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Dieser Beitrag ist Teil von Haushaltsstreit: Schuldenbremse, Steuern oder Ausgaben priorisieren?

In den vergangenen Jahren wurden zahlreiche politische Konflikte dadurch entschärft, dass sich zusätzliche finanzielle Spielräume ergeben haben oder Wege gefunden wurden, die Spielräume auszuweiten. Vor der Pandemie entlasteten stetig sinkende Zinsausgaben den Haushalt. Eine hohe Beschäftigung, niedrige Arbeitslosigkeit und hohe Unternehmensgewinne gingen mit dynamisch steigenden Steuereinnahmen und geringeren Sozialausgaben einher. Während der folgenden Krisenjahre wurden durch neue Sondervermögen, Rücklagen und eine geänderte Buchungssystematik Puffer für die Folgejahre geschaffen. Trotz dieser Maßnahmen gibt es nun eine erhebliche Deckungslücke in der Haushaltsplanung des Bundes. In den kommenden Jahren dürfte der Druck auf den Haushalt eher noch steigen. Der Bund hat dauerhaft einen erheblichen Anteil der Steuereinnahmen an Länder und Gemeinden abgegeben, während gleichzeitig die Zinsausgaben und weitere Ausgaben strukturell steigen. Bei diesen anhaltenden Ungleichgewichten müssen nicht nur kurzfristig Lücken überbrückt werden. Daher sind neue Ausnahmeregelungen keine Lösung und strukturelle Mehrbelastungen des Haushalts ein Problem.

Steuereinnahmen steigen trotz Entlastungen

Um den Spielraum im Bundeshaushalt abzustecken, lohnt sich zunächst ein Blick auf die Entwicklung der Steuern. Die aktuelle Steuerschätzung aus dem Mai gibt hierbei den Rahmen für die Aufstellung des Bundeshaushalts vor. Im Vergleich zum Oktober prognostiziert der unabhängige Arbeitskreis ein niedrigeres Steueraufkommen. Das makroökonomische Bild hätte zwar insgesamt zu höheren Steuereinnahmen geführt. So steigen beispielsweise die Löhne und Gehälter kräftiger als zuvor gedacht. Damit hätten sich die Einnahmen aus der Einkommensteuer noch deutlicher erhöht. Allerdings waren zum Zeitpunkt der Herbstschätzung umfangreiche Rechtsänderungen zwar in Planung, aber noch nicht beschlossen und deshalb nicht in die Schätzung einbezogen. Die Steuerfreiheit der Inflationsausgleichsprämien und die Verschiebung der Tarifeckwerte bremsen nun den Anstieg bei der Einkommensteuer.

Summiert man alle bisherigen Rechtsänderungen der aktuellen Legislaturperiode auf, so führen sie beim Bund über die kommenden vier Jahre im Durchschnitt zu jährlichen Mindereinnahmen in Höhe von 21 Mrd. Euro. Trotz dieser Änderungen steigen die nominalen Steuereinnahmen des Bundes aber jedes Jahr. Sie steigen auch stärker als das Bruttoinlandsprodukt – die Steuerquote des Bundes nimmt über den Projektionszeitraum zu (vgl. Abbildung 1). Zurückzuführen ist das insbesondere auf die Lohnsteuer, die trotz der steuerlichen Entlastungen kräftig steigt. Die Bundessteuern sinken hingegen real. Besonders deutlich wird das an der Energiesteuer als größte Bundessteuer. Da der Verbrauch bei den meisten Energieerzeugnissen sinkt und die Steuer an den Mengen ansetzt, gehen die Einnahmen sogar nominal zurück. Preissteigerungen übersetzen sich also bei den Bundessteuern nicht in höhere Einnahmen. Das Gegenteil ist der Fall.

Abbildung 1
Steuereinnahmen des Bundes und Rechtsänderungen
Steuereinnahmen des Bundes und Rechtsänderungen

Die kumulierten Steueränderungen sind die aufsummierten Auswirkungen der seit November 2021 durch den Arbeitskreis Steuerschätzungen neu berücksichtigten Steuerrechtsänderungen auf das kassenmäßige Steueraufkommen des Bundes.

Quellen: Arbeitskreis Steuerschätzungen, Statistisches Bundesamt, eigene Berechnungen.

Dass die Steuerquote des Bundes mittelfristig niedriger ausfällt als vor 2020, liegt weniger an steuerlichen Entlastungen. Gesamtstaatlich brechen die Steuereinnahmen keineswegs ein. Die volkswirtschaftliche Steuerquote (Bund, Länder, Gemeinden und EU) schätzt der Arbeitskreis im kommenden Jahr mit 22,5 % zwar niedriger ein als in den Vorjahren. Im zeitlichen Vergleich war die Steuerquote seit der Wiedervereinigung allerdings nur in den Jahren 2018 und 2019, 2022 und voraussichtlich 2023 höher. Ab dem Jahr 2025 soll sie dann wieder auf über 23 % steigen. Aus einer isolierten Betrachtung der gesamten Steuereinnahmen lassen sich folglich die geschrumpften Handlungsmöglichkeiten nicht herleiten.

Es hat sich jedoch der Steueranteil reduziert, der an den Bund geht. Die Länder erhalten seit 2020 einen größeren Anteil an den Steuereinnahmen als der Bund (vgl. Abbildung 2). Ein wichtiger Grund hierfür ist die veränderte Aufteilung des Umsatzsteueraufkommens. Auch die gestiegenen Regionalisierungsmittel für den Schienenpersonennahverkehr und die teilweise Abschaffung des Solidaritätszuschlags, einer Bundessteuer, wirken sich hier aus.

Abbildung 2
Anteile am Steueraufkommen
Anteile am Steueraufkommen

Rechnerische Aufteilung. Fehlende Daten linear interpoliert. Bis einschließlich 1990: Gebietsstand bis zum 3. Oktober 1990, einschließlich Berlin (West). Länder ohne Gemeindesteuern der Stadtstaaten. LAF: Einnahmen Lastenausgleichsfonds.

Quellen: BMF, Arbeitskreis Steuerschätzungen, eigene Berechnungen.

Im langfristigen Vergleich zeigt sich die Verschiebung der Steueranteile besonders deutlich. Während der Bund in den 1960er Jahren noch über die Hälfte des Steueraufkommens erhielt, sind es nun unter 40 % (vgl. Abbildung 2). Die jüngsten Entwicklungen gehen jedoch kaum mit Aufgabenverschiebungen einher. Daher sinkt der Handlungsspielraum für den Bund erheblich. Er hat mittelfristig real weniger Steuereinnahmen zur Verfügung als vor der Pandemie. Gleichzeitig steigen einige wichtige Ausgabenposten im Bundeshaushalt. Vor diesem Hintergrund tun sich strukturelle Schieflagen auf.

Zinsen, Demografie, Dekarbonisierung: Auf der Ausgabenseite steigt der Druck

In den kommenden Jahren treffen auf der Ausgabenseite des Bundeshaushalts mehrere Faktoren zusammen, die den Handlungsspielraum einschränken. Abbildung 3 fasst die Ausgaben des Bundes nach ökonomischen Arten in fünf Kategorien zusammen.

Abbildung 3
Ausgaben des Bundes nach ökonomischen Arten in Relation zum BIP
Ausgaben des Bundes nach ökonomischen Arten in Relation zum BIP

Quelle: BMF, Statistisches Bundesamt, eigene Berechnungen.

Augenfällig ist zunächst die Entwicklung der Zinsausgaben. Im Jahr 2002 machte der Schuldendienst noch mit 1,7 % des BIP knapp 15 % der Ausgaben des Bundes aus, in den Jahren 2020 und 2021 waren es mit 0,2 % bzw. 0,1 % nur noch rund 1 %. Das hat sich nun recht abrupt geändert.1 Im laufenden Jahr 2023 sind schon über 8 % des Budgets für Zinsausgaben eingeplant und auch im jetzt aufzustellenden Haushalt 2024 dürften sie wieder einen merklichen Anteil einnehmen.

Die Verwaltungsausgaben steigen bereits seit einigen Jahren sukzessive stärker als die Wirtschaftsleistung. Bei den Personalausgaben und dem laufenden Sachaufwand (abzüglich der Zinsausgaben und militärischen Beschaffungen) war im Finanzplan des Bundes 2022 bis 2026 jedoch mittelfristig ein Rückgang angelegt.

Den größten Anteil haben auch im aktuellen Haushalt die laufenden Zuweisungen und Zuschüsse an Sozialversicherungen. Der Rückgang dieses Ausgabenpostens in den Jahren vor der Coronapandemie war vor allem der positiven Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt geschuldet. In den kommenden Jahren sind bei unveränderter Rechtslage durch die demografische Entwicklung überproportionale Anstiege bei den Bundeszuschüssen insbesondere an die Gesetzliche Rentenversicherung absehbar.

Die militärischen Beschaffungen und die gesamten investiven Ausgaben des Bundes machten im Jahr 2022 zusammen 1,7 % des BIP aus. Der Soll-Ansatz für das laufende Jahr ist deutlich höher.2 Die Bundesregierung hat sich hier für die kommenden Jahre Luft verschafft, indem sie beispielsweise Mittel für die Bundeswehr und für Klimainvestitionen in Sondervermögen ausgelagert hat. Allerdings muss spätestens nach dieser Legislaturperiode eine dauerhafte Finanzierung für diese Daueraufgaben eingeplant werden. Der Schuldendienst für die zusätzliche Verschuldung macht sich partiell schon früher bemerkbar. Außerdem kommen in dem Zusammenhang die ab dem Jahr 2028 einsetzenden Tilgungsleistungen für die Notlagenkredite hinzu. Ab 2031 erhöhen sich die Beträge dann nochmals.

Zu den übrigen Ausgaben zählen vor allem Zuweisungen und Zuschüsse an Verwaltungen und Unternehmen. Während der Pandemie wurden diese Ausgaben deutlich erhöht. Zum einen wurden einmalige Zahlungen geleistet, etwa die Zuweisungen des Bundes zur Kompensation der Gewerbesteuermindereinnahmen der Gemeinden oder Unternehmenshilfen. Zum anderen gab es strukturelle Änderungen. So beteiligt sich der Bund seit dem Jahr 2020 dauerhaft stärker an den kommunalen Ausgaben für Leistungen wie Unterkunft und Heizung (Christofzik, 2023), die gleichzeitig durch die hohe Fluchtmigration aus der Ukraine steigen. Der Bund hat also nicht nur Steueranteile abgegeben, sondern zugleich die Zuweisungen und Zuschüsse an die Länder und Gemeinden erhöht. Auch hier spielen Sondervermögen eine wichtige Rolle.

Ausschöpfen aller rechtlichen Möglichkeiten muss nicht ökonomisch sinnvoll sein

Wie lässt sich nun einschätzen, welche Ausgaben bei der vorgesehenen Entwicklung der Steuereinnahmen im kommenden Haushalt abbildbar sind? Im Prinzip sind die rechtlichen Rahmenbedingungen der Haushaltsaufstellung für den Bund recht simpel. Einer der im Grundgesetz verankerten Haushaltsgrundsätze besagt, dass der Haushaltsplan in Einnahmen und Ausgaben auszugleichen ist (Art. 110 Abs. 1 S. 2 GG). Der für 2024 aufzustellende kamerale Haushalt muss also aufzeigen, wie die laufenden Ausgaben durch die laufenden Einnahmen gedeckt werden sollen. Zu den Einnahmen zählt neben den Steuern und Gebühren die Nettokreditaufnahme. Die Schuldenbremse begrenzt diese abhängig von der konjunkturellen Lage mehr oder weniger stark. Wenn deren Obergrenze erreicht ist und die restlichen Einnahmen geringer sind als die politisch gewünschten Ausgaben, können diese oder bereits bestehende Ausgabenposten gekürzt, Steuern oder andere Einnahmen erhöht werden.

Tatsächlich ist die Sache etwas komplizierter. So wurden in den vergangenen Jahren zusätzliche Puffer geschaffen. Ungenutzte Ausgabeermächtigungen hat der Bund beispielsweise während der Krisenjahren Sondervermögen zugewiesen. Dies war außerhalb der Regelgrenze der Schuldenbremse möglich, da diese wegen einer außergewöhnlichen Notsituation nicht galt. Gleichzeitig wurden Verbuchungsregeln so geändert, dass der spätere (kreditfinanzierte) Mittelabfluss nicht bei der Schuldenbremse berücksichtigt wird (Buettner, 2022; Bundesrechnungshof, 2022).3 Für das „Sondervermögen Bundeswehr“ wurde eine andere Variante gewählt, die aber zum selben Ergebnis führt.4 Zudem soll in den kommenden Jahren die (rein buchmäßige) „Rücklage“ genutzt werden, sodass ebenfalls zusätzliche Kredite aufgenommen werden können. Insgesamt wurde so der rechtliche Verschuldungsspielraum in den kommenden Jahren erheblich erhöht.

Der erhöhte Verschuldungsspielraum reicht jedoch offensichtlich nicht aus, um gemeinsam mit den ordentlichen Einnahmen die von den einzelnen Ressorts eingebrachten zusätzlichen Ausgabenwünsche und die bereits festgelegten Maßnahmen zu decken. Es werden daher derzeit weitere Möglichkeiten gesucht, um einerseits die im Koalitionsvertrag dargelegten Projekte zu finanzieren und andererseits keine Steuern erhöhen zu müssen.

Ganz abgesehen von möglichen rechtlichen Spielräumen ist eine generelle Ausweitung der öffentlichen Verschuldung im derzeitigen makroökonomischen Umfeld aber kritisch. Der binnenwirtschaftliche Anstieg der Preise ist weiter hoch und eine gesteigerte staatliche Nachfrage daher nicht angezeigt. Darüber hinaus geht es weder um eine krisenbedingte vorübergehende Kreditfinanzierung, noch vorrangig um investive Ausgaben, sondern es werden überwiegend strukturelle Mehrbelastungen des Haushalts diskutiert. Eine vermeintlich angenehme Lösung, um den Haushaltsstreit beizulegen, wäre es zwar, die Regelgrenze der Schuldenbremse erst ein Jahr später wieder zu aktivieren. Doch dies würde lediglich die notwendigen Diskussionen aufschieben. Ein permanenter Ausnahmezustand ist per Definition nicht möglich.

Vor diesem Hintergrund bleibt kaum etwas anderes übrig, als die haushaltspolitischen Prioritäten abzuwägen und hierbei die mittelfristigen finanziellen Auswirkungen von Maßnahmen zu berücksichtigen. Der Handlungsspielraum des Bundes wird sich absehbar noch weiter verringern. Strukturelle Mehrbelastungen des Haushalts ohne entsprechende Ausgabenkürzungen oder Einnahmenerhöhungen verschärfen die Schieflagen noch.

  • 1 Dies liegt auch an Einmaleffekten durch die nicht periodengerechte Verbuchung von Agien und Disagien (Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen, 2021).
  • 2 Allerdings bleibt abzuwarten, ob die eingeplanten Mittel tatsächlich abfließen. Bislang war das regelmäßig nicht der Fall.
  • 3 Seit 2022 werden Zuführungen aus dem Bundeshaushalt in die für die Schuldenbremse relevante Berechnung der zulässigen Kreditaufnahme einbezogen, auch wenn es sich nicht um eine kassenwirksame, sondern um eine rein buchmäßige Leistung handelt. Insgesamt führen die Änderungen dazu, dass selbst bei Einhaltung der Schuldenbremse die für die europäischen Regeln relevante Obergrenze für das gesamtstaatliche Defizit nicht mehr gewährleistet werden kann (Unabhängiger Beirat des Stabilitätsrats, 2023).
  • 4 Es handelt sich um ein Sondervermögen mit eigener Kreditermächtigung. Mit Art. 87 Abs. 1a GG werden die aufgenommenen Kredite explizit von der Schuldenbremse ausgenommen.

Literatur

Buettner, T. (2022), Not kennt kein Gebot? Sondervermögen als Speicher von Notlagenkrediten, Wirtschaftsdienst, 102(1), 23-26, https://www.wirtschaftsdienst.eu/inhalt/jahr/2022/heft/1/beitrag/not-kennt-kein-gebot-sondervermoegen-als-speicher-von-notlagenkrediten.html (22. Mai 2023).

Bundesrechnungshof (2022), Bericht nach § 88 Absatz 2 BHO an den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages. Analyse zur Lage der Bundesfinanzen für die Beratungen zum Bundeshaushalt 2023.

Christofzik, D. I. (2023), Zahlungen der Länder an Gemeinden in finanzstatistischer Abgrenzung – Eckpunkte eines Schätzmodells. Forschungsvorhaben FE 5/21 im Auftrag des Bundesministeriums der Finanzen, Abschlussbericht, Januar 2023.

Unabhängiger Beirat des Stabilitätsrats (2023), 20. Stellungnahme zur Einhaltung der Obergrenze für das strukturelle gesamtstaatliche Finanzierungsdefizit nach § 51 Absatz 2 HGrG zur Sitzung des Stabilitätsrats am 2. Mai 2023.

Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen (2021), Das Schuldenmanagement des Bundes: Ein Plädoyer für längere Laufzeiten und eine Reform der Agio- und Disagio-Regeln, Gutachten, 4.

Title:Financial Leeway in the Federal Budget: Structural Imbalances Cannot be Resolved by Postponing

Abstract:In recent years, Germany has defused numerous political conflicts through additional financial leeway. Alongside declining interest expenses, high employment, low unemployment and strong corporate profits have led to increased tax revenues and reduced social expenditures. Special funds, reserves and changed accounting practices were used during the crisis years to create buffers. However, there is now a significant structural budget shortfall. The federal government permanently transferred tax revenues to states and municipalities while expenses continue to rise. Addressing these imbalances requires more than short-term solutions; new exemptions or exceptional measures are not the answer.

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© Der/die Autor:in 2023

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DOI: 10.2478/wd-2023-0092