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Vor 2020 schien Inflation zumindest in den OECD-Staaten kaum noch ein Problem zu sein. Trotz der niedrigen Refinanzierungszinssätze der wichtigsten Zentralbanken rund um den Globus waren die Inflationsraten gering und zumeist in der Nähe der von den Zentralbanken angestrebten Zielwerte. Nur zwei Jahre später schießen die Inflationsraten in vielen Ländern in die Höhe, so auch in Deutschland. Bereits seit Mitte 2021 steigen die Verbraucherpreise stetig an (vgl. Abbildung 1). Nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes wuchs das Preisniveau im Oktober um 10,4 % gegenüber dem Vorjahresmonat und nahm damit gegenüber September 2021 noch einmal leicht zu. Derartige Inflationsraten hat Deutschland seit dem 2. Weltkrieg nicht mehr erlebt. Die beiden primären Auslöser dieser Entwicklung sind zwei einschneidende Krisenereignisse: die COVID-19-Pandemie und der Überfall Russlands auf die Ukraine und die hiermit verbundenen Handelsbeeinträchtigungen und Sanktionen (Berlemann et al., 2022).

Abbildung 1
Deutsche Verbraucherpreise und Zinssätze der EZB und Fed
Deutsche Verbraucherpreise und Zinssätze der EZB und Fed

Quelle: Statistisches Bundesamt (Destatis), Deutsche Bundesbank und Board of Governors of the Federal Reseve System (US), 2022.

COVID-19

In vielen Ländern haben die Beeinträchtigungen durch COVID-19 inzwischen nachgelassen und wirken häufig nur noch in Form erhöhter Krankenstände. Dennoch wirken die Effekte der Pandemie noch immer nach. So verfolgen einige Regierungen weiterhin strenge No-COVID-Strategien. Teil dieses Umgangs mit COVID-19 sind strikte Lockdowns, die das lokale Wirtschaftsleben stark beeinträchtigen. Insbesondere im Handel mit China, das nach wie vor auf eine No-COVID-Politik setzt, gibt es immer noch erhebliche Lieferkettenprobleme, die einen Beitrag zur Angebotsverknappung und damit auch zur derzeitigen Inflation liefern.

Überfall Russlands auf die Ukraine

Die Haupttreiber der aktuellen Inflationsentwicklung sind aber die Auswirkungen des Überfalls Russlands auf die Ukraine. Bereits zuvor hatten die Rohstoffpreise im Zuge der Erholung der Weltwirtschaft von der COVID-19-Krise stark angezogen (Eurich, 2022) und in der Folge die Erzeugerpreise kräftig in die Höhe getrieben (vgl. Abbildung 2). Mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine perpetuierte sich die Entwicklung der Erzeugerpreise. Dies war vor allem auf die sprunghaft steigenden Preisanstiege für Öl und Gas, aber auch für Industrierohstoffe wie Aluminium, Nickel und Kupfer zurückzuführen. Bei diesen Gütern ist Russland ein bedeutender Anbieter und war oft der wichtigste Importpartner Deutschlands. Der Verzicht des Kaufs dieser Güter aus Russland (bzw. später die Lieferbeschränkungen Russlands) ließen die deutschen Erzeugerpreise noch einmal deutlich ansteigen, was sich mit Verzögerung auch in den Konsumentenpreisen niederschlug und die Inflationsrate zuletzt bis über die 10 %-Grenze trieb. So sind mittlerweile auch die Preise für andere Güter (wie Nahrungsmittel, aber auch Dienstleistungen) deutlich angestiegen.

Abbildung 2
Verbraucher- und Erzeugerpreise
Verbraucher- und Erzeugerpreise

Quelle: Statistisches Bundesamt (Destatis).

Es ist das Mandat der Europäischen Zentralbank (EZB), die gemessene Inflation auf ihrem Zielwert von 2 % zu halten. Dieses Mandat gilt auch dann, wenn die Inflation nicht monetär, sondern vorrangig angebotsseitig bedingt ist, so wie es derzeit der Fall ist. Zunächst kann die EZB durch eine geeignete Geldpolitik Einfluss auf die Inflationserwartungen nehmen. Dies ist wichtig, weil die zukünftige Entwicklung der Inflation durch die Inflationserwartungen mitbeeinflusst wird. So wirken sich die Inflationserwartungen z. B. auf den Konsum, die Lohnforderungen der Arbeitnehmenden und die Preissetzung von Unternehmen aus. Verfestigen oder erhöhen sich die Inflationserwartungen, so kann dies zu Zweitrundeneffekten führen und die Inflation selbst befeuern. Zudem führen schlechtere Refinanzierungskonditionen zu einer Dämpfung der Nachfrage, was auch bei einer angebotsseitig verursachten Inflation die Preisentwicklung abschwächt. Selbst dann, wenn eine Zentralbank ein Abwürgen der Konjunktur vermeiden will, kann eine restriktivere Geldpolitik zumindest versuchen, potenziell nachfragesteigernde und damit preistreibende Effekte von staatlichen Hilfsprogrammen zu konterkarieren.

Während die Federal Reserve Bank (Fed) relativ schnell reagierte und die Finanzierungskonditionen der Geschäftsbanken verschlechterte, reagierte die EZB zunächst gar nicht. Die zurückhaltende Reaktion der EZB war vermutlich von der Sorge getrieben, durch eine restriktivere Geldpolitik Unruhen auf den Immobilienmärkten zu erzeugen, die in eine neuerliche Immobilienkrise hätten münden können. Immerhin waren während der langen Periode der Niedrigzinspolitik der EZB die Häuserpreise erheblich gestiegen (Berlemann et al., 2022). Daneben wird die fragile finanzielle Lage einiger EU-Staaten mit sehr hohen Haushaltsdefiziten eine Rolle gespielt haben. Erst als die Inflation im Sommer bereits deutlich auf zweistellige Raten zulief, begann die EZB den Hauptrefinanzierungssatz zu erhöhen. Nach einer Erhöhung des Leitzinses von 0,5 Prozentpunkten im Juli hob die EZB den Leitzins im September und Oktober jeweils um 0,75 Prozentpunkte an. Zinsschritte in dieser Größenordnung gab es seit der Einführung des Euro nicht. Offenbar ist die EZB nun doch gewillt, die hohen Inflationsraten im Euroraum aktiv zu bekämpfen. Die unterschiedlichen geldpolitischen Maßnahmen der Fed und EZB führten außerdem zu einer höheren Nachfrage nach US-Dollar, wodurch der US-Dollar aufwertete und der Euro abgeschwächt wurde. Da viele Rohstoffe in US-Dollar gehandelt werden, führte dies zusätzlich zu steigenden Preisen insbesondere bei importierten Energierohstoffen. In den deutschen Konsumentenpreisen ist noch kein klarer Effekt dieser restriktiveren Geldpolitik der EZB zu erkennen, was wegen der üblichen Wirkungsverzögerungen aber auch nicht überraschend ist.

Inflationsdifferentiale in Europa

Da die EZB eine für die gesamte Eurozone adäquate Geldpolitik zu betreiben hat, muss sie sich an der Inflationsentwicklung im Euroraum insgesamt orientieren. Wie Abbildung 3 illustriert, unterscheiden sich die Inflationsraten in der Eurozone erheblich. So haben die baltischen Staaten mit Inflationsraten um die 22 % zu kämpfen, während Frankreich und Spanien nur Inflationsraten um die 7 % aufweisen. In diesen Inflationsdifferentialen kommt die unterschiedliche Betroffenheit von verschiedenen Rohstoffpreiserhöhungen zum Ausdruck. Die erhebliche Varianz der Inflationsraten innerhalb des Euroraums macht es für die EZB nicht leichter, den kontraktiven geldpolitischen Impuls korrekt zu bemessen.

Abbildung 3
Veränderung des HVPI zum Vorjahresmonat
Veränderung des HVPI zum Vorjahresmonat

Quelle: Eurostat (2022). Stand: 23. November 2022.

Eine sanfte Hoffnung geht von den jüngsten Nachrichten aus dem Statistischen Bundesamt aus. In seiner Pressemitteilung vom 21. November dieses Jahres berichtet es von einem leichten Rückgang der Erzeugerpreise gewerblicher Produkte um 4,2 % im Oktober. Da die Erzeugerpreise üblicherweise der Konsumentenpreisentwicklung vorauslaufen, mag man dies als Zeichen interpretieren, dass die Konsumentenpreisinflation sich ihrem Maximum genähert oder es vielleicht sogar schon überschritten hat. Der Preisrückgang ist allerdings hauptsächlich durch ein Nachlassen der Energiepreise getrieben, die eine hohe Volatilität aufweisen. Daher bleibt abzuwarten, wie verlässlich dieses erste Signal ist. Das werden wohl die kommenden Monate zeigen.

Literatur

Berlemann, M., M. Eurich und E. Haustein (2022), Inflation in Deutschland gewinnt an Fahrt, Wirtschaftsdienst, 102(4), 319-320, https://www.wirtschaftsdienst.eu/inhalt/jahr/2022/heft/4/beitrag/inflation-in-deutschland-gewinnt-an-fahrt.html (25. November 2022).

Eurich, M. (2022), Die Entwicklung der Rohstoffpreise seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, Wirtschaftsdienst, 102(10), 811-812, https://www.wirtschaftsdienst.eu/inhalt/jahr/2022/heft/10/beitrag/die-entwicklung-der-rohstoffpreise-seit-dem-russischen-angriffskrieg-auf-die-ukraine.html (25. November 2022).

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© Der/die Autor:in 2022

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DOI: 10.1007/s10273-022-3350-x