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Eine Talsperre dient zwei Zwecken: Dem Hochwasserschutz sowie der Bevorratung von Trink- und Brauchwasser. Betreibende von Talsperren stellen verbundene Produkte her, sie betreiben Kuppel-Produktion. Doch das nicht ganzjährig, es gibt einen jahreszeitlichen Hotspot: Trink- und Brauchwasser sind, wenn überhaupt, im Sommer knapp. Das gilt insbesondere in Hitzesommern mit Dürreperioden, wie sie in den letzten Jahren häufig vorkamen – vermutlich eine Manifestation des Klimawandels. Will man für solche Hitzesommer vorsorgen, d. h. möglichst viel Wasser im Sommer bevorraten, so muss man die Leerraumkapazität für den Hochwasserschutz im Sommer klein halten. Dieses Nullsummenspiel ist Charakteristikum des Geschäfts der Talsperrenbetreiber. Bislang war diese Gegenläufigkeit kein Dilemma. Lang anhaltende Starkniederschläge kamen früher im Sommer fast nie vor. Diese idyllische Zeit ist zu Ende gegangen. Der Klimawandel bringt die Produktionsfunktion massiv durcheinander.

Also hat man auf die involvierten Interessen zu schauen. Die sind asymmetrisch, denn es gilt: Mit der Wasserbevorratung verdienen die Talsperrenbetreiber ihr Geld. Am Hochwasserschutz verdienen sie nichts. Mehr noch: Im Überflutungsfall, sofern sich die diesbezügliche Vorsorge im Talsperrenmanagement als zu gering erweist, zahlen die überfluteten Flussunterlieger für ihre Schäden selbst. Die Talsperrenbetreiber stehen als Monopolisten zwar unter einer staatlichen Aufsicht, sie haben ihre Bewirtschaftungspläne genehmigen zu lassen. Doch sie sind die dominanten Know-how-Tragenden und befinden sich in einem Interessenkonflikt. Das war schon immer so. Neu ist der menschgemachte Klimawandel, der die Großwetterlagen erheblich verändert hat. Dies macht die veränderte Situation zum Dilemma, und darauf sind die Bewirtschaftungspläne einzustellen. Seit Sachsen 2002 war das klar. Geschehen ist es bislang nicht. Die jüngste Hochwasserkatastrophe bietet erneut die Chance, dass etwas Angemessenes geschieht.

Die Verantwortlichen in NRW machen nicht den Eindruck, dass sie sich dieser speziellen Herausforderung stellen wollen. Das ist verständlich, eine Lösung ist nicht in Sicht. In solchen Situationen ist es politisch opportun und üblich, das Problem über begriffliches Geschwurbel unter den Teppich zu kehren, statt offen zu sagen: Es gibt ein massives Problem – wir haben aber keine Lösungsperspektive! Dieser ausweichenden Devise wird beim Thema „Hochwasser durch Talsperren(fehl)management“ bislang gefolgt. Dafür spricht: Erstens, als Lösung wird unterschiedslos auf die Fähigkeiten der „Hochwasservorhersage“ fokussiert. Ein Hochwasser als Konsequenz eines Talsperrenmanagements nach programmierten Betriebsplänen aber ist etwas Besonderes. Es ist nicht vorhersagbar, sondern ist, da menschen­gemacht, anzukündigen. Zweitens, das Umweltministerium NRW führt die Aufsicht über das Talsperrenmanagement der Wasserverbände in NRW. Am 25. August hat es den „Zweiten fortgeschriebenen Bericht zu Hochwasserereignissen Mitte Juli 2021“ vorgelegt. Das Defizit wird da so formuliert: „(D)ie ... Hochwasserschutzfunktion (von Talsperren) ist ... in der Regel nur für ... eine Wiederkehrwahrscheinlichkeit von max. 100 Jahren ausgelegt.“ Der Klimawandel hat dieses Maß, die Wiederkehrwahrscheinlichkeit von 100 Jahren, inflationiert. Um den bisherigen Schutz für die Unterliegenden konstant zu halten, ist folglich eine Anpassung der „Auslegung der Managementregeln“ erforderlich. Drittens, das aber formuliert der Bericht (unter „Anpassung der Talsperrenbewirtschaftung“) nicht als Programm. Man will vielmehr „die bestehenden Bewirtschaftungskonzepte für Talsperren“ lediglich „anhand der Erkenntnisse aus dem Hochwasser 2021 ... überprüfen“. Und das auch nur in „Gesprächen mit den betroffenen Wasserverbänden“ – kein Hinweis auf Einsicht in deren Interessenkonflikt. Viertens, es ist bislang scheinbar nirgends realisiert worden, dass es sich hier um eine Problematik handelt, die einen Anpassungsbedarf für viele der 370 Talsperren in Deutschland signalisiert. Das müsste mindestens mit den Betroffenen in Rheinland-Pfalz oder besser auf Ebene der Umweltministerkonferenz (UMK) zusammen angegangen werden. Warum sollten die Talsperren in anderen Mittelgebirgen Deutschlands, die im Juli 2021 nur zufällig verschont worden sind, aus dem anstehenden Lernprozess herausgehalten werden?

Die Großwetterlage „Tief Mitteleuropa“ kommt hierzulande durchschnittlich an etwa neun bis 15 Tagen im Jahr vor. Die Häufigkeit ihres Auftretens wird bis zum Jahr 2100 laut DWD noch einmal um etwa 20 % steigen. Betroffen von persistenten Extremniederschlagssituationen werden vor allem die Mittelgebirge sein. Eine 2015 erstellte Studie des Climate Service Centers (CSC) für den Gesamtverband der Versicherungswirtschaft zeigt für 2050 eine Karte der am stärksten betroffenen Landkreise. Diese ziehen sich wie ein Band vom südlichen Nordrhein-Westfalen und Teilen von Rheinland-Pfalz quer über Hessen und Südthüringen bis in den Osten und die Mitte Bayerns. Warum sollte man Hessen, Thüringen und Bayern aus dem Lernprozess ausschließen? Warum sollte man nur aus eigenem Schaden klug werden wollen?

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© Der/die Autor:in 2021

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DOI: 10.1007/s10273-021-2993-3