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Dieser Beitrag ist Teil von Was kann gegen die Investitionsschwäche in Deutschland getan werden?

Noch vor zwei Jahren gingen alle gängigen Konjunkturprognosen davon aus, dass die Investitionstätigkeit in Deutschland einen kräftigen Beitrag zur Erholung nach der COVID-19-Krise leisten würde. Die Bundesregierung etwa sah in ihrer Herbstprojektion 2021 für 2021 einen Zuwachs der Ausrüstungsinvestitionen von 3,6 %, 2022 dann von 4,3 %. Die Gemeinschaftsdiagnose (2021) war noch optimistischer und sah für 2022 ein Plus von 7,3 %, nach 4,9 % im Jahr 2021. Auch die Bauinvestitionen wurden als Wachstumsmotor ausgemacht: Bundesregierung wie Institute sagten hier ein kontinuierliches Wachstum voraus.

Hinter den optimistischen Vorhersagen stand die Analyse, dass die Unternehmen zum einen die während der Coronapandemie aufgeschobenen Investitionen nachholen würden, zum anderen aufgrund der anstehenden Dekarbonisierung zunehmend in klimafreundliche Technologien investieren würden.

Es kam anders: Zwar wurden die Investitionen nicht wie der Privatkonsum zu einer tatsächlichen Belastung der Wirtschaftsaktivität, eine dynamische Entwicklung blieb aber aus. Im Jahresschnitt 2023 dürften die Ausrüstungsinvestitionen knapp 4 % niedriger liegen als von der Bundesregierung in ihrer Herbstprojektion 2021 vorhergesagt, die Bauinvestitionen mehr als 12 % niedriger (vgl. Abbildung 1).

Abbildung 1
Ausrüstungs- und Bauinvestitionen in Deutschland
Ausrüstungs- und Bauinvestitionen in Deutschland

Quelle: Projektion der Bundesregierung vom Herbst 2021, Destatis, IMK.

Die Ursache ist einfach auszumachen: die russische Invasion in die Ukraine im Februar 2022. Mit dem Kriegsbeginn stieg nicht nur die Unsicherheit, sondern mit der späteren Lieferunterbrechung von russischem Erdgas schossen auch die Energiepreise dramatisch in die Höhe. Da auf dem Weltmarkt zudem Getreideexporte aus Russland und der Ukraine fehlten, zogen auch die Agrarpreise kräftig an. Getrieben von Energie- und Nahrungsmittelpreisen beschleunigte sich die Verbraucherpreisinflation stark, und weil die Lohnsteigerungen nicht mit der Teuerung mithalten konnten, gab der Privatkonsum spürbar nach.

Parallel verschlechterten sich die Finanzierungsbedingungen. Die Europäische Zentralbank erhöhte die Zinsen im Rekordtempo, was sich inzwischen auf die Finanzierungskosten sowohl von Unternehmen als auch Privathaushalten durchgeschlagen hat. Die meisten gängigen Prognosen rechnen nun mit einem deutlichen Rückgang der Wohnungsbauaktivität über die kommenden Jahre (Dullien et al., 2023; Dullien und Martin, 2023; Jonas et al., 2023).

Insgesamt dürfte so das Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2024 fast 4 % niedriger liegen als es die Bundesregierung noch in ihrer Projektion aus dem Oktober 2021, vor der russischen Invasion in die Ukraine, vorhergesagt hat (vgl. Abbildung 2). Die sich im niedrigen BIP widerspiegelnde schwache gesamtwirtschaftliche Nachfrage und die daraus folgende niedrigere Kapazitätsauslastung im Vergleich zur Vorkriegs-Baseline dürfte eine der Ursachen für die schwache Investitionstätigkeit sein. Andere Gründe sind nach Umfragen der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) unter anderem die Unsicherheit über die Rentabilität insbesondere von Dekarbonisierungsinvestitionen und die gestiegenen Finanzierungskosten (KfW-Research, 2022).

Abbildung 2
Deutsches reales BIP, Projektionen der Bundesregierung
Deutsches reales BIP, Projektionen der Bundesregierung

1 Mit IMK-Prognose vom September 2023: BIP-Veränderung -0,5 % für 2023 und +0,7 % für 2024.

Quelle: Projektionen der Bundesregierung vom Oktober 2021 und vom April 2023.

Bei der Frage nach der Rentabilität von Investitionen dürften dabei die gestiegenen und sehr schwankungsanfälligen Energiekosten ein zentraler belastender Faktor sein. Erdgas und insbesondere Strom sind derzeit noch um ein Mehrfaches teurer als vor der russischen Invasion, insbesondere bei Strom-Futures sind zudem sehr große Schwankungen zu beobachten. Ökonomisch ist daher verständlich, wenn energieintensive Unternehmen Investitionsentscheidungen vorerst aufschieben.

Verstärkt wird die Unsicherheit über Energiepreise und die Rentabilität von Ersatzinvestitionen derweil dadurch, dass die USA mit dem Inflation Reduction Act (IRA) massiv Investitionen in erneuerbare Energien und die Dekarbonisierung unterstützt und so Standortentscheidungen zugunsten der USA relativ attraktiver macht, während Deutschland bei den lange bekannten Problemen unzureichender Investitionen in die öffentliche Infrastruktur (Bardt et al., 2019) wenig Fortschritte gemacht hat.

Das Wachstumschancengesetz reicht nicht aus

Zur Stärkung des Standorts und der Rahmenbedingungen für Investitionen und Innovationen hat die Bundesregierung einen Entwurf für das Wachstumschancengesetz eingebracht. Der Gesetzentwurf enthält 24 budgetrelevante Maßnahmen, von denen die meisten zu Mindereinnahmen führen und vier mit leichten Mehreinnahmen einhergehen. Insgesamt hat das Wachstumschancengesetz im Zeitraum von 2024 bis 2028 ein Volumen von 32,4 Mrd. Euro (vgl. Tabelle 1).

Tabelle 1
Das Wachstumschancengesetz
in Mrd. Euro
  volle JW 2023 2024 2025 2026 2027 2028 Summe
Degressive AfA -2,0   -1 -4,2 -5,6 -2,8 1,0 -12,7
Erweiterter Verlustvortrag -1,6   0 -0,6 -1,4 -1,5 -1,5 -5,0
Ausweitung der Forschungszulage -1,0   0 -0,8 -1,0 -1,0 -1,3 -4,2
Anhebung der Grenzen für geringwertige Wirtschaftsgüter -0,6   -0,1 -0,6 -1,0 -0,7 -0,4 -2,7
Übrige Maßnahmen -1,9   -1,6 -1,7 -1,2 -1,5 -1,9 -7,8
Darunter: Maßnahmen, die Investitionen bedingen1 -4,7   -1,3 -6,4 -8,3 -5,5 -2,0 -23,5
Mindereinnahmen -7,4   -2,8 -8,2 -10,5 -8,0 -5,5 -35,0
Mehreinnahmen 0,4   0,2 0,3 0,4 0,4 1,4 2,5
Finanzielle Auswirkungen insgesamt -7,0   -2,7 -7,9 -10,2 -7,6 -4,1 -32,4
Finanzielle Auswirkungen in % des BIP     -0,1 -0,2 -0,2 -0,2 -0,1 0,12
Bund -2,6   -1,1 -2,9 -3,5 -2,8 -1,8 -12,0
Länder -2,5   -1,0 -2,7 -3,3 -2,6 -1,7 -11,4
Gemeinden -1,9   -0,6 -2,3 -3,3 -2,2 -0,6 -9,0

1 Degressive AfA, Ausweitung der Forschungszulage, Anhebung der Grenzen für geringwertige Wirtschaftsgüter, degressive AfA für Wohngebäude, Investitionsprämie, Anhebung der Sonderabschreibungen für KMU, Berücksichtigung der Forschungszulage beim Vorauszahlungsverfahren.  2 Durchschnitt.

Quelle: Bundesratsdrucksache Nr. 433/23, Berechnungen des IMK.

Die größte Einzelmaßnahme ist dabei die befristete Einführung einer degressiven Abschreibung in Höhe von bis zu 25 % und höchstens dem 2,5-fachen der linearen Abschreibung für bewegliche Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens, die ab dem 1. Oktober 2023 und vor dem 1. Januar 2025 angeschafft oder hergestellt worden sind. Die befristete degressive Absetzung für Abnutzung (AfA) führt nach Schätzungen der Bundesregierung in der Spitze zu Mindereinnahmen von bis zu 5,6 Mrd. Euro im Jahr 2026. Es folgen der erweiterte Verlustvortrag mit maximalen Mindereinnahmen von 1,5 Mrd. Euro (2027) und die Ausweitung der Forschungszulage mit steigenden Mindereinnahmen, die 2028 1,3 Mrd. Euro erreichen. An vierter Stelle steht die Anhebung der Grenzen für geringwertige Wirtschaftsgüter mit maximalen Mindereinnahmen von 965 Mio. Euro im Jahr 2026. Die übrigen 20 Einzelmaßnahmen haben jeweils eine geringe Budgetwirkung – so auch die Investitionsprämie, die im Zeitraum von 2024 bis 2028 insgesamt mit 1,2 Mrd. Euro zu Buche schlägt. Über 70 % des Gesamtvolumens entfallen auf Maßnahmen, die Investitionen bedingen. Damit steht die Investitionsförderung klar im Vordergrund. Weitere Maßnahmen wie die erweiterte Verlustverrechnung können Investitionen indirekt fördern.

Die degressive AfA wird damit ein drittes Mal innerhalb von vier Jahren ermöglicht. Angesichts der jüngst stark gestiegenen Zinsen ist die Regelung jetzt attraktiver. In der aktuell schwachen Konjunktur und vor dem Hintergrund der hohen Unsicherheit ist aber fraglich, ob die Maßnahme in nennenswertem Umfang zu zusätzlichen Investitionen führt. Von der Vergünstigung profitieren größtenteils Investitionen, die ohnehin getätigt worden wären. Ein Vorteil der degressiven AfA ist, dass sie mittelfristig weitgehend budgetneutral ist. Bereits 2028 ergeben sich Mehreinnahmen.

Aus makroökonomischer Perspektive ist das Volumen des Wachstumschancengesetzes mit durchschnittlich 0,1 % des BIP sehr gering. Michelsen et al. (2023) ermitteln in einer Modellsimulation zusätzliche Investitionen von 11 Mrd. Euro im betrachteten Fünfjahreszeitraum. Trotz des geringen Effekts dürften die resultierenden Mindereinnahmen in Milliardenhöhe die Haushalte von Ländern und Kommunen, die derzeit auch stark durch die Versorgung und Integration von Geflüchteten beansprucht werden, dennoch zusätzlich belasten. Es besteht die Gefahr, dass bei öffentlichen Investitionen gespart wird. Ein wirklich investitionsfördernder Ansatz müsste einerseits Länder und Kommunen von zusätzlichen Belastungen befreien und andererseits die Rahmenbedingungen für Investitionen noch stärker verbessern.

Was zu tun ist

Ein Brückenstrompreis

Ein zentraler Schritt zur Reduzierung der Unsicherheit setzt beim Strompreis an. Die aktuellen Energiekosten sind insbesondere für die Produktion und die Investitionen der energieintensiven Industrien problematisch. So ist die Produktion in diesem Bereich seit Ende 2021 um fast 20 % eingebrochen (Destatis, 2023). Das wirkt sich auch auf die Konjunktur aus (Dullien et al., 2023). Vor allem die temporär erhöhten Strompreise und ihre Volatilität sorgen für Verunsicherung unter den Unternehmen, wobei vor allem energieintensive Industriebetriebe zögern, in die nötige Dekarbonisierung ihrer Produktion zu investieren (KfW-Research, 2022).

Ein zeitlich begrenzter Brückenstrompreis, der eine Höchstgrenze für Stromkosten setzt, würde Planungssicherheit schaffen, die eine wichtige Voraussetzung für Investitionen ist. Ein solcher Strompreis würde den energieintensiven, im internationalen Wettbewerb stehenden Branchen helfen, die Phase hoher und extrem volatiler Stromkosten zu überbrücken, bis die Elektrizitätsinfrastruktur (vor allem Windkraft- und Solaranlagen, Stromnetze und Speichermöglichkeiten) so weit ausgebaut ist, dass die Strompreise von zuletzt erlebten Spitzen nachhaltig fallen. Er könnte damit langfristig eigentlich unnötige Betriebsschließungen vermeiden und Verwerfungen auf den lokalen Arbeitsmärkten bei Industrien verhindern, die Bestandteil der europäischen Dekarbonisierungsstrategie sind, z. B. Stahl- und chemischer Industrie (BMWK, 2021).

Gemäß Zenke et al. (2023a) wäre ein Brückenstrompreis vereinbar mit dem EU-Beihilferecht. Um auch Haushalte und die restlichen Unternehmen vor überschießenden Strompreisen zu bewahren, könnte wie von Krebs (2023) vorgeschlagen die Strompreisbremse angepasst und analog zur Dauer des Brückenstrompreises verlängert werden. Wichtig wäre allerdings auch ein verbindlicher Transformationsplan und dessen Kontrolle, um Mitnahmeeffekte der Subvention zu verhindern.

Beschleunigter Ausbau von erneuerbaren Energien

Der Brückenstrompreis wäre auch eine Selbstverpflichtung der Regierung, den Ausbau der Kapazitäten für die Stromproduktion aus erneuerbaren Quellen und den Ausbau der Netze zu beschleunigen. Infolge der Materialkostensteigerungen und Leitzinserhöhungen stellten in der jüngeren Vergangenheit unter anderem die gestiegenen Investitions- und Zinskosten eine Hürde für den Kapazitätsausbau dar (Kurmayer, 2022; Kriwoluzky und Volz, 2023). Während die Investitionskosten teilweise bereits fallen oder ein Fallen erwartet wird (PVXchange Trading GmbH, 2023; IEA, 2023), bleiben die Zinsen zunächst hoch. Eine Möglichkeit, die Finanzierungskosten für entsprechende Projekte zu senken, wären Reformen und Erweiterungen entsprechender Programme der KfW. Denkbar wäre, die Zinskosten mithilfe staatlicher Garantien weiter zu senken und stärker die günstigen Refinanzierungskonditionen an Kreditnehmende in den betroffenen Sektoren weiterzugeben.

Neben Subventionen für private Investitionen (z. B. Marktprämienmodell) könnte die öffentliche Hand die Energiewende auch verstärkt selbst vorantreiben, z. B. durch eigene Investitionen oder staatliche Beteiligungen beim Betrieb von Anlagen. So könnten schnell Mittel für konkrete Investitionen bereitgestellt werden. Die staatliche Beteiligung könnte zudem die Zinskosten der Projekte senken. Neben Projekten auf Bundesebene könnten auch Mittel für die Landes- und kommunale Ebene sowie öffentliche Unternehmen bereitgestellt werden. Der langfristig angelegte Ausbau bewegt zudem zumeist privates Kapital zu Investitionen in den industriellen Kapazitätsausbau oder weitere Projekte (Deleidi et al., 2020).

Modernisierung der öffentlichen Infrastruktur

Seit der Analyse von Bardt et al. (2019) ist der Bedarf für investive öffentliche Ausgaben eher noch gestiegen (Dullien et al., 2022). Während die Investitionszuschüsse des Gesamtstaats seit dem vierten Quartal 2019 preis- und saisonbereinigt1 um 81,2 % zugenommen haben, liegen die realen saisonbereinigten Bruttoanlageinvestitionen des Staates im zweiten Quartal 2023 um 2,3 % unter dem Niveau des vierten Quartals 2019. Seit 2020 befinden sie sich auf einem leichten Abwärtstrend. Dabei ist die Entwicklung bei Bauten, Ausrüstungen und Investitionen in sonstige Anlagen, wozu auch Investitionen in Forschung und Entwicklung zählen, schwach. Vor allem der Bund ist zuletzt auf die Bremse getreten. Seine Bruttoanlageinvestitionen lagen im zweiten Quartal sogar nominal um 8,3 % unter jenen des Vorjahresquartals. Nach der langen Vernachlässigung öffentlicher Investitionen und angesichts zusätzlicher Bedarfe, etwa für die energetische Sanierung öffentlicher Gebäude und die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung, müssten die öffentlichen Investitionen kräftig ausgeweitet werden. Dies würde auch private Investitionen anregen (Dullien et al., 2021; Belitz et al., 2020). Dabei ist der Crowding-in-Effekt bei öffentlichen Bauinvestitionen besonders stark ausgeprägt (Belitz et al., 2020).

Öffentlicher Wohnungsbau

Besonders ausgeprägt ist die Investitionsschwäche beim Wohnungsbau: Weil die Baukosten gestiegen, aber vor allem die Finanzierungskosten in die Höhe geschnellt sind, zeichnet sich ein dramatischer Einbruch ab (Dullien und Martin, 2023; Hiller und Lerbs, 2022; Jonas et al., 2023). Im Juli 2023 wurden saison- und kalenderbereinigt Baugenehmigungen für 20.300 Wohnungen erteilt, 31,5 % weniger als vor einem Jahr. Aufs Jahr gerechnet entspricht dies knapp 244.000 neu genehmigten Wohnungen – weit entfernt von dem Ziel der Bundesregierung von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr. Zwar hat die Bundesregierung nun ein Maßnahmenpaket zur Stützung des Wohnungsbaus angekündigt, unter anderem mit verbesserten Abschreibungsbedingungen aus dem Wachstumschancengesetz. Diese Maßnahmen dürften dabei aber nicht ausreichen, um den Einbruch wieder wettzumachen. Deutschland befindet sich damit in der paradoxen Situation, dass ein Mangel an bezahlbarem Wohnraum herrscht, dieser Mangel sich zunächst aufgrund von Flüchtlingszuwanderung insbesondere aus der Ukraine weiter verschärft hat, aber zugleich der Wohnungsbau einbricht. Daher könnte und sollte der öffentliche Wohnungsbau genutzt werden, auch um die Bauaktivität zu stabilisieren (Dullien und Martin, 2023; Jonas et al., 2023).

Finanzierungsoptionen

Die Folgen des russischen Angriffskriegs – von der Energiepreiskrise bis zur Versorgung von Geflüchteten – belasten die öffentlichen Haushalte nach wie vor erheblich und entziehen sich weitgehend der Kontrolle des Staates. Damit wären die Voraussetzungen des Artikel 109 Grundgesetz für ein vorübergehendes Aussetzen der Schuldenbremse auf Bundes- wie Landesebene gegeben. Dies wäre ein sinnvoller Schritt, um die oben skizzierten Maßnahmen zu finanzieren. Die Schuldentragfähigkeit wäre dadurch nicht gefährdet. Mit unter 66 % des BIP weist Deutschland im internationalen Vergleich eine moderate Schuldenstandsquote aus, die zudem erheblich unter dem Höchststand nach der Finanzkrise liegt. Die Zins-Einnahmen-Quote wird auch in der nahen Zukunft erheblich unter ihren Höchstständen von vor der Finanzkrise 2008/2009 liegen. Vor allem aber würde eine verlangsamte Kapitalakkumulation, die die Folge eines Nichtstuns bei den Investitionen sein dürfte, das künftige BIP verringern und damit zu höheren Schuldenquoten führen (weil der Nenner des Bruchs kleiner wird). Da allerdings aktuell keine politische Mehrheit für ein Aussetzen der Schuldenbremse absehbar ist, müssen Haushaltsspielräume im Rahmen der Schuldenbremse gefunden werden.

Ein Brückenstrompreis wäre je nach Ausgestaltung und Strompreisentwicklung bis zum Jahr 2030 mit Ausgaben von 20 Mrd. bis 60 Mrd. Euro verbunden (BMWK, 2023; Krebs, 2023). Es liegt nahe, für die Finanzierung auf ungenutzte Kreditermächtigungen des Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) zurückzugreifen, die sich gemäß der aktuellen Prognose des IMK (Dullien et al., 2023) 2024 auf über 140 Mrd. Euro belaufen dürften und somit mehr als ausreichend wären. Da die durch den russischen Angriffskrieg ausgelöste Energiepreiskrise trotz wieder gesunkener Preise über 2024 hinaus andauern dürfte, ist die Verlängerung der Strompreisbremse folgerichtig und entspricht dem gesetzlich festgelegten Zweck des reaktivierten WSF (Zenke et al., 2023b).

Die Finanzierung eigener öffentlicher Investitionen in Infrastruktur und Digitalisierung erfordert zusätzliche Mittel in den Haushalten der Gebietskörperschaften. Dabei könnte der Bund durch eine andere Verbuchung von Disagios ab dem Haushalt 20232 in diesem und im nächsten Jahr zusätzliche Spielräume in einer Größenordnung von 20 Mrd. Euro generieren und die allgemeine Rücklage entsprechend schonen. Wie von Bardt et al. (2019) diskutiert, könnten öffentliche Investitionen auch durch Extrahaushalte mit eigener Rechtspersönlichkeit schuldenbremsenkonform finanziert werden.

Die Ausweitung des öffentlichen Wohnungsbaus würde im Wesentlichen außerhalb des Staatssektors erfolgen, da sich die landeseigenen und kommunalen Wohnungsbaugesellschaften zu über der Hälfte durch Mieteinnahmen finanzieren. Ihre Kreditaufnahme wird daher bei den Fiskalregeln nicht berücksichtigt. Durch stark gestiegene Baukosten und Zinsen stehen aber auch die öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften unter finanziellem Druck. Hier kann der Bund über eine Beteiligungsgesellschaft zusätzliches Eigenkapital zur Verfügung stellen (Dullien und Krebs, 2020). Die Beteiligungen wären als finanzielle Transaktionen von der Schuldenbremse ausgenommen. Denkbar wären auch Beteiligungsgesellschaften auf Landesebene, allerdings mit höheren Finanzierungskosten.

Fazit

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Investitionsschwäche der deutschen Unternehmen ein signifikantes Risiko für die deutsche Konjunktur, vor allem aber den künftigen Wohlstand des Landes und das Gelingen der sozial-ökologischen Transformation darstellt. Wichtige Ursache der Investitionsschwäche ist bei den Unternehmensinvestitionen vor allem die Unsicherheit über künftige Energiepreise, aber auch die sich verschärfenden Finanzierungsbedingungen, bei den Wohnungsbauinvestitionen vor allem die gestiegenen Finanzierungs- und Baukosten.

Die Herausforderung ist hier, wirtschaftspolitisch zielgenau, aber dennoch kräftig genug zu reagieren, um eine echte Wende bei der Investitionstätigkeit herbeizuführen. Zielgenau bedeutet hier, von allgemeinen Steuersenkungen abzusehen, die große Streu- und Mitnahmeeffekte haben und die Investitionstätigkeit nur marginal ankurbeln würden. Kräftig genug bedeutet, dass bei den großen Herausforderungen der Transformation und insbesondere der Bereitstellung günstiger und in ausreichender Menge vorhandener erneuerbarer Energien die Instrumente groß genug ausfallen müssen, um nicht nur kurz-, sondern mittel- und langfristig Planungs- und Erwartungssicherheit zu schaffen. Eine solche Wende dürfte kaum gelingen, wenn finanzpolitisch immer nur auf Sicht gefahren wird und lediglich die im kommenden Haushalt sicher ohne Steuererhöhungen und Neuverschuldung verfügbaren Mittel für Investitionen eingeplant werden. Stattdessen wäre ein mittelfristiger Investitionsplan notwendig, der zur Not über eine verstärkte Kreditaufnahme von Extrahaushalten oder staatseigenen Unternehmen finanziert werden sollte, wenn die Spielräume im Bundeshaushalt unter den aktuellen Regeln der Schuldenbremse nicht reichen.

    • 1 Preisbereinigung mit dem Deflator der Bruttoanlageinvestitionen, Saisonbereinigung mit JDemetra+ (X13).
    • 2 Im Bundeshaushalt 2023 sind Disagios im Umfang von 15,8 Mrd. Euro veranschlagt. Der Entwurf für 2024 sieht Disagios von 10,5 Mrd. Euro vor. Sinnvoller wäre eine gleichmäßige Verteilung dieser Zinslasten über die Laufzeit der Wertpapiere (Deutsche Bundesbank, 2021), was kurzfristig entlasten würde. Für eine Korrektur wäre gegebenenfalls ein Nachtragshaushalt 2023 erforderlich.

Literatur

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Belitz, H., M. Clemens, S. Gebauer und C. Michelsen (2020), Öffentliche Investitionen als Triebkraft privatwirtschaftlicher Investitionstätigkeit. Forschungsgutachten für das Bundesfinanzministerium (fe 5/19), DIW Berlin: Politikberatung kompakt, 158.

BMWK – Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (2021), BMWi und BMVI bringen 62 Wasserstoff-Großprojekte auf den Weg, https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Downloads/I/ipcei-standorte.pdf, zuletzt aktualisiert am 28. Mai 2021 (20. September 2023).

BMWK – Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (2023), Wettbewerbsfähige Strompreise für die energieintensiven Unternehmen in Deutschland und Europa sicherstellen. Arbeitspapier des BMWK zum Industriestrompreis für das Treffen Bündnis Zukunft der Industrie, https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Downloads/W/wettbewerbsfaehige-strompreise-fuer-die-energieintensiven-unternehmen-in-deutschland-und-europa-sicherstellen.pdf (4. Oktober 2023).

Deleidi, M., Mazzucato, M. und Semieniuk, G. (2020), Neither crowding in nor out: Public direct investment mobilising private investment into renewable electricity projects, Energy Policy, 140, 1–12.

Destatis (2023), Produktionsindex, Statistisches Bundesamt, https://www.destatis.de/DE/Themen/Wirtschaft/Konjunkturindikatoren/Basisdaten/pgw511a.html, zuletzt aktualisiert am 8. September 2023 (20. September 2023).

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Dullien, S. und T. Krebs (2020), Wege aus der Wohnungskrise. Vorschlag für eine Bundesinitiative „Zukunft Wohnen“, Hg. v. Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung, IMK Report, 156.

Dullien, S., E. Jürgens, C. Paetz und S. Watzka (2021), Makroökonomische Auswirkungen eines kreditfinanzierten Investitionsprogramms in Deutschland, Hg. v. Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung, IMK Report, 168.

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Hiller, N. und O. Lerbs (2022), Wie stark reagiert der deutsche Wohnungsbau auf steigende Kapitalmarktzinsen?, Wirtschaftsdienst, 102(9), 716-723, https://www.wirtschaftsdienst.eu/inhalt/jahr/2022/heft/9/beitrag/wie-stark-reagiert-der-deutsche-wohnungsbau-auf-steigende-kapitalmarktzinsen-7165.html (6. Oktober 2023).

IEA – International Energy Ageny (2023), Renewable Energy Market Update. Outlook for 2023 and 2024, https://iea.blob.core.windows.net/assets/63c14514-6833-4cd8-ac53-f9918c2e4cd9/RenewableEnergyMarketUpdate_June2023.pdf (12. Oktober 2023).

Jonas, L., C. Martin und T. Theobald (2023), Mehr öffentlicher Wohnungsbau zum Erhalt der Kapazitäten? Eine Abschätzung möglicher Rückgänge der Bauaktivität durch gestiegene Zinsen für die Jahre 2023-24, Hg. v. Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung, IMK Policy Brief, 155.

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Krebs, T. (2023), Ökonomische Analyse einer Verlängerung und Modifizierung der Strompreisbremse, Hans-Böckler-Stiftung, Working Paper Forschungsförderung, 305.

Kriwoluzky, A., und Volz, U. (2023), Niedrigere Zinsen für Klimaschutz-Investitionen? Handelsblatt, https://www.handelsblatt.com/meinung/gastbeitraege/gastkommentar-niedrigere-zinsen-fuer-fuer-klimaschutz-investitionen/29291182.html (12. Oktober 2023).

Kurmayer, N. J. (2023), Onshore-Ausschreibung in Deutschland erneut unterzeichnet, EURACTIV, https://www.euractiv.de/section/energie/news/deutscheonshorewindausschreibungen-erneut-unterzeichnet/ (12. Oktober 2023).

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Zenke, I., T. Heymann und C. Dessau (2023a), Kurzbewertung zur beihilferechtlichen Zulässigkeit eines Brückenstrompreises für die Industrie.

Zenke, I., T. Heymann und V. Zheng (2023b), Finanzierung eines Brückenstrompreises für energieintensive Industrien aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds? Kurzbewertung zur (finanzverfassungs-)rechtlichen Finanzierbarkeit eines Brückenstrompreises bis 2030 für die Industrie.

Title:Turning Around Germany’s Investment Dynamic Requires a Bold Economic Policy Approach

Abstract:Aggregate investment in Germany has developed much less dynamically than forecast prior to Russia’s invasion in Ukraine. The reasons for the subdued investment dynamic are uncertainty about future energy prices, increased interest rates and – in the case of housing investment – increased construction costs. The recently propsed Wachstumschancengesetz is insufficient to fundamentally alter these obstacles. Bolder policy measures are needed.

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© Der/die Autor:in 2023

Open Access: Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht (creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de).

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DOI: 10.2478/wd-2023-0187

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