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Argentiniens Wahlsieger Javier Milei wird die Geschichte von Baron Münchhausen, der sich samt Pferd am Schopf aus dem Sumpf zog, nicht kennen. Auch wird ihm das physikalische Gesetz, dass eine solche Bewegung nur mit äußeren Kräften, nicht aber aus eigenen Kräften möglich ist, egal sein. Aber in diesem Fall stimmen physikalisches und ökonomisches Gesetz überein: Milei braucht Hilfe von außen. Ohne sie hat sein radikal-libertäres „Programm“ keine Chance, um Argentinien aus einem jahrzehntelang fließenden Maelstrom zu befreien. Gespeist wird er von galoppierender Inflation, wachsender heimischer Staatsverschuldung, schwindenden Devisenreserven und mangelnden Fähigkeiten – oder mangelndem politischen Willen – seine internationalen Schulden zu bedienen. Argentinien ist heute ein verarmtes Land, weil, wie Acemoglu und Robinson in ihrem Bestseller „Why Nations Fail“ zu Recht anführen, ihre Führer nicht wissen, welche Politiken ihre Bevölkerung reicher machen. Argentinien ist für sie ein Modellfall für Politikversagen. Die Sorge ist, dass Milei es auch nicht weiß oder wissen will, er aber gewählt wurde, weil die Bürger in ihrer Verzweiflung eher einem Verrückten folgen, als einem, der sie angeblich bestiehlt.

Seiner „Kettensäge“ sollen aus seiner Sicht unproduktive Ministerien, die für Bildung, Erziehung, Gesundheitsvorsorge, Wissenschaft, Umwelt und Frauenrechte zuständig sind, zum Opfer fallen. Der öffentliche Gesundheitssektor soll dem freien Wettbewerb ausgesetzt werden und ein aus den Resten der früheren Ministerien zusammengesetztes Ministerium für Humankapital soll nur noch einen Bruchteil des früheren Personalbedarfs beanspruchen. Aber: Erfahren die aus peronistischen Zeiten an den Staatssektor als Arbeitgeber und Fürsorger gewöhnten Bürger, was an Kürzungen von Sozialhilfe auf sie zukäme, wird es Widerstand auf allen Ebenen geben, vor allem in den Kommunen und Provinzen. Ohne Kompromisse und Zugeständnisse an notwendige Partner im Parlament, wie die Partei von Patricia Bullrich, wird Milei bald wieder mit öffentlichen Protesten auf der Straße zu rechnen haben.

Womit Milei die größte internationale Aufmerksamkeit erhielt, ist das Anlegen der Axt an den Peso und seinen Ersatz durch den US-Dollar. Das Ziel ist klar. Die Inflation soll sinken, inflationäre Erwartungen sollen gebrochen werden. Bereits zwischen 1991 und 2001 band Argentinien durch ein „Currency Board“ (CB) den Peso im festen unveränderbaren Verhältnis eins zu eins an den US-Dollar und brach dadurch Inflation und inflationäre Erwartungen. Der Preis war eine scharfe Rezession, weil ein wichtiger Anpassungsmechanismus an Schocks entfiel und andere Mechanismen, wie Reallohnkürzungen oder Produktivitätsanstiege, entweder politisch nicht durchsetzbar oder ökonomisch nicht machbar waren. Eine unumgängliche Ausgabendisziplin im Staatsbudget unterblieb, sodass die Glaubwürdigkeit des CB als nachhaltiges Instrument der Inflationskontrolle sank und der Peso von Anfang an real überbewertet war. Für die Erzielung von Nettoexporterlösen als Grundlage der Verteidigung des CB war die Überbewertung tödlich.

Jetzt will Milei mit der Übernahme des US-Dollars als einziges legales Zahlungsmittel noch einen Schritt weiter als der CB gehen. Er will eine Währungsreform und die ist nach den Erfahrungen in Deutschland 1948 langwierig und anspruchsvoll. Erstens muss das Land als Startkapital Liquidität von außen erhalten, angesichts ausstehender Schulden beim IWF von über 40 Mrd. US-$, ewiger Kontroversen über einen Schuldenschnitt und fehlender Devisenreserven eine mit Hypotheken belastete Voraussetzung. Zweitens müssen die institutionellen Voraussetzungen im Bankensektor erfüllt werden. Eine Spaltung des Sektors in diejenigen Banken, die Zugang zu internationaler Liquidität haben (Töchter internationaler Banken) und die lokalen Banken, die keine US-Dollar besäßen, wäre genauso schädlich wie die soziale Spaltung der Bevölkerung in Dollarbesitzer und Nichtdollarbesitzer. Nach den schlechten Erfahrungen mit dem CB wären Dollarbesitzer zunächst wohl auch nicht bereit, Dollarkonten im Inland zu eröffnen, aus Angst, ihnen könnte bei einer Notlage der Zugang zum Konto, wie Ende 2001, versperrt werden („corralito“). Der für die Investitionsbereitschaft nachteilige Bargeldumlauf bliebe hoch. Drittens müsste eine Dollarumtauschrate für Forderungen in Peso bestimmt werden, die zwischen privaten Haushalten und Unternehmen unterschiedlich sein müsste, um den Erholungsprozess nicht von Anfang an zu torpedieren.

Und zuletzt: Jede US-Geldpolitik oder Wechselkursbewegung des US-Dollar zu anderen Währungen hätte Argentiniens Wirtschaft mitzugehen, ohne Einfluss nehmen zu können. Die USA würden bei ihrer Politik: „unsere Währung, euer Problem“ bleiben. Das Land braucht Anleihen bei mutigen Anlegern, aber nicht bei Münchhausen. Der Realitätsschock wird Milei die Kettensäge aus der Hand schlagen.

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© Der/die Autor:in 2023

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DOI: 10.2478/wd-2023-0219