Das Splittingverfahren dient dazu, horizontale Steuergerechtigkeit zu schaffen. Es wird gezeigt, dass das Splittingverfahren selbst nicht Ursache für die Zurückhaltung von Frauen am Arbeitsmarkt ist. Mit diesem Verfahren bleibt der Gesetzgeber neutral gegenüber den privaten Entscheidungen von Paaren über ihre Arbeitsteilung. Seine Abschaffung hingegen dient der Förderung eines bestimmten Lebensmodells und verstößt gegen den Grundsatz der horizontalen Gerechtigkeit.
Das Ehegattensplitting ermöglicht es Lebenspartnern, bei der Berechnung ihrer Einkommensteuerschuld als Gemeinschaft aufzutreten. Dabei wird erstens die partnerschaftliche Aufteilung des gemeinsamen Einkommens in zwei gleich große Teile simuliert. Zweitens wird ermittelt, wie hoch die auf eine Hälfte des Gesamteinkommens entfallende Steuerschuld nach dem gültigen Einkommensteuertarif ausfällt. Da es aber um zwei Personen mit dieser Steuerschuld geht, wird diese Steuerschuld im dritten Schritt entsprechend verdoppelt, um die gemeinsam geschuldete Einkommensteuer zu ermitteln. Halbieren und Verdoppeln kürzt sich bei dieser Rechnung nicht heraus. Da die Progression des Einkommensteuertarifs bei höheren Einkommen zu einer überproportional ansteigenden Steuerschuld führt, ist zweimal die der Hälfte entsprechende Steuerschuld weniger als einmal die Steuerschuld auf das gesamte Einkommen (vgl. Tabelle 1).
Tabelle 1
Absolute und relative Entlastung durch das Splittingverfahren (2022)
Einkommen (Euro) | Grundtabelle (Single, Euro) | Splittingtabelle (Euro) | Entlastung Splitting (Euro) | Entlastung Splitting (%) |
---|---|---|---|---|
10.000 | 0 | 0 | 0 | 0,00 |
20.000 | 2.138 | 0 | 2.138 | 100,00 |
30.000 | 4.951 | 1.774 | 3.177 | 64,17 |
40.000 | 8.177 | 4.276 | 3.901 | 47,71 |
50.000 | 11.816 | 6.986 | 4.830 | 40,88 |
60.000 | 15.863 | 9.902 | 5.961 | 37,58 |
70.000 | 20.063 | 13.024 | 7.039 | 35,08 |
80.000 | 24.263 | 16.354 | 7.909 | 32,60 |
90.000 | 28.463 | 19.890 | 8.573 | 30,12 |
100.000 | 32.663 | 23.632 | 9.031 | 27,65 |
120.000 | 41.063 | 31.726 | 9.337 | 22,74 |
140.000 | 49.463 | 40.126 | 9.337 | 18,88 |
160.000 | 57.863 | 48.526 | 9.337 | 16,14 |
180.000 | 66.263 | 56.926 | 9.337 | 14,09 |
200.000 | 74.663 | 65.326 | 9.337 | 12,51 |
400.000 | 162.328 | 149.326 | 13.002 | 8,01 |
600.000 | 252.328 | 234.656 | 17.672 | 7,00 |
In der linken Spalte ist ein zu versteuerndes Einkommen einer Person eingetragen. Ohne Partnerschaft wird diese nach der Grundtabelle besteuert (2. Spalte). Ist sie Alleinverdienerin in einer eingetragenen Partnerschaft oder Ehe, wird nach der Splittingtabelle besteuert (3. Spalte). Die Steuerschuld in der 3. Spalte entspricht bei Alleinverdienern im Splitting dem Zweifachen der Besteuerung nach der Grundtabelle in der 2. Spalte bei halb so hohen Einkommen.
Quelle: eigene Darstellung.
Besteuerung nach Leistungsfähigkeit?
Die Idee der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit findet ihren Ausfluss im progressiven Tarifverlauf der Einkommensteuer, also in einem mit steigendem Einkommen steigenden Durchschnittssteuersatz. Dabei steht der Gedanke Pate, mit der Steuer alle Steuerbürger:innen gleichermaßen zu treffen, ihnen also eine vergleichbare Belastung zuzumuten. Das Prinzip vertikaler Steuergerechtigkeit fordert, ungleiche Einkommenshöhen ungleich zu besteuern. Häufig wird pauschal angenommen, dass zusätzliches Einkommen zu immer weniger zusätzlichem Glück und Wohlbefinden führt (abnehmender Grenznutzen). Zugleich gilt auch der simplere Grundsatz der horizontalen Steuergerechtigkeit: gleiche wirtschaftliche Leistungsfähigkeit soll gleich besteuert werden.
Es steht dabei außer Frage, dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit nicht nur von der Einkommenshöhe abhängt. Selbstverständlich mindert es die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit einer Steuerbürgerin, wenn sie aus einem bestimmten Einkommen nicht nur den eigenen Lebensunterhalt, sondern auch den von Angehörigen bestreiten muss. Diesem Gedanken tragen nicht nur die Kinder- und Erziehungsfreibeträge Rechnung, sondern auch das Splittingverfahren. Es geht „… davon aus, dass zusammenlebende Eheleute eine Gemeinschaft des Erwerbs und Verbrauchs bilden, in der ein Ehegatte an den Einkünften und Lasten des anderen wirtschaftlich jeweils zur Hälfte teilhat …“ (BVerfG, 2013). Das Splitting stellt demnach die horizontale Gerechtigkeit zwischen allen zusammenveranlagten Ehepartnern mit gleichem Gesamteinkommen her. Unabhängig davon, wer wie große Anteile dieses Einkommens beiträgt.
Noch in anderer Hinsicht soll das Splittingverfahren die horizontale Steuergerechtigkeit gewährleisten: In der Übergangsphase zwischen dem Verfassungsgerichtsurteil im Januar 1957 und der Reform der Ehegattenbesteuerung 1958 hatte man Erfahrung mit der vorübergehend geltenden Individualbesteuerung von Ehepartnern gesammelt. Dabei zeigte sich, dass Ehepaare mit Einkommen aus freien Berufen oder Gewerbebetrieb ebenso wie aus Land- und Forstwirtschaft oder Vermögen durch eine geschickte vertragliche Gestaltung für eine annähernde Gleichverteilung der Einkommen auf beide Partner sorgten, um der höheren Besteuerung durch die Progression zu entgehen. Arbeitsverträge zwischen abhängig Beschäftigten und ihren Ehepartnern wurden hingegen nicht anerkannt. „In seinen Urteilen … hat der Bundesfinanzhof aus diesen Gründen die getrennte Besteuerung als Verstoß gegen Artikel 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (ungleichmäßige Behandlung der Ehepaare untereinander) bezeichnet“ (Bundestag, 1958).
Lenkungsabsicht: Frauen von der Erwerbsarbeit abhalten?
Dass das Splitting für die Einhaltung der Grundsätze horizontaler Steuergerechtigkeit sorgt, bedeutet natürlich noch nicht, dass nicht zusätzlich auch Lenkungsziele hinter der Ausgestaltung stecken könnten. Tatsächlich wird immer wieder vorgetragen, die Nationalsozialisten hätten die Regelung eingeführt, um Frauen von der Erwerbsarbeit abzuhalten. Das ist jedoch nicht nur ein inakzeptables Totschlagargument, sondern auch inhaltlich falsch. Erstens haben die Faschisten nicht das Ehegattensplitting eingeführt, sondern die Zusammenveranlagung von Ehepartnern ohne das Splitting: Das beispielhaft angeführte Paar wäre nach dieser Gesetzgebung eben unabhängig von der Verteilung der Einkommen zwischen den Partnern nicht so besteuert worden, als würden beide jeweils die Hälfte verdienen, sondern wie ein Single mit gleichem Jahreseinkommen. Zweitens haben die Nationalsozialisten nicht erstmals die Zusammenveranlagung eingeführt, sondern sie lediglich nach einer vergleichsweise kurzen Phase der Individualbesteuerung seit 1921 wiederaufleben lassen.
Das Splittingverfahren wurde 1958 eingeführt, nachdem das Bundesverfassungsgericht die „Schlechterstellung der Ehegatten durch die Zusammenveranlagung“ als verfassungswidrig erklärt hatte. Dass damit der Lenkungszweck verfolgt wurde, Frauen von der Erwerbsarbeit abzuhalten, kann wohl ausgeschlossen werden: Zum Ersten war der Effekt ein gegenteiliger, der Grenzsteuersatz eines zusätzlichen Einkommens wurde durch die Reform im Vergleich zur Zusammenveranlagung ohne Splitting ja stark abgesenkt. Zum Zweiten hatte das Verfassungsgericht ausführlich dargelegt, dass sich ein etwaiges „Ziel, die erwerbstätige Ehefrau ins Haus zurückzuführen“ (BVerfG, 1957) verbiete. Drittens erscheint es nicht plausibel, dass der Gesetzgeber 1958 das arbeitsmarktpolitische Ziel verfolgt haben sollte, Frauen aus der Erwerbsarbeit zu drängen. Die Arbeitslosenquote war auf 3,7 % gesunken und Deutschland hatte drei Jahre zuvor mit Italien das erste Abkommen zur Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte geschlossen, um den drohenden Arbeitskräftemangel zu bekämpfen.
Lenkungsabsicht: Förderung von Ehe und Familie?
Es wird oft vorgetragen, das Splittingverfahren sei ungeeignet, um Familien im Sinne von Haushaltsgemeinschaften mit Kindern zu fördern. Schließlich werde weder berücksichtigt, ob sich in einem Haushalt zusammenveranlagter Partner Kinder befänden, noch kämen Haushalte Alleinerziehender mit Kindern in den Genuss der Regelung. Dem ist nicht zu widersprechen und wenig hinzuzufügen. Zwar profitieren letztlich überwiegend Haushalte mit Kindern. Wäre aber die Förderung von Kindern der eigentliche Zweck, würde man mit Leichtigkeit geeignetere Instrumente finden.
Einer speziellen Förderung der traditionellen heterosexuellen Ehegemeinschaft würden viele Menschen ebenfalls skeptisch gegenüberstehen. Doch seit 2013 ist diese Regelung auch kein Privileg mehr für heterosexuelle Partnerschaften und auch nicht auf die Rechtsinstitution der Ehe beschränkt. Das Verfassungsgericht stellte klar, dass das Splitting „rechtlich verbindliche und in besonderer Weise mit gegenseitigen Einstandspflichten (etwa bei Krankheit oder Mittellosigkeit) ausgestattete dauerhafte Paarbeziehung gegenüber anderen Lebensformen … begünstige“ (BVerfG, 2013).
Lenkungsabsicht: Förderung von Hocheinkommensbeziehern?
Die Berechnung der Steuerschuld im Splitting bewirkt bei jeder betroffenen Partnerschaft, dass sie bei ungleich verteilten Einkommen so besteuert wird, als würden die Partner nicht nur gemeinsam wirtschaften, sondern auch gleichmäßig zum gemeinsamen Haushalt beitragen. Die Einkommenshöhe spielt für die systematische Anwendung des Splittings keine Rolle. Dass die Höhe der gemeinsam erzielten Einkommen die Höhe der absoluten Entlastung des Splittings in Eurobeträgen bestimmt, liegt an der zuvor gesellschaftlich erwünschten Ungleichbehandlung unterschiedlich gut situierter Paare in der progressiven Einkommensteuer.1
Wer die betragsmäßigen Unterschiede bei verschiedenen Einkommenshöhen auf der Entlastungsseite ungerecht findet, müsste konsequenter Weise umgekehrt die Mehrbelastung von Besserverdienenden in der Einkommensteuer im gleichen Maße als ungerecht empfinden. Schließlich ergibt sich Ersteres aus Letzterem. Die absolute Steuerentlastung des Splittings im Vergleich zu einer Individualbesteuerung von Paaren steigt aufgrund des progressiven Steuertarifs bei höheren Einkommen logischerweise, die relative Entlastung hingegen sinkt bei steigenden Einkommen.
Hält das Splittingverfahren Frauen von der Erwerbstätigkeit ab?
Im letzten Abschnitt wurde argumentiert, dass das Splittingverfahren aller Wahrscheinlichkeit nach zur Verwirklichung horizontaler Steuergerechtigkeit eingeführt wurde und nahezu ausgeschlossen werden kann, dass der Gesetzgeber oder das Bundesverfassungsgericht damit Frauen aus der Erwerbsarbeit drängen wollten. Nichtsdestotrotz wäre denkbar, dass eine nicht-intendierte Wirkung des Instruments darin besteht, Frauen von Erwerbstätigkeit abzuhalten.
Die meisten Ökonom:innen, die sich in jüngerer Zeit mit dem Thema des Splittingverfahrens befassen, beschäftigen sich kaum mit der normativen Seite des Instruments. In Mikrosimulationen wird modelliert, welche Effekte vom Splittingverfahren ausgehen bzw. wie die Akteure auf alternative steuerliche Regelungen reagieren würden. Häufig stehen Arbeitsangebotseffekte im Vordergrund. Und häufig zeigen diese Studien, dass eine Abschaffung bzw. Ersetzung des Splittingverfahren zu einem höheren Arbeitsangebot der in Deutschland noch immer in weit stärkerem Maße nicht oder in Teilzeit arbeitenden Frauen führen würde (Bachmann et al., 2021; Blömer et al., 2021). Dabei differenzieren die Studien meist nicht ausführlich zwischen verheirateten Frauen mit und ohne Kindern, obwohl diese Unterscheidung bereits einen gewissen Aufschluss geben könnte, inwieweit tatsächlich das Splittingverfahren ursächlich für die Arbeitsangebotsentscheidung ist.2
Es ist davon auszugehen, dass die Studien handwerklich gut ausgeführt sind und in ihrem Design der jeweiligen Fragestellung gerecht werden. Was hier diskutiert werden soll, ist, wie ein solches erhöhtes Arbeitsangebot erklärt werden könnte. Häufig liest man, Frauen würden aufgrund des Splittingverfahrens vom Arbeitsmarkt ferngehalten bzw. aufgrund des Splittingverfahrens davon abgehalten, ihre Arbeitszeit zu erhöhen.
Es bieten sich fünf rein theoretische Fallunterscheidungen an, um zu prüfen, inwiefern das Splittingverfahren ursächlich verantwortlich für die Entscheidung gegen eine Erwerbstätigkeit wäre. Als Referenzszenario sei angenommen, Frau A und Herr B würden zunächst gleichermaßen einer Erwerbsarbeit nachgehen. Nachdem die beiden geheiratet haben und ein Kind geboren wird, unterbricht Frau A ihre Berufstätigkeit. Nach einiger Zeit kehrt sie nur auf eine Teilzeitstelle zurück, statt wieder in Vollzeit zu arbeiten. Inwiefern liegt das am Splittingverfahren?
Erstens kommt ein Opportunitätskostenargument in Betracht. Womöglich verdient Frau A pro Stunde weniger als Herr B. Der Verzicht auf eine Stunde Erwerbsarbeit von ihr kostet das Paar dann weniger als der Verzicht auf eine Stunde Erwerbsarbeit von ihm.3 Womöglich halten zweitens Unteilbarkeiten das Paar von einer gleichen Aufteilung von Erwerbs- und Care-Arbeit ab. Häufig gibt es Rüstkosten bei der Arbeit, d. h. Phasen der Abstimmung, Vorbereitung oder Einarbeitung, die mehr oder minder unabhängig von der dann am Stück folgenden Arbeitszeit erforderlich sind und einer Teilzeitbeschäftigung entgegenstehen. Am simpelsten ist an Arbeitswege zu denken. Ähnliches gilt umgekehrt natürlich auch für die Care-Arbeit. Es könnte dem Paar vorzugswürdig erscheinen, sich nicht jeweils in gleichen Anteilen in die Erwerbs- und die Care-Arbeit einzubringen, sondern im Extremfall dem Alleinverdienermodell zu folgen. Und womöglich gibt dann einer der anderen Gründe den Anstoß dafür, dass Frau A die Care-Arbeit übernimmt. Drittens möchten aber Frau A und Herr B vielleicht auch nur, dass ihr Kind gestillt wird. In diesem Fall würde die Wahl in vielen Fällen auf Frau A fallen. Es gibt aber natürlich viele Gestaltungsmöglichkeiten und Aufteilungen der Care-Arbeit. Dennoch könnte das Paar aufgrund vermeintlicher oder tatsächlicher natürlicher Unterschiede die Unterbrechung der Erwerbstätigkeit von Frau A als erforderlich oder erwünscht betrachten. Zudem mag es viertens vorkommen, dass überkommene Rollenbilder vorherrschen und Frau A oder Herr B oder sogar beide es sich wünschen, wie ihre Eltern oder Großeltern zu leben: Sie freut sich darauf, in der Rolle als Mutter aufzugehen, er ist stolz darauf, ausreichend Geld zu verdienen, um die Familie zu ernähren. In diesen vier Fällen ist es nicht ursächlich das Splittingverfahren, das Frau A von der Arbeit abhält oder ein Hindernis für eine gleichberechtigte Ehe darstellt. Das Splittingverfahren verhindert lediglich, dass die Entscheidung zur ungleichmäßigen Aufteilung finanziell bestraft wird.
Schließlich ist aber fünftens der Fall vorstellbar, in dem sich Frau A und Herr B trotz gleich hoher Stundenlöhne wegen der im Splittingverfahren unterschiedlichen Grenzsteuerbelastungen der jeweiligen Einkommen für die ungleiche Arbeitsteilung entscheiden. Schließlich führt das Splitting dazu, dass jeder Euro, den Frau A nach der Erwerbspause verdient, sofort mit einem hohen Grenzsteuersatz versteuert wird. In diesem Fall würde das Splitting Frau A von der Arbeit abhalten und ein echtes Hindernis für eine gleichberechtigte Ehe darstellen.
Nur gibt es das so gar nicht. Es gibt im Falle des Splittings keine unterschiedliche Grenzsteuerbelastung von Frau A und Herrn B, das ist eine Fehlinterpretation. Das Splittingverfahren gibt es nur in Kombination mit der Zusammenveranlagung und das bedeutet, dass es steuerrechtlich nur ein gemeinsames Einkommen und einen gemeinsamen Grenzsteuersatz gibt. Der Grenzsteuersatz für die erste Arbeitsstunde von Frau A nach der Babypause ist schlicht derselbe wie für die nächste Arbeitsstunde von Herrn B. Wenn sich die Stundenlöhne nicht verändert haben, ist der Grenzsteuersatz, der Durchschnittssteuersatz und die gesamte Steuerlast auch nicht höher, als vor der Babypause. Wenn beide Partner dieselben Stundenlöhne erzielen, können Frau A und Herr B einen beliebigen Arbeitszeitumfang festlegen, der ihrer persönlichen Abwägung zwischen Einkommenserzielung und Familienzeit entspricht. Diese Arbeitszeit können sie dann völlig frei aufteilen, ohne dass sich ihre Steuerbelastung und das Haushaltseinkommen verändern.4 Wenn das Paar sich ausgerechnet hat, dass es mit dem Verdienst bei 40 Stunden pro Woche auskommt, kann es ohne einen Cent Verlust genauso gut eine Aufteilung von 20 und 20 Stunden, 15 und 25 Stunden oder 3 und 37 Stunden wählen. Und zwar genauso gut mit einer längeren Arbeitszeit von Frau A wie von Herrn B. Aber das Splittingverfahren hält auch in diesem Sinne nicht die Frau von der Arbeit ab und stellt kein Hindernis für eine gleichberechtigte Ehe dar.
Wer hier glaubt, die Lebenserfahrung lehre anderes, denkt vermutlich an die Steuerklassenkombination III/V. Die Steuerklassen haben allerdings so gut wie nichts mit dem Splittingverfahren zu tun. Die endgültige Steuerbelastung stellt das Finanzamt erst nach der Steuererklärung fest, zu der jedes Paar mit Kombination III/V verpflichtet ist. Letztlich spart ein Paar durch die Steuerklassenwahl keine Steuern. Der angebliche „Vorteil“ der Steuerklassenwahl beruht nur auf dem zeitlichen Unterschied, nicht auf den Steuerbescheid warten zu müssen. Die Steuerklassenkombination hat auf unser Beispielpaar nur dann einen Einfluss auf die Arbeitsteilung, wenn Frau A und Herr B das Steuersystem weder selbst kennen noch von jemandem darüber aufgeklärt werden und sie überhaupt diese Kombination veranlasst haben. Denn der Standard bei Heirat ist die Kombination IV/IV, bei der beide Partner hinsichtlich der Lohnsteuervorabzüge durch die Arbeitgeber gleichbehandelt werden.
Nun kann die gelebte Wirklichkeit in Ehe- und Lebenspartnerschaften natürlich ganz anders aussehen. Dies betonen z. B. Allmendinger et al. (2021, Bild 10) und geben implizit zu bedenken, dass die Erwerbs- und Verbrauchsgemeinschaft, die der gesetzlichen Regelung zugrunde liegt, nur eine theoretische Idee sei. In der Tat ist häufig unbekannt, was sich hinter der geschlossenen Wohnungstür abspielt. Es kann tatsächlich nicht davon ausgegangen werden, dass die Arbeitsteilung und die Verfügung über das gemeinsame Einkommen innerhalb von Paaren stets auf gegenseitigem Einverständnis beruht. So verweisen auch Bachmann et al. (2021) darauf, dass empirische Studien gezeigt hätten, „… dass es für die Verteilung der Haushaltsressourcen und die Verhandlungsmacht innerhalb des Haushalts darauf ankommt, wer das Geld tatsächlich verdient“ (Bachmann et al., 2021, 110). Es soll hier nicht vertieft diskutiert werden, ob die dominierenden Partner in solchen Beziehungen nicht auch unabhängig vom Splitting andere Wege beschreiten könnten, um sich größere Anteile des gemeinsamen Einkommens zu sichern.
Welche Möglichkeiten verdanken funktionierende Partnerschaften dem Splittingverfahren?
Es kann aber umgekehrt auch nicht ausgeschlossen werden, dass es Partnerschaften gibt, die sich als gleichberechtigte Erwerbs- und Verbrauchsgemeinschaft sehen. In solchen Beziehungen gibt es eine Reihe von Fällen, in denen erst das Splittingverfahren Entscheidungen ermöglicht, ohne diese Paare im Verhältnis zu anderen schlechter zu stellen.
Drehen wir dazu beispielsweise einfach die ersten vier der im letzten Abschnitt diskutierten Konstellationen um. Im Vergleich zur Beibehaltung würde die Abschaffung des Splittingverfahrens alle Partnerschaften finanziell schlechter stellen, die aus Gründen unterschiedlich hoher Löhne oder unterschiedlich schmerzhaft erwarteter Karrierebrüche, aufgrund von Rüstkosten, Wegezeiten oder anderer Unteilbarkeiten, aufgrund von erwarteter unterschiedlicher Eignung oder aufgrund von tradierten Rollenmustern eine ungleichmäßige Arbeitsteilung bevorzugen. Sie müssen entweder auf Geld verzichten oder ihr Verhalten anpassen. Am einfachsten und augenfälligsten lässt sich das im Fall unterschiedlich hoher Lohnsätze verdeutlichen.
Angenommen die Partner verfügen über unterschiedliche Stundenlöhne. Frau A erzielt in Vollzeitarbeit ein Bruttojahresgehalt von 40.000 Euro, Herr B eines von 80.000 Euro. Wenn die beiden glauben, wegen der Betreuung ihres Kleinkindes müsse immer einer der Partner beim Kind sein, wird die Wahl mit einiger Wahrscheinlichkeit auf Frau A fallen (Opportunitätskosten). Dank des Splittingtarifs werden für die 80.000 Euro, die Herr B in Vollzeit für den Lebensunterhalt der Familie erzielt, 16.354 Euro fällig. Zum Vergleich betrachtet man das Paar in der Nachbarwohnung. Dort verdienen beide Partner gleiche Stundenlöhne, beide erreichen vor der Geburt ihres Kindes ein Vollzeitjahreseinkommen in Höhe von 80.000 Euro. Reduzieren diese beiden nach Geburt ihres Kindes jeweils auf eine Halbtagstätigkeit und verrichten in der anderen Hälfte der Zeit gleichberechtigt Care-Arbeit, so wird deren Baby ebenso rund um die Uhr betreut. Sie erzielen ebenso wie Frau A und Herr B ein Jahreseinkommen in Höhe von 80.000 Euro und zahlen darauf 16.354 Euro Steuern. Würde nun das Splittingverfahren außer Kraft gesetzt und zur Individualbesteuerung gewechselt, hätte dies für das gleichberechtigt der Erwerbsarbeit und der Care-Arbeit nachgehende Paar keine Auswirkung. Frau A und Herr B hingegen hätten jetzt ein Problem: ihr unverändertes Einkommen würde ohne Splitting mit 24.263 Euro versteuert werden. Das Splittingverfahren verhindert also nicht etwa, dass die Frau in der Nachbarwohnung arbeiten geht und eine gleichberechtigte Ehe lebt. Die Abschaffung des Splittingverfahrens umgekehrt würde aber die Entscheidung von Frau A und Herrn B verteuern, ihr gemeinsames Einkommen eben nicht je zur Hälfte von beiden Partnern beisteuern zu lassen. Die Abschaffung des Splittings lässt erwarten, dass sich die Frauenerwerbstätigkeit erhöht, weil betroffene Paare nur so ihr Haushaltseinkommen stabilisieren können.
Wer sich jetzt wundert und erklärt, es gehe ja gerade darum, durch die Steuergestaltung die Arbeitsanreize so zu setzen, dass Paare sich eher für eine gleichberechtigte Aufteilung von Erwerbs- und Care-Arbeit entscheiden, stellt die Debatte normativ auf den Kopf. Man beachte: Das Splitting wurde nicht mit einer Lenkungsabsicht hinsichtlich der innerpartnerschaftlichen Arbeitsteilung etabliert (Förderung der Alleinverdienerehe), es besteuert Paare vielmehr unabhängig von der Arbeitsteilung. Die Abschaffung des Splittingverfahrens würde nun aber offenbar Verstöße gegen die Prinzipien der Leistungsfähigkeitsbesteuerung und der horizontalen Steuergerechtigkeit in Kauf nehmen und mit einer Lenkungsabsicht begründen (Gleichmäßige Aufteilung der Erwerbseinkünfte zwischen Partnern attraktiver machen).
Unbedingt betont werden muss dabei außerdem, dass die Abschaffung des Splittingverfahrens nicht die gleichmäßige Aufteilung der Arbeitszeiten auf Erwerbs- und Care-Arbeit fördert, sondern die gleiche Höhe der Erwerbseinkünfte zur Bedingung der günstigeren Besteuerung erhebt. Frau A und Herr B würden bei gleichmäßiger Aufteilung der Arbeitszeiten ja herbe Einkommensverluste erleben. Die beiden hätten nach Abschaffung des Splittingtarifs nur eine einzige Chance, das Familieneinkommen zu stabilisieren und in den Genuss derselben Steuerlast wie ihre Nachbarn zu kommen. Wie bei den Nachbarn auch, müssen Frau A und Herr B dieselbe Summe von jeweils 40.000 Euro verdienen. Dazu muss Frau A allerdings in Vollzeit arbeiten. Herr B wird die anderen 40.000 Euro in Halbtagsarbeit erzielen. Die beiden brauchen dann aber eine Halbtagsbetreuung für ihr Kleinkind.
Einmal bemerkt, lässt einen der Zweifel nicht mehr los. Sollte der Steuergesetzgeber Partnerschaften mit gleicher Ausbildung und gleichen Verdienstmöglichkeiten finanziell attraktiver gestalten als Partnerschaften mit unterschiedlichen Verdienstaussichten? Und wäre es in Kauf zu nehmen, Partner finanziell abzustrafen, wenn sie – ganz unabhängig vom Gesamtlebenseinkommen – zu bestimmten Zeiten unterschiedliche Anteile des gemeinsamen Einkommens beitragen? Z. B. im Fall unterschiedlichen Alters während ein Partner noch im Studium oder schon in Rente ist? Oder wenn ein Partner dem anderen eine Auszeit gönnt, um dessen Burnout vorzubeugen, um ihm eine Weiterbildung oder Umschulung zu ermöglichen oder um sich vorübergehend einem Ehrenamt oder der Sorge um Angehörige zu widmen? Ist die gegenseitige Unterstützung nur noch unter der Bedingung erwünscht, dass beide Partner gleich hohe Summen zum gemeinsamen Haushalt beisteuern?
Fazit
Das Splitting erscheint für Paare angemessen, bei denen das Leitbild einer Erwerbs- und Verbrauchsgemeinschaft passt und die entsprechend die Zusammenveranlagung wählen. Es erscheint konsequent, wenn sich der Gesetzgeber nicht in die innerhalb dieser Lebensgemeinschaft stattfindende Entscheidung bezüglich der vorübergehenden oder dauerhaften Teilung der Erwerbs- und Care-Arbeit einmischen möchte. Sofern dann eine Besteuerung nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit angestrebt wird, ermöglicht erst das Splittingverfahren horizontale Steuergerechtigkeit sowohl gegenüber Paaren mit anderer Arbeitsteilung als auch gegenüber verheirateten oder nicht verheirateten Paaren mit der Möglichkeit der vertraglichen Gestaltung von Einkommen.
Das Splittingverfahren hindert Frauen nicht an der Aufnahme einer Erwerbsarbeit oder der Ausdehnung ihrer Arbeitszeit, wenn diese eine Erwerbsarbeit aufnehmen oder ihre Arbeitszeit ausdehnen wollen. Die Aufnahme oder Ausdehnung der Frauen-Erwerbsarbeit führt in keiner Konstellation aufgrund des Splittings zu geringeren verfügbaren Einkommen. Das Splittingverfahren steht insofern auch keinem Paar im Wege, das eine gleichberechtigte Ehe oder Partnerschaft leben möchte.
Umgekehrt steht das Splitting denjenigen im Wege, die Frauen und Paare mithilfe von steuerlichen Anreizen in die Richtung einer gleichmäßigen Einkommenserzielung lenken möchten oder, spezifischer noch, eine höhere Frauenerwerbsbeteiligung anstreben und dafür Verletzungen der horizontalen Steuergerechtigkeit hinzunehmen bereit sind. Man kann darüber streiten, ob das unseren Normen und Idealen entspricht, verfassungsrechtlich unbedenklich ist, politisch durchsetzbar erscheint etc. Zusätzlich wäre wohl zu prüfen, ob es kein geeigneteres Mittel gäbe, ähnlich starke Anreizeffekte zu erzielen ohne ähnlich hohe Kollateralschäden in Kauf nehmen zu müssen. Der Fairness halber muss man aber vor allem in einer transparent zu führenden Debatte zunächst verständlich erklären, wie sich die Lage darstellt und wer eigentlich warum welche Ziele verfolgt.
- 1 Bei einem proportionalen Einkommensteuertarif, wenn also z. B. von jedem verdienten Euro immer 30 % an Einkommensteuern fällig würden, würde es unabhängig von der Aufteilung des Einkommens keinen Unterschied machen, ob die Partner gemeinsam oder individuell veranlagt würden. Das Splittingverfahren hätte keinen Effekt.
- 2 Chirvi (2019) kommt in einer Vergleichsstudie zwischen verheirateten und nicht-verheirateten aber in einer festen Beziehung lebenden Frauen zu dem Ergebnis, dass es bei Frauen ohne Kinder keinen signifikanten Arbeitsangebotseffekt aufgrund der Heirat und des Splittings gibt.
- 3 Dass Frauen im Durchschnitt noch immer geringere Einkommen erzielen als Männer, kann als strukturelles Problem identifiziert und entsprechend politisch adressiert werden. Aber dem konkreten Beispielpaar hilft die Achtsamkeit um diese Effekte nichts.
- 4 Das stimmt so nur holzschnittartig, da z. B. Steuerpauschbeträge doppelt anfallen, was die Aufteilung sogar günstiger macht. Auch die Minijobregelungen kommen in der komplexeren Realität dem hier vereinfachten Gedanken in die Quere. Außerdem sorgen die nun zu berücksichtigenden Kinder- und Erziehungsfreibeträge dafür, dass von jedem durch beide verdienten Euro nun mehr Cent bleiben als vor der kinderbedingten Erwerbsunterbrechung.
Literatur
Allmendinger, J., J. Kugel und M. Schnitzer (2021), Ein Comic über das Ehegattensplitting, https://www.wzb.eu/system/files/docs/sv/k/Ehegattensplitting_gesamt_final.pdf (14. September 2022).
Bachmann, R., P. Jäger und R. Jessen (2021), A Split Decision: Welche Auswirkungen hätte die Abschaffung des Ehegattensplittings auf das Arbeitsangebot und die Einkommensverteilung?, Zeitschrift für Wirtschaftspolitik, 70(2), 105-131.
Blömer, M. J., P. Brandt und A. Peichl (2021), Raus aus der Zweitverdienerinnenfalle: Reformvorschläge zum Abbau von Fehlanreizen im deutschen Steuer- und Sozialversicherungssyste“, ifo Forschungsbericht, 126.
Bundestag (1958), Drucksache 260 aus Wahlperiode 3 vom 7.3.1958, Gesetzesbegründung A.II.1.
BVerfG – Bundesverfassungsgericht (1957), Urteil vom 17.1.1957, Az.: 1 BvL 4/54, Entscheidungsgründe D.II.4.
BVerfG – Bundesverfassungsgericht (2013), Urteil vom 7.5.2013, Az.: 2 BvR 909/06: „Die Ungleichbehandlung von Verheirateten und eingetragenen Lebenspartnern …“
Chirvi, M. (2019), Arbeiten Frauen aufgrund des Ehegattensplittings weniger? Eine empirische Untersuchung für Deutschland, arqus Discussion Paper, 241.