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Um der historischen Inflationswelle zu begegnen, hat die EZB den Zinssatz für die Einlagefazilität seit Juli 2022 in zehn Schritten von -0,5 % auf 4 % angehoben. In der jüngsten Sitzung Ende Oktober hat sich der EZB-Rat gegen einen weiteren Zinsschritt entschieden und darauf verwiesen, dass die volle restriktive Wirkung der bisherigen Zinsschritte auf die Finanzierungsbedingungen noch ausstehe (EZB, 2023a). Vergleicht man die Zinsstrukturkurve (OIS) im Euroraum vom September 2023 mit der vom September 2021 vor der Zinswende, so liegen die Renditen nun über die verschiedenen Laufzeiten um rund 3,5 Prozentpunkte höher. Die Verschiebung der Zinsstrukturkurve strahlt unmittelbar auf die Zinssätze im Neukreditgeschäft mit dem Privatsektor aus (Sonnenberg, 2023). Die Zinsen für Unternehmenskredite und Immobilienkredite privater Haushalte lagen im September 2023 ca. 3,6 bzw. 2,6 Prozentpunkte höher als im September 2021. Dieser Anstieg hat bereits zu einem deutlichen Rückgang des Neukreditgeschäfts geführt. Von Januar bis September 2023 ist das Neugeschäft von Immobilienkrediten im Euroraum um rund 35 % gegenüber dem Vorjahr eingebrochen. In Deutschland, Frankreich, den Niederlanden, Österreich, Slowenien und der Slowakei liegt der Rückgang sogar bei über 40 %. In Spanien betrug der Rückgang 17 %, in Italien, Finnland und Irland weniger als 10 % und nur Portugal verzeichnete einen Anstieg um 16 %. Bei den Unternehmenskrediten ging das Neugeschäft im Euroraum im gleichen Zeitraum nur um 5 % zurück. Allerdings deutet die Umfrage zum Kreditgeschäft darauf hin, dass die Kreditnachfrage der Unternehmen insbesondere zur Finanzierung längerfristiger Anlageinvestitionen stark gesunken ist (EZB, 2023b). Neben dem Neukreditgeschäft bestimmen Refinanzierungen den Bestand an ausstehenden Krediten an den Privatsektor. Insgesamt stagniert dieser im Euroraum seit Jahresbeginn.

Im Gegensatz zum Neukreditgeschäft ist ein Großteil des Kreditbestands noch nicht von der Zinswende betroffen. Wie rasch das gestiegene Zinsniveau auf den Kreditbestand überwälzt wird, hängt von der in den Kreditverträgen festgehaltenen Zinsbindung ab. Für die privaten Haushalte im Euroraum ist die Verzinsung des Kreditbestands von September 2021 bis September 2023 um 0,8 Prozentpunkte auf 3 % gestiegen (vgl. Abbildung 1, links). Insbesondere in den baltischen Staaten sowie Portugal und Finnland weisen die Kredite an private Haushalte einen hohen Anteil an variabler Verzinsung bzw. kurzer Zinsbindung auf. Hier lagen die auf den Kreditbestand zu zahlenden Zinsen im September 2023 bereits um ca. 3,1 bis 3,4 Prozentpunkte höher als vor zwei Jahren. Eine deutlich längere Zinsbindung ist dagegen vor allem in Deutschland, Belgien, Frankreich, der Slowakei und in den Niederlanden zu beobachten (Gern et al., 2023). Hier sind die Zinsen bislang nur um rund 0,1 bis 0,3 Prozentpunkte gestiegen. Bei Unternehmenskrediten zeigt sich ein ähnliches Bild, wobei die Überwälzung des höheren Zinsniveaus weiter fortgeschritten ist. In vielen Ländern sind die Zinsen bereits um 3 Prozentpunkte gestiegen (vgl. Abbildung 1, rechts). Für den Euroraum insgesamt fällt der Anstieg mit 2,2 Prozentpunkten jedoch geringer aus, da in großen Volkswirtschaften, wie Deutschland und Frankreich, der Anstieg nur rund 1,6 bzw. 1,8 Prozentpunkte beträgt.

Abbildung 1
Anstieg der Zinsen für Haushalte und Unternehmen im Kreditbestand, September 2021 bis September 2023
Anstieg der Zinsen für Haushalte und Unternehmen im Kreditbestand, September 2021 bis September 2023

BALT. = Mittelwert aus Estland, Litauen und Lettland, BD = Deutschland, BG = Belgien, EA = Euroraum, ES = Spanien, FN = Finnland, FR = Frankreich, IR = Irland, IT = Italien, NL = Niederlande, OE = Österreich, PT = Portugal, SJ = Slowenien, SX = Slowakei.

Quelle: EZB, eigene Berechnungen.

Vergleicht man die Zinsen im Bestand mit den Zinsen im Neukreditgeschäft,1 kann man die noch ausstehende Überwälzung im Bestand grob abschätzen. Dazu wird angenommen, dass die durchschnittliche Laufzeit im Neu-
kreditgeschäft mit der im Bestand übereinstimmt und die Zinsen im Neukreditgeschäft auf dem derzeitigen Niveau verweilen. Unter diesen Annahmen steht bei Immobilienkrediten von Haushalten vor allem in Deutschland und der Slowakei noch eine relativ hohe Überwälzung von ca. 2 Prozentpunkten aus (vgl. Abbildung 2). Für Belgien, Frankreich und die Niederlande sind es rund 1,5 Prozentpunkte. In den übrigen Ländern ist die Überwälzung schon recht weit fortgeschritten, sodass dort die Zinsen im Bestand nur noch um 0,5 Prozentpunkte oder weniger steigen dürften. Bei den Unternehmenskrediten ist die Anpassung an das derzeitige Zinsniveau schon weiter fortgeschritten, wobei auch hier vor allem Deutschland, Belgien und Frankreich mit einer noch hohen ausstehenden Überwälzung von 1,5 bis 2 Prozentpunkten hervorstechen. In den übrigen Ländern ist die ausstehende Überwälzung nahezu abgeschlossen oder liegt bei ca. 0,5 Prozentpunkten (Spanien, Österreich, Finnland).

Abbildung 2
Ausstehende Überwälzung der Zinsen im Kreditbestand verglichen zum Neukreditgeschäft
Ausstehende Überwälzung der Zinsen im Kreditbestand verglichen zum Neukreditgeschäft

Quellen: EZB, eigene Berechnungen.

Die finanzielle Belastung des Privatsektors dürfte vor allem in den Ländern zunehmen, in denen noch ein Gutteil der Überwälzung aussteht. Es stellt sich die Frage, wie stark die Zinsausgaben im Kreditbestand den Privatsektor belasten bzw. belasten werden. Hierfür ist nicht nur das Zinsniveau relevant, sondern auch die Einkommen sowie der Verschuldungsgrad des Privatsektors. Vergleicht man die aktuellen Zinsausgaben des Privatsektors (Haushalte und Unternehmen) im zweiten Quartal 2023 und die Zinsausgaben bei voller Überwälzung des aktuellen Zinsniveaus zu den Höhepunkten seit Beginn der Währungsunion (2003, 2007, 2011), so zeigt sich für die zehn größten Volkswirtschaften im Euroraum ein divergierendes Bild. Auffällig sind die besonders hohen Zinsausgaben des Privatsektors in Relation zum BIP 2007 in Spanien, Irland und Portugal, als der Zinserhöhungszyklus der EZB auf einen vorangegangenen Kreditboom in diesen Ländern traf (vgl. Abbildung 3). Aktuell liegen die Zinsausgaben in allen Ländern unter den länderspezifischen Höhepunkten. Nur in Finnland liegen sie aktuell relativ hoch. Relativ niedrig erscheinen sie aktuell in Deutschland, Spanien, Irland, Portugal, Irland und in den Niederlanden. Bei voller Überwälzung des aktuellen Zinsniveaus in den Kreditbestand fallen die Zinsausgaben jeweils relativ hoch in Finnland, Frankreich, Belgien, Österreich, Italien und Deutschland aus. Zu den Zinsausgaben auf den Kreditbestand kommen – hier nicht berücksichtigt – bei Unternehmen noch Zinsausgaben auf Anleihen.

Abbildung 3
Zinsausgaben des Privatsektors (Haushalte und Unternehmen) in Relation zum Bruttoinlandsprodukt
Zinsausgaben des Privatsektors (Haushalte und Unternehmen) in Relation zum Bruttoinlandsprodukt

Quellen: EZB, Eurostat, eigene Berechnungen.

Es lässt sich festhalten, dass die Bremsspuren der Geldpolitik im Neukreditgeschäft von Haushalten bereits deutlich sichtbar sind und auch die Umfrage zum Kreditgeschäft einen restriktiven Effekt auf die Kreditnachfrage der Unternehmen anzeigt. In den Kreditbeständen hat sich die Zinswende bereits zum Teil niedergeschlagen und damit die finanzielle Belastung des Privatsektors erhöht. In den beiden größten Volkswirtschaften des Euroraums (Deutschland und Frankreich) steht jedoch noch ein erheblicher Teil der Überwälzung des höheren Zinsniveaus aus. Für sich genommen dürfte sich die Bremswirkung der Geldpolitik durch den fortschreitenden Anstieg der Zinsausgaben noch verstärken. Besonders auffällige Ausschläge der Zinsausgaben wie vor der Finanzkrise 2008 sind derzeit aber selbst bei vollständiger Überwälzung des aktuellen Zinsniveaus in den Kreditbestand nicht zu beobachten. Letztendlich kann aus der aggregierten Betrachtung von Haushalten und Unternehmen nicht unmittelbar auf die gesamtwirtschaftlichen Effekte geschlossen werden, da sich die höheren Zinsausgaben aber auch -einnahmen unterschiedlich auf die einzelnen Haushalte und Unternehmen auswirken dürften.

  • 1 Es werden die Zinsen im Bestand jeweils zum Indikator „Composite Cost of Borrowing“ der EZB verglichen, der die Zinsen im Neukreditgeschäft anzeigt.

Literatur

EZB (2023a), Monetary policy decisions, Press Release, 26. Oktober.

EZB (2023b), Euro area bank lending survey, Press Release, 24. Oktober.

Gern, K. J., N. Jannsen, N. Sonnenberg (2023), Inflation and the effects of monetary tightening in the euro area, Monetary Dialogue Papers, Juni.

Sonnenberg, N. (2023), The ECB stepping on the brake(s) - monetary tightening in an abundant reserve system, Monetary Dialogue Papers, März.

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© Der/die Autor:in 2023

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DOI: 10.2478/wd-2023-0215

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