Die deutsche Wirtschaft sieht sich derzeit mit einer schwachen Konjunktur konfrontiert. Aktuell sind die Anzeichen einer nachhaltigen Verbesserung der makroökonomischen Situation noch sehr dünn gesät; bei den meisten Marktteilnehmer:innen überwiegt momentan noch der Pessimismus. Dies gilt, obwohl sich einige Rahmenbedingungen seit dem Sommer des Vorjahres durchaus verbessert haben. So sind insbesondere die Energiepreise wieder merklich gesunken und die Lieferkettenprobleme haben sich weitgehend aufgelöst (HWWI, 2023). Auch die Inflation ist zuletzt rückläufig, allerdings immer noch auf recht hohem Niveau. Ein maßgeblicher Grund für die aktuell schwache Konjunktur liegt in der restriktiveren Geldpolitik, die die Europäische Zentralbank seit Juli 2022 mit dem Ziel betreibt, die Inflationsrate wieder dem Zielwert von maximal 2 % anzunähern. Hierzu hat die Europäische Zentralbank den Hauptrefinanzierungssatz in derzeit zehn Zinsschritten von 0 % auf inzwischen 4,5 % erhöht. Die steigenden Zinsen zeigen mittlerweile realwirtschaftlich Wirkung und dämpfen die gesamtwirtschaftliche Nachfrage. Naturgemäß dämpfen die steigenden Zinsen zunächst einmal die Investitionsnachfrage (Eurich, 2023). Besonders deutlich ist dieser Effekt bei den Bauinvestitionen ausgeprägt (Berlemann et al., 2023). Da die aktuelle Höhe der Inflationsrate wenig Spielraum für Zinssenkungen in naher Zukunft bietet, dürfte von den Investitionen in absehbarer Zeit kaum ein expansiver Impuls für das deutsche Wirtschaftswachstum ausgehen.
Die Hoffnung auf eine Konjunkturerholung im Laufe des nächsten Jahres liegt somit vor allem im Bereich des privaten Konsums. Wie Abbildung 1 zeigt, hat der reale Umsatz des Einzelhandels seit dem Jahr 2010 deutlich zugelegt. Bis zum Ausbruch der COVID-19-Pandemie zeigte der Einzelhandelsumsatz eine wenig volatile, stetige Aufwärtsbewegung. Eine Triebfeder dieser Entwicklung war dabei der Versand- und Interneteinzelhandel, der sich seit 2010 generell dynamischer entwickelte als der übrige Einzelhandel. Mit dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie nahm die Volatilität der Einzelhandelsumsätze deutlich zu, was durch die ergriffenen Eindämmungsmaßnahmen und einige Versorgungsengpässe erklärbar ist. Gleichzeitig hat die COVID-19-Pandemie den Aufschwung des Versand- und Interneteinzelhandels zunächst deutlich verstärkt, stellten die Lieferungen nach Hause doch eine vergleichsweise sichere Form der Warenversorgung dar. Seit Anfang 2021 erlebt der reale Umsatz im Versand- und Internethandel einen deutlichen Einbruch und scheint sich erst am aktuellen Rand zu stabilisieren. Dieser Umsatzrückgang wird durch den übrigen Einzelhandel nicht vollständig kompensiert, sodass seit Beginn 2021 der gesamte reale Einzelhandelsumsatz rückläufig ist. Die beobachtete Kaufzurückhaltung ist vor allem auf die hohe Inflation zurückzuführen. Die deutsche Bevölkerung gilt generell als sehr inflationsavers, sodass sie in Zeiten hoher Inflation den Konsum stark einschränkt, statt diesen durch Kredite zu finanzieren, wie es z. B. in den USA üblicher ist. Eine Erholung des realen Einzelhandelsumsatzes wird umso wahrscheinlicher, je geringer die Inflationserwartungen der Konsument:innen sind und je günstiger sich deren Einkommen entwickeln.
Abbildung 1
Realer Umsatz im Einzelhandel
Konstante Preise, saisonbereinigt
Quelle: Destatis (2023), eigene Darstellung.
Zwar lag die Inflationsrate in Deutschland im August 2023 immer noch bei 6,1 %. Die Erzeugerpreise gewerblicher Produkte, die der Inflationsrate typischerweise einige Monate vorauslaufen, nahmen im August jedoch um immerhin 12,6 % gegenüber dem Vorjahresmonat ab, sodass die Inflation im September voraussichtlich deutlich auf 4,5 % sinken wird. Zudem haben die Impulse der restriktiven Geldpolitik der Europäischen Zentralbank wegen der bekannten Wirkungsverzögerungen ihre volle Wirkung noch nicht entfaltet. Demgemäß ist mit einem weiteren Rückgang der Inflationsrate im Jahresverlauf sowie im kommenden Jahr zu rechnen (HWWI, 2023). Gleichzeitig greifen in vielen Branchen die verhandelten Lohnerhöhungen, die oft nicht ausreichen, die ursprünglichen Reallöhne wieder herzustellen. Dennoch dürften die wieder zunehmenden Reallöhne die Konsumlaune im kommenden Jahr spürbar verbessern. Auch die zuletzt erfolgten Rentenerhöhungen dürften hierzu beitragen. Die Hoffnung auf einen im Jahr 2024 anspringenden Konsum erscheint vor diesem Hintergrund gerechtfertigt.
Gleichwohl blickt der Handel derzeit sehr pessimistisch in die nähere Zukunft. Der in Abbildung 2 dargestellte Geschäftsklimaindex des Einzelhandels fällt pessimistischer aus als der der gesamten Wirtschaft. Die Tatsache, dass die Geschäftserwartungen des Einzelhandels noch ungünstiger ausfallen als ihre aktuelle Lageeinschätzung, zeugen ebenfalls nicht von Optimismus für die nächsten sechs Monate. Zumindest haben sich die Geschäftserwartungen am aktuellen Rand leicht verbessert; ob dies zu einer Trendumkehr führt, lässt sich derzeit noch nicht abschätzen.
Abbildung 2
ifo Geschäftsklima (Einzelhandel)
Quelle: ifo Institut (2023), eigene Darstellung.
Etwas günstiger fällt die Lageeinschätzung der Konsumenten aus. Abbildung 3 zeigt die Entwicklung des Verbrauchervertrauens bis an den aktuellen Rand. Dieser Indikator beruht auf Befragungen von Konsument:innen und misst das Maß an Zuversicht, das Konsument:innen in die wirtschaftliche Situation, die Kaufkraft und die Stabilität eines Landes haben. Er gilt als wichtiger Frühindikator für den privaten Konsum, da er das Verhalten von Verbraucher:innen bei Kaufentscheidungen und ihre Bereitschaft, Geld auszugeben, widerspiegelt. Zwar liegt das Verbrauchervertrauen in Deutschland weiterhin unterhalb der Vorkrisenwerte. Seit Ende des Jahres 2022 hat sich das Verbrauchervertrauen aber trendmäßig positiv entwickelt und liegt wieder oberhalb der Werte der EU27. Auch wenn sich der Indikator am aktuellen Rand eher seitwärts bewegt, lässt der aktuelle Rückgang der Inflation in Kombination mit den bereits erfolgten und noch folgenden Lohnsteigerungen eine weitere Erholung der Konsumstimmung über die nächsten Monate erwarten.
Abbildung 3
Verbrauchervertrauen in Deutschland und Europa
Der Saldo wird als Differenz zwischen positiven und negativen Antworten berechnet.
Quelle: European Commission (2023), eigene Darstellung.
Literatur
Berlemann, M., M. Eurich und M. G. Normann (2023), Bausektor vor schwierigen Herausforderungen, Wirtschaftsdienst, 103(6), 427-428, https://www.wirtschaftsdienst.eu/inhalt/jahr/2023/heft/6/beitrag/bausektor-vor-schwierigen-herausforderungen.html (25. September 2023).
Destatis (2023), Statistisches Bundesamt, Genesis Reihe 45212-0005, https://www-genesis.destatis.de/genesis/online (29. September 2023).
Eurich (2023), Investitions- und Konsumgüternachfrage bei steigenden Zinsen, Wirtschaftsdienst, 103(8), 579-580, https://www.wirtschaftsdienst.eu/inhalt/jahr/2023/heft/8/beitrag/investitions-und-konsumgueternachfrage-bei-steigenden-zinsen.html (25. September 2023).
European Commission (2023), Directorate-General for Economic and Financial Affairs (DG ECFIN) (EI_BSCO_M), Consumers – monthly data, https://ec.europa.eu/eurostat/databrowser/view/EI_BSCO_M/default/table?lang=en (20. September 2023).
HWWI (2023), Aktuelle HWWI-Konjunkturprognose, https://www.hwwi.org/fileadmin/hwwi/Presse/Pressemitteilungen_PDFs/2023-09-07/HWWI-Konjunktur_0923.pdf (28. September 2023).
ifo Institut (2023), ifo Geschäftsklima Deutschland und seine Komponenten (September 2023), https://www.ifo.de/fakten/2023-09-25/ifo-geschaeftsklimaindex-geht-leicht-zurueck-september-2023 (28. September 2023).