Ein Service der

Artikel als PDF herunterladen

Dieser Beitrag ist Teil von Datenzugang für Forschung und Politikberatung in Deutschland

Der Zugang zu Forschungsdaten für die wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Forschung ist in den meisten Nachbarländern besser als in Deutschland. Unzureichender Zugang zu Forschungsdaten hat vielfältige Konsequenzen: Die Evidenz, auf die in der Coronakrise politische Entscheidungen gestützt wurden, kam nicht aus Deutschland, weil deutsche Daten nicht verfügbar waren. Damit fehlten der Politik und Verwaltung relevante Informationen und der Öffentlichkeit eine Basis für Vertrauen in politisches Handeln. Forschende in Deutschland arbeiten häufig mit ausländischen Daten über ausländische Fragestellungen, weil deutsche Daten exzellente Forschung nur bedingt erlauben. Wenn akut wirtschaftspolitische Entscheidungen zu fällen sind, können diese nicht zielgenau und treffsicher ausgestaltet werden, da die empirische Basis für relevante Bewertungen fehlt. Stattdessen muss die Politik im Blindflug und mit groben Abschätzungen arbeiten. Die deutsche Bundesregierung hat die Problematik erkannt und will mit einem Forschungsdatengesetz Abhilfe schaffen.

Der Verein für Socialpolitik (VfS) mit ca. 3.800 Mitgliedern hat 2022 eine Arbeitsgruppe eingesetzt, um die Forschungsdatenbedarfe zu konkretisieren. Zu Beginn des Jahres 2023 wurden die Mitglieder des VfS befragt. Dies ergab, dass 65 % der Befragten mit den Möglichkeiten des Forschungsdatenzugangs in Deutschland unzufrieden sind. 73 % geben an, dass ihr Forschungserfolg unter den Restriktionen beim Datenzugang leidet. Knapp zwei Drittel der Antwortenden konnten in den vergangenen zehn Jahren Projekte aufgrund von Restriktionen beim Datenzugang nicht im gewünschten Umfang durchführen. Drei Viertel der Befragten sind der Ansicht, dass der Forschungsdatenzugang in Deutschland relevante und aktuelle Politikberatung erschwert. Relativ zu vergleichbaren Ländern wird der Datenzugang für die Forschung in Deutschland von 78,5 % der Befragten als schlechter eingeschätzt. Auf dieser Basis haben Wissenschaftler:innen die Datenbedarfe für sechs konkrete Forschungsfelder aufgearbeitet. Dieses Zeitgespräch fasst die Ergebnisse der Studien zusammen, die sich den Themenfeldern Arbeitsmarkt und Sozialversicherung, Bildung, Gesundheit, Makroökonomik, Regionaldaten und Unternehmensdaten widmen.1

Wenngleich sich die Bedarfslagen in den verschiedenen Bereichen unterscheiden, so gibt es doch eine Reihe von konkreten gemeinsamen Forderungen: Es bedarf der gesetzlichen Regelung von Datenverknüpfung, wobei Forschung als Verknüpfungszweck zu etablieren ist. Dies betrifft nicht nur die Verknüpfung von Datenquellen der öffentlichen Hand untereinander, sondern auch mit Daten aus Forschungsinstituten und der Wirtschaft. Dafür ist es erforderlich, dass einheitliche Identifikationsnummern für Personen, Betriebe und Unternehmen genutzt werden können. Zusätzlich muss der Zugang wissenschaftlicher Forschung zu öffentlichen Verwaltungs- und Registerdaten geregelt werden. Eine weitere große Herausforderung ist die zersplitterte Anwendung von Datenschutzregeln in Deutschland: Hier sollten bundeseinheitliche und rechtskreisübergreifende Regelungen etabliert werden, die ein Forschungsprivileg berücksichtigen. Die Forschungsdateninfrastruktur, insbesondere die Forschungsdatenzentren der amtlichen Statistik, muss deutlich besser mit finanziellen und personellen Ressourcen ausgestattet werden. Gleichzeitig sollte die amtliche Statistik durch einen expliziten und ressourcenunterfütterten Forschungsauftrag gestärkt werden und ihre Arbeitsweise nach internationalem Vorbild verstärkt am Output orientiert werden. Moderner Datenzugang erfordert einen Remote-Desktop-Datenzugang für die Wissenschaft. Löschungsauflagen speziell bei Hilfsmerkmalen sind zu überdenken. Im Rahmen des Forschungsdatengesetzes sollte auch ein Zeugnisverweigerungsrecht für Forschende und ein Beschlagnahmungsverbot bei wissenschaftlichen Einrichtungen eingeführt werden. Weitere Bedarfe werden in den Beiträgen benannt.

Aus Sicht der Wissenschaft ist Eile geboten: die Einführung des Forschungsdatengesetzes sollte nicht auf der Basis von Interessen anderer Stakeholder verzögert werden. Im benachbarten Ausland sind in den vergangenen Jahren erhebliche Fortschritte bei der Weiterentwicklung des Datenzugangs erzielt worden (vgl. Österreich, Niederlande, Luxemburg, Frankreich, Dänemark etc.). Dies zeigt, dass das europäische Datenschutzrecht keine Restriktion ist und bei besserem Forschungsdatenzugang vollständig umgesetzt werden kann. Gerade im Feld der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften sind die Kosten fehlender Daten und damit fehlender Analysen und Informationen immens. Politische Entscheidungen können ohne relevante Informationen nicht präzise sein, Maßnahmen und Instrumente sind ineffizienter als nötig, und echte Evidenzbasierung der Politik und ein Lernen aus Erfahrung scheitern am Datenmangel. Der Appell aus der Wissenschaft ist klar: Wir brauchen schnell ein Forschungsdatengesetz, das diese Mängel behebt.

Beitrag als PDF

© Der/die Autor:in 2023

Open Access: Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht (creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de).

Open Access wird durch die ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft gefördert.


DOI: 10.2478/wd-2023-0202