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Deutschland hat sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2045 Klimaneutralität zu erreichen. Dafür müsste es seine Emissionen allerdings dreimal schneller reduzieren als in der Zeit von 1990 bis 2019. Das geht nur mit entschlossenen Maßnahmen zur Erhöhung der Energieeffizienz, der Substitution fossiler Energieträger in der Produktion und dem raschen Ausbau erneuerbarer Energien. Dies würde auch den gestiegenen Energiepreisen etwas entgegensetzen und die Abhängigkeit von Energieimporten aus Russland verringern.

Die OECD hat gemeinsam mit Christoph Böhringer und Thomas Rutherford in einer Simulationsstudie (Bickmann et al., o. D.) für den OECD-Wirtschaftsbericht für Deutschland untersucht, wie sich eine stärkere Verringerung von Emissionen auf das Pro-Kopf-Einkommen, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie und anderer Wirtschaftssektoren sowie die Einkommensverteilung der Haushalte im Jahr 2030 auswirken könnte (OECD, 2023).

Die Ergebnisse zeigen, dass der Rückgang des Pro-Kopf-Einkommens zu verkraften ist, insbesondere mit Blick auf die Wohlfahrtsverluste, die ein fortgesetzter Klimawandel mit einer Häufung von Extremwetterereignissen wie Dürren und Flutkatastrophen, wie zuletzt im Ahrtal, mit sich bringen würde. Allerdings hätten energieintensive Industrien, die im internationalen Wettbewerb stehen, mit erheblichen Produktions- und damit Beschäftigungsverlusten zu rechnen. Auch wenn Produktion und Beschäftigung dafür in anderen Sektoren steigen, wäre dieser Strukturwandel mit erheblichen Anpassungskosten verbunden. Dabei gäbe es viele Gewinner und Verlierer unter den Beschäftigten, aber auch den Regionen. Um Akzeptanz für diese Veränderungen zu schaffen, braucht es politische Maßnahmen, die die am stärksten Betroffenen unterstützen und ihnen neue Perspektiven eröffnen. Gleichzeitig ist es wichtig, auf politische Instrumente zu setzen, die die Emissionsverringerungen besonders effizient, das heißt mit möglichst geringen wirtschaftlichen und sozialen Kosten, erreichen.

Sechs Prioritäten für eine grüne Transformation

  1. Eine umfassende und kohärente Bepreisung von Treib­hausgasen

Sie sollte das zentrale Steuerungsinstrument der Klimapolitik sein. Im Jahr 2021 hat Deutschland bereits 90 % seiner Treibhausgasemissionen mit einem durchschnittlichen effektiven Grenzsteuersatz von 81 Euro pro Tonne CO2-Äquivalenten bepreist, entweder explizit oder implizit – etwa durch Steuern auf Brennstoffe, die sich nicht direkt an deren CO2-Gehalt orientieren. Das ist ein beachtlicher Preisanstieg um 46 % seit 2018. Um die Emissionen weiterhin entsprechend der politischen Zielsetzungen zu reduzieren, sind jedoch weitere deutliche Preisanstiege erforderlich. 2021 hat die Bundesregierung auch in jenen Sektoren einen Preis für Brennstoffemissionen eingeführt, die derzeit nicht vom EU-Emissionshandelssystem (ETS) erfasst sind, insbesondere Transport und Gebäude. Das ist ein wichtiger Schritt. Zunächst ist ein fixer Preis geplant, der bis zum Jahr 2026 auf 55 Euro bis 65 Euro steigt. Erst dann sollen Verschmutzungszertifikate frei handelbar sein. Hilfreich wäre es, die Umstellung auf ein System mit frei handelbaren Zertifikaten vorzuziehen und deren Obergrenze an das nationale Emissionsminderungsziel für alle nicht vom ETS regulierten Sektoren anzupassen. Das gilt zumindest so lange, bis das europäische Handelssystem für den Straßenverkehr und den Gebäudesektor in Betrieb geht. Gleichzeitig würde die Festlegung einer Preisuntergrenze in diesem System die künftigen Kohlenstoffpreise berechenbarer machen und die Risiken für Investitionen in kohlenstoffarme Projekte verringern.

  1. Ausgleich der Belastungen der privaten Haushalte durch eine pauschale Rückerstattung der Einnahmen aus der CO-Bepreisung (Klimageld)

Die Regierung sollte zu einem höheren Anteil Einnahmen aus der CO2-Bepreisung zur direkten Unterstützung der Haushalte ausgeben, um deren Mehrausgaben abzufedern. Wenn die Einnahmen nicht an die Haushalte zurückfließen, könnten ärmere Haushalte einen beträchtlichen Teil ihres Realeinkommens verlieren, da sie besonders von Preissteigerungen CO2-intensiver Produkte betroffen sind. Höhere CO2-Preise führen zu höheren Produktionskosten und damit auch zu steigenden Preisen für Strom, Verkehr und Heizung, für die ärmere Haushalte einen relativ hohen Anteil ihres Einkommens ausgeben müssen. Bei den ärmsten 10 % der Haushalte belaufen sich die Ausgaben für Energie und Verkehr auf 18,9 % der Gesamtausgaben. Die reichsten 10 % der Haushalte geben mit 10,1 % einen deutlich geringeren Anteil ihres Einkommens für diese Posten aus. Unsere Analysen zeigen jedoch, dass eine pauschale Erstattung der Einnahmen aus der CO2-Bepreisung, die für alle Haushalte gleich hoch wäre, die Belastungen der ärmeren Haushalte vollständig kompensieren und die ärmsten Haushalte sogar besserstellen würde (vgl. Abbildung 1).

Abbildung 1
Veränderungen des Haushaltseinkommens nach Dezilen im Vergleich zum Benchmark-Szenario
Veränderungen des Haushaltseinkommens nach Dezilen im Vergleich zum Benchmark-Szenario

Die Einnahmen aus dem Kohlenstoffpreis werden in gleicher Höhe an alle Haushalte weitergeleitet.

Quelle: Bickmann et al., erscheint in Kürze.

  1. Abschaffung umweltschädlicher Subventionen und Steuervergünstigungen

Dazu gehören das Dieselprivileg, also die geringere Kraftstoffsteuer auf Diesel im Vergleich zu Benzin, die Pendlerpauschale und auch die steuerliche Begünstigung privater Dienstwagen. Die fiskalischen Kosten dieser umweltschädlichen Subventionen und Steuervergünstigungen belaufen sich auf bis zu 65 Mrd. Euro pro Jahr (Aliu et al., 2023). Sie schwächen und verzerren die Preissignale, behindern den Marktdurchbruch umweltfreundlicher Produkte und gefährden damit die Erfolge der Klimapolitik. Die Mehreinnahmen aus der schrittweisen Abschaffung dieser Subventionen und Steuervergünstigungen könnten eingesetzt werden, um emissionsmindernde Technologien oder den öffentlichen Nahverkehr zu fördern.

  1. Abbau von nicht zielgerichteten Subventionen und von Beihilfen für ausgereifte Technologien

Mit der Abschaffung wenig zielgerichteter Subventionen gäbe es mehr Mittel zur Verbesserung der Infrastruktur und für den Einsatz klimafreundlicher Technologien. Im Wohnungsbau sollten subventionierte Kredite nur bedürftigen Haushalten zur Verfügung stehen. Ansonsten können Mindest­effizienzstandards und Energieeffizienzzertifikate für Emissionsvermeidung im Gebäudesektor sorgen. Im Verkehr sollte die Regierung den Ausgabenschwerpunkt von der Subventionierung von Elektroautos auf den Ausbau öffentlicher Ladestationen und auf öffentliche Investitionen in den Schienenverkehr verlagern. Bei der Bahn ist es wichtig, die Elektrifizierung der Gleise und die Digitalisierung der Leit- und Signalsysteme zu beschleunigen und sicherzustellen, dass Wettbewerbs­hindernisse abgebaut werden. Obwohl die Investitionen in das Schienennetz seit 2010 gestiegen sind, bleibt ihr Anteil am BIP immer noch deutlich unter dem Niveau führender Länder, wie Frankreich und der Schweiz, und ist auch geringer als die Investitionen in die Straßeninfrastruktur (vgl. Abbildung 2).

Abbildung 2
Investitionen in die Schieneninfrastruktur: Investitionen in das Schienennetz sollten weiter steigen
Investitionen in die Schieneninfrastruktur: Investitionen in das Schienennetz sollten weiter steigen

Für Japan und die USA werden Daten von 2019 verwendet.

Quelle: The International Transport Forum (ITF) database.

  1. Den Ausbau erneuerbarer Energien und der Netzinfrastruktur beschleunigen und die finanzielle Förderung erneuerbarer Energien schrittweise in Forschung, Entwicklung und Markteinführung nahezu emissionsfreier Technologien lenken

Die staatliche Unterstützung für erneuerbare Energien trägt derzeit zur Senkung der Strompreise bei und unterstützt damit auch energieintensive Industrien. Unsere Analysen zeigen, dass das nicht nur kostspielig ist, sondern auch zu höheren Emissionen in anderen EU-Ländern führen kann. Warum? Eine sinkende Nachfrage nach Emissionszertifikaten in Deutschland aufgrund der Subventionen für erneuerbare Energien führt zu niedrigeren CO2-Preisen im EU-ETS, da eine Gesamtemissionsobergrenze festgelegt ist. Das ermöglicht es anderen Ländern, ihre Emissionen zu erhöhen – der sogenannte Wasserbetteffekt. Eine Straffung der Planungs- und Genehmigungsverfahren zur Beschleunigung des Ausbaus erneuerbarer Energien und der Netzinfrastruktur wäre der effektivste Weg, mittelfristig die relativ hohen Stromkosten in Deutschland zu senken und damit die Umstellung industrieller Prozesse auf klimaneutrale Produktionsverfahren zu begünstigen. Da die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien großen Schwankungen unterliegt, ist die Beschleunigung der Integration der europäischen Strommärkte zudem von zentraler Bedeutung, um Angebot und Nachfrage besser aufeinander abzustimmen und die Energiesicherheit zu erhöhen. Auch den Speichertechnologien und der Digitalisierung der Stromnetze zum effizienteren Nachfragemanagement kommt hierbei eine besondere Bedeutung zu. Deswegen ist es wichtig, die Ausgaben für Forschung, Entwicklung und und die Markteinführung emissionsarmer Energie- und Industrietechnologien zu erhöhen. Die realen öffentlichen Ausgaben für Forschung und Entwicklung (FuE) im Energiesektor steigen zwar seit den frühen 2000er-Jahren, liegen jedoch immer noch erheblich unter dem Niveau der 1970er-Jahre (vgl. Abbildung 3, Teil a). Im Jahr 2021 beliefen sich diese Ausgaben auf etwa 0,04 % des BIP, was weniger ist als in vielen anderen europäischen Ländern (Teil b). Das von der Bundesregierung gesetzte Ziel, den Anteil der gesamten FuE-Investitionen am BIP bis 2025 auf 3,5 % zu steigern, würde die Förderung wegweisender grüner Technologien intensivieren. Der schrittweise Abbau von Subventionen für erneuerbare Energien würde hierfür Mittel freisetzen.

Abbildung 3
Öffentliche Mittel für Forschung, Entwicklung und Demonstration (FuEuD) im Energiesektor: öffentliche Ausgaben für FuE im Energiesektor könnten gesteigert werden
Öffentliche Mittel für Forschung, Entwicklung und Demonstration (FuEuD) im Energiesektor: öffentliche Ausgaben für FuE im Energiesektor könnten gesteigert werden

Quelle: IEA, Energy RD&D Budget/Expenditure Statistics.

  1. Neue Perspektiven für Beschäftigte: Menschen, deren Arbeitsplätze von der grünen Transformation gefährdet sind, benötigen berufliche Aus- und Weiterbildung sowie Mobilitätshilfen

Dies erleichtert es ihnen, die eigenen Kompetenzen an neue Markterfordernisse anzupassen oder einen beruflichen Neustart in einer anderen Region zu wagen. Empirische Analysen, die für den OECD-Wirtschaftsbericht für Deutschland angefertigt wurden, zeigen, dass Beschäftigte aus CO2-intensiven Sektoren nach einem Jobverlust im Vergleich zu entlassenen Beschäftigten in anderen Sektoren besonders langanhaltende und tiefe Einkommenseinbußen hinnehmen müssen. Beschäftigte, die aus CO₂-intensiven Sektoren verdrängt wurden, verdienten im ersten Jahr nach dem Jobverlust 43 % weniger als das durchschnittliche Einkommen davor, im Vergleich zu 38 % für Beschäftigte anderer Sektoren. Dieser Einkommensrückgang ist anhaltend und beträgt nach fünf Jahren 6,3 Prozentpunkte (Barreto et al., 2023; vgl. Abbildung 4, Teil a).

Abbildung 4
Entlassene Arbeitnehmer:innen in CO2-intensiven Sektoren erleiden langfristige Einkommensverluste
Entlassene Arbeitnehmer:innen in CO2-intensiven Sektoren erleiden langfristige Einkommensverluste

Quelle: Barreto et al. (2023).

Typischerweise sind Beschäftigte in Sektoren mit hohen CO2-Emissionen älter und haben eine längere Betriebszugehörigkeit als Beschäftigte in umweltfreundlicheren Branchen. Sie verfügen eher über eine Berufsausbildung als über eine allgemeine Hochschulausbildung und arbeiten in Berufen mit einem sehr spezifischen Anforderungsprofil und einem hohen Anteil an Routinetätigkeiten. Für diese Menschen ist es oft schwer, wenn sie nach einem Jobverlust in Branchen wechseln sollen, die einerseits weniger tarifpartnerschaftlich organisiert sind und in denen andererseits die gut bezahlten Tätigkeiten andere Kompetenzen und ein höheres Ausbildungsniveau erfordern. Dennoch können auch Beschäftigte aus emissionsintensiven Industrien nach einem Arbeitsplatzverlust gut bezahlte Jobs finden, wenn sie bereit sind, sich neue grundlegende Kompetenzen anzueignen und einen Arbeitsplatz außerhalb ihres lokalen Arbeitsmarktes anzunehmen. Tatsächlich neigen verdrängte Beschäftigte aus CO₂-intensiven Sektoren eher dazu, den Beruf, den Sektor und den Arbeitsort zu wechseln, verglichen mit Beschäftigten, die aus anderen Sektoren verdrängt wurden (vgl. Abbildung 4, Teil b). Der Staat sollte sie dabei so gezielt wie möglich unterstützen. Auch die regionale Wirtschaftsförderung spielt dabei eine wichtige Rolle, um den Strukturwandel in besonders betroffenen Regionen zu begleiten.

Literatur

Aliu, F., R. Grundke, C. von Haldenwang (2023), Mehr Transparenz bei Steuervergünstigungen in Deutschland, Ecoscope, https://oecdecoscope.blog/2023/08/03/mehr-transparenz-bei-steuervergunstigungen-in-deutschland/ (28. November 2023).

Barreto, C., R. Grundke and Z. Krill (2023), The cost of job loss in carbon-intensive sectors: Evidence from Germany, OECD Economics Department Working Papers, 1774, OECD Publishing, https://doi.org/10.1787/6f636d3b-en (29. November 2023).

Bickmann, M., C. Boehringer, R. Grundke und T. Rutherford (o. D.), Is Germany fit for FiT55 in its climate policy design? Addressing efficiency, competitiveness, and equity concerns, OECD Economic Department Working Paper (erscheint in Kürze).

OECD (2023), OECD-Wirtschaftsberichte: Deutschland 2023, OECD Publishing, https://doi.org/10.1787/80df9211-de (29. November 2023).

Title:Six Levers for a Sustainable and Socially Equitable Green Transformation

Abstract:Germany wants to achieve carbon neutrality by 2045, which requires a substantial acceleration in emission reduction. The OECD suggests six levers for a successful sustainability transformation. More comprehensive and coherent greenhouse gas pricing, involving a phase out of environmentally harmful subsidies would set better incentives to switch consumption, production and innovation to climate-friendlier products and technologies. Direct revenue refunds to households would avoid overburdening lower-income groups. Furthermore, there are a number of costly and poorly targeted subsidies for the deployment of renewables that can be reduced gradually. This would make room to offer more support for expediting development of green energy technologies and infrastructure. Workers in energy-intensive industries will need support to retrain and potentially move to other industries or places

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© Der/die Autor:in 2023

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DOI: 10.2478/wd-2023-0227