Ein Service der

Artikel als PDF herunterladen

Es wird eine Reform der Ehegattenbesteuerung vorgeschlagen, die darauf abzielt, die negativen Arbeitsanreize beim Zweitverdiener zu reduzieren. Zu diesem Zweck soll das Ehegattensplitting durch eine Individualbesteuerung ersetzt werden, allerdings nur in dem Maße, in dem rechtliche Unterhaltspflichten beim verpflichteten Ehegatten steuerlich als Aufwand Berücksichtigung finden. Nach dem hier gemachten Vorschlag bleibt Splitting bei kleinem Einkommen des Erstverdieners erlaubt und es greift die Individualbesteuerung erst bei hinreichend hohem Einkommen des Zweitverdieners. Im Zwischenbereich sichert eine speziell gestaltete Ausgleichsregelung einen stetigen Belastungsübergang.

Alle Jahre wieder ist das einkommensteuerliche Ehegattensplitting ein Thema in den Medien. Dabei liegt der Fokus auf einem Austausch normativer Argumente, die für und gegen das Splittingverfahren sprechen. Zu dieser Debatte soll hier kein Beitrag geleistet werden. Es wird unterstellt, dass ein Wechsel in Richtung einer Individualbesteuerung politisch gewollt ist. Ökonomen versprechen sich von einer entsprechenden Reform eine Verbesserung der Arbeitsanreize aufseiten des Zweitverdieners. Das Ehegattensplitting schafft Anreize für Ehegatten, sich zwischen Erwerbstätigkeit und häuslicher Dienstleistung zu spezialisieren, statt Familie und Beruf zu vereinbaren. Solche Anreize werden als nicht länger zeitgemäß erachtet (SVR, 2023, 2021; Wissenschaftlicher Beirat, 2018).

In der Logik der Reformzielsetzung liegt es, dass der Belastungsvorteil, den das Ehegattensplitting im Vergleich zur Individualbesteuerung verursacht, als nicht schützenswerter Subventionstatbestand zu begreifen ist. Wenn also Ehegatten als Ergebnis der angestrebten Reform gemeinsam mehr Steuern zahlen sollten, aber keineswegs mehr als bei Individualbesteuerung, wäre das politisch hinzunehmen. Jedenfalls soll die Reform nicht dem Zweck dienen, Ehegatten als Gemeinschaft steuerlich zu entlasten. Zu erwägen wäre indessen, einen resultierenden Anstieg der Steuereinnahmen für eine belastungsmindernde Tarifreform zu nutzen (Wissenschaftlicher Beirat, 2018).

Die Herausforderung bei der Konzipierung einer Reform der Ehegattenbesteuerung besteht darin sicherzustellen, dass rechtliche Unterhaltspflichten beim verpflichteten Ehegatten steuerlich als Aufwand Berücksichtigung finden. Nach juristischer Auffassung mindert der zwangsläufige Unterhaltsaufwand die subjektive Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen. Daher muss er auch bei der Einkommensbesteuerung entlastend berücksichtigt werden. Einen Ermessensspielraum gibt es allenfalls hinsichtlich der Frage, in welcher Höhe der Unterhaltsaufwand steuerrechtlich anzuerkennen ist (Wissenschaftlicher Beirat, 2018). In der zahlenmäßigen Illustration des nachfolgend vorgestellten Reformvorschlags wird durchgehend U = 13.805 Euro unterstellt. Diese Setzung orientiert sich an dem Höchstbetrag, den das Steuerrecht als Abzugsbetrag anerkennt, wenn Unterhalt an einen geschiedenen oder dauernd getrennt lebenden Ehegatten gezahlt wird. Zunächst der Reformvorschlag, der nach eingehender Wirkungsanalyse mit konkurrierenden Vorschlägen verglichen werden soll:

  • Für ein hinreichend kleines Einkommen des Erstverdieners, definiert durch YE ≤ 2U, soll weiterhin Splitting erlaubt sein.
  • Für ein hinreichend hohes Einkommen des Zweitverdieners, definiert durch 2U YZ, soll individuell besteuert werden.
  • Wenn das Einkommen des Erstverdieners hinreichend groß ist, YE > 2U, und das Einkommen des Zweitverdieners hinreichend klein, 2U > YZ, soll eine Ausgleichsregelung greifen, bei der der Erstverdiener YE - A(YZ) versteuert und der Zweitverdiener YZ + A(YZ).
  • Beim Übergang vom Splitting in den Ausgleichsbereich, bei YE = 2U, soll es keinen Sprung in der gemeinsamen Steuerbelastung der Ehegatten geben.

Wie sich leicht zeigen lässt, muss A(YZ) ≡ U - YZ /2 ≥ 0 zwingend gelten, wenn es keinen Belastungssprung geben soll. Der Beweis dieser Lösungseindeutigkeit nutzt die Annahme aus, dass der Steuertarif T(Y) bei YE = 2U strikt konvex verläuft, der Grenzsteuersatz für ein Y > 2U den Grenzsteuersatz bei Y < 2U also übersteigt.1 Im Weiteren sei stets A(YZ) ≡ U - YZ /2 ≥ 0 unterstellt. Diese Ausgleichsregelung sorgt dafür, dass die Unterhaltsverpflichtung gegenüber dem Zweitverdiener beim Erstverdiener steuerlich als Aufwand Anerkennung findet. Allerdings ist eigenes Einkommen des Zweitverdieners anrechenbar. Die Grenzentzugsrate beträgt 50 %. Im Übrigen wird das Einkommen, das der Erstverdiener steuerlich als Aufwand geltend machen darf, dem Zweitverdiener zugerechnet („Korrespondenzprinzip“).

Tabelle 1
Eine Illustration des Reformvorschlags zur Ehegattenbesteuerung mit Zahlen
Zu versteuerndes Einkommen in 1.000 Euro Ehegattensplitting   Reformvorschlag
Gemeinsamer Steuerbetrag in Euro Grenzsteuersatz in %   Gemeinsamer Steuerbetrag in Euro Grenzsteuersatz Erstverdiener in % Grenzsteuersatz Zweitverdiener in %
Externalisierung Internalisierung
YE YZ
25 0 494 17,12   494 17,12 17,12 17,12
30 0 1.472 22,01   1.500 24,05 9,84 21,86
30 20 6.560 27,44   6.564 27,90 13,49 27,44
100 0 22.686 37,07   26.715 42,00 9,84 30,84
100 20 30.484 40,92   33.382 42,00 13,49 34,49
100 30 34.654 42,00   36.727 42,00 29,36 29,36

Die Tabelleneinträge basieren auf dem Einkommensteuertarif 2023 und U = 13.805 Euro. Berechnet wurden die Einträge unter Verwendung des Tools: https://www.finanz-tools.de/einkommensteuerrechner.

Quelle: eigene Berechnungen.

Die Auswirkungen der Reform auf die steuerliche Belastung

Die Auswirkungen des Reformvorschlags auf die steuerliche Belastung und die Arbeitsanreize von Ehegatten lassen sich mathematisch relativ allgemein beschreiben. Hier wird sich indes darauf beschränkt, sie mithilfe beispielhaft gegriffener Einkommenspaare (YE , YZ ) aufzuzeigen. In Tabelle 1 steht das oberste Einkommenspaar (YE , YZ ) = (25, 0) stellvertretend für eine Konstellation, bei der wegen YE ≤ 2U = 27.610 Euro auch nach der Reform Splitting zur Anwendung kommt. Folglich ändert sich weder der gemeinsame Steuerbetrag noch der Grenzsteuersatz. Das unterste Einkommenspaar (YE , YZ ) = (100, 30) steht wiederum stellvertretend für eine Konstellation, bei der die Ehegatten wegen YZ ≥ 2U = 27.610 Euro nach dem Reformvorschlag getrennt und individuell besteuert werden. Der resultierende Anstieg des gemeinsamen Steuerbetrages von 36.727 - 34.654 = 2.073 Euro ist als Abschmelzung des Splittingvorteils zu deuten. Als Ergebnis der Reform sinkt der Grenzsteuersatz des Zweitverdieners von 42 % auf 29,36 %, was der Reformzielsetzung entspricht. Die verbleibenden Einkommenspaare entstammen dem Ausgleichsbereich mit YE > 2U = 27.610 >YZ und bedürfen einer eingehenderen Betrachtung.

Offensichtlich steigt als Ergebnis der Reform der gemeinsame Steuerbetrag im gesamten Ausgleichsbereich an. In der Tabelle ist der Anstieg mit 26.715 - 22.686 = 4.029 Euro absolut gesehen am höchsten bei dem Einkommens­paar (YE , YZ ) = (100, 0). Wie sich ganz allgemein zeigen lässt, ist der Anstieg bei einem konvexen Tarif am höchsten bei YZ = 0, und er wächst im Übrigen in YE. Wenn das Einkommen des Erstverdieners so hoch ist, dass noch die Hälfte in der oberen Linearzone zu liegen kommt, erreicht der Anstieg des gemeinsamen Steuerbetrags sein Maximum. Es beträgt beim 2023er Steuertarif 12.583 Euro. Diesen Betrag müssten Ehegatten bei Verwirklichung des Reformvorschlags mehr zahlen, wenn der Erstverdiener ein Einkommen jenseits von 555.652 Euro versteuert und der Zweitverdiener kein eigenes Einkommen erzielt. Der Mehrbetrag von 12.583 Euro entspricht dem maximalen Splittingvorteil von 18.308 Euro nach geltendem Recht, wenn man diesen um 5.725 = 13.805 * 45 % - T(13.805) Euro kürzt. Mit extrem hohem Einkommen verlören also Alleinverdiener 69 % des derzeit gewährten Splittingvorteils. Die verbleibenden 31 % würden dagegen weiterhin als Ausgleich für die eheliche Unterhaltsverpflichtung gewährt. Ehegatten müssten indes niemals mehr als bei reiner Individualbesteuerung zahlen. Auch diese Aussage lässt sich ganz allgemein beweisen, wenn man Konvexität des Tarifs unterstellt. Bei dem Einkommenspaar (YE , YZ ) = (100, 0) und strikter Individualbesteuerung müsste der Erstverdiener T(100.000) = 32.027 Euro zahlen und der Zweitverdiener nichts. Nach dem Reformvorschlag wären dagegen 26.715 Euro gemeinsam zu zahlen. Die Ehegatten würden zwar 4.029 Euro mehr zahlen als nach geltendem Recht, aber immer noch 5.312 Euro weniger als bei Individualbesteuerung.

Die Auswirkungen der Reform auf die Grenzbelastung

Die Reform verfolgt das Ziel, die Leistungsanreize des Zweitverdieners zu verbessern. Die Grenzbelastung, mit der sich der Zweitverdiener bei zusätzlich verdientem Einkommen konfrontiert sieht, soll also im Vergleich zum Ehegattensplitting reduziert werden. In welchem Maße das als Folge des Reformvorschlags gelingt, soll nun genauer betrachtet werden. Bei Einkommen des Erstverdieners von weniger als 2U, bei dem das Splitting weiterhin zur Anwendung kommen soll, kann eine Veränderung der Grenzsteuersätze nicht erwartet werden. Bei höherem Einkommen des Erstverdieners ist das anders.

Zunächst fällt auf, dass der Grenzsteuersatz für den Erstverdiener moderat aber eindeutig ansteigt. In Tabelle 1 ist der Anstieg am stärksten bei dem Einkommenspaar (YE , YZ ) = (100, 0). Hier wächst der Grenzsteuersatz des Erstverdieners um fast 5 Prozentpunkte an, und zwar von 37,07 % auf 42 %. Die aus diesem Anstieg resultierende Verschlechterung des Leistungsanreizes beim Erstverdiener ist der Preis, der bei dem Reformvorschlag dafür hinzunehmen wäre, dass es gelänge, den Grenzsteuersatz des Zweitverdieners um über 6 Prozentpunkte auf 30,84 % zu senken. Auf den ersten Blick klingt das nach einem Nullsummenspiel, was es aber nicht ist. Schließlich gilt es als empirisch belegt, dass der Zweitverdiener auf Steuersatzänderungen stärker reagiert als der Erstverdiener. Sein Arbeitsangebot ist tendenziell elastischer (Keane, 2022; Bick und Fuchs-Schündeln, 2017).

Nun entstammt der Wert von 30,84 % dem Ausgleichsbereich und ist dort nur der ungünstigere von zwei ausgewiesenen Werten. Dahinter verbirgt sich die Frage, welche steuerlichen Auswirkungen der Zweitverdiener bei seiner Arbeitsangebotsentscheidung berücksichtigt. Zwei Verhaltensannahmen sind im Ausgleichsbereich zu unterscheiden und werden hier mit Externalisierung und Internalisierung bezeichnet. Bei der Externalisierung handeln die Ehegatten streng individualistisch. Das bedeutet, dass sie Auswirkungen ihrer eigenen Arbeitsangebotsentscheidung auf das zu versteuernde Einkommen des Ehegatten ausblenden. Im Internalisierungsfall berücksichtigen sie diese Auswirkungen demgegenüber. Bei der Externalisierung ist der relevante Grenzsteuersatz

Formel 3

und bei Internalisierung


Formel 4

Im Internalisierungsfall berücksichtigt der Zweitverdiener, dass nicht nur der eigene Steuerbetrag, sondern auch der des Erstverdieners steigt, wenn er zusätzliches Einkommen erzielt. Die resultierende Grenzbelastung ist dann deutlich höher als bei Externalisierung. Bei dem Einkommenspaar (YE , YZ ) = (100, 0) wächst die Grenzbelastung von 9,84 % um 21 Prozentpunkte auf 30,84 %. Die argumentative Konsistenz legt nahe zu unterstellen, dass Ehegatten eigene Arbeitsangebotswirkungen auf das zu versteuernde Einkommen des Ehegattens internalisieren. Schließlich basiert die Kritik an den negativen Leistungsanreizen des Ehegattensplittings auf der Internalisierungsannahme. Würde der Zweitverdiener hingegen externalisieren, müsste er konsequenterweise die rechtlich zulässige getrennte Veranlagung wählen und es gäbe keine kritisierten Leistungshemmnisse.

Aber selbst im Internalisierungsfall sinkt die Grenzbelastung des Zweitverdieners im Vergleich zum Splitting, wenn auch nicht immer so deutlich wie bei der Externalisierung. Die Absenkung ist eine unmittelbare Folge der Konkavität, die den deutschen Grenzsteuertarifverlauf oberhalb des Grundfreibetrags kennzeichnet. Das Ziel der Reform, die Absenkung der Grenzbelastung des Zweitverdieners, wird also erreicht. Beim Erstverdiener gibt es übrigens keinen Grund, zwischen Externalisierung und Internalisierung zu unterscheiden. Der Steuerbetrag hängt hier nur vom eigenen Einkommen ab, und der Grenzsteuersatz ist durch (YE - U + YZ /2) gegeben.

Vergleicht man in Tabelle 1 die Grenzsteuersätze des Zweitverdieners zeilenweise, fällt ein gewisses Auf und Ab der Werte auf. Im Internalisierungsfall fällt die Grenzbelastung beim Übergang vom Ausgleichsbereich in die Individualbesteuerung sprunghaft ab. Dagegen ist die Zunahme beim Übergang vom Splitting in den Ausgleichsbereich stetig. Im Externalisierungsfall gibt es sogar zwei gegenläufige Sprungstellen. Beim Übergang vom Splitting in den Ausgleichsbereich fällt der Grenzsteuersatz des Zweitverdieners um die Hälfte, und beim Übergang zur Individualbesteuerung springt er hoch, und zwar um das Doppelte. Bei den Steuerbeträgen werden dagegen sprunghafte Veränderungen vermieden.

Reformalternativen

In einem Gutachten von 2018 beschäftigt sich der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium der Finanzen eingehend mit der Besteuerung von Ehegatten und den Möglichkeiten einer effizienzorientierten Reform. In diesem Zusammenhang bringt der Beirat die Einführung eines abschmelzbaren Ehezusatzfreibetrags (EZF) ins Spiel, um bei der angestrebten Reform in Richtung Individualbesteuerung die aus ehelichen Unterhaltspflichten resultierenden Belastungen steuerlich angemessen zu berücksichtigen. Die formelhafte Spezifikation des EZF ist indes relativ kompliziert, was nicht zuletzt dem Umstand geschuldet ist, dass zwischen dem einkommensteuerlichen Grundfreibetrag G von derzeit 10.908 Euro und dem Maximalwert des Einkommens des Zweitverdieners Z , bis zu dem der EZF gewährt werden soll, unterschieden wird.2 Der Beiratsvorschlag zeichnet sich dadurch aus, dass die Grenzbelastung des Zweitverdieners bei kleinem eigenen Einkommen relativ stark gegenüber dem Splitting abgesenkt wird. Das spricht für den Vorschlag. Demgegenüber kann er nicht verhindern, dass die Grenzbelastung bei höherem eigenen Einkommen diejenige beim Splitting geringfügig übersteigt. Dies widerspricht der Reformzielsetzung.

Der hier gemachte Vorschlag verzichtet darauf, Ehegatten einen besonderen Freibetrag einzuräumen. Dafür hält er bei geringem Einkommen des Erstverdieners am Splitting fest und wechselt erst bei hinreichend hohem Einkommen des Zweitverdieners zur Individualbesteuerung. Für den Zwischenbereich wird ein Einkommensausgleich vorgeschlagen, der in seiner funktionalen Spezifikation dem EZF aus dem Beiratsmodell entspricht, wenn man dort vereinfachend α = ½, G = U und Z = 2U setzt.

In seinem Gutachten von 2018 diskutiert der Beirat zwei weitere Vorschläge zur Reform der Ehegattenbesteuerung. Der erste Vorschlag zeichnet sich dadurch aus, dass er Ehegatten das Recht einräumen will, einen vom Zweitverdiener nicht ausgeschöpften Grundfreibetrag auf den Erstverdiener zu übertragen. Nach diesem Modell versteuert der Erstverdiener also YE - (G - YZ ) und der Zweitverdiener YZ + (G - YZ ) = G, allerdings nur solange wie YZ < G gilt. Man erkennt unmittelbar, dass sich im Internalisierungsfall die Grenzsteuersätze zwischen Erst- und Zweitverdiener nicht unterscheiden. Als Folge wird der Leistungsanreiz für beide Ehegatten im Bereich von YZ < G < (YE + YZ)/2 sogar gemindert. Denn es gilt hier wegen der Konvexität des Tarifs

Formel 5

Die Zielsetzung der Reform, den Leistungsanreiz des Zweitverdieners im Vergleich zum Splitting zu stärken, wird also bei Internalisierung im genannten Einkommensbereich verfehlt. Erst für YZG fällt der Grenzsteuersatz des Zweitverdieners, und zwar durch Wechsel vom Splitting zur Individualbesteuerung.

Der andere vom Beirat diskutierte Vorschlag erhebt das Eherealsplitting zum Regelfall. Nach diesem Modell versteuert der Erstverdiener YE - U und der Zweitverdiener YZ + U, und zwar selbst dann, wenn YZ U gilt. Für dieses Modell spricht, dass die Grenzbelastung des Zweitverdieners bei konvexem Tarifverlauf und hinreichend großem Einkommensunterschied, YE - YZ > 2U (YE + YZ )/2 > YZ + U, sinkt. Bei weniger großem Einkommensunterschied, YE - YZ ≤ 2U, ist dagegen zu erwarten, dass die Ehegatten das Recht zur Einkommensübertragung nur bis zu dem Punkt ausschöpfen, bei dem das steuerliche Ergebnis dem bei einem uneingeschränkten Splitting gleichkommt. Die Grenzbelastung wird in einem solchen Fall nicht sinken können.

Ähnliches gilt bei dem hier vorgestellten Modell mit Ausgleichsregelung. Beide Modelle schaffen es, die Grenzbelastung des Zweitverdieners in weiten Bereichen abzusenken und in den übrigen wenigstens nicht anzuheben. Es gibt sogar Konstellationen, in denen das Eherealsplitting stärker absenkt. Als Beispiel sei ein Einkommenspaar mit YZ = 0 und YE > 2U genannt. Die Konvexität des Tarifs impliziert hier (U) < [ (U) + (YE - U)]/2), sodass die Grenzbelastung des Zweitverdieners beim Eherealsplitting geringer ist als beim Modell mit Ausgleichsregelung und Internalisierung. Umgekehrt ist es aber bei YZ > 2U. Hier wird nach dem Modell mit Ausgleichsregelung der Zweitverdiener individuell besteuert, sodass seine Grenzbelastung geringer ausfällt als beim Eherealsplitting. Bei welchem der beiden Modelle die größeren aggregierten Arbeitsangebotswirkungen zu erwarten wären, lässt sich daher nur empirisch und jedenfalls nicht rein theoretisch erschließen.

Eine eindeutige Aussage ist demgegenüber hinsichtlich der steuerlichen Belastung möglich. Und zwar wird der Splittingvorteil beim Modell mit Ausgleichsregelung stärker reduziert als beim Realsplitting. Unmittelbar einsichtig ist das bei YZ > 2U. In diesem Fall sieht der hier gemachte Vorschlag die Belastung der Individualbesteuerung vor, während das Realsplitting dahinter zurückbleibt. Aber auch für YZ ≤ 2U belastet die Ausgleichsregelung stärker, weil sie bei YZ > 0 eine geringere Angleichung der zu versteuernden Einkommen erlaubt. Im Grenzfall von YZ = 0 sind die Belastungen dagegen für alle YE identisch.

Das Modell mit der Übertragbarkeit des nicht ausgeschöpften Grundfreibetrages leidet darunter, dass es die Leistungsanreize des Zweitverdieners bei geringem Einkommen gegenüber dem Splitting verschlechtert. Es sollte daher nicht in Betracht gezogen werden. Demgegenüber spricht für das Beiratsmodell, dass es die Leistungsanreize des Zweitverdieners gerade bei geringem Einkommen deutlich stärkt. Allerdings kann das Beiratsmodell nicht verhindern, dass die Grenzbelastung bei höherem Einkommen über die beim Splitting geringfügig hinausgeht. Zudem wird ein zusätzlicher Freibetrag eingeführt, der den theoretischen Vergleich mit dem Eherealsplitting und dem Modell mit Ausgleichsregelung schwierig, wenn nicht gar unlösbar gestaltet.

Zusammenfassung

Ökonomen vertreten überwiegend die Auffassung, dass das Ehegattensplitting leistungsfeindlich wirkt und nicht länger zeitgemäß ist. Bei isolierter Betrachtung der Arbeitsanreize spricht in der Tat viel für eine Individualbesteuerung. Indes konfligiert diese mit der rechtlich begründeten Forderung, den Aufwand aus ehelichem Unterhalt beim Verpflichteten steuerlich anzuerkennen. Vor diesem Hintergrund hat sich der Wissenschaftliche Beirat 2018 eingehend mit der Frage beschäftigt, welche Besteuerungsformen infrage kommen, wenn man das Splitting in Richtung einer Individualbesteuerung reformieren, gleichzeitig aber der ehelichen Unterhaltsverpflichtung angemessen Rechnung tragen will. Im Ergebnis plädiert er dafür, Ehegatten einer Individualbesteuerung zu unterwerfen und ihnen zum Ausgleich für die Unterhaltsverpflichtung einen mit wachsendem Einkommen des Zweitverdieners sinkenden Ehezusatzfreibetrag zu gewähren. Der Vorschlag im vorliegenden Beitrag verzichtet da­rauf, Ehegatten einen besonderen Freibetrag einzuräumen. Dafür hält er bei geringem Einkommen des Erstverdieners am Splitting fest und wechselt erst bei hinreichend hohem Einkommen des Zweitverdieners zur Individualbesteuerung. Im Zwischenbereich greift ein Einkommensausgleich, der in seiner funktionalen Ausgestaltung durch das Beiratsmodell inspiriert wurde und einen stetigen Belastungsübergang zwischen den verschiedenen Bereichen sichert. Dieses Modell mit Ausgleichsregelung wird hier als Alternative zum Beiratsmodell und Eherealsplitting diskutiert. Es wird gezeigt, dass das Modell mit Ausgleichsregelung den Splittingvorteil stärker zu reduzieren erlaubt als das Realsplitting. Dagegen lässt sich theoretisch nicht mit Gewissheit sagen, welches der verschiedenen Modelle die aggregierten Arbeitshemmnisse, die das Splitting für den Zweitverdiener beinhaltet, stärker reduziert. Letztlich ist es also eine empirische und wegen der unterschiedlichen Verteilungswirkungen eine politische Frage, welchem Modell der Vorzug gebührt (SVR, 2021, Tz. 317 ff.). Hinzukommt, dass in einer politischen Bewertung die Besteuerung von Ehegatten nicht losgelöst von der Abgabenpflicht in der Sozialversicherung gesehen werden darf. Auch die Sozialversicherung dämpft mit ihrer am Haushaltsprinzip anknüpfenden Ausgestaltung die Leistungsanreize des Zweitverdieners, worauf der SVR (2023) hinweist (Blömer et al., 2021).

Die völlige Abkehr vom Splittingverfahren und die Hinwendung zur Individualbesteuerung kann man mit dem Hinweis kritisieren, dass ein Anreiz für Steuerplanung geschaffen wird (Richter, 1984). Es lohnt sich für Ehegatten, Einkommen des Erstverdieners als Einkommen des Zweitverdieners zu deklarieren, und zwar aus dem einzigen Grund, die gemeinsame Steuerlast zu drücken. Lässt sich solche Steuerplanung nicht unterbinden, haben es Ehegatten in der Hand, die Belastungswirkung des Splittingverfahrens trotz formaler Individualbesteuerung herbeizuführen. Damit liefe die Reform ins Leere. Allerdings eignen sich nicht alle Einkunftsarten für eine derartige Steuerplanung gleichermaßen. Insbesondere ist sie zwar bei Einkommen aus selbstständiger Arbeit möglich – bei Anstellung des Ehegatten –, nicht aber bei Einkommen aus nichtselbständiger Arbeit. Aus diesem Grund wäre auch zu klären, ob eine Reform der Ehegattenbesteuerung auf Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit begrenzt bleiben sollte oder nicht.

  • 1 Der Beweis: Stetigkeit der Belastung bei Übergang vom Splitting in den Ausgleichbereich bei YE = 2U verlangt
  • Bei strikter Konvexität von T impliziert die Annahme von 2U - AYZ + A die Ungleichung
  • was der vorangehenden Gleichung widerspricht. Also muss 2U - A = YZ + A gelten, woraus die Behauptung, A = U - YZ /2 folgt. Die Stetigkeit beim Übergang aus dem Ausgleichsbereich zur Individualbesteuerung bei YZ = 2U gilt übrigens trivialerweise.
  • 2 Es gilt EZF = G - YZ /2 für YZ ≤ G. Für YZ > G nimmt EZF quadratisch in YZ ab und wird null für YZ ≥ ῩZ .

Literatur

Bick, A. und N. Fuchs-Schündeln (2017), Quantifying the Disincentive Effects of Joint Taxation on Married Women’s Labor Supply, American Economic Review: Papers & Proceedings, 107(5), 100-104.

Blömer, M., P. Brandt und A. Peichl (2021), Raus aus der Zweitverdienerinnenfalle: Reformvorschläge zum Abbau von Fehlanreizen im deutschen Steuer- und Sozialversicherungssystem, Bertelsmann Stiftung.

Keane, M. P. (2022), Recent Research on Labor Supply: Implications for Tax and Transfer Policy, Labour Economics, 77.

Richter, W. F. (1984), Steuertarifliche Entlastung beim Ehegattensplitting, Wirtschaftswissenschaftliches Studium (WiSt), 13, 8-12 und 50-51.

SVR – Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (2021), Transformation gestalten: Bildung, Digitalisierung und Nachhaltigkeit, Jahresgutachten 2021/22.

SVR – Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (2023), Keine Privilegien für die Alleinverdienerehe, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21. Juli.

Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen (2018), Zur Reform der Besteuerung von Ehegatten, Gutachten.

Title:From Marital Income Splitting to Individual Taxation

Abstract:In Germany, married couples are taxed according to the income splitting method. This paper proposes a reform aimed at reducing the negative work incentives for the second earner. To this end, marital income splitting would be replaced by individual taxation, but only to the extent that legal maintenance obligations to the spouse are recognised as an expense for tax purposes. Under the proposal put forward here, splitting would remain permissible for low income of the primary earner, and individual taxation would only take effect for sufficiently high income of the secondary earner. In the intermediate range, a specially designed equalisation rule ensures a smooth transition of the joint tax burden.

Beitrag als PDF

© Der/die Autor:in 2023

Open Access: Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht (creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de).

Open Access wird durch die ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft gefördert.


DOI: 10.2478/wd-2023-0193

Mehr zu diesem Thema bei EconBiz