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Eine Sorge geht in Europa und speziell in Deutschland um: Es ist die Angst vor der Stagflation. Bei dieser treten Inflation und eine rezessive Entwicklung der Volkswirtschaft gleichzeitig auf. Die Sorge ist berechtigt, da die Stagflation schwierig zu bekämpfen ist und dafür auch keine Musterrezepte existieren. Insbesondere Zinserhöhungen zur Bekämpfung der Inflation schaden regelmäßig der konjunkturellen Entwicklung. In der aktuellen Situation kommt erschwerend hinzu, dass sich die Inflationsraten in der Eurozone aus mehreren Ursachen speisen. Bereits vor der Coronapandemie und dem Ukrainekrieg hat die expansive Geldpolitik durch den Ankauf von Staatsanleihen im Rahmen des Asset Purchase Programme (APP) zu einem deutlichen Anstieg der Geldmenge geführt. Bedingt durch die schuldenfinanzierte Fiskalpolitik ist in der Zeit von März 2015 bis März 2020 die Geldmenge (M3) mit einer durchschnittlichen jährlichen Rate von ca. 6 % gewachsen. Seit März 2020 wächst die Geldmenge mit einer durchschnittlichen jährlichen Rate von ca. 8,6 %. Gleichzeitig wurden in diesem Zeitraum die von den Geschäftsbanken beim Eurosystem gehaltenen Einlagen, korrespondierend zu den Einnahmen aus den Verkäufen der Vermögenswerte im Rahmen aller APP, inklusive des Pandemic Emergency Purchase Programme (PEPP), auf bis zu 4,7 Billionen Euro erhöht.

Hier kann der Zirkelschluss der Geldpolitik der letzten Jahre erkannt werden. Die nicht funktionierenden geldpolitischen Transmissionsmechanismen sollten insbesondere mit dem APP wieder in Gang gesetzt werden. Die allerdings weiterhin ausbleibenden Transmissionsimpulse zusammen mit dem ebenfalls Stimuli entziehenden Einlagenaufbau des Geschäftsbankensektors beim Eurosystem waren bis vor kurzem der Grund, warum es lange Zeit nicht zu allgemeinen Preisniveausteigerungen kam. Dies diente wiederum als Begründung, die APP-Volumina weiter zu erhöhen. Von 2015 bis Ende 2021 bestand so ein geldpolitisch „geschlossenes System“, das nicht zu steigenden Preisen, allerdings auch nicht zu realwirtschaftlich positiv wirkenden Effekten über die staatlich finanzierten primären Ausgaben hinaus führte. Diese Situation hat sich seit Ende 2021 geändert. Seitdem hat sich die Inflationsrate zunehmend der Wachstumsrate der Geldmenge in der Eurozone angenähert. Bereits vor den ökonomischen Wirkungen der Energiesanktionen lag die durchschnittliche Inflationsrate bei über 7 %. Die vom Geschäftsbankensektor kontrollierte, beim Eurosystem vorgehaltene Liquidität stellt dabei ein zusätzliches Risikopotenzial für zukünftige Preisniveausteigerungen dar. Mit den ökonomischen Folgen der Coronapandemie und der jüngeren Energiepreisentwicklung ergeben sich zusätzlich Stagflationstendenzen, die zu einer realwirtschaftlich initiierten Inflation führen. Angebotsschocks haben zu einer spürbaren Erhöhung des Realzinses geführt. Sinkendes Bruttoinlandsprodukt und steigende Zinsen sorgen für einen zusätzlichen Preisniveauschub.

Aussagen und Kommunikationspolitik der EZB, bei der in der Vergangenheit insbesondere die zukünftigen Inflationsraten wiederholt und möglicherweise systematisch zu niedrig eingeschätzt wurden, und zugehörige Anpassungen, die teilweise der tatsächlichen Entwicklung nachgelaufen sind, haben zu verstetigten Inflationserwartungen der Wirtschaftssubjekte geführt. Die in der jüngsten Krisensondersitzung des EZB-Rats identifizierten Fragmentierungsrisiken, definiert als Gefahr differenzierter Risikoprämien für die Staatsanleihen der Länder der Eurozone, der angekündigte flexible Reinvestitionseinsatz der PEPP-Tilgungen und die nicht näher spezifizierte Ankündigung neuer geldpolitischer Instrumente lassen dabei nicht unbedingt auf die Abkehr von einer expansiven Geldpolitik des Eurosystems schließen.

Aus dem Zusammenspiel dieser ausgewählten Effekte ergeben sich wesentliche Herausforderungen der europäischen Geldpolitik. Kleine Zinsschritte sind nicht geeignet, die Wirtschaftssubjekte von einer substanziellen Eindämmung der inflatorischen Entwicklung zu überzeugen. Sie dürften die existierenden Inflationserwartungen eher bestätigen. Größere Zinsschritte würden dagegen die bisher verfolgten Ziele der EZB, die kostengünstige Finanzierung der Staaten auch durch die geldpolitische Unterstützung der Kapitalmarktentwicklung, gefährden. Damit käme die Erfolgsbeurteilung der Geldpolitik der EZB der vergangenen Jahre noch weiter unter Druck.

Will das Eurosystem zu seinem primären Mandatsziel zurückkehren, der Sicherstellung einer angemessenen Preisniveaustabilität, so dürfte mittlerweile ein Punkt erreicht sein, bei dem die damit verbundenen Anpassungskosten für die Länder der Eurozone in Kauf genommen werden müssen. Das ist der Preis für die expansive Geldpolitik der letzten Jahre und verdeutlicht, dass eine kontinuierliche Preisniveaustabilität ein für die Geldpolitik passendes Nachhaltigkeitskonzept darstellt.

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© Der/die Autor:in 2021

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Open Access wird durch die ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft gefördert.


DOI: 10.1007/s10273-022-3234-0