
Mittelwert 2,30 2,55 2,54 1,84
Standard­abweichung 0,77 0,89 0,65 0,82
Korrelation mit BE   0,82 0,87 0,87

Angaben pro Kopf.

Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 18, 1.2 (Stand: Februar 2021); Deutsche Rentenversicherung; eigene Berechnungen und Darstellung.

Die modifizierten BLG und die modifizierten Beitragseinnahmen weisen jeweils eine höhere Korrelation mit den beitragspflichtigen Einkommen auf als die BLG. Der Mittelwert der modifizierten BLG ist etwa so hoch wie der der BLG, die Standardabweichung ist allerdings niedriger. Dies und die höhere Korrelation mit den beitragspflichtigen Einkommen deuten darauf hin, dass durch die Nutzung der modifizierten BLG im Lohnfaktor die Schwankungen der Rentenanpassungen gemindert werden können. Die modifizierten Beitragseinnahmen hingegen weichen beim Mittelwert stärker von den BLG ab und haben auch eine größere Distanz zu den beitragspflichtigen Einkommen. Zudem spricht die im Vergleich zu den modifizierten BLG höhere Standardabweichung nicht für diese Variante.

Für die aktuelle Rentenanpassung zur Mitte des Jahres 2021 hätte die im Vergleich zu den BLG mit 1,7 % deutlich kräftiger ausfallende Veränderungsrate der modifizierten BLG zwar nur dann einen Einfluss gehabt, wenn der statistische Sondereffekt, der für sich genommen die Renten kürzt, nicht aufgetreten wäre. Jedoch zeigt sich hier das Stabilisierungspotenzial.

In Tabelle 2 wird die Projektion der Lohnkomponente auf Basis der modifizierten BLG in Spalte II zusammengefasst und mit der Projektion nach herkömmlicher Berechnung (Status quo) basierend auf Schätzungen der Gemeinschaftsdiagnose vom Frühjahr 2021 (Spalte I) verglichen. Als Referenz wird zudem in Spalte III die zurückgerechnete Lohnkomponente anhand der Projektion des Rentenwertes aus dem Rentenversicherungsbericht 2020 dargestellt. Allerdings basieren im letzteren Fall die Eckwerte des Arbeitsmarkts auf der Herbstprojektion 2020 der Bundesregierung und sind deshalb nur bedingt mit den anderen Projektionen vergleichbar. Im Vergleich zeigt sich auch in der Projektion die deutlich schwankungsärmere Lohnkomponente der modifizierten BLG gegenüber der Berechnung nach Status quo. Dies schlägt sich gemäß Rentenanpassungsformel ceteris paribus in einer stabileren Rentenwert­entwicklung nieder.

Tabelle 2
Rentenprojektion mit alternativen Lohnkomponenten
  Status quo Modifizierte BLG Status quo rückgerechnet1
2020 1,028 1.028 1,039
2021 0,998 1,016 1,010
2022 1,025 1,033 1,048
2023 1,057 1,039 1,022
2024 1,044 1,033 1,017
Mittelwert 1,030 1,030 1,027
Standardabweichung 0,020 0,008 0,014

1 nachrichtlich: rückgerechnet anhand Rentenwert des BMAS (2020).

Quelle: BMAS (2020), Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose (2021), eigene Berechnungen und Schätzungen.

In der Summe bietet die vorgeschlagene Modifikation den Vorteil, dass sie die Entwicklung der Rentenkassen verstetigt und damit die Planbarkeit auf makroökonomischer Ebene sowie bei den Rentenbezieher:innen erhöht. Die Modifikation des Lohnfaktors dürfte makroökonomisch stabilisierend wirken. Der stabilisierende Effekt der Kurzarbeit wird durch die Modifikation des Lohnfaktors auf die Rentenanpassung im folgenden Jahr übertragen. Dies kommt zum einen der tatsächlichen finanziellen Situation der Rentenversicherung näher, die von den Beiträgen auf Kurzarbeit und Arbeitslosengeld profitiert. Zum anderen bessert es die Einkommensperspektiven der Rentner:innen in einem Krisenjahr. Zugleich wird die Rentenanpassung in der weiter von einer Krise entfernten Zeit gemindert. Die Wahrscheinlichkeit, dass nach einer Krise nochmals die Rentengarantie greifen muss, wird verringert.

  • 1 Die projizierten Schwankungen ab 2023 gehen vorrangig auf den Nachhaltigkeitsfaktor zurück. Sie dürften sich aber nicht in dieser Form auf die späteren Rentenanpassungen auswirken, da sie der an § 69 II 2 SGB VI gebundenen Fortschreibung geschuldet sind, die insbesondere nach Krisen unrealistische Ergebnisse liefert. Für Rentenanpassung sind nur die Ist-Werte relevant, doch erschwert die Regelung in § 69 II 2 SGB VI die Planung. Das vorläufige Durchschnittsentgelt sollte nicht mechanistisch, sondern im Rahmen einer Prognose fortgeschrieben werden.
  • 2 Kritik an der derzeit genutzten Rentenanpassungsformel findet sich bereits bei Deutsche Bundesbank (2020, 73-74).
  • 3 Ein weiteres Problem der VGR-Größe besteht darin, dass diese zunächst vom Statistischen Bundesamt geschätzt wird und auch noch Jahre später revidiert werden kann, wobei die Zuwachsraten von Jahreswerten eine eher untergeordnete Rolle spielen. Das Niveau der BLG kann allerdings, wenn neue Statistiken zu Entgelten und Beschäftigung verfügbar werden, durchaus deutlichen Variationen zwischen den Veröffentlichungszeitpunkten unterworfen sein. Eine solche Revision hat 2019 dazu geführt, dass die Art der Berücksichtigung der Zahlen der VGR geändert wurde, weil andernfalls die Rentenanpassungen von Jahr zu Jahr großen Schwankungen unterworfen gewesen wären (Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Errichtung der Deutschen Rentenversicherung Bund und der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See, BGBl. I, 1565, 39).
  • 4 Mit dem Flexirentengesetz wurde der Personenkreis zur Bestimmung von bBE zum Jahr 2019 verändert.

Literatur

BMAS (2020), Rentenversicherungsbericht 2020 gemäß § 154 Abs. 1 und 3 SGB VI.

Deutsche Bundesbank (2020), Öffentliche Finanzen. Monatsbericht November 2020, 63-76.

Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose (2021), Pandemie verzögert Aufschwung – Demografie bremst Wachstum, Gemeinschaftsdiagnose Frühjahr 2021.

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© Der/die Autor:in(nen) 2021

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DOI: 10.1007/s10273-021-2963-9