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Bürokratie ist ein wichtiger Bestandteil jeder Demokratie, da sie Rechts- und Planungssicherheit für die Unternehmen bringt und zugleich Korruption entgegenwirkt. Viele mittelständische Unternehmer:innen in Deutschland empfinden jedoch die bürokratische Belastung als zu hoch, auch wenn in den vergangenen zwei Jahrzehnten die Wirtschaftspolitik verschiedene Instrumentarien etabliert hat, um die Regulierungsdichte zu lichten. Diese Wahrnehmung geht soweit, dass jeder vierte Geschäftsführende bei einer Befragung des IfM Bonn in 2018 angab, bewusst einzelne bürokratische Erfordernisse nicht mehr umzusetzen (Holz et al., 2019). Ziel unserer Studie war es, die unternehmerische Wahrnehmung der bürokratischen Belastung empirisch zu betrachten – und nicht allein den quantifizierbaren Erfüllungsaufwand. Dabei zeigte sich, dass die mittelständischen Unternehmer:innen den Bürokratiebegriff deutlich weiter fassen als die Politik: Während letztere diesen auf die Dokumentations- und Informationspflichten sowie auf den Erfüllungsaufwand beschränkt, zählt der überwiegende Teil des Mittelstands auch Regelungsvorgaben von Selbstverwaltungsorganisationen der Wirtschaft, Normungsinstitute oder Berufsgenossenschaften zur Bürokratie. Mit anderen Worten: Bürokratie entsteht auch in Bereichen, in denen die Politik kaum direkte Einflussmöglichkeiten auf deren Abbau hat.

Was lässt sich aus diesen Erkenntnissen im Hinblick auf das Ziel „Bürokratieabbau“ in der aktuellen Legislaturperiode ableiten? Erstens wäre es sinnvoll, wenn – wie es im Koalitionsvertrag der Regierung vorgesehen ist – Gesetzesinhalte und deren Umsetzung künftig mehr als eine Einheit verstanden würden. Viele Unternehmer:innen sehen nicht primär die konkreten gesetzlichen Vorgaben als Belastung an, sondern vielmehr die Umsetzungsvorschriften, Verwaltungsverfahren sowie die einzureichenden Unterlagen und Formulare. Voraussetzung für eine solche kompakte Betrachtung ist jedoch, dass sich zweitens Bundes-, Landes- und Kommunalebene besser im Vorfeld von Gesetzesinitiativen im Hinblick auch auf die Belange des Mittelstands austauschen. Um ein konkretes Beispiel zu nennen: Im politischen Fokus wird zukünftig der Klimaschutz stehen. Gesetzesinitiativen, die im Umweltministerium initiiert werden, sollten zugleich im Wirtschaftsministerium im Hinblick auf die Belastungen für die mittelständischen Unternehmen geprüft werden. Dabei geht es nicht nur um sektorale und größenbezogene Maßnahmen, sondern auch um die langfristige Sicherstellung des volkswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Beitrags des Mittelstands. Denn mittelständische Unternehmen unterstützen z. B. erheblich den gesellschaftlichen Zusammenhalt: Sie übernehmen Verantwortung für die eigenen Beschäftigten und die Region, in der sie beheimatet sind. Durch die sie kennzeichnende Verbindlichkeit und Verlässlichkeit trugen sie nicht zuletzt in den vergangenen Pandemiemonaten maßgeblich dazu bei, dass die Unsicherheit aller Marktteilnehmenden verringert wurde (Welter et al., 2020). Drittens müssten aber auch die nicht staatlichen Institutionen mit Regelungsbefugnis, wie z. B. Kammern und Berufsgenossenschaften, ebenfalls ihren Anteil zum Bürokratieabbau leisten. Schließlich tragen sie mit ihren berufsspezifischen Vorgaben gleichfalls zur Bürokratiebelastung der Unternehmer:innen bei. Viertens könnte der bürokratische Aufwand für Gründer:innen und Unternehmer:innen in Zukunft deutlich reduziert werden, wenn die begonnene Verwaltungsdigitalisierung konsequent umgesetzt würde. Dazu gehört sowohl die flächen­deckende Einführung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) als auch die Installierung „Einheitlicher Ansprechpartner:innen“ im Sinne eines One-Stop-Shops für die digitale Abwicklung aller relevanten Verwaltungsverfahren. In den einzelnen Bundesländern existieren jedoch beispielsweise im Hinblick auf „Einheitliche Ansprechpartner:innen“ weiterhin nur Insellösungen mit unterschiedlich hohem Digitalisierungsgrad. Um künftig ein einheitliches Vorgehen zu initiieren, könnte sich die Wirtschaftspolitik auf Bundes- und Länderebene am Vorgehen orientieren, das in Österreich praktiziert wird: Dort wurde eine Koordinierungsgruppe mit Repräsentant:innen der Bundesländer und des Bundes ins Leben gerufen, um weitgehend einheitliche Lösungen zu entwickeln und umzusetzen (Holz et al., 2018). Um insgesamt die negative Einstellung gegenüber Bürokratie zu revidieren, bedarf es fünftens einer größeren Transparenz und Verständlichkeit der Normen. In diesem Zusammenhang würde sich auch ein stärkerer Einbezug der mittelständischen Unternehmer:innen in den Prozess des Bürokratieabbaus positiv auswirken.

Literatur

Holz, M. et al. (2018), Reform der Einheitlichen Ansprechpartner (EA) – Anregungen von europäischen Good-Practice-Beispielen, IfM-Materialien, 264.

Holz, M. et al. (2019), Bürokratiewahrnehmung von Unternehmen, IfM-Materialien, 274.

Nationaler Normenkontrollrat (2021), Jahresbericht 2021. Zukunftsfester Staat – weniger Bürokratie, praxistaugliche Gesetze und leistungsfähige Verwaltung.

Welter, F. et al. (2020), Der gesellschaftliche Beitrag des Mittelstands: Konzeptionelle Überlegungen, IfM-Materialien, 283.

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© Der/die Autor:in 2022

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DOI: 10.1007/s10273-022-3082-y