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Analog zur Schuldenbremse wurden auch die europäischen Fiskalregeln während der Coronapandemie ausgesetzt. Die Rückkehr zum bestehenden System der europäischen Regeln ist für 2023 angedacht. Dies würde einen erheblichen Kürzungsdruck zur Folge haben. Die europäischen Fiskalregeln müssen dringend reformiert werden, um die fiskalpolitischen Fehler des vergangenen Jahrzehnts nicht zu wiederholen.

Es kann zunächst gefragt werden, was das Hauptproblem der jetzigen Fiskalregeln ist: Die arbiträren Obergrenzen für Schuldenquote (60 %) und Defizit (3 %), welche im makroökonomischen Umfeld niedriger Zinsen zu streng sind? Die prozyklische Wirkung der auf dem strukturellen Defizit basierenden Zielvorgaben? Die mangelnde Unterscheidung zwischen Konsumausgaben vor dem Hintergrund massiver Investitionsbedarfe?

Überblick über das aktuelle Regelwerk

Die Grundlage der europäischen Fiskalregeln bilden die Verträge von Maastricht (1992), nach denen die Mitgliedstaaten der EU exzessive Haushaltsdefizite vermeiden sollen. Als Referenzwerte wurden eine Obergrenze für Defizite in Höhe von 3 % des BIP und eine Obergrenze für Staatsverschuldung in Höhe von 60 % des BIP festgelegt, die „Maastricht-Kriterien“. Weitere Meilensteine in der Gesetzgebung waren der Stabilitäts- und Wachstumspakt (1997, größere Reform in 2005) sowie Sixpack, Twopack und der Fiskalpakt (2011 bis 2013) (Suttor-Sorel, 2021).

Die Regelungen des Stabilitäts- und Wachstumspakt werden im mehr als hundertseitigen Vade Mecum der EU-Kommission (European Commission, 2019) erklärt. Zentral sind insbesondere der präventive und der korrektive Arm. Der korrektive Arm spezifiziert das sogenannte Defizitverfahren (Excessive Deficit Procedure, EDP), welches bei Abweichung gegen die Maastricht-Kriterien eingeleitet werden kann und rein theoretisch Sanktionen bewirken könnte. Des Weiteren wurde 2005 spezifiziert, dass Mitgliedstaaten, die sich im Defizitverfahren befinden, ihr strukturelles (konjunkturbereinigtes) Defizit um jährlich mindestens 0,5 % des BIP reduzieren müssen. 2011 wurde zudem ein Anpassungspfad für die Begrenzung der Schuldenquote auf 60 % des BIP spezifiziert. Derjenige Anteil der Staatsverschuldung, welcher diese Obergrenze überschreitet, muss binnen eines Zeitraums von drei Jahren im Durchschnitt jedes Jahr um ein Zwanzigstel reduziert werden. Auch das Scheitern dieser Vorgabe kann ein Defizitverfahren auslösen.

Der präventive Arm schreibt mittelfristige Haushaltsziele (Medium-Term-Budgetary-Objectives, MTO) vor. Nach diesen darf das strukturelle Defizit eines Mitgliedstaats maximal 0,5 % des BIP betragen (1 % sofern die Schuldenquote signifikant unter 60 % liegt). Wird das mittelfristige Haushaltsziel verfehlt, muss das strukturelle Defizit pro Jahr um 0,5 % reduziert werden. Ein Abweichen von diesen Vorgaben kann eine Significant Deviation Procedure (SDP) auslösen, in dessen Rahmen die Abweichung korrigiert werden kann, um somit ein Defizitverfahren zu vermeiden.

Maastricht-Kriterien anpassen

Die Begrenzung der Schuldenquote auf 60 % und des Defizits auf 3 % sind keine wissenschaftlich hergeleiteten Größen, sondern mehr oder weniger arbiträr gewählt (Priewe, 2020). Auch wenn es keine eindeutig berechenbaren optimalen Größen für Schuldenquote und Defizit gibt, sollten die 60 % im Kontext des aktuellen makroökonomischen Umfelds überprüft werden (Dullien et al., 2020). Im anhaltenden Niedrigzinsumfeld sind wesentlich höhere Schuldenquoten tragfähig. So wäre bei einem nominellen Defizit in Höhe von 3 % (Maastricht-Kriterium), einer Inflation von 2 % (EZB-Ziel) und einem realen Wirtschaftswachstum in Höhe von 1 % auch eine Schuldenquote in Höhe von 100 % nachhaltig (Blanchard et al., 2021).

Im aktuellen makroökonomischen Umfeld niedrigerer Zinsen sind jedoch nicht nur viel höhere Schuldenquoten tragfähig, zusätzlich bedarf es einer aktiveren Fiskalpolitik, da die Geldpolitik an der Nullzinsschwelle eingeschränkt ist. Zudem ist die Schuldenquote für sich genommen wenig aussagekräftig. Um ein akkurateres Bild von Schuldentragfähigkeit zu erhalten, sollten die Refinanzierungskosten der Schulden, also die Zinskosten, stärker berücksichtigt werden (Blanchard et al., 2021; Furman und Summers, 2020). Langfristig sollten die 60 % mindestens in der Höhe angepasst, besser jedoch durch ein breiteres Set an Indikatoren ersetzt werden. Dies ist jedoch nur im Rahmen einer Vertragsänderung möglich.

Investitionen ermöglichen

Um die vereinbarten Ziele der Emissionsreduktion zu erreichen, bedarf es privater wie öffentlicher Investitionen in enormer Höhe. Der zusätzliche Bedarf an öffentlichen Investitionen beträgt alleine für Deutschland von 2021 bis 2030 jährlich ca. 46 Mrd. Euro (Krebs und Steitz, 2021). Bisher unterscheiden die europäischen Fiskalregeln jedoch kaum zwischen konsumtiven und investiven Ausgaben. Dabei wäre eine Ausnahmeregelung für Investitionen sinnvoll: Öffentliche Investitionen rufen einen größeren Wachstumseffekt hervor als die meisten anderen Ausgabe­kategorien. Sparbemühungen, welche zur Reduktion öffentlicher Investitionen führen, sind kontraproduktiv. Und auch im Sinne der positiven Lastenteilung lohnt sich die Unterscheidung zwischen Konsum und Investitionen. Diese besagt, dass eine Schuldenfinanzierung von Investitionen generationengerecht ist, da die Nutznießenden der Investitionen auch an deren Kosten beteiligt werden.

Im aktuellen System europäischer Fiskalregeln besteht die Gefahr, dass lohnenswerte Investitionen nicht getätigt werden, um Defizitgrenzen einzuhalten. Vor diesem Hintergrund hat der unabhängige Europäische Fiskalausschuss die Einführung einer goldenen Regel vorgeschlagen, welche Ausgaben für wachstumssteigernde Investitionen ausnimmt (European Fiscal Board, 2019b). Auch eine grün-goldene Regel (GGR) wäre denkbar, die lediglich solche Investitionen ausnimmt, die der EU-Klimataxonomie folgend als nachhaltig eingestuft oder im Rahmen der Nationalen Energie- und Klimapläne beschlossen wurden.

Seit 2015 gibt es eine sehr eng gefasste Investitionsklausel im Stabilitäts- und Wachstumspakt (Council of the European Union, 2017), nach der nationale Ausgaben für EU-kofinanzierte Projekte im Hinblick auf das mittelfristige Haushaltsziel geltend gemacht werden können. Die Investitionsklausel ist jedoch auf eine Höhe von 0,5 % des BIP und auf einen Zeitraum von maximal drei Jahren begrenzt. Zusätzlich ist ihre Nutzung lediglich dann möglich, wenn eine negative Produktionslücke in Höhe von über 1,5 % vorliegt oder das nominelle BIP zurückgeht. Zudem muss genügend Abstand zur 3 % Defizitgrenze bestehen und im Prozess der Annäherung an das mittelfristige Haushaltsziel kann die Ausnahmeregelung nur einmal genutzt werden. Eine ähnliche Regel existiert für Strukturreformen. Werden beide kombiniert, ist eine temporäre Abweichung in Höhe von bis zu 0,75 % des BIP möglich.

Die Investitionsklausel sollte ausgeweitet und durch ein Senken der Zugangshürden wiederbelebt werden. Aufgrund der hohen Anforderungen wurde sie bisher nur zweimal genutzt, von Italien und Finnland. Die angesprochenen Reformen sind zudem vergleichsweise leicht zu implementieren, da sie lediglich Änderungen im Code of Conduct des Stabilitäts- und Wachstumspakts bedürfen.

Die Vorteile einer goldenen Regel sind in der Theorie unbestritten. Bei ihrer praktischen Umsetzung gibt es einige Herausforderungen. In einem ersten Schritt müssen sich die Mitgliedstaaten darauf einigen, welche Ausgaben ausgenommen werden. So fallen Investitionen in Humankapital, eine besonders wachstumsfördernde und zukunftsfähige Ausgabe, oft nicht unter den klassischen Investitionsbegriff. Und auch eine gut spezifizierte goldene Regel kann Verzerrungen bewirken, wenn als Investitionen klassifizierte Ausgaben anderen wachstumsfördernden Ausgaben vorgezogen werden. Vor allem aber besteht für die Mitgliedstaaten der Anreiz, möglichst viele Ausgaben als Investitionen zu klassifizieren. Eine Lösung wäre, lediglich solche Investitionen zu berücksichtigen, die bereits jetzt im EU-Budget als wachstumsfördernd gelten und einen paneuropäischen Wert schafften, z. B. Investitionen in digitale Infrastruktur und grüne Investitionen.

Defizitregel durch Ausgabenregel ersetzen

Das mittelfristige Haushaltsziel des präventiven Arms bezieht sich auf das strukturelle Defizit. Um dieses zu ermitteln, wird versucht, die konjunkturell bedingte Komponente des Defizits herauszurechnen. Hierfür wird das Produktionspotential einer Volkswirtschaft geschätzt. Die Abweichung des tatsächlichen BIP vom Produktionspotenzial ergibt die sogenannte Produktionslücke (Output Gap). Produktionspotenzial und Produktionslücke sind keine beobachtbaren Größen, ihre Berechnung ist mit großer Unsicherheit verbunden. Die auf dem strukturellen Defizit beruhenden europäischen Fiskalregeln haben in der Vergangenheit zu Wachstumseinbußen (Fatás und Summers, 2018) und einer prozyklischen Politik (Dolls et al., 2019; Eyraud, 2017; Fatás, 2019) geführt. Daher sollte die Defizitregel durch eine Ausgabenregel ersetzt werden (Darvas und Anderson, 2020; European Fiscal Board, 2019b).

Probleme der Outputlücke und des strukturellen Defizits

Der Fokus auf das strukturelle Defizit und das Konjunkturbereinigungsverfahren sollen eine prozyklische Wirkung der Fiskalregeln eigentlich verhindern, was jedoch nicht vollständig gelingt. So wurde konjunkturell bedingtes niedriges Wachstum durch zu niedrige Schätzungen des Produktionspotenzials als strukturell eingestuft (Fatás und Summers, 2018). In der Folge schrieben die Fiskalregeln weitere Kürzungen vor, deren wachstumshemmender Effekt die Schätzungen des Produktionspotenzials erneut nach unten revidiert. Diese Abwärtsspirale hat während der Eurokrise zu signifikanten Wachstumseinbußen geführt (Fatás, 2019).

Durch den starken Fokus auf fiskalpolitische Disziplin wurde die Rolle der Fiskalpolitik für die Stabilisierung der kurz- und langfristigen Entwicklung vernachlässigt (Furman, 2016). Eine antizyklische Fiskalpolitik lässt die automatischen Stabilisatoren in Rezessionen und Booms vollständig wirken. Die von den Fiskalregeln eingeschränkten Mitgliedstaaten haben jedoch gezwungenermaßen eine prozyklische Fiskalpolitik betrieben und die automatischen Stabilisatoren eingeschränkt (Eyraud, 2017). So zeigen Dolls et al. (2019), dass die automatischen Stabilisatoren in der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 eine wichtige Rolle gespielt haben, ihre Wirkung in den darauffolgenden Jahren der Eurokrise jedoch durch eine prozyklische Fiskalpolitik verhindert wurde.

Claeys et al. (2016) zeigen, dass das Produktionspotenzial sehr stark auf konjunkturelle Entwicklungen reagiert und häufig rückwirkend revidiert wird. Auch temporäre BIP-Änderungen schlagen sich sofort in der Schätzung des Produktionspotenzials nieder. Für einen Zeitraum von 2010 bis 2014, die Hochphase der Eurokrise, führte eine 1 % Veränderung des BIP binnen eines Jahres zu Änderungen des geschätzten Produktionspotentials in Höhe von 0,65 % bis 0,85 % (Fatás, 2019). Gemessen daran, dass das Produktionspotenzial eine strukturelle Größe darstellen soll, ist diese Veränderung enorm. Die Schätzungen für Italiens Produktionspotenzial gingen zwischen 2008 und 2018 um 15 % bis 20 % zurück, sodass die italienische Wirtschaft 2018 trotz Arbeitslosigkeit in Höhe von 11 % und Jugendarbeitslosigkeit in Höhe von knapp 30 % als ausgelastet deklariert wurde. Nach Daten des Internationalen Währungsfonds (IWF) ist die italienische Wirtschaft zwischen 2007 und 2019 um 8 % geschrumpft, die deutsche um 12 % gewachsen, dennoch wurde die Abweichung beider Länder von ihrem Produktionspotenzial von der EU-Kommission als identisch eingeschätzt. Abbildung 1 vergleicht die Schätzungen der deutschen und italienischen Produktionslücke durch die EU-Kommission, die OECD und den IWF. Seit 2013 liegen die Schätzungen der italienischen Produktionslücke durch die drei Institutionen weit auseinander. Eine besondere Herausforderung stellt die Schätzung der strukturellen Staatseinnahmen dar, da ihre Elastizität eine hohe Volatilität aufweist (Mourre, 2019). Gleichzeitig gelten die Berechnungen aller drei Institutionen als technisch einwandfrei. Dies veranschaulicht die hohe Unsicherheit der Schätzungen des Produktionspotenzials und verdeutlicht die Probleme von auf dem strukturellen Defizit basierenden Fiskalregeln.

Abbildung 1
Schätzungen der Produktionslücke für Deutschland und Italien
Schätzungen der Produktionslücke für Deutschland und Italien

Vorzüge einer Ausgabenregel

In Anbetracht der Probleme der Produktionslückenschätzung und des strukturellen Defizits gibt es immer mehr Expert:innen, die eine am Wachstumspotenzial orientierte Ausgabenregel befürworten (siehe Darvas und Anderson, 2020). Im Zuge der Sixpack-Reform wurde 2011 die Bewertung des Wachstums der Staatsausgaben (Expenditure Benchmark) in die europäischen Fiskalregeln aufgenommen, spielt bisher jedoch eine untergeordnete Rolle. Um das Ausgabenwachstum zu bewerten, wird das mittelfristige Wachstumspotenzial einer Volkswirtschaft geschätzt. Die Unsicherheit dieser Schätzung ist um ein Vielfaches geringer als bei der Produktionslücke und beim strukturellen Defizit (Darvas und Anderson, 2020).

Zudem sind Staatsausgaben im Gegensatz zum strukturellen Defizit beobachtbar und unter direkter Kontrolle der Regierung. Eine klare Regel, deren Zielgröße unter direkter Kontrolle der Regierung steht, wird eher eingehalten. Das strukturelle Defizit unterliegt hingegen einer jährlich mehrfach stattfindenden Revision durch neue Schätzungen der Konjunkturkomponente. Diese sorgt nicht nur für erheblichen Mehraufwand und kurzfristigen Anpassungsbedarf bei der Haushaltsplanung der Mitgliedstaaten, sondern erhöht die Unsicherheit, die gesetzten Ziele trotz geeigneter Haushaltsmaßnahmen zu erreichen. Zu guter Letzt lässt sich eine Ausgabenregel auch auf einen mehrjährigen Zeitraum anwenden, indem das durchschnittliche Ausgabenwachstum betrachtet wird. Dies ist ökonomisch sinnvoller als ein kurzfristiger Fokus auf jährliche Defizitgrößen (Darvas et al., 2018).

Mögliche Ausgestaltung einer Ausgabenregel

Eine mit den Europäischen Verträgen vereinbarte Ausgabenregel ließe sich wie folgt spezifizieren: Die Obergrenze für die Schuldenquote in Höhe von 60 % wird als Schuldenanker definiert. Für Länder, deren Staatsverschuldung diesen Anker überschreitet, könnten die entsprechende nationale Regierung und die EU-Kommission unter Beteiligung des unabhängigen nationalen Fiskalausschusses sowie des unabhängigen Europäischen Fiskalausschusses ein fünf- oder siebenjähriges Ziel zur Schuldenreduktion vereinbaren, welches dann durch den Europäischen Rat bestätigt wird. Da der Schuldenanker nur über eine Vertragsänderung angepasst werden kann, Änderungen des makroökonomischen Umfelds jedoch zeitnahe Anpassungen erfordern, sollte auch ein in der Höhe angepasster Schuldenanker mehr als Benchmark statt als strikte Zielvorgabe betrachtet werden (Darvas und Anderson, 2020). Für eine akkurate Bewertung der Schuldentragfähigkeit sollten weitere Faktoren wie die Refinanzierungskosten der Verschuldung und die demografische Entwicklung berücksichtigt werden.

Als einziges operatives Instrument sollte eine Ausgabenregel fungieren, gemäß einem Vorschlag des Europäischen Fiskal­ausschusses (European Fiscal Board, 2019a). Diese spezifiziert eine Zielvorgabe für das mittelfristige Wachstum nomineller Ausgaben, beispielsweise über einen Zeitraum von fünf Jahren, welche das mittelfristige Potenzialwachstum nicht übersteigen darf. In Ländern mit exzessiver Staatsverschuldung sollte das Ausgabenwachstum das mittelfristige Potenzialwachstum unterschreiten (European Fiscal Board, 2019b).

Damit die Fiskalpolitik ihre antizyklische Wirkung entfalten kann, sollten automatische Stabilisatoren, wie beispielsweise Arbeitslosenunterstützung, herausgerechnet werden. Aus Gründen der Kontrollierbarkeit sollten langfristige Zinserwartungen berücksichtigt werden. Vollständig von der EU finanzierte Programme sollten ebenfalls ausgenommen werden, und Investitionen sollten ermöglicht werden. Zudem müssen diskretionäre Einnahmeänderungen wie Steuersenkungen als Mehrausgaben verrechnet werden, da sie den Staatshaushalt in ähnlicher Form beeinflussen.

Die Implementierung einer solchen Ausgabenregel kann teilweise zu höheren nominellen Defiziten als die in den Maastricht-Verträgen spezifizierte Obergrenze von 3 % führen. Art. 126 AEUV räumt dem Europäischen Rat allerdings die Möglichkeit ein, den Zeitraum beliebig festzulegen, binnen dessen ein Mitgliedstaat sein nominelles Defizit auf unter 3 % zurückführen muss (Darvas et al., 2018). Die vorgeschlagene Ausgabenregel könnte ebenfalls mit der Vorgabe kollidieren, innerhalb von drei Jahren in jedem Jahr durchschnittlich ein Zwanzigstel derjenigen Verschuldung abzubauen, welche die Schuldengrenze in Höhe von 60 % übersteigt. Dieser Schuldenabbaupfad ist sowohl im Stabilitäts- und Wachstumspakt, als auch im Fiskalpakt festgeschrieben. Da Europarecht gegenüber nationalem Recht einen Anwendungsvorrang besitzt, könnte es ausreichen, die Regel in der Gesetzgebung des Stabilitäts- und Wachstumspakts anzupassen. In diesem Falle wäre keine Änderung des Fiskalpakts notwendig, welche in einigen Ländern mit Referenden einhergeht.

Fazit

Eine Rückkehr zu den jetzigen europäischen Fiskalregeln würde zu einem hohen Konsolidierungsdruck führen. Besonders droht eine Kürzung von Investitionen. Zudem sind die Regeln nicht an das aktuelle makroökonomische Umfeld niedriger Zinsen angepasst und weisen in der Berechnung des strukturellen Defizits große Probleme auf. Aus diesen Gründen sollten die Fiskalregeln umfassend angepasst werden. Bei den nächsten Vertragsänderungen sollten die Maastricht-Kriterien geändert werden. Bereits jetzt sollte eine Ausnahme für Investitionen geschaffen werden. Zu guter Letzt sollten das auf dem strukturellen Defizit basierende mittelfristige Haushaltsziel und weitere numerische Vorgaben abgeschafft und durch eine Ausgabenregel ersetzt werden.

Literatur

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Title:The European Fiscal Rules Need Major Reforms

Abstract:The European fiscal rules are to be reactivated in 2023 or 2024. In their current form, they pose a significant threat to economic recovery and the investment urgently required to achieve climate neutrality. This paper makes proposals to create more economically sound fiscal rules. In the long term, the Maastricht criteria should be replaced by a more comprehensive set of indicators. Right now, the existing investment clause should be broadened to the extent that the deficit rule becomes a (green-)golden rule. Furthermore, the structural deficit rule should be replaced by an expenditure rule. Estimations of the structural deficit are prone to huge revisions and the current set of fiscal rules led to harmful pro-cyclicality during the euro crisis.

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© Der/die Autor:in 2022

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DOI: 10.1007/s10273-022-3218-0