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Wiederaufbau Ukraine? Man könnte denken, damit beginnt man, wenn der Krieg zu Ende ist, was ja noch einige Zeit dauern kann. Aber die EU plant und entscheidet jetzt über ein gewaltiges Wiederaufbauprogramm, ähnlich dem Corona-Fonds „Next Generation EU“. Daher müssen jetzt die richtigen Weichen gestellt werden, damit später nicht die falschen Schritte getan werden. Für den Wiederaufbau werden sehr große Summen genannt, von 500 Mrd. bis 1,1 Billionen Euro. Dazu ist zunächst anzumerken, dass ein solcher Betrag zwar möglicherweise angemessen ist, aber eine so große Summe nicht einfach „ins Schaufenster gestellt werden sollte“, weil die Ukraine immer ein stark korruptes Land war. Zwar ist Präsident Selensky mit überwältigender Mehrheit (73 % in der Stichwahl) gewählt worden, um gegen die Korruption anzugehen. Dennoch ist sie vielfach vorhanden, auch wenn der Präsident Erfolge erzielt hat. Sie ist daher auch bei der Ausgestaltung der Hilfen im Auge zu behalten.

Die Angemessenheit der Gesamtsumme ist mit Blick auf den Umfang der Schäden zu sehen. Die Bilder aus der Ukraine zeigen manchmal zwar kleinere Dörfer, die weitgehend nur noch Ruinen sind, sonst aber auch einzelne große Gebäude, die nur teilweise zerstört sind. Hinzu kommt, dass die Schäden sehr ungleichmäßig über das Land verteilt sind. In der Ostukraine ist die Industrie weitgehend zerstört, und dort finden sich auch die meisten Schäden an den Wohngebäuden. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass der weitaus größere Teil des Landes nicht so stark betroffen ist.

Wer Gelegenheit hatte, das Land kennenzulernen, weiß, dass dieses große Land bis in den letzten Winkel erschlossen ist mit Straßen und Eisenbahnen, auch mit Schulen und Krankenhäusern. Zudem ist der Großraum Kiew ein dynamischer moderner Wirtschaftsraum. Die Ukraine ist kein Entwicklungsland, sondern ein gut ausgestattetes Land mit großen Möglichkeiten. An den Wiederaufbau muss man daher mit Blick auf die Zukunft heran­gehen und nicht in erster Linie an die sozusagen naturgetreue Wiederherstellung des Zerstörten denken. Ob der Wiederaufbau auch des letzten zerstörten Stahlwerks im Osten das Land am besten voranbringt oder die Förderung zukunftsfähiger Initiativen im ganzen Land, ist vor diesem Hintergrund zu prüfen und hat Konsequenzen für die Schwerpunkte der Förderung.

Kurzfristig sind natürlich zerstörte kritische Elemente der Infrastruktur wiederherzustellen. Dies gilt insbesondere für die Versorgung mit Elektrizität, Wasser und Gas. Prioritätensetzung ist dann vor allem für die Gesamtheit der Hilfen der nächsten Jahre erforderlich. Ziel sollte eine wachsende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Ukraine sein. Um mit dem umfangreichen Gebiet der Wohnungswirtschaft zu beginnen, deren Relevanz in jeder Tagesschau dokumentiert wird: Hier sollten sofort Notmaßnahmen ergriffen werden, was die Sicherung vorhandener Wohnungen oder eine leicht mögliche Reparatur angeht. Ansonsten ist aber auf die enorme Leistungsfähigkeit der ukrainischen Bauwirtschaft zu verweisen, die nicht nur nach Kriegsende, sondern schon vorher bereitsteht, um aktiv zu werden, auch mit tatkräftiger Hilfe der Bewohner:innen.

Die Förderung von außen sollte sich sonst aber auf die zukunftsfähigen Ausschnitte der Wirtschaft konzentrieren. So ist es tröstlich, dass bei insgesamt zurückgehender Zahl der Erwerbstätigen in der Ukraine die Zahl der im IT-Bereich Tätigen konstant geblieben ist. Die Auswahl der zukunftsfähigen Projekte ist die wichtigste Aufgabe des hochrangigen Gremiums, das die EU anstrebt. Mit Blick auf die regionale Verteilung der Schäden sollten dabei sicherlich im Zweifelsfall Projekte in den Kriegsgebieten einen gewissen Vorrang haben. Nicht zuletzt sind auch Mechanismen einzurichten, die garantieren, dass das Versickern größerer Summen in die Korruption verhindert wird. Wie erwähnt, gehört die Ukraine immer noch zu den besonders korrupten Ländern. Die Ankündigung der großen Summe hat mit Sicherheit bereits zu Strategien im Land geführt, wie man Teile der Projektsummen „abzweigen“ kann. Dagegen hilft eine genaue Beschreibung der einzelnen Projekte mit entsprechenden Teilsummen und scharfen Abrechnungsvorschriften. Auch ist eine unabhängige Institution einzurichten, die weitgehende Befugnisse zur Überprüfung hat.

Was die Finanzierung der Hilfen angeht, sind die Vorschläge der EU „für neue Finanzierungsquellen“ wichtig und sehen unter anderem vor, dass die „Beschaffung der für die Darlehen benötigten Mittel im Namen der EU oder mit nationalen Garantien der Mitgliedstaaten“ erfolgen soll. Sicherlich ist die Gewährung von Darlehen, soweit irgend vertretbar, zu bevorzugen, nicht zuletzt, weil verlorene Zuschüsse eher zur Korruption verführen. Fragwürdig ist es aber, wenn die Beschaffung der Mittel durch die EU erfolgt und dort durch EU-Schuldenaufnahme finanziert wird. Dies würde einen weiteren Präzedenzfall für ein dauerhaftes Verschuldungsrecht der EU bilden.

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© Der/die Autor:in 2023

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DOI: 10.2478/wd-2023-0072