In finanzpolitischen Debatten wird in regelmäßigen Abständen darüber gestritten, ob Steuern und Staatsausgaben erhöht oder gesenkt werden sollen. Derzeit spaltet diese Debatte die Ampelkoalition. Während die Grünen und die SPD gerne die Ausgaben steigern und dafür Steuern erhöhen möchten, fordert die FDP Ausgabenumschichtungen und lehnt höhere Steuern ab.
Aus wohlfahrtsökonomischer Sicht wird die optimale Höhe der Staatsausgaben und der Steuern von verschiedenen Faktoren bestimmt. Erstens hängt sie davon ab, welche Kombination aus privaten und öffentlich bereitgestellten Gütern die Bürger:innen bevorzugen. Diese Präferenzen können innerhalb der Bevölkerung sehr unterschiedlich sein. Zweitens spielen die Kosten der Besteuerung eine wichtige Rolle. Ein Land, das über eine effektive Steuerverwaltung verfügt und über Steuerinstrumente, mit denen ohne allzu große Ausweichreaktionen viel Aufkommen erhoben werden kann, wie z. B. die Umsatzsteuer, wird tendenziell ein größeres Staatsbudget haben als ein Land, in dem das Erheben von Steuern schwieriger ist. Drittens wird eine Volkswirtschaft, die einem starken Steuerwettbewerb ausgesetzt ist, eine andere Steuerpolitik verfolgen als eine, bei der das nicht der Fall ist.
Politische Entscheidungen sind allerdings nicht allein, vielleicht noch nicht einmal primär von wohlfahrtsökonomischen Überlegungen getrieben, sondern von ökonomischen Interessen unterschiedlicher Gruppen. Eine Partei, deren Wählerschaft ein unterdurchschnittliches Einkommen aufweist und mehr von höheren Staatsausgaben profitiert, als sie durch Steuern belastet wird, fordert eher höhere Steuern und öffentliche Ausgaben als eine Partei, deren Wähler:innen höhere Einkommen haben und die steuerlich entsprechend stärker belastet werden. Da Präferenzen und ökonomische Interessen verschiedener Gruppen divergieren, ist es nicht überraschend, dass über die Größe des Staatshaushalts fortwährend gestritten und verhandelt wird.
Nun kann es ökonomische oder politische Veränderungen geben, die bei gegebenen Präferenzen, Kosten der Besteuerung und politischen Interessen- und Machtverhältnissen Änderungen in der Finanzpolitik verlangen. In der Coronapandemie hat der Staat besonders betroffenen Unternehmen und privaten Haushalten finanziell geholfen und dafür Schulden aufgenommen, die bedient werden müssen. Ähnliche Hilfen wurden zur Bewältigung der steigenden Energiekosten bereitgestellt. Der russische Angriff auf die Ukraine macht es erforderlich, den Verteidigungsetat zu erhöhen. Eine mittel- und längerfristige Veränderung ist der Klimaschutz und die Anpassung an den Klimawandel.
Die Bundesregierung hat bereits beschlossen für Rüstungsprojekte zusätzlich 100 Mrd. Euro und für Mehrausgaben im Kontext des Klimaschutzes 178 Mrd. Euro bereitzustellen. Beide Ausgabenblöcke werden zunächst durch Kreditaufnahme finanziert. Diese Schulden müssen allerdings bedient werden. Gelegentlich wird argumentiert, die Bedienung öffentlicher Verschuldung sei insofern unproblematisch, als der Staat anders als private Haushalte Schulden niemals tilgen müsse, sondern unendlich fortschreiben könne. Es gelte lediglich zu verhindern, dass die Schuldenquote, also das Verhältnis aus Schulden und Wirtschaftskraft gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP), immer weiter ansteige. Letzteres ist umso einfacher, je schneller die Wirtschaft wächst und je niedriger die Zinskosten für Staatsschulden sind. Wenn der Zins niedriger ist als die Rate des Wirtschaftswachstums, fällt die Staatsschuldenquote selbst dann, wenn Staatsschulden nicht getilgt und die Zinsen vollständig durch neue Kredite finanziert werden. Allerdings ist zu beachten, dass Staaten in Krisen oft in großem Umfang Kredite brauchen, während das BIP fällt. Diese Kreditaufnahme funktioniert umso besser, je niedriger die Schuldenquote ist. Das spricht dafür, in wirtschaftlich stabilen Zeiten Verschuldungsquoten deutlich zurückzuführen, wie es in Deutschland z. B. in den Jahren nach der globalen Finanzkrise geschehen ist. Hinzu kommt, dass die Zinsen derzeit steigen und unklar ist, ob sie in den kommenden Jahren niedriger sein werden als die Wachstumsrate des BIP. Außerdem steigen in den nächsten Jahren infolge des demografischen Wandels die Lasten der Finanzierung alterungsbedingter Ausgaben wie Pensionen und Renten.
Wenn man davon ausgeht, dass die erwähnten zusätzlichen Ausgaben nicht allein durch Kreditaufnahme finanziert werden, stellt sich die Frage, ob andere Ausgaben gekürzt oder Steuern erhöht werden. Aus wohlfahrtsökonomischer Sicht erfordert eine optimale Anpassung eine Kombination aus Ausgabenumschichtungen und Steuererhöhungen. Interessant ist die Frage, wie die Lasten dieser Maßnahmen zu verteilen sind. In politischen Debatten wird häufig gefordert, „starke Schultern“ sollten diese Lasten tragen. Tatsächlich sind aus der Sicht der Optimalsteuertheorie Einnahmenbeschaffung und Umverteilung miteinander konkurrierende Ziele. Mehr Einnahmenbeschaffung erfordert also Konzessionen bei Umverteilungszielen.
Jenseits dieser theoretischen Überlegungen kann man davon ausgehen, dass die üblichen Forderungen der Parteien mit hoher Umverteilungspräferenz – ein Einkommensteuerzuschlag für höhere Einkommen, höhere Erbschaftsteuern oder gar die Einführung einer Nettovermögensteuer – derzeit keine Mehrheiten finden würden. Das gilt vor allem, weil die FDP sich darauf festgelegt hat, dass es derartige Steuererhöhungen mit ihr nicht geben wird. Alternativ könnte man Subventionen, also Finanzhilfen und Steuervergünstigungen, in den Blick nehmen. Bei den Finanzhilfen gehören die größten in den Bereich der Energieeffizienz und der Förderung erneuerbarer Energien. Hier wären Einschnitte kontrovers, aber eine Überprüfung sinnvoll. Unter den Steuervergünstigungen häufig genannte Kandidaten sind die Einkommensteuerbefreiung von Zuschlägen für Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit, die Begünstigung von Betriebsvermögen bei der Erbschaftsteuer, die ermäßigte Umsatzsteuer in der Gastronomie sowie für kulturelle Leistungen und die Förderung der kapitalgedeckten Altersvorsorge, insgesamt immerhin gut 15 Mrd. Euro pro Jahr. Allerdings wären auch hier Konflikte zu erwarten. Die Steuerfreiheit der Schichtzuschläge würde z. B. Beschäftigte in Gesundheitsversorgung und Pflege treffen. Zwar sollten eigentlich die Arbeitgeber Belastungen der Schichtarbeit durch angemessene Zuschläge ausgleichen, trotzdem würde die Streichung der Steuerbefreiung auf Widerstand stoßen. Vergünstigungen für Betriebsvermögen bei der Erbschaftsteuer sind fragwürdig, aber sie zu beseitigen, ohne die heutigen Steuersätze von bis zu 50 % zu senken, würde beim Übergang die Existenz vieler Betriebe gefährden.
Letztlich kommt man nicht daran vorbei, dass die großen Ausgabenposten im Staatshaushalt nicht bei den Subventionen liegen, sondern im Bereich der Sozialleistungen. Viele Leistungsausweitungen der vergangenen Jahre, wie die Rente ab 63 oder die Mütterrente, kommen nicht nur Bedürftigen zugute. Kürzungen bei den Sozialleistungen wären auch nicht zwingend erforderlich, schon eine Begrenzung des Ausgabenwachstums könnte die öffentlichen Haushalte entlasten. Dennoch: So wie die FDP Erhöhungen der Einkommensteuer ablehnt, werden SPD und Grüne sich kaum auf Einschnitte bei den Sozialleistungen einlassen. Wenn alle Seiten hart bleiben, folgt daraus, dass kurzfristig zumindest für neue Ausgabenprojekte der Ampelkoalition außerhalb der erwähnten Sondervermögen, die eigentlich Sonderschulden sind, keine Spielräume vorhanden sind. Mittelfristige Konsolidierungsbedarfe würden, wie so häufig, an die nächste Regierung weitergereicht.