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Eine Insolvenz ist nur eine von mehreren möglichen Varianten, wie Unternehmen aus dem Markt austreten können. Viele Unternehmen schließen einfach ohne Insolvenz, wieder andere werden übernommen oder fusionieren. Tatsächlich schließen sehr viel mehr Unternehmen ohne Insolvenz, als Unternehmen eine Insolvenz anmelden (Müller und Stegmaier, 2015). Der Hauptunterschied zwischen den Marktaustrittsformen besteht darin, dass ein Marktaustritt ohne Insolvenz nicht immer ein Scheitern des Unternehmens als Ursache hat und oft freiwillig geschieht.1 Der Marktaustritt über den Weg der Insolvenz ist hingegen ein deutlicher Hinweis auf ökonomisches Scheitern. Marktaustritten ohne Insolvenz geht oft eine mehrjährige geordnete Schrumpfungsphase vorweg, während insolvente Unternehmen sich bis zum Schluss gegen den Austritt stemmen (Fackler et al., 2018). Das Interesse an Insolvenzen ergibt sich zum einen daraus, dass sie ein sehr aktueller und gut messbarer Indikator für ökonomisches Scheitern und Arbeitsplatzverluste sind. Zum anderen bergen massenhafte Insolvenzen die Gefahr von Ansteckungseffekten bis hin zu Bankenkrisen.

Insolvenzgeschehen bis zum Ausbruch der Pandemie: weniger, aber teurere Insolvenzen

Die Einführung der Insolvenzordnung im Jahr 1999 markiert den Beginn der aktuellen Insolvenzstatistik des Statistischen Bundesamtes. Als Insolvenzereignis erfasst diese Statistik die Gerichtsentscheidung über die Verfahrenseröffnung. Dabei werden Abweisungen mangels Masse und Eröffnungen von Insolvenzverfahren gezählt. Gerichtsentscheidungen ergehen im Mittel zwei bis drei Monate nachdem Schuldner oder Gläubiger den Insolvenzantrag gestellt haben. Die Abbildung 1 bildet die Entwicklung des Insolvenz-
geschehens anhand der amtlichen Statistik seit 1999 im Hinblick auf die Zahl der Insolvenzen, die Zahl der betroffenen Arbeitnehmenden und die voraussichtlichen Forderungen der Gläubiger ab. Es werden dreijährige Mittelwerte angegeben, die auf den Basiszeitraum 1999 bis 2001 normiert sind. Die Zahl der Insolvenzen stieg zunächst um 33 % an, bevor ein kontinuierlicher Rückgang einsetzte. Bis zum Zeitraum 2017 bis 2019 sank die Zahl der Insolvenzen um ein Drittel, verglichen mit 1999 bis 2001; in den neuen Bundesländern (ohne Berlin) betrug der Rückgang gar 72 %. Im gleichen Zeitraum hat sich in Deutschland auch die Gründungsneigung stark verringert2 und Insolvenzen betreffen vor allem junge Unternehmen (Müller und Stegmaier, 2015). Die Abbildung 1 zeigt, dass Insolvenzen junger Unternehmen (jünger als 8 Jahre) zunächst an Bedeutung verloren und der Anteil etablierter Unternehmen (8 Jahre oder älter) seit dem Zeitraum 2008 bis 2010 bei etwa 40 % konstant blieb.3

Abbildung 1
Insolvenzgeschehen, Drei-Jahres-Mittel
Insolvenzgeschehen, Drei-Jahres-Mittel

Die in der Abbildung gezeigten Anteile (Linien) sind nicht auf den Basiszeitraum 1999 bis 2001 normiert.

Quelle: Destatis.

Bis 2019 sank die Zahl der betroffenen Arbeitnehmenden sogar etwas stärker als die Zahl der Insolvenzen. Verglichen mit 192.000 jährlich betroffenen Jobs im Basiszeitraum, waren im Zeitraum 2017 bis 2019 nur noch 121.000 Jobs pro Jahr betroffen. Die Abbildung 1 zeigt, dass der Anteil von insolvenzbetroffenen Jobs in etablierten Unternehmen dabei anstieg. Das lag in erster Linie daran, dass insolvente ältere Unternehmen zwischen 2002 bis 2004 und 2017 bis 2019 im Mittel um 19 % größer wurden und junge Unternehmen gleich klein blieben.

Deutlich volatiler gestaltet sich die Entwicklung der Forderungen von Insolvenzgläubigern. Das liegt oft an einzelnen Insolvenzen mit hohen Forderungssummen und entsprechend vorsichtig ist die Entwicklung der Forderungen zu interpretieren. Auch bei vorsichtiger Interpretation lassen die Daten jedoch die Aussage zu, dass die Forderungssummen trotz weniger Insolvenzen eher gestiegen sind. Eine mögliche Ursache kann in einer lockeren Kreditvergabe vor dem Hintergrund der Niedrigzinspolitik der EZB vermutet werden.

In der Gesamtschau sticht somit ins Auge, dass sich das Insolvenzgeschehen in den zwei Jahrzehnten zwischen 1999 und 2019 hin zu weniger Insolvenzen – aber zu Insolvenzen von größeren und älteren Unternehmen – verschoben hat. Eine Interpretation ist, dass das Geschehen weniger stark vom Trial & Error der klassischen Start-up-Szene dominiert war, aber stärker von der Obsoleszenz älterer Unternehmen. Leider erlaubt die amtliche Statistik keine genauere Untergliederung beim Alter der etablierten Unternehmen und somit bleiben alternative Interpretationsmöglichkeiten. Denkbar ist etwa, dass die Niedrigzinspolitik der EZB zu einer längeren Überlebensdauer von Start-ups beigetragen hat und diese statistisch somit verstärkt in der Gruppe der etablierten Unternehmen zu finden sind.

Heterogenes Insolvenzgeschehen in der Doppelkrise aus Pandemie und Kostenexplosion

Die Coronapandemie und die bereits 2021 einsetzende und durch den russischen Überfall auf die Ukraine deutlich verschärfte Kostenkrise haben das Insolvenzgeschehen auf unterschiedliche Weise beeinflusst. Die Pandemie traf die meisten Unternehmen am Ende einer langanhaltenden wirtschaftlichen Boomphase. Auch wenn Handelskriege und Brexit den Boom bereits 2019 beendet hatten, konnten doch viele Unternehmen über einen langen Zeitraum Reserven aufbauen und den unmittelbaren Corona-Schock abfedern. Der Staat reagierte auf die absehbare und unverschuldete Notlage vieler Unternehmen zudem mit umfangreichen Kredit- und Hilfszusagen, einem sehr viel leichter zugänglichen und großzügiger ausgestalteten Kurzarbeitergeld und einer zeitweisen Aussetzung der Insolvenzantragspflicht. In der Folge brachen die Insolvenzzahlen trotz Krise um 16 % im Jahr 2020 ein. Gleichzeitig, und von der Öffentlichkeit weit weniger beachtet, änderte sich aber die Zusammensetzung der insolventen Unternehmen stark. Die Zahl der Insolvenzen im Bereich der „Einzelunternehmen, freie Berufe und Kleingewerbe“ brach 2020 um 30 % ein, während die Insolvenzen bei den in der Regel sehr viel größeren Personen- und Kapitalgesellschaften nur um 8 % zurückging. Dies hat jedoch nur zu einem kleinen Teil dazu beigetragen, dass die durchschnittliche Insolvenz 2020 drastische 55 % mehr Beschäftigte betraf als 2019. Der Hauptgrund war ein Anstieg der Unternehmensgröße bei den Personen- und Kapitalgesellschaften um 50 %. Im Ergebnis lag die Zahl der von Insolvenz betroffenen Arbeitnehmer:innen 2020 mit 188.000 Beschäftigten auf dem höchsten Wert seit der weltweiten Finanzkrise 2009.

Im Wahljahr 2021 ging die Zahl der Insolvenzen und der betroffenen Jobs nochmals zurück und es mehrten sich die Stimmen, die eine Verzerrung und ein Aufstauen des Insolvenzgeschehens infolge der noch immer laufenden staatlichen Stützungsprogramme befürchteten. In der Tat waren diese Programme nicht zielgenau und nach dem weitgehenden Ende der akuten Einschränkungen durch die Pandemie immer schwieriger zu rechtfertigen. Nicht zielgenau waren sie z. B. deshalb, weil etwa das Kurzarbeitergeld grundsätzlich allen Branchen in gleicher Weise zugänglich gemacht wurde, egal ob die Branche von der Pandemie betroffen war oder nicht. Mitnahmeeffekte wurden hier auf unnötige Weise erleichtert. Vergleichende Analysen europäischer Länder zeigen zudem, dass finanzielle Staatshilfen in fast allen untersuchten Ländern entweder in gleicher Weise an vor der Pandemie produktive und unproduktive Unternehmen gezahlt wurden oder gar zielgenau an notleidende, aber vorher produktive Unternehmen gingen (Bighelli et al., 2023). Die unrühmliche Ausnahme bildet hier ausgerechnet Deutschland (Altomonte et al., 2021). Hierzulande haben Unternehmen mit deutlich höherer Wahrscheinlichkeit staatliche Finanzhilfen erhalten, wenn sie vor der Pandemie unterdurchschnittlich produktiv waren. Die Folge dieser Politik dürfte zum einen eine Fehlallokation knapper Ressourcen in Form einer vorübergehenden Weiterexistenz schwacher Unternehmen bei gleichzeitigem Arbeitskräftemangel in zukunftsfähigen Unternehmen gewesen sein. Zum anderen dürfte es ein Aufschieben vieler Insolvenzen bis zu dem Zeitpunkt verursacht haben, an dem die Hilfen zurückgezahlt werden müssen.

Im Jahr 2022 stagnierte das Insolvenzgeschehen auf niedrigem Niveau. Zum einen liefen Sonderregelungen zum Kurzarbeitergeld bis ins Frühjahr weiter, zum anderen mussten Finanzhilfen noch nicht zurückgezahlt werden. In der zweiten Jahreshälfte begann jedoch bereits vorsichtig die Trendwende. Die Insolvenzzahlen und die Zahl der betroffenen Jobs stiegen spürbar vor allem im Verarbeitenden Gewerbe und im Bausektor. Hauptgründe dafür dürften die explodierenden Energiepreise im Zuge des russischen Überfalls auf die Ukraine und steigende Kreditzinsen durch eine deutlich restriktivere Geldpolitik der EZB gewesen sein. In der Summe zeigt die Abbildung 1, dass die Jahre 2020 bis 2022 von extrem niedrigen Insolvenzzahlen, moderaten Arbeitsmarkteffekten und sehr hohen Forderungsausfällen geprägt waren.

Aktuelle Lage und Ausblick

Die bereits 2022 beginnende Trendwende setzt sich 2023 fort. Ein aktuelles Bild der Lage bietet dabei der monatlich erscheinende IWH Insolvenztrend, der neben den aktuellsten Zahlen auch ökonomische Einschätzungen der Situation und einen Ausblick auf die kommenden Monate beinhaltet. Der IWH Insolvenztrend fokussiert dabei ausschließlich auf Personen- und Kapitalgesellschaften. Der Hauptgrund hierfür ist, dass diese Unternehmensgruppe in der Regel für etwa 90 % der Arbeitsplätze und 95 % der Forderungen steht und in der Zeitreihe weniger volatil als etwa die vom Statistischen Bundesamt berichteten Regel­insolvenzen sind. Trends lassen sich dadurch aus Sicht der IWH Insolvenzforschung besser abbilden.

Zum Redaktionsschluss liegen die Zahlen bis einschließlich Oktober 2023 vor. Die Zahl der Insolvenzen lag in jedem Monat des Jahres 2023 deutlich über den Vorjahreswerten und seit Juni 2023 auch über dem Mittel der Jahre 2016 bis 2019. Bis einschließlich Oktober übertreffen die Insolvenzzahlen das langjährige Mittel nur um etwa 10 %, sodass bisher eher von einer Normalisierung als von einer Insolvenzwelle ausgegangen werden sollte. Allerdings setzt sich der langfristige Trend zu größeren Insolvenzen fort. Legt man die im IWH Insolvenztrend erfasste Statistik zu den Jobs in den 10 % größten Unternehmen zugrunde, muss von einem erheblichen Anstieg der betroffenen Jobs um etwa ein Drittel verglichen mit 2016 bis 2019 ausgegangen werden.4 Auffällig sind dabei eine Reihe größerer Insolvenzen von Krankenhäusern.

Für die kommenden Monate rechnet die IWH Insolvenzforschung mit spürbar steigenden Insolvenzzahlen, sodass zumindest für die zweite Jahreshälfte 2023 von einem deutlich erhöhten Insolvenzgeschehen gesprochen werden muss. Neben der schwierigen gesamtwirtschaftlichen Lage in Deutschland und während der Pandemie aufgezehrten finanziellen Polstern dürfte auch das Nachwirken der Coronahilfen die Insolvenzzahlen nach oben treiben, denn die oft in Form von Krediten gezahlten Hilfen müssen nun zurückgezahlt werden. Da viele schwache Unternehmen diese Hilfen erhalten haben, sind Insolvenzen nun unvermeidlich. Einige positive Aspekte lassen sich der Situation aber doch abgewinnen, denn viele der nun nachgeholten Insolvenzen betreffen Unternehmen, die schon länger unrentabel waren. Vor dem Hintergrund des Arbeitskräftemangels in Deutschland darf mit einiger Zuversicht erwartet werden, dass die nun freigesetzten Arbeitskräfte zügig in andere, rentablere und letztlich zukunftsfestere Unternehmen werden wechseln können. Mit persistenten Lohnverlusten in relevanter Größenordnung ist bei einer Insolvenz des Arbeitgebers typischerweise ohnehin nicht zu rechnen (Fackler et al., 2021) und eine geringe Arbeitslosenquote dürfte diese Verluste weiter dämpfen (Schmieder et al., 2023).

    • 1 Siehe Müller und Stegmaier (2015) für eine tiefere Diskussion von Marktaustrittsgründen.
    • 2 Die Zahl der Gewerbeanmeldungen erreichte 2018 und 2019 den niedrigsten Wert seit Einführung der amtlichen Statistik zu Gewerbeanzeigen.
    • 3 Die amtliche Statistik weist Insolvenzen nur anhand dieser Altersunterscheidung aus. Die Statistik nach Alter beginnt 2003, der in der Abbildung ausgewiesene Mittelwert 2002 bis 2004 bezieht sich hier also nur auf zwei Jahre. Bis 2006 liegt der Anteil fehlender Altersangaben bei etwa einem Drittel, später bei 10 % bis 20 %. Fehlende Angaben betreffen überproportional kleine Unternehmen, sodass die Aufteilung von Forderungen und Arbeitnehmer:innen auf die Altersklassen deutlich besser gelingt, als die Aufteilung der Zahl der Insolvenzen. Für diesen Beitrag wurden fehlende Angaben entsprechend dem Anteil von jungen versus etablierten Unternehmen an den gültigen Antworten auf beide Gruppen aufgeteilt.
    • 4 Der Anteil der betroffenen Arbeitnehmer:innen in Großunternehmen ist ein sehr guter Indikator für die Gesamtzahl der betroffenen Arbeitnehmer:innen (Müller, 2021).

Literatur

Altomonte, C., M. Demertzis, L. Fontagné und S. Müller (2021), COVID-19 financial aid and productivity: has support been well spent?, Bruegel, https://www.bruegel.org/sites/default/files/wp_attachments/PC-21-031121.pdf (3. November 2023).

Bighelli, T., T. Lalinsky und J. Vanhala (2023), Cross-country evidence on the allocation of COVID-19 government subsidies and consequences for productivity, Journal of the Japanese and International Economies, 68, 101246.

Fackler, D., S. Müller und J. Stegmaier (2018), Plant-level employment development before collective displacements: comparing mass layoffs, plant closures and bankruptcies, Applied Economics, 50(50), 5416-5435.

Fackler, D., S. Müller und J. Stegmaier (2021), Explaining wage losses after job displacement: Employer size and lost firm wage premiums, Journal of the European Economic Association, 19(5), 2695-2736.

Müller, S. (2021), Insolvenzen in der Corona-Krise, IWH Policy Notes, 2/2021.

Müller, S. und J. Stegmaier (2015), Economic failure and the role of plant age and size, Small Business Economics, 44, 621-638.

Schmieder, J. F., T. von Wachter und J. Heining (2023), The costs of job displacement over the business cycle and its sources: evidence from Germany, American Economic Review, 113(5), 1208-1254.

Title:Corporate Bankruptcies in Germany

Abstract:Corporate bankruptcy in Germany has been on a long-run decline. Even before the recent double crisis of the pandemic and multiple cost shocks, bankruptcy figures were one-third lower than around the turn of the century but were larger and affected more mature firms. With the onset of the double crisis, bankruptcies plummeted further while the number of affected jobs rose initially. Government rescue programmes hindered the exit of many small unproductive firms. Since mid-2023, bankruptcies of registered firms are higher than before the pandemic. Due to the current recession and the need to repay government support, the number of bankruptcies will rise until the end of 2023 and likely beyond.

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© Der/die Autor:in 2023

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DOI: 10.2478/wd-2023-0214