Die deutsche Finanzpolitik steht wegen des Ukrainekriegs und der Energiekrise vor der nächsten großen Herausforderung. Dabei sind die finanzpolitischen Auswirkungen der Coronapandemie noch gar nicht endgültig abgeklungen. Nun kommen erhebliche Belastungen durch den Konjunktureinbruch, erhöhte Verteidigungsausgaben und umfangreiche Entlastungsmaßnahmen für Haushalte und Unternehmen gegen die drastisch gestiegenen Energiepreise hinzu. Solche Entlastungsmaßnahmen sind grundsätzlich notwendig, denn die Belastungen von privaten Haushalten und Unternehmen durch Energiepreiskrise und Inflation sind für viele untragbar hoch.
Nach Analysen des Sachverständigenrats Wirtschaft dürfte die Rekordinflation – ohne Kompensationsmaßnahmen und Ausweichreaktionen – die Nettorealeinkommen der privaten Haushalte um durchschnittlich mehr als 5 % mindern. Während die einkommensstärksten 10 % der Haushalte nur mit 3,7 % belastet werden, sind Haushalte in der unteren Hälfte der Einkommensverteilung überproportional betroffen, weil der Anteil der besonders stark verteuerten Aufwendungen für Energie an den Gesamtausgaben bei ihnen besonders hoch ist. Die untere Hälfte wird durchweg mit mehr als 6 % belastet, die einkommensschwächsten 10 % der Haushalte sogar mit 8,3 %. Problemverschärfend kommt hinzu, dass bei den einkommensschwächeren Haushalten zumeist keine Reserven existieren, sodass die Preiserhöhungen kaum zu verkraften sind. Zudem wären viele energieintensive Unternehmen ohne Unterstützungsmaßnahmen massiv in ihrer Existenz bedroht.
Die mittelfristige Schuldentragfähigkeit durch die für die Entlastungsmaßnahmen angestrebte zusätzliche öffentliche Kreditaufnahme ist bislang nicht gefährdet: Die Schuldenstandsquote dürfte unter 70 % des BIP bleiben und in der Tendenz rückläufig sein und die Zinslastquote verkraftbar bleiben. Die schwere Energiekrise würde eine erneute Inanspruchnahme der Ausnahmeregel der Schuldenbremse im Jahr 2023 rechtfertigen. Die stattdessen gewählte Finanzierung durch die Befüllung des Wirtschaftsstabilisierungsfonds als Sondervermögen im Jahr 2022 ist einerseits intransparent. Andererseits mag es sein, dass sich dadurch die Mehrausgaben enger auf die Krisenbewältigung zuschneiden lassen.
Die Entlastungsmaßnahmen sollten möglichst zielgenau ausgestaltet sein. Bei den privaten Haushalten sollten sie die Energiesparanreize erhalten sowie auf untere und mittlere Einkommen fokussiert sein, die die Belastungen durch die Energiekrise nicht tragen können. Bei den Unternehmen sollten die Unterstützungsmaßnahmen nicht darauf ausgerichtet sein, ausnahmslos alle Unternehmen zu erhalten, sondern nur diejenigen, die bei erwartbar dauerhaft höheren Energiepreisen über ein tragfähiges Geschäftsmodell verfügen. Die Einhaltung der Zielgenauigkeit ist nicht nur energie- und verteilungspolitisch wichtig. Sie verhindert auch, dass die öffentlichen Haushalte mittelfristig unnötig strapaziert werden und dass die Finanzpolitik den Inflationsdruck nachfrageseitig unnötig verschärft.
Die bisherigen Entlastungspakete gehen insgesamt in die richtige Richtung. Sie sind aber bislang wenig zielgenau. Der Tankrabatt und die Umsatzsteuersenkung auf Erdgas sind weder energie- noch verteilungspolitisch zielgenau. Die Energiepreispauschale sowie die geplanten Gas- und Strompreisbremsen sind energiepolitisch grundsätzlich vernünftig ausgestaltet, weil sie die hohen Marktpreise jenseits des Sockelverbrauchs in vollem Umfang erhalten und auch beim entlasteten Sockelverbrauch nicht die Vorkrisenpreise, sondern die mittelfristig erwarteten erhöhten Energiepreise ansetzen. Sie sind aber nicht verteilungspolitisch zielgenau, denn sie entlasten auch Haushalte mit hohen Einkommen, die die Belastungen eigentlich selbst schultern könnten. Selbst wenn die erhaltene Unterstützung der Einkommensteuer unterworfen wird, bleibt ihnen mehr als die Hälfte der Entlastung. Dadurch wird letztlich zu viel Geld ausgegeben, die öffentlichen Haushalte werden unnötig belastet und die Inflation unnötig angeheizt.
Aus diesem Grund plädiert der Sachverständigenrat Wirtschaft dafür, befristet diejenigen an der Krisenfinanzierung zu beteiligen, die die hohen Preise schultern können. Hierzu wäre es sinnvoll, den Abbau der kalten Progression zu verschieben. Er ist steuersystematisch grundsätzlich gerechtfertigt, aber in der jetzigen finanzpolitischen Lage problematisch. Außerdem könnten Haushalte mit hohen Einkommen, die ungerechtfertigt von den Entlastungsmaßnahmen profitieren, durch einen streng befristeten Energie-Solidaritätszuschlag oder eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes zur teilweisen Gegenfinanzierung herangezogen werden. Das würde das Gesamtpaket zielgenauer machen, die fiskalische Belastung reduzieren und den Inflationsdruck begrenzen. Um zukünftig zielgerichtete Entlastungen zu ermöglichen, sollte möglichst bald ein unbürokratisches und schnelles Entlastungsinstrument für einkommensabhängige Zahlungen an alle Haushalte entwickelt werden.