Ein Service der

Artikel als PDF herunterladen

Wirtschaftspolitik in einer sozialen Marktwirtschaft möchte Wohlstand schaffen und verteilen. Dies zeigt sich in den Wahl- und Regierungsprogrammen auf Bundesebene seit 2002, allerdings mit sehr unterschiedlichen Akzenten. Zur Analyse wird deshalb die relative Häufigkeit der Begriffe „Soziales“ und „Wettbewerb“ in Programmen errechnet. Der daraus gebildete S/W-Koeffizient zeigt die Positionierung der Parteien, ihre Veränderung, die Reaktion auf die Wirtschaftslage, den Unterschied zwischen Wahl- und Regierungsprogramm und schließlich den Kompromiss der Regierungsbildung.

Die Wirtschaftspolitik verfolgt verschiedene Ziele, was zu Zielkonflikten führen kann und zu unterschiedlichen Schwerpunkten in der Umsetzung. Zwei ganz zentrale wirtschaftspolitische Ziele sind hohes Wachstum und gerechte Verteilung. Die im deutschen Bundestag vertretenen Parteien berücksichtigen in ihren Wahlprogrammen jeweils beide Ziele – das ist zu erwarten (Downs, 1957). Aber die Parteien unterscheiden sich stark in der Gewichtung beider Ziele, was manchmal dahingehend vereinfacht wird, Wohlstand eher schaffen beziehungsweise verteilen zu wollen. Man könnte auch sagen, dass im Rahmen einer sozialen Marktwirtschaft entweder der Markt oder das Soziale stärker betont wird. Ein drittes Begriffspaar spricht davon, wirtschaftspolitisch eher „rechts oder links“ ausgerichtet zu sein (z. B. Osterloh, 2012; Potrafke, 2017). Wo stehen die Parteien nun in diesem Spektrum, was hat sich über die beiden vergangenen Jahrzehnte verändert? Gibt es eventuell größere Trends, die alle Parteien bewegen, und unterscheiden sich Regierungs- von Wahlprogrammen?

Vorgehensweise

Um die Parteiprogramme zu analysieren, werden die Ziele von Wohlstand schaffen und verteilen mit zwei einfachen Begriffen erfasst. Die relative Häufigkeit dieser Begriffe in den jeweiligen Programmen sagt dann etwas über die Gewichtung der zugehörigen wirtschaftspolitischen Ziele aus. Das Ziel Wachstum zu schaffen wird über den Begriff „Wettbewerb“ approximiert, da Wettbewerb wirtschaftliche Dynamik unterstützt. Das wirtschaftliche Verteilungsziel wird durch den Begriff „Soziales“ erfasst (der Begriff Verteilung kommt zu selten in den Programmen vor, um ihn hier sinnvoll auswerten zu können). Im ersten Schritt wird die Häufigkeit beider Begriffe ins Verhältnis gesetzt, was einen Koeffizienten „Soziales zu Wettbewerb (S/W)“ ergibt. Dieser Koeffizient beschreibt die wirtschaftspolitische Ausrichtung der Parteien dann korrekt, wenn er für eine „rechte“ Partei kleiner als für eine „linke“ ist. Konkret erwartet man entsprechend eine Reihung mit aufsteigendem Koeffizienten von FDP, über die CDU (stellvertretend zugleich für die CSU), dann Grüne und SPD (mit ex ante unklarer Reihung) bis zur Partei Die Linke.

Positionierungen der Parteien

Tatsächlich zeigt sich für die sechs Parteien zu den Bundestagswahlen der Jahre 2002 bis 2021 diese Reihung (vgl. Abbildung 1): Im Durchschnitt liegt der S/W-Koeffizient für die FDP mit 1,1 am niedrigsten unter den betrachteten Parteien, es folgt die CDU mit 1,4. Auch wenn beide Parteien über die Jahre erhebliche Schwankungen aufweisen, so ist diese Reihung doch recht stabil. Mit Abstand folgen dann Grüne und SPD, deren Durchschnittswerte mit 6,2 und 6,5 nahe beieinanderliegen. Den höchsten Koeffizienten weist Die Linke mit einem Wert von 35 auf, den zweithöchsten Wert die AfD mit 14.

Abbildung 1
Durchschnitt der S/W-Koeffizienten der Parteien, 2002 bis 2021
Durchschnitt der S/W-Koeffizienten der Parteien, 2002 bis 2021

Der S/W-Koeffizient misst in den Programmen die Zahl der Wörter die „Sozial“ enthalten geteilt durch die Zahl der Wörter, die „Wettbewerb“ enthalten. Es wird jeweils nach den Wortstämmen „Sozial“ oder „Wettbewerb“ gesucht. Im Fall von „Sozial“ sind in den jeweiligen Zählungen also auch Wörter wie „soziale“, „sozialen“, „sozialer“ oder auch „Sozialstaat“ enthalten. Im Fall von „Wettbewerb“ sind somit auch Wörter enthalten wie „wettbewerbsfähigsten“, „Wettbewerbern“ oder aber auch „Wettbewerbsvorteile“. Gründung der AfD erst im Jahr 2013 und Die Linke war bis 2007 die Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS).

Quelle: eigene Berechnungen.

Während das grobe Muster zu erwarten ist, fallen zwei Befunde auf, die im Vorhinein nicht selbstverständlich waren: die Positionierungen der Grünen und der AfD. Folgt man dem vorgeschlagenen Koeffizienten, dann stehen die Grünen wirtschaftspolitisch ganz leicht „rechts“ von der SPD. Natürlich ist dieses Maß zu ungenau, um kleine Unterschiede sicher bestimmen zu können, aber interessant ist es schon, denn in ihrer Entstehungsgeschichte hatten die Grünen einen „linkeren“ Anspruch als die SPD.

Die AfD als junge Partei ist wirtschaftspolitisch nicht so prägnant in Erscheinung getreten, als dass ihre Positionierung allgemein bekannt sein kann. Ursprünglich wurde die Partei stark von Euro-kritischen und wirtschaftsliberalen Positionen geprägt, und diese Elemente finden sich weiterhin im Wahlprogramm. Insbesondere sollen die Steuerbelastung gesenkt und Steuern, die das Vermögen betreffen (wie Vermögens-, Erbschafts- und Grundsteuer), abgeschafft werden. Damit positioniert sich die AfD radikaler als FDP und CDU. Gleichzeitig dominiert – der hier vorgenommenen Analyse folgend – das Soziale den Wettbewerbsgedanken bei weitem, und insoweit deuten sich Berührungspunkte mit der Linken an. In jedem Fall ist das Programm der AfD hinsichtlich des Sozialen uneindeutig, weil die steuerlichen Maßnahmen verteilungspolitisch konträrer zu den sozialen stehen. Diese Uneindeutigkeit betrifft zwar nur eine der sechs betrachteten Parteien, aber zeigt Grenzen der hier gewählten vereinfachten Analyse auf.

Positionsänderungen über die Zeit

Die skizzierten Positionen sind mit der bemerkenswerten Ausnahme der Grünen über die vergangenen zwanzig Jahre hinweg recht stabil geblieben. Die Grünen waren in den 1990er Jahren ganz eindeutig eine linke Partei und auch im ersten hier betrachteten Wahljahr 2002 waren sie deutlich „linker“ als die SPD. Selbst 2005 waren sie dies noch, wenngleich mit kleinerem Abstand. Seit 2009 sinkt ihr S/W-Koeffizient kontinuierlich und blieb – anders als bis dahin – in drei von vier Wahlen deutlich unterhalb desjenigen der SPD. Die Partei hat sich also in ihren Programmen über die Zeit hinweg relativ weniger mit sozialen Themen befasst. Dieser Trend unterstützt den Eindruck, dass sich inzwischen die Grünen in wirtschaftspolitischer Hinsicht, und anders als vor zwei Jahrzehnten, eher leicht rechts als links von der SPD positioniert haben.

Abbildung 2 zeigt die jeweiligen (logarithmierten) Werte der Parteien für die erfassten sechs Bundestagswahlen, allerdings mit einem gestauchten Maßstab, um auch kleine Werte besser lesbar zu machen. 2013 und 2017 liegt die CDU unterhalb der FDP, aber das sind Ausnahmen. Die Linke zeigt immer den höchsten Wert, Grüne und SPD liegen dazwischen, bei manchmal wechselnder Reihung. Die AfD bleibt beide Male zwischen SPD und der Linken. Auffällig ist weiterhin, dass die Werte über die Zeit generell schwanken. Vor allem das Jahr 2009 fällt mit einem hohen S/W-Koeffizienten auf. Er beträgt im einfachen Durchschnitt der damals fünf Parteien 16,4 und fällt damit aus der Spanne aller übrigen Jahre zwischen 7,4 und 11,0. Ein Zusammenhang mit der großen Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/2009 scheint möglich und motiviert somit eine breitere Untersuchung möglicher Bestimmungsgründe.

Abbildung 2
Der S/W-Koeffizient der Parteien bei den vergangenen sechs Bundestagswahlen
Der S/W-Koeffizient der Parteien bei den vergangenen sechs Bundestagswahlen

Quelle: eigene Berechnungen.

Änderungen mit der wirtschaftlichen Lage

Im Jahr 2009 führten die Folgen der großen Wirtschafts- und Finanzkrise von 2008 zum größten Rückgang der Wertschöpfung in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg und großer Unsicherheit. Es scheint plausibel, dass Parteien in solch einem Umfeld vorrangig das Bedürfnis nach Absicherung ansprechen und folglich das Soziale an relativer Bedeutung gegenüber dem Wettbewerb gewinnt. Mit stark verbesserter Wirtschaftslage werden soziale Themen wieder zurückgehen, so wie es im folgenden Wahljahr 2013 der Fall war. Es würde also nicht überraschen, wenn es einen generellen Einfluss der Wirtschaftslage auf den Koeffizienten von Sozialem zu Wettbewerb gibt.

Zur Abbildung der Wirtschaftslage werden zwei Informationen genutzt: die Wachstumsrate des realen Bruttoinlandsprodukts (BIP) und die Arbeitslosenquote. Die Erwartung ist demnach, dass eine niedrigere Wachstumsrate vor der Wahl ebenso wie eine höhere Arbeitslosenquote einen positiven Einfluss auf den S/W-Koeffizienten hat. Für die Jahre 2000 bis 2021 sind die Werte für den (ungewichteten) S/W-Koeffizienten der Wahlprogramme, das Wachstum sowie die Arbeitslosigkeit in Abbildung 3 eingetragen. Für 2009 erkennt man deutlich den Wachstumseinbruch; zudem war die Arbeitslosigkeit wieder leicht angestiegen, nachdem sie jahrelang deutlich gefallen war. Ansonsten sind die Zusammenhänge nicht so deutlich.

Abbildung 3
Wirtschaftliche Lage und die durchschnittlichen S/W-Koeffizienten der Wahlprogramme
Wirtschaftliche Lage und die durchschnittlichen S/W-Koeffizienten der Wahlprogramme

Zur besseren Veranschaulichung wurde der durchschnittliche S/W-Koeffizient der Wahlprogramme über alle Jahre hinweg (= 10) von den einzelnen Durchschnitten im Wahljahr abgezogen und das Ergebnis mit 2 multipliziert.

Quelle: eigene Berechnungen.

Um sie eventuell besser herauszuarbeiten erklären wir den S/W-Koeffizienten im Wahljahr durch das reale BIP-Wachstum und die Arbeitslosenquote. Da die Wahlprogramme in den Monaten vor der Wahl erarbeitet werden, nehmen wir hier für beide Maße den Durchschnitt der vier Quartale vor der Wahl. Für die Wahl am 26. September 2021 sind dies die Quartale von Quartal IV 2020 bis Quartal III 2021. Tendenziell ergibt sich ein negativer Einfluss des Wachstums auf den Koeffizienten und ein positiver Einfluss der Arbeitslosenquote: Niedriges Wachstum und hohe Arbeitslosigkeit machen die Wahlprogramme also sozialer. Beide Einflüsse bestätigen die Erwartung. Allerdings sind die Zusammenhänge schwach, was bei den wenigen Beobachtungen nicht überraschen kann. Dafür halten sie weitgehend in verschiedenen Schätzungen, egal ob man die S/W-Koeffizienten der Parteien heranzieht oder den Durchschnitt über die Parteien nimmt, ob man den (offensichtlichen) Trend bei der Arbeitslosigkeit berücksichtigt oder nicht.

Programme vor und nach der Wahl

Für eine Demokratie typisch ist der Kompromiss in Koalitionsregierungen wie sie in Deutschland nach allen sechs betrachteten Wahlen notwendig waren (Freier und Odendahl, 2015). Die Vermutung lautet in dieser Hinsicht, dass Regierungsprogramme weitgehend die Positionen der beteiligten Parteien vor der Wahl reflektieren. Dabei ist zu erwarten, dass Parteien mit einem höheren Stimmenanteil ein größeres Gewicht auf das Regierungsprogramm haben als kleine Parteien. Um dies zu testen, bilden wir einen gewichteten S/W-Koeffizienten der Regierungsparteien, wobei sich die Gewichte aus den erreichten Stimmanteilen ergeben. Das Ergebnis zeigt Abbildung 4: Auf der waagerechten Achse sind die S/W-Koeffizienten der stimmengewichteten Wahlprogramme abgetragen, auf der senkrechten Achse die der tatsächlich vereinbarten Regierungsprogramme. Sofern beides übereinstimmt, also die Regierungsprogramme genau die gewichteten Wahlprogramme widergeben, müssten die sechs Werte auf der Diagonalen liegen.

Abbildung 4
Die S/W-Koeffizienten in Wahl- versus Regierungsprogrammen
Die S/W-Koeffizienten in Wahl- versus Regierungsprogrammen

Quelle: eigene Berechnungen.

Tatsächlich ist dies nicht der Fall, denn die Werte liegen durchgängig rechts von der Diagonalen, d. h. die S/W-Koeffizienten der Wahlprogramme der Regierungsparteien sind größer als die der entsprechenden Regierungsprogramme. Dies bedeutet, dass das Soziale vor den Wahlen einen größeren Stellenwert hat als nach den Wahlen. Dies lässt sich beklagen, wenn man es so interpretiert, dass mehr Soziales versprochen als gehalten wird. Man kann es auch einfach als Konsequenz von Parteienkonkurrenz ansehen, in der den Wähler:innen viel versprochen wird, um attraktiv zu sein, ohne vielleicht die Unannehmlichkeiten von Wettbewerb zu thematisieren (Downs, 1957). Ein anderer Aspekt für die beobachtete Diskrepanz kann darin liegen, dass die sozialen Versprechen durchaus gewollt sein mögen, aber die Budgetrestriktion erst bei einem Regierungsprogramm zum Tragen kommt. Man kann Wahlprogramme auch insofern milder beurteilen, als zur Wahl Absichten erklärt werden, deren Realisierung sich über eine Legislaturperiode hinausziehen mag. Schließlich spielt möglicherweise eine Kombination dieser Erklärungen eine Rolle. In jedem Fall ist die Beobachtung über alle sechs betrachteten Wahlen und anschließende Regierungsbildungen konsistent.

Regierungsparteien und -programme

Bei einem ersten Blick auf die S/W-Koeffizienten der Regierungsprogramme erkennt man bereits die jeweiligen Koalitionen. Den niedrigsten Koeffizienten hat wie zu erwarten die CDU-FDP-Bundesregierung ab 2009. Die höchsten Koeffizienten hatten die SPD-geführten Koalitionsregierungen von 2002 und 2021. Entsprechend liegen die drei großen Koalitionen dazwischen. Kann man im nächsten Schritt den S/W-Koeffizienten der Regierungsprogramme relativ zu den Koeffizienten der Wahlprogramme der Regierungspartner noch näher beschreiben?

Gewichte der Regierungsparteien

Idealtypisch wäre zu erwarten, dass in einer repräsentativen Demokratie das Regierungsprogramm die Wahlprogramme der Regierungspartner je nach deren Stimmanteilen widerspiegelt. Andererseits sind alle Beteiligten im Prinzip gleich notwendig für eine Regierungsbildung, insofern könnten die kleineren Partner zwar kein gleiches, aber vielleicht ein – im Vergleich zu ihrem Stimmenanteil – erhöhtes Gewicht erreichen. In Abbildung 5 sind zunächst einmal für die sechs betrachteten Wahlen jeweils mit einem Zeichen die Positionen der Regierungspartner vor der Wahl und deren gemeinsames Regierungsprogramm gekennzeichnet. Man sieht unmittelbar, dass das gemeinsame Regierungsprogramm meistens, aber nicht immer (2002 und 2005) zwischen den Extremwerten der beteiligten Partner liegt; in jedem Fall liegt es am unteren Rand der Spanne. Es scheint also angemessen, den S/W-Koeffizienten des jeweiligen Regierungsprogramms um den Faktor zu erhöhen, um den Regierungsprogramme durchschnittlich unterhalb der gewichteten Wahlprogramme liegen. Dieser erhöhte S/W-Koeffizient wird zusätzlich in Abbildung 5 aufgenommen. Dieser Wert liegt nun immer gut in der Spanne der Regierungspartner (außer im Jahr 2009 mit zwei ähnlichen Regierungspartnern) und veranschaulicht grafisch den Kompromiss der Regierungsbildung.

Abbildung 5
Regierungsprogramme und Spannbreite der entsprechenden Wahlprogramme
Regierungsprogramme und Spannbreite der entsprechenden Wahlprogramme

Quelle: eigene Berechnungen.

Dominieren große oder kleine Parteien?

Wie zu erwarten stellt ein Regierungsprogramm den Kompromiss der beteiligten Parteien und ihrer Programme dar. Aber reflektiert der Kompromiss die Stimmengewichte? Dazu betrachten wir in Abbildung 5 die Positionierung der relevanten S/W-Koeffizienten. Wie stehen die Werte für die erhöhten Regierungsprogramme relativ zu denen der beteiligten Parteien? Im Allgemeinen ist das Gewicht der erfolgreicheren Parteien auch größer im Regierungsprogramm. In allen drei großen Koalitionen liegt das (erhöhte) Regierungsprogramm also näher am Wert der CDU als dem der SPD. Etwas aus dem Rahmen fällt das Jahr 2002, als die Grünen einen deutlich größeren Einfluss haben als ihr Stimmenanteil erwarten lässt. Aber dies kann z. B. daran liegen, dass die SPD in den Verhandlungen im Bereich Soziales mehr Kompromisse gemacht hat als in anderen Feldern, die hier nicht betrachtet werden. Zusammenfassend bieten die sechs Beispiele nicht genügend Datenmaterial, um weitergehende Aussagen zu treffen als die, dass die größeren Parteien sich im Allgemeinen auch erkennbar stärker im Regierungsprogramm durchsetzen.

Wirtschaftspolitische Präferenzen beeinflussen
die Politik

Die Parteien im deutschen Bundestag unterscheiden sich ganz erheblich in ihren wirtschaftspolitischen Vorstellungen. Ein einfacher Koeffizient, der die Häufigkeit der Begriffe „Soziales“ und „Wettbewerb“ in deren Programmen in Beziehung setzt, liefert eine Vielzahl an Ergebnissen. Dieser S/W-Koeffizient zeigt die wirtschaftspolitische Positionierung der Parteien ebenso wie die der Koalitionsregierungen von 2002 bis 2021. Deshalb eignet er sich auch für weitergehende Analysen.

So sieht man, wie sich die Grünen von einer klar linken zu einer moderaten Partei gewandelt haben. Die AfD dagegen steht mit ihrem S/W-Koeffizienten wirtschaftspolitisch klar links, zwischen SPD und der Linken (bei den verteilungspolitischen Folgen ihrer Steuerpläne steht sie dagegen tendenziell rechts der FDP). Ferner reagieren die Programme der Parteien auf die wirtschaftspolitische Lage. Niedriges Wachstum und hohe Arbeitslosigkeit führen im Durchschnitt zu sozialeren Wahlprogrammen.

Schließlich ist zu sehen, dass Regierungsprogramme Kompromisse der beteiligten Parteien darstellen. Es macht also einen deutlichen Unterschied aus, wer regiert (Blinder und Watson, 2016; Potrafke, 2017). Dabei sind alle Regierungsprogramme stärker auf Wettbewerb ausgerichtet als die relativ sozialeren Wahlprogramme. Wenn man dies berücksichtigt, dann reflektieren die Aushandlungsprozesse offensichtlich die Stimmengewichte der Parteien recht gut. Kurzum, die Wähler:innen haben mit ihrer Wahlentscheidung einen nachvollziehbaren Einfluss auf die Wirtschaftspolitik der jeweiligen Legislaturperiode.

Der Verfasser dankt Christopher Kißling und Malte Rieth für wertvolle Unterstützung.

Literatur

Blinder, A. S. und M. W. Watson (2016), Presidents and the US economy: An econometric explanation, American Economic Review, 106(4), 1015-1045.

Downs, A. (1957), An economic theory of democracy, Harper and Row.

Freier, R. und C. Odenthal (2015), Do parties matter? Estimating the effect of political power in multi-party systems, European Economic Review, 80, 315-328.

Osterloh, S. (2012), Words speak louder than actions: The impact of politics on economic performance, Journal of Comparative Economics, 40, 318-336.

Potrafke, N. (2017), Partisan politics: The empirical evidence from OECD panel studies, Journal of Comparative Economics, 45, 712-750.

Title:Creating or Distributing Prosperity? A Quick Look at Election and Government Programs

Abstract:Economic policymaking in a social market economy aims for creating and distributing prosperity. Since 2002, this can be seen in elections and government programmes at the federal level, however, with very different emphasis. To analyse this, the relative of the terms “social” and “competition” in the respective programmes is calculated. This S/C-coefficient shows the positioning of parties, their change, reaction to the economic development, the difference between election and government programmes, and finally, the compromise in government formation.

Beitrag als PDF

© Der/die Autor:in 2022

Open Access: Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht (creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de).

Open Access wird durch die ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft gefördert.


DOI: 10.1007/s10273-022-3191-7