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Dieser Beitrag ist Teil von Haushaltsstreit: Schuldenbremse, Steuern oder Ausgaben priorisieren?

Der Begriff „Zeitenwende“ wird in diesen Tagen bereits recht oft bemüht, aber er passt aktuell leider auch zur Finanzpolitik. Das erste Mal seit dem „Zukunftspaket“ der schwarz-gelben Koalition aus dem Jahr 2010, das letztlich nur sehr zurückhaltend umgesetzt wurde bzw. werden musste,1 scheinen die Vorgaben der Schuldenbremse eine Konsolidierungspolitik auf Bundesebene auszulösen. Bis dato war es die vordringliche Aufgabe des Finanzministers neue Ausgabenpläne und eben nicht Etatkürzungen zu orchestrieren. In den ersten Jahren der Schuldenbremse sorgten sinkende Zinsausgaben und überraschend gute Arbeitsmarktzahlen regelmäßig dafür, dass immer mehr zu verteilen war als zunächst angenommen. Dann wurde die Schuldenbremse ausgesetzt und schließlich trug für die Planung des laufenden Jahres 2023 das Aufbrauchen von Rücklagen dazu bei, dass die Vorgaben der Schuldenbremse keinen Konsolidierungsdruck auslösten.

Doch für das Jahr 2024 ist dies nun anders. Die Rücklagen im Kernhaushalt werden weitgehend ausgereizt sein und auch die aktuelle Steuerschätzung bietet keine Entlastung. Im Kern wurden die Ergebnisse der Schätzung des vergangenen Herbsts und die Zahlen im aktuellen Haushaltsplan 2023 bestätigt. Finanzminister Lindner spricht von Einsparungen von bis zu 20 Mrd. Euro, die nun notwendig werden (Spiegel, 2023). Anders als zu Zeiten des „Zukunftspakets“ ist in der heutigen Koalition die Konsensbildung offenbar schwieriger. So wird auf einen zwischen den Ministerien abgestimmten Eckwertebeschluss für das Jahr 2024, der typischerweise im März vorliegt, komplett verzichtet. Abweichungen von der Veröffentlichung der Eckwerte im März gab es in jüngerer Zeit nur 2018. Dem ging allerdings eine langwierige Regierungsbildung nach den Bundestagswahlen 2017 voraus. Für eine bereits im Vorjahr amtierende Regierung ist die Verschiebung bzw. der Verzicht auf den Eckwertebeschluss mehr als bemerkenswert. Darüber hinaus kündigte Minister Lindner sogar an, den Haushaltsentwurf nicht wie geplant zu veröffentlichen.

Warum (erst) jetzt der Dissens über den Haushalt 2024?

2024 ist seit längerem Teil der Finanzplanung und noch im Sommer 2022 konnten auf Basis der Mai-Steuerschätzung des Jahres 2022 Planzahlen für das Jahr 2024 von der Regierung verabschiedet werden (BMF, 2022). Das wirft die Frage auf, welche Parameter sich seither mit Blick auf die Finanzlage 2024 verschlechtert haben. Eine wesentliche Bestimmungsgröße ist dabei die wirtschaftliche Entwicklung. Entscheidend ist hier wegen der Konjunkturbereinigung in der Schuldenbremse die Veränderung des Produktionspotenzials. Dieses wird preisbereinigt in der Frühjahrsprojektion 2023 kaum verändert zu den Werten der Frühjahrsprojektion 2022 ausgewiesen, die für die Planzahlen im Finanzbericht 2023 genutzt wurden. In nominaler Rechnung gibt es wegen des deutlich höher geschätzten Deflators des Bruttoinlandsprodukts (BIP) sogar ein merkliches Plus.2 Es wird also mit einer höheren „Einkommensinflation“ als noch vor einem Jahr gerechnet, die für sich genommen den Staatseinnahmen zugutekommt. Die ökonomische Basis für die Einnahmen des Kernhaushaltes des Bundes stellt sich somit sogar besser dar als noch im Frühjahr 2022.3 Unter der Annahme einer gesamtwirtschaftlich konstanten Steuerquote bringt das höhere nominale Produktionspotenzial zusätzlichen fiskalischen Spielraum von rund 20 Mrd. Euro, was sich in etwa auch im Ergebnis der aktuellen Steuerschätzung aus dem Mai 2023 widerspiegelt. Dieser Betrag überschätzt allerdings den Vorteil der besseren nominalen Entwicklung. Es steigen auch einige der Ausgaben des Bundes mehr oder weniger automatisch, wenn eine höhere Einkommensdynamik unterstellt wird. So dürfte der jüngste Tarifabschluss für das Jahr 2024 mehr Lohn- und Gehaltsausgaben implizieren als im Sommer 2022 erwartet. Bei rund 38 Mrd. Euro Personalausgaben im Jahr 2022 ist der Effekt eines um wenige Prozentpunkte höheren Tarifabschlusses für den Bund allerdings noch eher überschaubar. Deutlicher schlägt zu Buche, dass mit der Herbstprojektion 2022 die Zahlen im Inflationsausgleichsgesetz – also die Verschiebung der Tarifeckwerte der Einkommensteuer zum 1.1.2023 und zum 1.1.2024 – neu berechnet wurden. Für 2024 fallen die Mindereinnahmen für den Bund nun um 6 Mrd. Euro höher aus. Neben der Neufassung des Inflationsausgleichsgesetzes gab es zudem diverse andere Mindereinnahmen und Mehrausgaben in Reaktion auf das sich ändernde Preisumfeld, die entweder nicht oder nicht umfassend in der Finanzplanung aus dem Sommer 2022 abgebildet waren. So wurden erst danach diverse Maßnahmen ins Leben gerufen oder konkretisiert, wie z.B. die Ausweitung des Wohngelds, die Einführung des Bürgergelds, das 49-Euro-Ticket oder die Gewährung der Abgabenfreiheit für Inflationsprämien. Die Effekte von bereits beschlossenen zusätzlichen Mehrausgaben und Mindereinahmen dürften somit unterm Strich die Effekte der im Vergleich zum Sommer 2022 verbesserten wirtschaftlichen Basis von der Größenordnung her in etwa aufzehren. Einen Ausgabenposten, dessen Anstieg für sich genommen das Budget bereits erheblich belastet, ist dabei noch gar nicht berücksichtigt: die Zinsausgaben. Im Finanzbericht 2023 waren für 2023 knapp 30 Mrd. Euro angesetzt und für 2024 rund 25 Mrd. Euro. In der aktuellen Haushaltsplanung wird jeweils mit etwa 10 Mrd. Euro mehr gerechnet. Berücksichtigt man, dass die zusätzlichen Zins­ausgaben des Jahres 2023 einen stärkeren Rückgriff auf die Rücklagen erfordern, die dann nicht mehr für 2024 zur Verfügung stehen, scheint es, als ob die Zinsausgaben alleine den Konsolidierungsdruck erzeugen.4

Lässt sich alles mit einem anderen Buchungssystem für Zinsausgaben beheben?

Jüngst wurde in der öffentlichen Debatte die nach Planzahlen der Bundesregierung für das Jahr 2023 anstehende Verzehnfachung der Zinsausgaben des Bundes verglichen mit denen des Jahres 2021 intensiv diskutiert – allerdings nicht durchgängig mit dem gleichen Tenor. Während dies auf der einen Seite als Beleg für die Notwendigkeit des Einhaltens der Schuldenbremse gesehen wird, wird auf der anderen Seite vordringlich darauf verwiesen, dass sich die Verzehnfachung eine Art statistisches Artefakt ist, die darauf zurückzuführen ist, wie Agios bzw. Disagios, die bei der Emission von Bundeswertpapieren entstehen, zu buchen sind (Sigl-Glöckner et al., 2023).

Dass sich die Zinsausgaben des Bundes so rasant verändern und dies auch im Vergleich zu denen der Länder, hängt von mehreren Einflussfaktoren ab.5 Zum einen ist die mittlere Laufzeit der ausstehenden Bundesanleihen recht gering. In den Corona-Jahren wurden in großem Umfang Kurzläufer begeben, um auf die plötzlichen Mehrbedarfe zu reagieren. Auf deren jährlich anstehende Refinanzierung schlagen die Änderungen der Zentralbankzinsen nahezu eins zu eins durch (Umfang der einjährigen und der zweijährigen). Zudem hat der Bund in jüngerer Zeit vermehrt inflationsindexierte Anleihen auf den Markt gebracht. Relativ zum Gesamtbestand ist der Umfang der ausstehenden inflationsindexierten Anleihen mit 80 Mrd. nicht übermäßig, doch sorgt die im Jahr 2022 massiv angeschwollene Inflation hier alleine für Milliarden von Mehrausgaben.

Schließlich spielen Agios bzw. Disagios für die aktuellen Schwankungen eine erhebliche Rolle. Sie entstehen, wenn die Anleihen abweichend vom Nennwert (Rückzahlbetrag) veräußert werden. In den Zeiten negativer Renditen wurden Anleihen über den Nennwert verkauft, da die regelmäßigen Kuponzahlungen nicht unter Null fallen konnten. Aktuell kann es auch zu gegenteiligen Effekten kommen, insbesondere wenn Kuponzahlungen unterhalb der Marktrendite angeboten werden. Letzteres geschieht derzeit vor allem bei der sogenannten Aufstockung bereits bestehender Anleihen, die in der Niedrigzinsphase neu – aber nicht vollständig – emittiert wurden, sodass deren Kupons bereits festliegen und jetzt zum Teil deutlich unter den Marktrenditen liegen. Wird nun z. B. eine langlaufende Anleihe aus dem „Nullkuponjahr“ 2020 aufgestockt, führt das zu erheblichen Abschlägen im Zahlbetrag relativ zum Nennwert der Anleihe, die im Bundeshaushalt sofort den Zinsausgaben zugerechnet werden. Sigl-Glöckner et al. geben für das Jahr 2023 einen Mehrausgabeneffekt durch Agios von rund 10 Mrd. Euro an. Sie argumentieren ferner, dass die Agios und Disagios anders gebucht werden sollten, um diese Ausschläge zu vermeiden. Eine alternative Buchung, die zuvor auch von der Deutschen Bundesbank (2022) und anderen Institutionen ins Spiel gefordert wurde, findet bereits im System der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR) statt. Während die Agios und Disagios in den Haushaltszahlen des Bundes direkt zum Zeitpunkt ihres Entstehens in Gänze den Zinsausgaben zugerechnet werden, werden diese in den VGR auf die Laufzeit der Anleihen verteilt, sodass sich die anzurechnenden Zinsausgaben der Rendite, die bei Emission des Papiers festgestellt wurde, entsprechen.

Würde der Bund seine Zinsausgaben wie in den VGR buchen, würde der Zinsanstieg aktuell somit wohl deutlich moderater ausfallen. Doch ist zu bedenken, dass dies nur kurzfristig hilft. Die Agios von heute sind höhere Zinsausgaben morgen. Umgekehrt gilt dies für Disagios. Der schnelle Zinsausgabenanstieg nimmt somit zukünftige Ausgaben vorweg und entlastet die Folgejahre. Langfristig sind die Unterschiede der Buchungsarten gering (Abbildung 1).

Abbildung 1
Zinsausgaben des Bundes (Kernhaushalte)

in Mio. Euro

Zinsausgaben des Bundes (Kernhaushalte)

Quellen: BMF, Statistisches Bundesamt, eigene Darstellung.

Da zudem inflationsindexierte Anleihen und das steigende Renditeniveau auch in den VGR-Zahlen anfallen, wäre der Anstieg zwar nicht so sprunghaft, würde aber letztlich auch erfolgen. Eine Änderung der Buchung der Zins­ausgaben könnte somit zwar den Haushaltsstreit über das Jahr 2024 mildern, aber im Kern eigentlich nur vertagen.6 Unabhängig von der Buchungsmethode ist somit zu bedenken, dass ein Zinsanstieg, selbst bei negativen Realzinsen, wie ein „Bremskraftverstärker“ für die Schuldenbremse wirkt. Da die Fiskalregel am Budgetsaldo orientiert wird, setzen höhere Zinsausgaben die sogenannten Primärausgaben unter Druck und erfordern stärkere Konsolidierungsanstrengungen.

Bremst die Schuldenbremse zu stark?

Die Kritik von Sigl-Glöckner et al. (2023) zeigt auf, dass der alarmistische Hinweis auf die „Verzehnfachung“ der Zinsausgaben überspannt ist. Sonderfaktoren lassen den Anstieg monströser wirken, als er eigentlich ist. Die Argumentation, dass wegen des starken Anstiegs der Zinsausgaben, die Schuldenbremse an Bedeutung gewinnt, ist allerdings damit nicht komplett von der Hand zu weisen. Die Schuldenbremse dient dem Ziel, öffentliche Haushalte langfristig unabhängig von der Geldpolitik gestaltbar zu halten, da durch die eingehegte Verschuldung Zinsverpflichtungen gering und kalkulierbar bleiben sollen. Doch lassen die Vorgaben der Schuldenbremse unberücksichtigt, unter welchen Umständen die Zinsen steigen. Sofern das Zinsplus mit einem Anstieg der Einkommen (nominales BIP) einhergeht, wird dadurch der Nenner der Schuldenstandsquote ausgedehnt. Zusätzliche Verschuldung wird dadurch tragfähig. Dieser Aspekt spielt in der Konstruktion der Schuldenbremse allerdings keine Rolle und dürfte gerade bei einer länger anhaltenden Inflations- und Hochzinsphase die Frage aufwerfen, ob die Schuldenbremse mit diesem zusätzlichen „Bremskraftverstärker“ nicht zu restriktiv gestaltet ist. Sofern nur die Tragfähigkeit (also die langfristige, finanzielle Handlungsfähigkeit des Bundes) zu berücksichtigen wäre, spräche einiges für eine zu starke Bremswirkung.

Doch sollte aktuell das makroökonomische Umfeld nicht aus den Augen gelassen werden. Die Inflation lässt derzeit zwar nach, doch ist sie weiterhin weit über den Zielwerten der EZB und scheint sich gerade im Kern verfestigt zu haben. Nicht mehr die Weltmarktpreise für Energie, sondern die Einkommen im Land selber korrespondieren mit dem Anstieg der Verbraucherpreise, was dafür spricht, dass die Bremskraftverstärkung der Schuldenbremse stabilitätspolitisch gerade zur rechten Zeit kommen würde.

Der Funktion der Schuldenbremse als automatischer Stabilisator greift allerdings die Bewirtschaftung der Rücklagen in die Speichen. Die Bremsung im Kernhaushalt erfolgt erst 2024, während sie im Jahr 2023 vermutlich zielgenauer gewesen wäre und vielleicht noch Einfluss auf den Zinserhöhungszyklus der EZB hätte haben können. Das Aufbrauchen von Rücklagen im Kernhaushalt aber auch in diversen Sondervermögen von Bund und Ländern sowie im WSF verschieben die Konsolidierungswirkung der Schuldenbremse. Schließlich wird die Inflation 2023 weiter von einem hohen Budgetdefizit begleitet werden, auch wenn die Schuldenbremse wieder eingesetzt ist. Insgesamt hätte es vermutlich Vorteile gehabt, bereits bei den Haushaltsverhandlungen für das Jahr 2023 stärker auf Konsolidierung zu setzen. Sie hätte zielgenauer stabilisiert werden können und es wäre vielleicht noch Pulver übrig geblieben für das Jahr 2024, sodass die Haushaltsverhandlungen schneller zu einem Kompromiss hätten kommen können. Diese Chance hat die Regierung vertan.

Ist der Haushaltsstreit 2024 erst der Anfang?

Insgesamt bleibt festzuhalten, dass das zeitliche Muster der Konsolidierungsnotwendigkeiten unter der Schuldenbremse von der Art der Buchung der Zinsausgaben beeinflusst wird. Die großen Linien der Finanzpolitik hängen allerdings kaum davon ab. Es ist bereits absehbar, dass der Bundeshaushalt in den kommenden Jahren noch weiter unter Druck geraten wird. Die Finanzierung der Kindergrundsicherung ist ungeklärt, die Sondervermögen für Klima und Verteidigung werden mittelfristig aufgebraucht und die damit verbundenen Problemlagen wohl bei weitem noch nicht gelöst sein. Erhebliche Herausforderungen stehen in den Bereichen Gesundheit und Pflege an und mit etwas zeitlicher Verzögerung wird das Thema Rente folgen. Noch steht die Rentenversicherung finanziell blendend da, doch wird sich dies mit dem zunehmenden Wechsel der Baby-Boomer-Generation in den Ruhestand in wenigen Jahren rasant ändern. Dies einfach durch höhere Beitragssätze auszugleichen, dürfte die Arbeitsanreize zur Unzeit weiter schwächen (Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose, 2023). Auch sollte sich der Bund darauf einstellen, dass bis 2045 die Einnahmen aus der Energiesteuer auf nahe null fallen sollen und die CO2-Abgabe bzw. Zertifikatehandel keine Erträge mehr bringen (sollen).

Der Haushaltsstreit 2024 deutet bereits jetzt an, dass einzelne Probleme mit moderaten Mehrausgaben zu bemänteln, wie es bis dato üblich war, bei einem strukturell ausgeglichenen Haushalt nicht mehr möglich sein wird. Wesentliche Rahmenbedingungen haben sich geändert oder ändern sich gerade. Demografie und Dekarbonisierung bergen große Herausforderungen und weisen zugleich darauf hin, dass keine große Wachstumsdynamik zur Verfügung stehen dürfte, diesen ohne Einschränkungen an anderer Stelle entgegenzutreten. Wir sollten eine Grundsatzdebatte über die Ausgaben und Einnahmen des Staates führen. Angesichts geänderte Rahmenbedingungen und großer Herausforderungen gilt es die Rolle des Staates auf verschiedenen Gebieten zu überdenken. Auch über die Schuldenbremse ist sicherlich bei einem solchen echten Kassensturz zu reden. Doch sprechen die Rückkehr der Inflation und die Zinswende dagegen, dass zusätzliche Verschuldung – wie es während der Nullzinsphase, der „secular stagnation“, wirkte – einen einfachen Ausweg birgt. Angesichts dieser Situation alleine auf eine „Reform“ der Schuldenbremse oder deren Flexibilität zu setzen, dürfte Risiken für die Tragfähigkeit oder die Geldwertstabilität in sich bergen.

  • 1 Einer der wesentlichen umgesetzten Bestandteile des „Zukunftspakets“ war die Kernbrennstoffsteuer, die mit dem Aufschub des Atomausstiegs aufgegleist wurde. Nach der Rückkehr zum ursprünglichen Ausstiegstermin und infolge eines höchstrichterlichen Beschlusses wurde sie allerdings komplett und verzinst zurückerstattet.
  • 2 Der Prognoseumschwung hin zu einem deutlich höheren BIP-Deflator hat bereits mit der Herbstprojektion 2022 stattgefunden. Welche Bedeutung dies für die Haushaltsaufstellung hat, zeigt sich darin, dass Niedersachsen und Schleswig-Holstein den für die Konjunkturbereinigung relevanten Zinssteuerpfad nicht wie üblich an dem Daten- und Prognosestand des Frühjahrs festmachten, sondern die Werte aus der Herbstprojektion ausnahmsweise heranzogen (Boysen-Hogrefe, 2023).
  • 3 Die stabile wirtschaftliche Lage ist zum Teil den zusätzlichen Ausgaben des Wirtschaftstabilisierungsfonds (WSF) geschuldet. Die Ausgaben des WSF belasten 2023 und 2024 nicht den Kernhaushalt. Implizit wird der Kernhaushalt 2023 durch die Ausgaben der Sondervermögen und des WSF gestützt.
  • 4 Im Umkehrschluss sei übrigens angemerkt, dass der Haushaltsstreit 2024 zumindest herausgezögert hätte werden können, wenn der Haushalt 2023 mit einem geringeren Rücklagenverzehr geplant worden wäre.
  • 5 Bis einschließlich März gab der Bund im Jahr 2023 mit über 10 Mrd. Euro mehr als das Fünffache aus, während die Zinsausgaben der Länder um „nur“ 30 % auf knapp 3 Mrd. Euro stiegen.
  • 6 Das aktuelle Buchungssystem bietet zudem potenziell eine gewisse Flexibilität. Die Zinsausgaben eines Jahres können z. B. durch die Ausgabe einer langlaufenden Anleihe mit gemessen an der zum Emissionszeitpunkt vorherrschenden Rendite (viel) zu großen Kupon (erheblich) gesenkt werden. Bei einem Wechsel des Buchungssystems würde der Bund diese Flexibilität verlieren. Die Planzahlen zu den Zinsausgaben deuten aber an, dass der Bund ein solches Vorgehen nicht anstrebt.

Literatur

Boysen-Hogrefe, J. (2023), Konjunkturbereinigung: Symmetrie in Gefahr?, Wirtschaftsdienst, 103(1), 7, https://www.wirtschaftsdienst.eu/inhalt/jahr/2023/heft/1/beitrag/konjunkturbereinigung-symmetrie-in-gefahr.html (22. Mai 2023).

BMF – Bundesministerium der Finanzen (2022), Finanzbericht 2023.

Deutsche Bundesbank (2022), Die Schuldenbremse des Bundes: Möglichkeiten einer stabilitätsorientierten Weiterentwicklung, Monatsbericht April.

Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose (2023), Inflation im Kern hoch – Angebotskräfte jetzt stärken.

Sigl-Glöckner, P., L. Mühlenweg und M. Krahé (2023), Wie schlimm ist die Zinsrampe?, Geldbrief – Dezernat Zukunft.

Spiegel (2023), Finanzminister Lindner erwartet schwindende Einnahmen, Spiegel online, 11. Mai, https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/steuerschaetzung-christian-linder-erwartet-2024-weniger-einnahmen-a-8e9ca79e-e230-441a-8417-3037432af831 (15. Mai 2023).

Title:Debt Brake Under New Framework Conditions: A Turning Point in Fiscal Policy

Abstract:The current coalition’s budget negotiations for 2024 are proving to be very difficult. For the first time since 2010, there is talk of consolidation measures to meet the requirements of the debt brake. The sudden budget dispute does not have its origins in worsening revenue prospects, but in tax cuts and additional spending, which were mutually agreed for 2023, and in sharply rising interest payments. While the increase in interest expense is overstated by the methods currently used, a change in methods would probably only delay the issue of consolidation. Fiscal policy in Germany is on the verge of a turning point.

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© Der/die Autor:in 2023

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DOI: 10.2478/wd-2023-0093