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Dieser Beitrag ist Teil von Folgen der Inflation abfedern, aber wie?

Seit Jahresbeginn sind die Verbraucherpreise in Deutschland stark gestiegen. Im Juni erhöhten sie sich im Vorjahresvergleich um 7,6 %. Der Gesamtindex verdeckt noch stärkere Steigerungen bei den Energiepreisen von 38 % und bei den Nahrungsmitteln von 12,7 %. Auch wenn beim Gesamtindex ein geringfügiger Rückgang der Inflationsrate relativ zum Vormonat im Juni zu beobachten ist, kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Höhepunkt erreicht ist. Vielmehr sind dafür zeitlich begrenzte Maßnahmen wie das 9-Euro-Ticket und der sogenannte Tankrabatt verantwortlich. In den nächsten Monaten, besonders nach Wegfall der beiden Maßnahmen, ist mit einem weiteren Anstieg der Verbraucherpreise zu rechnen.

Eine Einordnung der bisherigen Maßnahmen

Bei Maßnahmen, die zum Ziel haben, die Folgen der Inflation abzufedern, sind grundsätzlich zwei Aspekte wichtig: Erstens sollten die Maßnahmen so zielgerichtet wie möglich die verteilungspolitischen Folgen adressieren und dabei die Nachfrage nicht (über-)stimulieren. Das bedeutet, dass Haushalte, die die Last der hohen Verbraucherpreise schultern können, möglichst wenig entlastet werden sollten. Vielmehr sollte die Entlastung von einkommensschwachen Haushalten im Mittelpunkt stehen. Dies entspricht dem Leistungsfähigkeitsprinzip und dient dem sparsamen Einsatz von öffentlichen Mitteln. Zudem ist zu erwarten, dass Haushalte Konsum nachholen, der wegen der Coronapandemie nicht realisiert werden konnte. Ein Teil der Bevölkerung kann dafür auf die in den letzten beiden Jahren angehäuften Ersparnisse zurückgreifen. Diese Nachfrage trifft auf ein Angebot, das aus unterschiedlichen Gründen verknappt ist. Eine Überkompensation der durch die erhöhten Verbraucherpreise verringerten Kaufkraft würde die Inflation eher noch verstärken. Zweitens sollten die Maßnahmen die relativen Preise nicht verzerren. Preise sind wichtige Knappheitssignale, die Anreize setzen, knappe und somit relativ teure Güter durch weniger knappe Güter zu substituieren. Dies gilt umso mehr, wenn physische Knappheiten drohen, wie es bei Gas für die Wintermonate nicht auszuschließen ist.

In der ersten Jahreshälfte hat die Bundesregierung zwei Entlastungspakete im Umfang von insgesamt 30 Mrd. Euro beschlossen. Wie sind einige der Maßnahmen exemplarisch vor dem Hintergrund der beiden genannten Aspekte zu bewerten? Einmalige pauschale Zahlungen wie die Energiepreispauschale kommen allen steuerpflichtigen Erwerbstätigen zugute. Die Zielgenauigkeit ist nur bedingt gegeben: Nichterwerbstätige werden nicht berücksichtigt; dagegen erhalten Beziehende höherer Einkommen die Pauschale. Die Pauschale unterliegt jedoch der Lohnsteuer, sodass Personen mit niedrigerem Einkommen relativ und absolut mehr profitieren. Ähnliches gilt für den Kinderbonus, der bei der Berechnung von Sozialleistungen nicht als Einkommen berücksichtigt wird, während er auf den Kinderfreibetrag angerechnet wird. Personen mit höherem Einkommen profitieren somit weniger davon. Die Einmalzahlung für Empfänger:innen von Sozialleistungen, wie auch der Heizkostenzuschuss, weisen dagegen eine sehr hohe Zielgenauigkeit auf.

Anders verhält es sich mit der Absenkung der Energiesteuer auf Kraftstoffe. Der Kreis der Profitierenden ist auf Autofahrer:innen beschränkt, wobei die absolute Entlastung mit dem Kraftstoffverbrauch steigt. Personen, die weitere Strecken zurücklegen, gehören dazu, aber auch Personen mit Autos, die einen hohen Verbrauch aufweisen. Noch bedenklicher ist, dass durch diese auf drei Monate limitierte Maßnahme die relativen Preise und ihre Funktion als Knappheitssignal verzerrt werden. Das 9-Euro-Ticket schließlich erhöht die Nachfrage im Personennahverkehr ohne eine Ausdehnung des Angebots. Alle, die in letzter Zeit in einem Regionalexpress unterwegs waren, wissen, was das zur Folge hat. Ob sich damit kurz- oder mittelfristig das Reiseverhalten weg vom Individualverkehr erreichen lässt, bleibt zu sehen.

Alles in allem zeigen Berechnungen der fiskalpolitischen Entlastungen für verschiedene Haushaltstypen, dass es vor allem wegen der Pauschalzahlungen zu einer „umfassenden und weitgehend sozial ausgewogenen Entlastung der Haushalte mit erwerbstätigen Erwachsenen“ kommt (Dullien et al., 2022, 8). Zu beachten ist jedoch, dass die meisten betrachteten Haushaltstypen nur zu 40 % bis 70 % kompensiert werden. Bei Anspruch auf Grundsicherung liegt der Wert bei ca. 90 %. Dies bedeutet, dass Haushalte einen – in manchen Fällen nicht unwesentlichen – Teil der Belastungen selber schultern müssen. Das betrifft vor allem Nichterwerbstätige und Rentner:innen.

Der Preis als wichtiges Knappheitssignal

Es deutet viel darauf hin, dass eine erhöhte Inflation noch länger präsent sein wird. Die im Juni veröffentlichten Prognosen unterschiedlicher Institutionen sehen die Inflationsrate 2022 zwischen 6,7 % und 7,2 %. Die EU-Kommission geht in ihrer Prognose vom Juli von 7,9 % aus. Das Bild für 2023 ist etwas gemischter. Während einige Institute im Juni noch eine Inflationsrate unter 3 % prognostizierten, liegen die Juni- bzw. Juli-Prognosen von OECD, Bundesbank und EU-Kommission bei 4,5 % oder darüber. Bei den Preisen für Energieprodukte kann aufgrund der weiter anhaltenden Kriegssituation nicht mit einer schnellen Normalisierung gerechnet werden. Hinzu kommen Lieferengpässe, die weiterhin von unterbrochenen Lieferketten herrühren und auch im Zusammenhang mit Maßnahmen zur Eindämmung der Coronapandemie in China stehen. Das führt zu höheren Preisen bei Energieprodukten, aber auch bei anderen Waren und Dienstleistungen und gilt auch für Nahrungsmittel.

Die Fiskalpolitik verfügt nicht über geeignete Mittel, um kurzfristig den Preisdruck deutlich zu reduzieren, da dieser seinen Ursprung in einer Angebotsschwäche hat. Die Fiskalpolitik kann jedoch (weiter) kurzfristig den unteren Einkommensgruppen helfen, mit den steigenden Belastungen zurechtzukommen. Dafür gilt es, die beiden oben diskutierten Aspekte zu berücksichtigen: Zielgenauigkeit der Maßnahmen ohne Verzerrung der Preissignale. Vor allem vor dem Hintergrund der unsicheren Energieversorgung ist es umso wichtiger, die hohen Preise als Hinweis auf die Knappheit beizubehalten und einen sozialen Ausgleich auf andere Weise zu schaffen. Ziel muss es sein, dass Energie gespart wird, um kurzfristig eine physische Knappheit zu vermeiden und die Abhängigkeit von russischem Gas und Öl zu reduzieren.

Die bisher umgesetzten Maßnahmen lassen jedoch klare Anreize zum Energiesparen vermissen. Die Kampagne des BMWK mit dem Titel „80 Millionen gemeinsam für Energiewechsel“ beschränkt sich auf Tipps zum Energiesparen und Mitmachappelle. Durch die Novellierung der EU-Richtlinie zur Energieeffizienz erhalten Mieter:innen ab Januar 2022 bei fernablesbaren Zählern monatlich Verbrauchsinformationen. Sicherlich ist es gut zu wissen, wie man in seinem Eigenheim oder in der Mietwohnung Energie sparen kann und wie viel man verbraucht. Allerdings ermöglichen Informationen zur Verbrauchsmenge noch nicht unbedingt eine verlässliche Schätzung der Kosten, wenn die Preise von großer Unsicherheit geprägt sind. Sehr hohe Rechnungen im nächsten Jahr stellen deshalb ein nicht unwahrscheinliches Szenario dar.

Für energieintensive Industrien startet das Energiekosten­dämpfungsprogramm des BMWK, das die Kosten für Unternehmen dämpfen soll, ohne Anreiz für erhöhten Verbrauch zu schaffen. Noch stärker geht es bei den von der EU angedachten Auktionen um Anreize zum Energiesparen. Unternehmen, die die größten Einsparungen anbieten, würden bei Realisierung Geld vom Staat erhalten. Finanzielle Anreize zum Energiesparen rücken bei den Unternehmen somit etwas mehr in den Fokus, auch wenn man sich fragen kann, warum der Preismechanismus, wenn er seiner Rolle als Knappheitssignal ohne Einschränkung gerecht werden kann, nicht bereits genug Anreiz für eine sparsame Verwendung liefert.

Aber auch bei den privaten Haushalten sind klare finanzielle Anreize nötig, um den hohen erwarteten Belastungen soweit wie möglich vorzubeugen und zudem über ein konsequentes Energiesparen den Verbrauch insgesamt zu verringern. Dazu haben Ökonom:innen in letzter Zeit mehrere Vorschläge diskutiert, denen allen gemeinsam ist, dass der Preismechanismus das zentrale Element ist. Der Staat soll sich auf eine Kompensation der Einkommenswirkungen konzentrieren und nicht versuchen, die Preisänderungen zu neutralisieren (Bayer et al., 2022, Löschel, 2022). Sehr detailliert ist dieser Vorschlag unter dem Namen „Energiesparbonus“ mit einem klaren Fokus auf Einsparanreizen von Scheer und Südekum (2022) beschrieben worden. Diese Vorschläge stellen einen wichtigen Schritt hin zu einer mittelfristigen Energiesicherung dar, wobei auch hier wichtig ist, dass die Maßnahmen zielgerichtet auf Haushalte mit niedrigem und mittlerem Einkommen sind. Umso bedenklicher ist, dass bis jetzt kaum Maßnahmen umgesetzt wurden, die einen klaren Anreiz zum Energiesparen enthalten.

Aus diesen Überlegungen ergibt sich von selbst, dass weitere allgemeine, umfassende Transfers wegen der geringen Zielgenauigkeit nicht sinnvoll sind. Zudem stimulieren sie möglicherweise die Nachfrage, was die Inflation weiter erhöhen würde und stellen für die öffentlichen Haushalte teure Maßnahmen dar. Steuersenkungen auf Nahrungsmittel oder auf fossile Energie sind ebenfalls nicht sehr zielgenau. Dazu kommt, dass sie die Preise verzerren und die Knappheitssignale abschwächen. Dies gilt auch für einen Preisdeckel, wenn sich dieser auf den Verbrauch jenseits des Grundbedarfs bezieht. Die Entlastung von Verbraucher:innen, die die hohen Lasten nicht tragen können, darf nicht über eine direkte Preissubventionierung erfolgen. Vielmehr muss der Anreiz, Gas und auch Strom einzusparen, gestärkt werden.

Mehr Resilienz durch solide Finanzen

Während sich im Lauf der nächsten Monate einige Knappheiten durch eine Normalisierung des internationalen Handels verringern dürften, ist aus mehreren Gründen nicht per se von einer Entspannung in der mittleren Frist auszugehen. Angebotsseitige Maßnahmen sind wichtig, um die unterschiedlichen Engpässe, die zu Kostensteigerungen führen, zu adressieren (siehe dazu auch BMF, 2022). Dazu gehört auch, die anderen Herausforderungen in den Blick zu nehmen, zu denen neben der Energie- und Klimatransformation die Digitalisierung, Deglobalisierung und die Demografie gehören. Bei all diesen Herausforderungen sind tragfähige öffentliche Finanzen aus mehreren Gründen wichtig: Zum einen helfen sie, finanzielle Spielräume (wieder) zu schaffen, um im Falle von neuen „Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen“ (Artikel 109, Grundgesetz) handlungsfähig zu sein; zum anderen ermöglichen sie, auch für andere Herausforderungen vorbereitet zu sein. Das bezieht sich nicht nur, aber doch im größeren Maße auf den demografischen Wandel. Zudem stellt die Zinswende einen handfesten Grund für eine solide Haushaltspolitik dar. Während 2021 noch weniger als 5 Mrd. Euro an Zinsausgaben angefallen sind, werden diese für 2023 in Höhe von 30 Mrd. Euro prognostiziert. Obwohl Deutschland immer noch als solider Schuldner gilt, machen sich auch hier die veränderten Rahmenbedingungen auf den Kapitelmärkten deutlich schneller als erwartet bemerkbar.

Die Fiskalpolitik Deutschlands ist ebenfalls vor dem Hintergrund der Überlegungen auf europäischer Ebene zu sehen, die Fiskalregeln neu zu formulieren. In der Diskussion ist eine Abkehr von einer regelgebundenen Fiskalpolitik innerhalb eines klaren und quantitativen Rahmens, die sich an der fiskalischen Tragfähigkeit orientiert. Sollten dafür eher qualitative Prinzipen als Bewertungsgrundlage treten, so besteht die Gefahr, dass die Frage der Erfüllung noch stärker zu einer politischen Frage wird. Zu viele Ausnahmen bei der Haushaltsgestaltung des Bundes, z. B. in Form von Sondervermögen, sind einem überzeugenden Eintreten für eine tragfähige europäische Fiskalpolitik dabei nicht dienlich (Unabhängiger Beirat des Stabilitätsrats, 2022).

Ob der am 1. Juli vom Bundeskabinett verabschiedete Entwurf des Bundeshaushalts für 2023 Bestand hat, wird sich erst im Laufe des jetzigen und kommenden Jahres zeigen. Mit diesem Haushalt, der niedrigere Ausgaben in Höhe von ca. 50 Mrd. Euro vorsieht, soll die Rückkehr zur Schuldenbremse umgesetzt werden. Das bedeutet eine Verringerung der Neuverschuldung von fast 140 Mrd. Euro 2022 auf dann 17,2 Mrd Euro. Dazu kommen allerdings 40,5 Mrd. Euro aus einer in den Vor-Corona-Jahren gebildeten Rücklage, die den Konsolidierungskurs abmildern. Trotz aller Unsicherheiten ist es zunächst richtig, mit keiner weiteren Aussetzung der Schuldenbremse zu planen. Falls eine kurzfristige Veränderung der Lage in den nächsten Monaten eine Ausweitung der Neuverschuldung erfordert, kann eine nochmalige Aussetzung der Schuldenbremse, wie die Vergangenheit gezeigt hat, kurzfristig beschlossen werden. Letztendlich sind die Maßnahmen, die die Folgen der Inflation und der damit verknüpften Energiekrise abfedern sollen, als eine Umverteilungsfrage innerhalb der jetzigen Generation zu sehen. Auch wenn die ökologische Transformation den zukünftigen Generationen von Nutzen ist, so geht es doch vor allem um eine Korrektur einer nicht nachhaltigen Energie- und Klimapolitik der vergangenen Jahrzehnte. Die Kosten über eine erhöhte Verschuldung zum überwiegenden Teil den Kindern aufzubürden, erscheint vor diesem Hintergrund nicht gerechtfertigt.

Literatur

Bayer, C., G. Felbermayr, M. Hellwig und A. Wambach (2022), Abhängigkeit von russischem Gas reduzieren, jetzt!, FAZ, 21. April.

BMF – Bundesministerium der Finanzen (2022), Finanzpolitik in der Zeitenwende – Wachstum stärken und inflationäre Impulse vermeiden.

Dullien, S., K. Rietzler und S. Tober (2022), Die Entlastungspakete der Bundesregierung – Ein Update, IMK Policy Brief, 126, Juli.

Löschel, A. (2022), Das Entlastungspaket setzt die falschen Anreize, Capital, 14. April.

Scheer, N. und J. Südekum (2022), Energiesparbonus, https://www.nina-scheer.de/wp-content/uploads/sites/1229/2022/06/Energiesparbonus_NS_JS.pdf (15. Juli 2022).

Unabhängiger Beirat des Stabilitätsrats (2022), 18. Stellungnahme zur Einhaltung der Obergrenze für das strukturelle gesamtstaatliche Finanzierungsdefizit nach § 51 Absatz 2 HGrG, 26. April

Title:Incentives to Save Energy as a Top Priority

Abstract:To address the distributional consequences of high inflation rates, measures are needed that target those most in need without distorting prices. The function of the price as scarcity signal is important to encourage energy saving. Direct price subsidies such as the fuel price rebate, on the contrary, are not helpful. In the medium term, supply-side measures are needed to overcome the bottlenecks in the supply chains. Other challenges, the impact of demographic change in particular, make this even more urgent. Sound public finances lead to greater resilience. Planning to reintroduce the debt brake is reasonable as the current distributional issues need to be solved within the current generation and not shifted to future ones.

© Der/die Autor:in 2022

Open Access: Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht (creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de).

Open Access wird durch die ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft gefördert.


DOI: 10.1007/s10273-022-3251-z