Die deutsche Wirtschaft bewegt sich seit fast vier Jahren im Krisenmodus. Nach dem Coronaausbruch Anfang 2020 folgte im Winter 2020/2021 die zweite Coronawelle mit erneuten Lockdowns, im Februar 2022 der Ukrainekrieg mit nachfolgender Energieverteuerung, seit Oktober dieses Jahres der Nahostkonflikt und zuletzt die Haushaltskrise. Die Krisen lösten teils erhebliche Preissteigerungen aus. Im 3. Quartal dieses Jahres lag das preis- und saisonbereinigte Bruttoinlandsprodukt (BIP) nur wenig (0,3 %) über dem Niveau des 4. Quartals 2019 (vgl. Abbildung 1). Merklich niedriger als vor vier Jahren ist der reale private Konsum, als Folge des Kaufkraftverlusts in den vergangenen drei Jahren um fast 20 %. Aber auch Bau-, Ausrüstungs- und sonstige Anlageinvestitionen liegen noch unter dem Vor-Corona-Niveau. Die realen Exporte sind zwar wieder leicht über dem Vor-Corona-Niveau, doch die Importe haben sich stärker erhöht, sodass auch hier der Wachstumsbeitrag insgesamt negativ ist. Allein der Konsum des Staates (+5,9 %), und hier die umfangreichen krisenbedingten Ausgaben, hat zu dem Anstieg des realen BIP gegenüber Ende 2019 geführt.
Abbildung 1
Reales Bruttoinlandsprodukt
Saison- und arbeitstäglich bereinigt
1 Veränderung in % gegenüber dem Vorquartal, auf Jahresrate hochgerechnet, rechte Skala. 2 Zahlenangaben: Veränderung gegenüber dem Vorjahr in %.
Quelle: Statistisches Bundesamt; ab 4. Quartal 2023 Prognose des HWWI.
Zur Konjunkturbremse hat sich in diesem Jahr zudem die Geldpolitik restriktiv entwickelt. Nach den jüngst revidierten Daten des Statistischen Bundesamts hat das preis- und saisonbereinigte BIP seit Jahresbeginn etwa stagniert. Zugleich hat sich der Inflationsdruck deutlich vermindert – von mehr als 8 % zu Jahresbeginn auf zuletzt 3,2 %. Die Notenbanken, sowohl amerikanische wie auch europäische, scheinen gleichwohl abzuwarten, wie Arbeitskosten und gegebenenfalls die Ölpreise die Inflation beeinflussen. Zumindest haben beide Zentralbanken angesichts spürbar gesunkener Inflationsraten und weiter bestehender Rezessionssorgen eine „Zinspause“ eingelegt. Neue Verunsicherung ist durch die Haushaltskrise des Bundes aufgekommen. Das Bundesverfassungsgericht hat die „Verschiebung“ von 60 Mrd. Euro ursprünglicher Coronahilfen in den Klima- und Transformationsfonds für rechtswidrig erklärt. Ein Ausfall dieser Maßnahmen hätte negative Auswirkungen auf die Standortbedingungen und den Wachstums- und Transformationsprozess in Deutschland. Das Potenzialwachstum würde weiter gedämpft, die Klimaziele wären kaum erreichbar. Hier wird davon ausgegangen, dass es zu einem Kompromiss aus Ausgabenkürzungen und „Lockerungen“ der Schuldenbremse kommt. Ausgabenkürzungen dürften aber das Wachstum im nächsten und übernächsten Jahr zumindest dämpfen.
Aktuell überwiegen noch die Bremseffekte. Die Grundstimmung, sowohl bei Unternehmen wie bei Konsumenten, ist noch weitgehend gedämpft, auch wenn sich einzelne Erwartungsindikatoren zu bessern beginnen. Von daher ist für das Schlussquartal dieses Jahres zunächst noch mit einer schwachen Entwicklung zu rechnen. Die zuletzt deutlicheren Einkommenssteigerungen dank höherer Tarifabschlüsse und Inflationsausgleichsprämien sowie gestiegenen Renten flossen vielfach in die Ersparnis. Offenbar müssen die privaten Haushalte erst mal deutlichere Realeinkommensgewinne realisieren, um die aktuellen Unsicherheiten zu überwinden. Aber auch von anderer Seite kommen negative Impulse. Die Krise in der Bauwirtschaft verschärft sich noch. Die Weltwirtschaft zeigt wenig Dynamik; die deutschen Exporte sind rückläufig. Die Unternehmensinvestitionen sind insgesamt relativ stabil; das sind teils auch Investitionen für den erforderlichen Transformationsprozess, vielfach aber „lediglich“ Investitionen in Fahrzeuge. Im 4. Quartal ist günstigstenfalls weiter mit Stagnation zu rechnen. Im Jahresdurchschnitt 2023 wird das reale BIP aber vor allem wegen eines negativen Überhangs aus dem Jahr 2022 und wegen eines negativen Kalendereffekts (zwei Arbeitstage weniger als 2022) um 0,3 % sinken (vgl. Tabelle 1).
Tabelle 1
Eckdaten der Prognose
Veränderung in % gegenüber dem Vorjahr
2022 | 2023 | 2024 | 2025 | |
---|---|---|---|---|
Bruttoinlandsprodukt1 | 1,8 | -0,3 | 0,5 | 1,0 |
Private Konsumausgaben | 3,9 | -0,9 | 1,1 | 1,2 |
Staatliche Konsumausgaben | 1,6 | -2,1 | 0,0 | 0,5 |
Anlageinvestitionen | 0,1 | 0,2 | -0,4 | 1,7 |
Ausrüstungen | 4,0 | 3,6 | 0,5 | 2,7 |
Bauten | -1,8 | -1,5 | -1,6 | 0,5 |
Sonstige Anlagen | -0,7 | -0,8 | 0,9 | 2,8 |
Inlandsnachfrage | 3,2 | -0,8 | 0,5 | 1,0 |
Ausfuhr | 3,3 | -1,7 | 1,0 | 2,9 |
Einfuhr | 6,6 | -2,8 | 1,3 | 2,9 |
Arbeitsmarkt | ||||
Erwerbstätige | 1,4 | 0,7 | 0,1 | 0,3 |
Arbeitslose (in Mio.) | 2,42 | 2,59 | 2,64 | 2,42 |
Arbeitslosenquote2 (in %) | 5,1 | 5,4 | 5,4 | 5,0 |
Verbraucherpreise | 6,9 | 6,0 | 2,7 | 2,3 |
Finanzierungssaldo des Staates (in % des BIP) | -2,5 | -2,2 | -1,2 | -1,1 |
Leistungsbilanzsaldo3 (in % des BIP) | 4,4 | 6,6 | 6,7 | 6,7 |
1 Preisbereinigt. 2 Arbeitslose in % der inländischen Erwerbspersonen (Wohnortkonzept). 3 In der Abgrenzung der Zahlungsbilanzstatistik.
Quelle: Statistisches Bundesamt; Deutsche Bundesbank; Bundesagentur für Arbeit; 2023 bis 2025 Prognosen des HWWI.
Die Inflationsrate hat sich merklich auf 3,2 % im November 2023 verringert. Damit liegt sie zwar noch über dem Stabilitätsziel von 2 % und angesichts des inländischen Preisdrucks durch die nun höheren Lohnabschlüsse und der wohl auf höherem Niveau verharrenden Energiepreise wird der weitere Disinflationsprozess nun nur noch langsam vorankommen. Dies hält die EZB davon ab, zu schnell die Leitzinsen wieder zu senken, doch ohne neue Preisanstöße besteht auch keine Veranlassung, die Zinsen weiter zu erhöhen. Im späteren Jahresverlauf von 2024 sollten sich bei weiter nachlassender Inflation wieder Zinssenkungsspielräume eröffnen. Der Rückgang der Inflationsrate hat gleichwohl mehr und mehr positive Effekte. Die diesjährigen Lohnabschlüsse und die Rentenerhöhungen zur Jahresmitte lagen über der aktuellen Inflationsrate und die Lohnabschlüsse der nächsten Zeit dürften ebenfalls darüber liegen. Die Verbraucher:innen gewinnen damit zunehmend an Kaufkraft zurück. Der private Konsum dürfte daher im nächsten Jahr wieder steigen und zur wichtigsten konjunkturellen Stütze werden. Die stärker zunehmenden Einkommen und nicht weiter steigende, im Verlauf von 2024 eher wieder sinkende Zinsen stabilisieren aber auch die private Baunachfrage. Der Rückgang der Bautätigkeit sollte im kommenden Jahr allmählich auslaufen. Eine auch weltweit nachlassende Inflation wird eine globale Konjunkturerholung ermöglichen, von der wiederum die exportabhängige deutsche Wirtschaft profitieren wird. Die insgesamt steigende private Nachfrage sollte die Investitionsneigung der Unternehmen stützen. Doch von staatlicher Seite gibt es gegenläufige Effekte. Aufseiten des staatlichen Konsums fallen die krisenbedingten Hilfsmaßnahmen aus den Vorjahren weg, hinzukommt, dass das Verfassungsgerichtsurteil zu Ausgabenkürzungen zwingt. Insgesamt sollten im kommenden Jahr aber nach und nach die Auftriebskräfte die Bremseffekte überwiegen. So wird weiterhin 2024 mit einer moderaten Erholung gerechnet, wenn nun auch mit geringerer Dynamik als vor Nahostkonflikt und Haushaltskrise. Im Jahresdurchschnitt wird nun eine Zunahme des realen BIP um 0,5 % erwartet. Der Rückgang der Inflationsrate wird 2024 weniger langsam vorankommen. Zwar sind die Preise auf den vorgelagerten Stufen in den vergangenen Monaten deutlich gesunken, doch hat sich der Lohnkostendruck merklich erhöht und wird auch erst mit weiter sinkender Inflation und dann wieder moderateren Tarifabschlüssen nachlassen. Die schwache Wirtschaftsentwicklung spiegelt sich auch in der verringerten Nachfragedynamik seitens der Unternehmen nach Arbeitskräften wider. Die Beschäftigung hat bereits seit letztem Frühsommer nicht mehr zugenommen. Die Zahl der Arbeitslosen dürfte 2024 wegen der zunehmenden Erwerbspersonenzahl steigen.
Die mittelfristigen Wachstumsbedingungen haben sich aufgrund der geopolitischen Veränderungen und der Haushaltskrise hierzulande eingetrübt. Auch wenn sie sich im Laufe des Jahres 2024 und dann auch 2025 tendenziell leicht verbessern dürften, wird sich daraus insgesamt aber nur eine relativ geringe konjunkturelle Dynamik entwickeln. Bei einer im Jahr 2025 weiter nachlassenden Inflation wird der private Konsum weiter die wichtigste Konjunkturstütze bleiben. Die Unternehmensinvestitionen werden moderat ausgeweitet. Die Bautätigkeit wird sich mehr und mehr stabilisieren. Die Exporte erholen sich langsam, aber wohl kaum stärker als die Importe, sodass der gesamtwirtschaftliche Impuls seitens des Außenhandels gering ist. Die Möglichkeiten vonseiten des Staates, Impulse für das Wirtschaftswachstum in Deutschland zu geben, erscheinen momentan durch die Haushaltskrise begrenzt. Unter diesen Bedingungen ist im Jahresdurchschnitt 2025 ein Wirtschaftswachstum von 1 % möglich. Die Inflationsrate kann sich zum Jahresende auf 2 % reduzieren.