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Dieser Beitrag ist Teil von Wirtschaftspolitische Perspektiven für eine neue Bundesregierung

Die Ungleichheit der Einkommen ist in Deutschland ein seit Jahren heftig diskutiertes Thema. Mit dem jüngst veröffentlichten 6. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung (BMAS, 2021) ist ein weiteres umfangreiches Werk vorgelegt worden, indem ausführliches empirisches Material eine Zustandsbeschreibung der Einkommensungleichheit vornimmt. Was in dieser aber auch in früheren Veröffentlichungen häufig zu kurz kommt, sind die Fragen, was die Treiber für die Einkommensungleichheit in Deutschland sind, und was geeignete Maßnahmen sein könnten, einer zunehmenden Ungleichheit zu begegnen.

Die folgenden Analysen basieren auf Mikrodaten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) (Goebel et al., 2019). In die Analysen gehen Informationen der Erhebungsjahre 1984 bis 2019 ein.1 Im Fokus stehen Jahreseinkommen, die im jeweiligen Folgejahr erhoben wurden. Als nicht-monetäre Einkommenskomponente wird gemäß internationaler Standards auch der Mietwert selbstgenutzten Wohneigentums herangezogen (Frick und Grabka, 2003). Um Unterschiede in der Haushaltsgröße und der Zusammensetzung zu kontrollieren, wird eine Bedarfsgewichtung mit der modifizierten OECD-Skala vorgenommen. Insgesamt werden neun aggregierte Einkommenskomponenten betrachtet. Neben den Löhnen, die Einkommen aus selbständiger Tätigkeit, Kapitaleinkommen, der Mietwert selbst genutzten Wohneigentums (unterstellte Mieten), private empfangene Transfers, private empfangene Renten, staatliche Transfers, Renten der Sozialversicherung und letztlich direkte Steuern und Sozialabgaben.

Die Entwicklung der Ungleichheit der bedarfsgewichteten Haushaltsnettoeinkommen wird mit dem Gini-Koeffizienten beschrieben. Dieses Maß ist auf den Wertebereich Null (komplette Gleichverteilung) und Eins (komplette Ungleichverteilung) normiert. Danach zeigen sich von 1983 bis 1999 nur leichte Schwankungen der Ungleichheit mit Werten zwischen 0,24 bis 0,26 (vgl. Abbildung 1). Anders verhält es sich im daran anschließenden Zeitraum von 1999 bis 2005. Hier nimmt die Ungleichheit signifikant von etwa 0,25 auf 0,29 zu. Im Zuge der Finanzmarktkrise geht die Ungleichheit wieder leicht auf 0,28 zurück, um anschließend wieder leicht auf rund 0,29 zu steigen.2 Da die Ungleichheit der Haushaltsnettoeinkommen im Wesentlichen erst ab 1999 deutlich zulegte, steht der Zeitraum 1999 bis 2018 weiter im Fokus.

Abbildung 1
Gini-Koeffizient für das Haushaltsnettoeinkommen 1985 bis 2018
Gini-Koeffizient für das Haushaltsnettoeinkommen 1985 bis 2018

Anmerkung: Ab 1991 Deutschland insgesamt, bedarfsgewichtet.

Quelle: SOEPv36.

Die Zusammensetzung der Haushaltsnettoeinkommen der Privathaushalte hat sich in den vergangenen 35 Jahren nur wenig verändert. Die quantitativ wichtigste Einkommenskomponente stellen die Löhne dar, die 2018 einen Anteil von 88 % ausmachen. Mit weitem Abstand folgen die Renten der Sozialversicherung mit einem Anteil von 18 %. Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit haben einen Anteil von immerhin 11 %. Staatliche Transfers summieren sich auf 7 %, der Mietwert selbstgenutzten Wohneigentums kommt auf einen Anteil von noch 5 %. Auf Seiten der Kapitaleinkommen werden 3 % durch Vermietung und Verpachtung und 2 % durch Zinsen, Dividenden, etc. erzielt. Eine vergleichbar kleine Rolle spielen Einkommen aus privaten Renten mit 2 %. Mit nur 1 % schlagen die privaten empfangenen Transfers zu Buche. Die direkten Steuern und Sozialabgaben beziffern sich zusammen auf 37 %.

Aufgrund der hohen quantitativen Relevanz für das Haushaltsnettoeinkommen wird zunächst die Entwicklung der Ungleichheit der Haushalts-Erwerbseinkommen betrachtet. Die Ungleichheit der bedarfsgewichteten Haushaltslöhne verläuft umgekehrt U-förmig (vgl. Abbildung 2). Nach der Wiedervereinigung kam es zu einem starken Anstieg der Ungleichheit der Löhne, die bis etwa Mitte der 2000er Jahre anhielt, um anschließend wieder nahezu auf das Ausgangsniveau abzusinken. Im Vergleich zu 1999 ist ein Rückgang um 2 Gini-Punkte auf nunmehr 0,70 feststellbar.

Abbildung 2
Gini-Koeffizient der Löhne und Einkommen aus Selbständigkeit
Gini-Koeffizient der Löhne und Einkommen aus Selbständigkeit

Anmerkung: auf Haushaltsebene aggregiert und bedarfsgewichtet.

Quelle: SOEPv36.

Die Einkommen aus Selbständigkeit sind wesentlich ungleicher verteilt als die Löhne. Der Gini-Koeffizient beläuft sich hier auf mehr als 0,95. Dies ist primär der Tatsache geschuldet, dass nur wenige Haushalte diese Einkommensart beziehen3, aber gleichzeitig auch, dass dieses Einkommen selbst stark ungleich verteilt ist, mit eher geringeren Einkommen bei Soloselbständigen und eher hohen bei Mittelständlern und Unternehmern. Der Verlauf der Ungleichheit ist durch eine leichte Zunahme um 2 Gini-Punkte seit 1999 gekennzeichnet.

Der Verlauf der Ungleichheit der Kapitaleinkommen und unterstellter Mieten ist spiegelverkehrt (vgl. Abbildung 3). Während der Gini-Koeffizient für die Kapitaleinkommen seit der Wiedervereinigung mit kleinen Unterbrechungen um insgesamt 9 Gini-Punkte von rund 0,83 auf 0,92 stark gestiegen ist, nahm die Ungleichheit der unterstellten Mieten spiegelbildlich zunächst stark ab von etwa 0,8 auf 0,74 im Jahr 1999 und reduziert sich im weiteren Verlauf um weitere 3 Gini-Punkte.

Abbildung 3
Gini-Koeffizient der Kapitaleinkommen und der Imputed rents
Gini-Koeffizient der Kapitaleinkommen und der Imputed rents

Anmerkung: auf Haushaltsebene aggregiert und bedarfsgewichtet.

Quelle: SOEPv36.

Private Renten und privat empfangene Transfers sind Einkommensarten, die nur von einem kleinen Teil der Bevölkerung bezogen werden, entsprechend hoch fällt die Ungleichheit dieser beiden Komponenten mit mehr als 0,95 aus (vgl. Abbildung 4). Beide Einkommensarten weisen einen ähnlichen Trend mit einer leicht rückläufigen Tendenz auf.

Abbildung 4
Gini-Koeffizient der privaten Renten und privat empfangenen Transfers
 Gini-Koeffizient der privaten Renten und privat empfangenen Transfers

Anmerkung: auf Haushaltsebene aggregiert und bedarfsgewichtet.

Quelle: SOEPv36.

Einen ungewöhnlichen Verlauf findet sich für die öffentlichen Transfers (vgl. Abbildung 5). Während der Gini-Koeffizient für diese Einkommensart zu Beginn der 1990er Jahre einen Wert von um 0,75 aufweist, kommt es von 1995 auf 1996 zu einem starken Rückgang auf 0,68. Dies ist der damaligen starken Anhebung des Kindergelds geschuldet, da die Bundesregierung nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts das Existenzminimum für Kinder von der Besteuerung freigestellt hatte. Bis 2004 sinkt die Ungleichheit der Einkommen aus öffentlichen Transfers weiter auf unter 0,64. Seit 1999 hat die Ungleichheit damit um etwas mehr als 3 Gini-Punkte zugenommen.

Abbildung 5
Gini-Koeffizient der öffentlichen Transfers und Renten der Sozialversicherung
Gini-Koeffizient der öffentlichen Transfers und Renten der Sozialversicherung

Anmerkung: auf Haushaltsebene aggregiert und bedarfsgewichtet.

Quelle: SOEPv36.

Der Trend der Ungleichheit der Renten der Sozialversicherung ist leicht U-förmig, mit dem höchsten Wert von 0,82 im Jahr 1991. Sie sinkt dann auf bis zu 0,78 im Jahr 2003 ab, um anschließend leicht anzusteigen auf 0,8. Insgesamt hat sich die Ungleichheit der Renten der Sozialversicherung seit 1999 aber faktisch kaum geändert.

Als letzte Einkommenskomponente wird die Ungleichheit der direkten Steuern und Sozialabgaben betrachtet (vgl. Abbildung 6). Ein hoher Gini-Koeffizient für diese Komponente kann als Indiz für eine zielgerichtete Abgabenbelastung von Besserverdienenden interpretiert werden. Auch hier liegt ein leicht umgekehrt U-förmiger Verlauf vor. So steigt der Gini-Koeffizient von 0,47 im Jahr 1991 bis auf 0,57 im Jahr 2004. Anschließend sinkt die Ungleichheit wieder bis auf einem Wert von 0,52 im Jahr 2018. Im Vergleich zu 1999 hat sich der Gini-Koeffizient für diese Komponente jedoch nicht verändert.

Abbildung 6
Gini-Koeffizient der direkten Steuern und Sozialabgaben
Gini-Koeffizient der direkten Steuern und Sozialabgaben

Anmerkung: auf Haushaltsebene aggregiert und bedarfsgewichtet.

Quelle: SOEPv36.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass es drei Einkommenskomponenten sind, deren Ungleichheit gestiegen ist: diese sind die Einkommen aus Selbständigkeit (+1,5 Punkte), die öffentlichen Transfers (+3,5 Punkte) sowie die Kapitaleinkommen, die den stärksten Anstieg mit etwa 9 Gini-Punkten verzeichnen.

Zerlegung der Ungleichheit der Haushaltsnettoeinkommen

Um die Entwicklung der Ungleichheit der bedarfsgewichteten Haushaltsnettoeinkommen näher zu beleuchten, wird eine Faktorenzerlegung der Ungleichheit der bedarfsgewichteten Haushaltsnettoeinkommen mittels des Variationskoeffizienten erstellt (Jenkins, 1995). Damit kann der relative Beitrag jeder Einkommenskomponente an der gesamten Ungleichheit der Haushaltnettoeinkommen beschrieben werden.

Fokussiert man wiederum auf den Zeitraum ab 1999, dem Jahr des Beginns der zunehmenden Ungleichheit der Haushaltsnettoeinkommen und vergleicht diese mit dem letzten verfügbaren Jahr 2018, so zeigen sich deutliche strukturelle Veränderungen (vgl. Tabelle 1). Lieferten die Löhne 1999 noch einen Erklärungsbeitrag an der gesamten Ungleichheit von 90 %, hat sich deren Anteil 2018 auf 49 % deutlich reduziert. Dies ergibt sich zunächst daraus, dass die Ungleichheit der Löhne selbst leicht rückläufig ist. Zudem haben andere Einkommensarten einen steigenden Erklärungsbeitrag an der gesamten Ungleichheit. Hierbei sind die Kapitaleinkommen hervorzuheben. Deren Anteil zur Erklärung der gesamten Ungleichheit hat sich 1999 von 21 % auf 47 % 2018 deutlich erhöht, was sich aus dem Zuwachs von 9 Gini-Punkten bei der Ungleichheit der Kapitaleinkommen ergibt.

Tabelle 1
Faktorzerlegung der Ungleichheit der Haushaltsnettoeinkommen 1999 und 2018
  1999 2018 Differenz
Löhne 90 49 -41
Selbständige Tätigkeit 48 57 9
Kapitaleinkommen 21 47 26
Unterstellte Mieten 5 3 -2
Private empfangene Transfers 0 0 0
Private Renten 3 3 0
Staatliche Transfers -4 -2 2
Renten der Sozialversicherung 4 3 -1
Direkte Steuern und Sozialabgaben -66 -60 6

Anmerkungen: Bedarfsgewichtet, Zerlegung basierend auf dem Variationskoeffizienten.

Quelle: SOEPv36.

Differenziert man die Kapitaleinkommen einerseits nach den Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung und andererseits nach den Zinsen, Dividenden, etc. so entfallen allein 19 Prozentpunkte Zuwachs im Erklärungsbeitrag auf die erste Komponente. Hierin spiegeln sich die in den letzten Jahren stark gestiegenen Mieten, die ihrerseits auf eine kleine Gruppe von Eigentümern mit Bezug dieser Einkommen entfallen.

Auch bei den Einkommen aus Selbständigkeit hat deren Beitrag zur Erklärung der Ungleichheit zugenommen, von bereits hohen 48 % 1999 auf 57 % 2018. Hier ist davon auszugehen, dass Selbständige und Unternehmer aufgrund des insgesamt lang andauernden wirtschaftlichen Aufschwungs seit Ende der 1990er Jahre – kurz unterbrochen durch die Finanzmarktkrise – überdurchschnittliche Einkommenssteigerungen realisieren konnten.

Einen geringen Beitrag zur Erklärung der Einkommensungleichheit liefern privat empfangene Transfers, unterstellte Mieten, private Renten sowie die Renten der Sozialversicherung. Staatliche Transfers haben eine dämpfende Wirkung auf die gesamte Ungleichheit. Deren Beitrag beläuft sich 2018 aber nur auf 2 %. Eine ebenfalls dämpfende Wirkung auf die gesamte Ungleichheit haben die direkten Steuern und Transfers. Deren relative Bedeutung zur Erklärung der gesamten Ungleichheit ist von 66 % auf 60 % gesunken. Dies bedeutet, dass die Umverteilungsfunktion der Steuern und Sozialabgaben an Bedeutung verloren hat.

Damit lassen sich aus dieser Faktorzerlegung vier dominante Einkommenskomponenten extrahieren, die einen hohen Beitrag zur Erklärung der Ungleichheit der Haushaltsnettoeinkommen leisten: die Erwerbseinkommen, Kapitaleinkommen und die direkten Steuern und Sozialabgaben.

Treiber der Einkommensungleichheit in Deutschland

Die Entwicklung der Ungleichheit der einzelnen Einkommenskomponenten wird durch dahinter liegende Faktoren getrieben. Im Folgenden werden die in der Literatur wiederholt genannten Treiber der Einkommensungleichheit benannt und bewertet.

Löhne

Die Treiber der Lohnungleichheit werden in drei Gruppen untergliedert, die in ihrer Wirkungsstärke und Richtung unterteilt werden können. Einen dämpfenden Effekt auf die Lohnungleichheit durch die Einführung des Mindestlohns finden z. B. Burauel et al. (2020). Auch die seit mehreren Jahren geänderte Lohnpolitik von Seiten der Gewerkschaften dürfte einen dämpfenden Effekt auf die Lohnungleichheit haben, da für untere Lohngruppen statt prozentualer Lohnforderungen zunehmend feste Eurobeträge verlangt werden, die die Schere zwischen oberen und unteren Lohngruppen verkleinern (Kathmann, 2021).

Einen geringen negativen Einfluss auf die Lohnungleichheit wird für folgende Faktoren beschrieben. Hierzu zählt das Exportverhalten der Unternehmen (Felbermayr et al., 2014) oder auch das damit verbundene Outsourcing von bestimmten Tätigkeiten (Goldschmidt und Schmieder, 2017). Die Autoren argumentieren unter anderem, dass die produktiveren Exporteure höhere Löhne zahlen (können) als die weniger produktiven Nicht-Exporteure, wodurch die Spreizung der Löhne zunimmt. Der Rückgang der Tarifbindung auf die Lohnungleichheit wird wiederholt analysiert, jedoch wird diesem Aspekt eine insgesamt nur geringe Relevanz für die zunehmende Ungleichheit bescheinigt (Dustmann et al., 2009). Letztlich kann das sogenannte Superstarphänomen genannt werden, wonach unter anderem Spitzensportler, Künstler oder auch Top-Manager starke Lohnzuwächse erzielt hätten, die zu einem Ausfransen der Lohnverteilung am oberen Rand beigetragen haben. So haben sich z. B. die pro Kopf Manager-Vergütungen im Dax 1985 von 0,428 Mio. Euro auf 2,997 Mio. Euro 2014 versechsfacht (Göx, 2016).

Einen mittleren bis starken Einfluss auf eine zunehmende Lohnungleichheit kann auf die folgenden Faktoren zurückgeführt werden. Hierzu zählen die Veränderung von Arbeitszeiten (Biewen und Plötze, 2019). Die Autoren schätzen, dass bis zu 30 % (47 %) des Zuwachses der Lohn­ungleichheit bei Männern (Frauen) im Zeitraum 2001 bis 2010 durch Veränderungen der Arbeitszeit erklärt werden können. Darüber hinaus argumentieren die Autoren, dass ein großer Teil der zunehmenden Lohnungleichheit durch weitere Faktoren begründet ist. Zu diesen zählen vor allem Kompositionseffekte im Hinblick auf Bildungs-/Altersgruppen der Beschäftigten (z. B. Felbermayr et al., 2014), eine zunehmende Heterogenität von Erwerbsverläufen (Biewen et al., 2018) oder auch eine zunehmende Heterogenität zwischen Unternehmen (Card et al., 2013). Biewen und Seckler (2019) gehen davon aus, dass auch ein rückläufiger gewerkschaftlicher Organisationsgrad die zunehmende Lohnungleichheit mit angetrieben hat. Letztlich kann als weiterer dominanter Faktor der zunehmenden Lohnungleichheit der Skill-biased-technological-change angeführt werden (Dustmann et al., 2009), wonach die Nachfrage nach hoch (niedrig) qualifizierten Beschäftigten durch den technologischen Wandel zu einer stärkeren (schwächeren) Nachfrage nach entsprechend qualifizierten Beschäftigten beiträgt, und so zu einer zunehmenden Spreizung der Lohnverteilung führt.

Selbständige Einkommen

Zum Einfluss der Einkommen aus Selbständigkeit auf die Ungleichheit der Haushaltsnettoeinkommen liegen nur relativ wenige Papiere vor. Eine Ausnahme bildet die Arbeit von Schneck (2020), der argumentiert, dass eine Ausweitung der selbständigen Tätigkeit zu einer zunehmenden Polarisierung der Einkommensverteilung beiträgt, da es einerseits zu einem Ausfransen der Einkommen am unteren Rand der Verteilung durch Soloselbständige kommen kann und andererseits am oberen Rand der Verteilung höhere Einkommenssteigerungen durch Mittelständler und Unternehmer erzielt werden. Als relevanter dahinterliegenden Treiber können veränderte steuerliche Rahmenbedingungen für Gewerbetreibende und Unternehmer gesehen werden. Unter anderem mit den Steuerreformen seit 2000 gab es Entlastungen bei der veranlagten Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer. Personengesellschaften profitierten von der Entlastung bei der Einkommensteuer und von der Möglichkeit, die Gewerbesteuer ab 2001 pauschaliert auf die Einkommensteuer anzurechnen.

Kapitaleinkommen

Die Relevanz der Einkommen aus Kapitalanlagen für die Ungleichheit der Haushaltsnettoeinkommen wird direkt durch die Ungleichheit der Vermögen beeinflusst (Bartels und Schröder, 2020) und ist damit einer der wichtigen Treiber der Einkommensungleichheit. Je ungleicher die privaten Vermögen, desto ungleicher verteilt sind die daraus erzielten Kapitaleinkommen. Da Deutschland eines der Länder mit einer hohen Vermögensungleichheit ist (Grabka und Halbmeier, 2019), sind auch die Kapitaleinkommen stark ungleich verteilt.

Direkte Steuern und Sozialabgaben

Die Sozialabgaben haben in Deutschland kaum umverteilende Wirkung und deren Struktur hat sich in den vergangenen zehn bis 15 Jahren nur wenig verändert. Daher werden die direkten Steuern näher beleuchtet. Direkte Steuern können je nach Ausgestaltung des Steuertarifs und dem Vorhandensein von Ausnahmeregeln unterschiedlich starke umverteilende Wirkung entfalten. Unter der rot-grünen Bundesregierung wurde vor allem der Spitzensteuersatz mehrfach von 53 % auf zwischenzeitlich 42 % abgesenkt, was zu deutlich höheren Nettoeinkommen für Spitzenverdiener führte. Biewen und Juhasz (2012) schreiben den Änderungen im Steuersystem knapp ein Drittel des Zuwachses in der Ungleichheit der Haushaltsnettoeinkommen zwischen Ende der 1990er und Mitte der 2000er Jahre in Deutschland zu.

Politikfelder zur Reduktion der Ungleichheit der Haushaltsnettoeinkommen

Im Folgenden sollen drei Handlungsfelder für Reformen für eine gleichere Einkommensverteilung präsentiert werden. Dies sind der Arbeitsmarkt, das Steuer- und Transfersystem sowie die Kapitaleinkommen. Zur Wirkung der angesprochenen Reformoptionen auf die Einkommens­ungleichheit liegen nur vereinzelte Studien vor. Hierzu bedarf es eines umfassenden Simulationsmodells – idealerweise mit unterstellten Verhaltensreaktionen – um eine fundierte Einschätzung der zu erwartenden Effekte zu liefern. Im Folgenden wird innerhalb der drei Handlungsfelder eine Hierarchisierung nach der anzunehmenden Effektgröße vorgenommen, wobei mit dem jeweils geringsten anzunehmenden Effekt begonnen wird.

Arbeitsmarkt

Eine erste Problemgruppe im Arbeitsmarkt stellen Schulabbrecher dar, da weiterhin rund 7 % aller jungen Menschen, die Schule ohne mindestens einen Hauptschulabschluss verlassen (Autorengruppe Bildungsberichterstattung, 2020). Deren künftige Einkommenspotenziale sind durch den fehlenden Bildungsabschluss dauerhaft stark eingeschränkt. Gelingt es mehr Jugendliche zu einem Abschluss zu bringen, kann dies deren Einkommenslage grundlegend verbessern und damit ein Ausfransen der Einkommensverteilung nach unten reduzieren.

Aufgrund der stark gewachsenen Zahl der ausländischen Bevölkerung bedarf es verbesserter Programme für eine schnellere Integration in den Arbeitsmarkt. Solange es nicht gelingt diese Menschen besser in den Arbeitsmarkt zu integrieren und damit in höhere Einkommenspositionen zu verhelfen, kann es zu einer Verfestigung im armutsgefährdeten Bereich kommen.

Eine weitere, aber bedeutende Problemgruppe stellen Einelternhaushalte dar, die wie Migranten ein überdurchschnittliches Armutsrisiko aufweisen (Goebel und Krause, 2021). Für diese Personen stellt sich das Problem der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, sodass häufig keine Vollzeittätigkeit ausgeübt werden kann. Verschärft wird diese Problematik bei Arbeiten im Schichtdienst. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts (2021) arbeiten 24,1 % aller Arbeitnehmer regelmäßig am Wochenende. Viele Kinderbetreuungseinrichtungen sind aber auf atypische Arbeitszeiten nicht ausgelegt, sodass die betroffenen Eltern ihr Arbeitsangebot einschränken müssen. Würden sich die Kinderbetreuungseinrichtungen stärker am Bedarf der Eltern orientieren, wäre davon auszugehen, dass deren Einkommenspotenziale besser gehoben werden könnten und dass in der Folge das Armutsrisiko dieser Gruppen sinken würde.

Von hoher Relevanz zur Eindämmung der Einkommens­ungleichheit ist der im internationalen Vergleich große Niedriglohnsektor (Grabka und Göbler, 2020). Diesem gehören viele Minijobber an, wobei sich deren Anteil auf etwa 19 % aller abhängig Beschäftigten beläuft. Häufig haben diese Beschäftigten keinen oder nur einen befristeten Arbeitsvertrag, sie haben keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld oder Kurzarbeitergeld, häufig wird keine Lohnfortzahlung bei Krankheit oder Urlaub gewährt und generell werden Minijobber oft schlechter bezahlt als Beschäftigte der Kernbelegschaft (Grabka et al., 2020). Ein Zurückdrängen von Minijobs könnte durch eine Absenkung der Geringfügigkeitsschwelle von derzeit 450 Euro pro Monat erzielt werden.

Zu den weiteren reformbedürftigen prekären Beschäftigungsverhältnissen gehören neben den Minijobs auch die Leih- und Zeitarbeit, bei der die betroffenen Arbeitnehmer häufig geringere Löhne erhalten als die Stammbelegschaft. Auch Arbeit auf Abruf – mit in Einzelfällen einer vereinbarten Arbeitszeit von Null Stunden – sollte reformiert werden, da das unternehmerische Risiko mittels dieser Arbeitsverträge auf die Arbeitnehmer verlagert wird. Es bedarf also insgesamt Arbeitsmarktreformen für mehr besser bezahlte Tätigkeiten, die unter anderem auch durch die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen erzielt werden könnten. Die Anhebung des Mindestlohns könnte hierbei ein flankierendes Instrument sein, jedoch ist unklar, ab welcher Höhe des Mindestlohns es zu negativen Beschäftigungseffekten kommen könnte.

Steuer-/Transfersystem

Das derzeit komplexe Steuer- und Transfersystem führt insbesondere bei Einelternhaushalten dazu, dass es bei einer Ausweitung der Arbeitszeit in Extremfällen zu einem Absinken des Nettoeinkommens kommt, da die Grenzbelastungen in Einzelfällen bei über 100 % liegen (Blömer und Peichl, 2020). Eine höhere Arbeitsmarktbeteiligung wird dadurch unattraktiv. Durch ein besser aufeinander abgestimmtes Steuer- und Transfersystem könnte eine Ausweitung der Arbeitszeit attraktiver werden und damit das Nettoeinkommen dieser Haushalte steigen.

Vor dem Hintergrund, dass die rot-grüne Bundesregierung den Spitzensteuersatz mehrfach abgesenkt hat, ist eine Wiederanhebung des Spitzensteuersatzes überlegenswert. Die Wirkung eines veränderten Steuertarifs auf die Einkommensungleichheit haben Bach und Buslei (2017) anlässlich der Bundestagswahl 2017 analysiert. Im Extremszenario der Partei Die Linke soll unter anderem der Grenzsteuersatz auf 75 % für Einkommen ab 1 Mio. Euro angehoben und gleichzeitig die Steuerpflichtigen bis zum 95. Perzentil um knapp 48 Mrd. Euro entlastet werden. Der Nettoeffekt auf das Steuervolumen wäre negativ in einer Höhe von rund 28 Mrd. Euro und müsste anderweitig finanziert werden. Interessant ist aber der Effekt auf die Einkommensungleichheit. Wenngleich dieses Szenario bereits einen extremen Reformvorschlag darstellt, ist die Wirkung auf die Einkommensungleichheit mit einer Reduktion des Gini-Koeffizienten um 0,0085 vergleichsweise klein. Dies erklärt sich daraus, dass die entlastende Wirkung bei den unteren Einkommen gering ist, da deren Anteil am Einkommensteueraufkommen bereits im Basisszenario nach geltendem Recht gering ist.

Von größerer Bedeutung auf die Einkommensungleichheit dürfte eine An- bzw. Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenze in der Sozialversicherung sein, die mit einer gleichzeitig einzuführenden Dämpfung des Äquivalenzprinzips für hohe Einkommen einhergehen sollte. Denn bisher leisten Arbeitnehmer oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze keinen weiteren Beitrag zur Finanzierung der Sozialsysteme. Die Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenze wurde isoliert für die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) simuliert. Dabei zeigt sich, dass sich damit der Beitragssatz in der GKV um 1,12 Prozentpunkte absenken ließe (Grabka, 2007). Da aber untere Einkommensgruppen einen höheren Anteil an Sozialabgaben als an direkten Steuern leisten, dürfte deren Wirkung auf die Einkommensungleichheit größer sein als bei einem veränderten Einkommensteuertarif.

Von hoher Relevanz für die Einkommensungleichheit ist eine höhere Zielgenauigkeit des staatlichen Transfersystems. Hier besteht das Problem, dass große Teile des Sozialbudgets nicht zielgenau an einkommensschwache Personen gerichtet sind. Ein internationaler Vergleich der Effektivität staatlicher Transfers zeigt, dass in Deutschland im Vergleich zu beispielsweise Australien staatliche Transfers einen höheren Anteil am verfügbaren Haushaltseinkommen ausmachen (28,2 % zu 14,3 %) (OECD, 2008). Deren ungleichheitsreduzierende Wirkung fällt aber in Deutschland deutlich geringer aus, da der Anteil der staatlichen Transfers, der auf die 20 % einkommensschwächsten Haushalte entfällt bei nur 17,4 % im Vergleich zu 41,5 % in Australien liegt. Würden staatliche Transfers sich stärker an der Bedürftigkeit orientieren, könnte damit die Einkommensungleichheit effektiver reduziert werden.

Kapitaleinkommen

Kapitaleinkommen stellen eine der zentralen Einkommenskomponenten zur Erklärung der zunehmenden Ungleichheit der Haushaltsnettoeinkommen dar. Der dahinterliegende Treiber ist die langfristig gewachsene relative sowie absolute Vermögensungleichheit. Um diese zu reduzieren und damit den Beitrag der Kapitaleinkommen an der Ungleichheit der Haushaltsnettoeinkommen zu verringern, sind zwei grundlegende Wege denkbar. Zum einen ist eine stärkere Besteuerung von privaten Vermögen z. B. durch eine Vermögensteuer möglich. Alternativ ist an eine veränderte Vermögensbildungspolitik zu denken, um negative Wohlfahrtseffekte von Steuern zu vermeiden. Ein erster Ansatzpunkt könnte eine Reform der Riesterrente sein, die stärker an den Erfahrungen aus Schweden ausgerichtet werden sollte. Dies bedeutet im Kern ein kostengünstiges standardisiertes Altersvorsorgeprodukt mit einer starken Fokussierung auf die Aktienanlage (für weitere Handlungsoptionen, Bach, 2021).

Darüber hinaus sollte ein Fokus auf die Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung gelegt werden, da diese Einkommenskomponente überdurchschnittlich an Relevanz zur Erklärung der Ungleichheit der Haushaltsnettoeinkommen gewonnen hat. Der starke Zuwachs dieser Einkommenskomponente erklärt sich aus der Knappheit insbesondere von preiswertem Wohnraum. Da das Angebot an vermieteten Immobilien in kurzer Frist unelastisch ist, können Interventionen hier nur mittelfristig eine Wirkung entfalten. Mögliche Ansatzpunkte sind z. B. die stärkere Förderung des sozialen und genossenschaftlichen Wohnungsbaus. In der kurzen Frist kann durch eine Mietpreisregulierung der Zuwachs der Einnahmen aus Vermietung zumindest begrenzt werden, wenngleich damit das Knappheitsproblem auf dem Mietmarkt nicht gelöst wird.

Fazit

Die hier beschriebenen Politikfelder fokussieren auf eine Reduktion der Ungleichheit der Haushaltsnettoeinkommen. Dabei sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass auf der Konsumseite die unterschiedliche Wirkung von Verbrauchssteuern und hier insbesondere die Mehrwertsteuer von Relevanz ist, da untere Einkommensgruppen einen höheren Teil ihres Einkommens für Konsum ausgeben als obere. Darüber hinaus sollten auch nicht-monetäre Einkommenskomponenten in den Blick genommen werden, da von öffentlich bereitgestellten Gütern wie dem Bildungssystem, Gesundheitssystem, aber auch öffentlichen Gütern wie Schwimmbäder, Musikschulen, etc. untere und mittlere Einkommensgruppen überproportional profitieren können. Denn letztlich hängt die individuelle Wohlfahrtsposition nicht allein von der Höhe des Haushaltsnettoeinkommens ab.

Der Beitrag ist eine Kurzfassung der Expertise: Stefan Bach, Markus M. Grabka und Marc C. Adam (2021), Ungleichheit in Deutschland – Politikmaßnahmen zur Trendumkehr. Wir danken Thomas Fricke und den Teilnehmenden der Veranstaltung VIII New Paradigm Workshop.

  • 1 Zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Einkommensungleichheit (Grabka, 2021).
  • 2 Im internationalen Vergleich nimmt dabei Deutschland eine leicht unter dem Durchschnitt aller OECD-Länder liegenden Ungleichheit ein, weist damit ein vergleichbar niedriges Niveau auf wie die Niederlande oder die Schweiz (OECD income distribution database , https://www.oecd.org/social/income-distribution-database.html).
  • 3 Wird die entsprechende Einkommensart nicht bezogen, gehen diese mit einem Wert von Null in die Berechnungen ein, um die Analysepopulation konstant zu halten.

Literatur

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DOI: 10.1007/s10273-021-2957-7

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