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Das Europaparlament hat am 22. November 2023 den Vorschlag zur „Verordnung über den nachhaltigen Einsatz von Pflanzenschutzmitteln“ (Sustainable Use Regulation: SUR) abgelehnt, die die Halbierung des Einsatzes von chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln (PSM) bis 2035 vorsieht. Ein wesentlicher Kritikpunkt am SUR-Vorschlag war das vollständige Verbot für den chemisch-synthetischen Pflanzenschutz in sensiblen Gebieten (Schutzgebiete im Sinne der Wasserrahmenrichtlinie und der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie). Was ergibt nun ein Abwägen von Leistungen und Kosten eines PSM-Verbots in sensiblen Gebieten?

Potenzielle Leistungen der SUR könnten in besseren Chancen für Biodiversität liegen. Extensivierung erhöht in der Regel die Biodiversität auf der betroffenen Fläche. Es ist aber unklar, inwiefern die Biodiversität der nicht betroffenen Flächen beeinflusst wird. Zugewinne an Biodiversität könnten aus Migration und/oder Akkumulation von Populationen mobiler Arten resultieren. Auch ist bekannt, dass die Landschaftsstruktur die Biodiversität beeinflusst, also Strukturelemente, wie etwa Hecken, einen positiven Einfluss haben. Bei der Einschätzung der Biodiversitätswirkungen ist zu beachten, dass die Agrarerzeugnisse, die aufgrund einer Extensivierung „bei uns“ nicht mehr produziert werden, dann im Ausland erzeugt werden. In einer global vernetzten Wirtschaft geht mit einer Extensivierung infolge der SUR „bei uns“ eine Intensivierung und damit ein Biodiversitätsrückgang „anderswo“ einher.

Wir haben landwirtschaftliche Betriebe zu Anpassungsmaßnahmen „vor Ort“ an die SUR befragt, um die tatsächlichen Biodiversitätswirkungen abschätzen zu können. Die Mehrzahl der im Rahmen dieser Fallstudien befragten Betriebe gibt an, die bislang außerhalb der sensiblen Gebiete befindlichen extensiv genutzten (z. B. Blühstreifen) bzw. stillgelegten Flächen in die sensiblen Gebiete zu legen. Es käme also zum einen nicht zur vordergründig erwarteten umfangreichen Extensivierung weiterer landwirtschaftlicher Nutzflächen. Zum anderen werden zum Teil langjährig etablierte und im Raum verteilte Extensivflächen akkumuliert – dies ist zumindest kurzfristig biodiversitätsschädigend. Dass die SUR die vermehrte Verwendung von Strukturelementen fördert, ist nicht erkennbar. Weiterhin gibt es Kulturpflanzen (z. B. Mais), die ohne Pflanzenschutzmittel besser „zurechtkommen“ als andere (z. B. Weizen). Das antizipieren die Betriebe, sodass die SUR als unbeabsichtigte Wirkung zu einer verengten Fruchtfolge führen kann.

Potenzielle Kosten der SUR könnten Ertragseinbußen sein. Aus der Literatur ist abzuleiten, dass bei einem Verzicht auf chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel die pflanzenbaulichen Erträge um etwa 30 % sinken, wobei die Ertragsrückgänge fruchtartenspezifisch sind, also bei Raps, Kartoffeln und Weizen deutlich stärker wären als bei Mais. Die sensiblen Gebiete machen etwa 17 % der Ackerfläche in Deutschland aus. Beides zusammengenommen bedeutet, dass auf nationaler Ebene ein Produktionsrückgang von etwa 5 % zu erwarten wäre, der bei einer Ausdehnung von Stilllegungsflächen, einer teilweisen Umstellung auf den Ökolandbau nochmals steigen würde.

In allen untersuchten Betrieben mit Flächen in sensiblen Gebieten führen die Ertragseinbußen zu Erlöseinbußen, die nicht ansatzweise durch Kosteneinsparungen kompensiert werden könnten. Es ergeben sich teils große negative ökonomische Wirkungen: In einem Betrieb ergibt Ackerbau nur noch Sinn, weil eine Futtergrundlage für die Milchviehhaltung erforderlich ist. In einem anderen Betrieb würde eine Weiterpacht der Flächen in sensiblen Gebieten unrentabel. Der Betrieb verweist aber auf eine soziale Verantwortung gegenüber Mitarbeitenden. Ein Kartoffelanbaubetrieb sorgt sich, dass seine Direktvermarktung infolge von Produktionsausfällen und Qualitätseinbußen auf Flächen in sensiblen Gebieten leiden würde. Aber auch Regionalität ist ein erklärtes Politikziel.

Es muss um die Frage gehen, was es braucht, um Ertrag und Biodiversität bestmöglich zu erreichen. Ein pauschales Verbot von Pflanzenschutzmitteln in bestimmten Gebieten kostet viel und leistet wenig. Stattdessen sollten sinnvolle Maßnahmen am richtigen Standort kooperativ umgesetzt werden, d. h. freiwillig, erfolgsorientiert, breit akzeptiert und politisch gefördert. Das Ziel sind heterogene Landschaften mit diversen Hecken und Gehölzen, anders gestaltete Feldränder neben Ackerkulturen und mehrjährige Blühstreifen. Gerade diese sind besonders biodiversitätsfördernd und haben gleichzeitig einen geringeren Flächenbedarf. Dabei ist auch die Forschung gefordert, um Ziellandschaften zu definieren sowie digitale und smarte Technologien zu entwickeln, die ein Mehr an Artenvielfalt und Diversität in Landschaften bei möglichst stabilen Erträgen ermöglichen. Außerdem sind (angehende) Betriebsleitende in den Prozess einzubinden, z. B. im Rahmen der Aus- und Fortbildung, sodass sie neue technische Möglichkeiten effektiv nutzen und weiterentwickeln können.

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© Der/die Autor:in 2023

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DOI: 10.2478/wd-2023-0220