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Die Theorie der strategischen Handelspolitik kam in den frühen 1980er Jahren auf.
Dabei ging es um die Frage, wie ein Land im Fall von Marktunvollkommenheiten – vor allem oligopolistischen Märkten – den eigenen Wohlstand durch gezielte handelspolitische Maßnahmen steigern kann. Heute gibt es weitere Marktunvollkommenheiten, die ebenfalls den Einsatz handels- und wirtschaftspolitischer Instrumente rechtfertigen.

Im Standardmodell einer offenen Volkswirtschaft sorgen staatliche Eingriffe in den internationalen Handel für Wohlfahrtsverluste. Diese betreffen sowohl das Land, das so einen Eingriff durchführt, als auch die Volkswirtschaften, gegen die sich die protektionistische Maßnahme richtet. Wenn es jedoch Marktunvollkommenheiten gibt, kann das den Einsatz handelspolitischer Instrumente rechtfertigen, weil sich damit die Wohlfahrt des eigenen Landes erhöhen lässt. In der Theorie der strategischen Handelspolitik wird Marktmacht als Begründung für einen staatlichen Eingriff in den internationalen Handel gesehen. Eine zentrale Annahme eines Marktes unter vollständiger Konkurrenz lautet, dass es viele Anbieter gibt, die alle klein sind und daher keine Macht besitzen, den Marktpreis eigenständig zu verändern. Im Fall der strategischen Handelspolitik liegt hingegen ein Oligopol auf dem Weltmarkt vor, d h., an die Stelle der vollkommenen Konkurrenz tritt eine monopolistische oder oligopolistische Konkurrenz (Nowak-Lehmann Danzinger, 1994, 1). Es gibt nur eine geringe Zahl von Anbietern. Sie können einen Marktpreis fordern, der höher ist als der Gleichgewichtspreis im Fall der vollständigen Konkurrenz.

Ursache für diese Marktmacht sind in den theoretischen Überlegungen zur strategischen Handelspolitik steigende Skalenerträge in der Produktion. Skalenerträge geben an, wie sich die Produktionsmenge verändert, wenn die Einsatzmengen aller Produktionsfaktoren erhöht werden. Wenn eine Verdoppelung aller Produktionsfaktoren zu einer Verdoppelung des Gesamtertrags führt, liegen konstante Skalenerträge vor. Wenn sich der Gesamtertrag hingegen mehr als verdoppelt, handelt es sich um steigende Skalenerträge. Steigende Skalenerträge sind mit sinkenden Grenz- und Durchschnittskosten verbunden, weil die Produktionskosten in Relation zur Produktions-
menge nur unterproportional zunehmen. Dies hat zur Folge, dass jede zusätzlich produzierte Einheit weniger Kosten verursacht als die bisher produzierten Mengeneinheiten, sodass die Durchschnittskosten abnehmen. Der Anbieter, der die größte Gütermenge produziert und verkauft, verlangt den geringsten Preis – und verdrängt damit alle anderen Anbieter vom Markt.

Gründe für eine Marktmacht im internationalen Handel sind statische Skaleneffekte (z. B. hohe Fixkosten bei Forschung und Entwicklung), dynamische Skaleneffekte (Lerneffekte der Beschäftigten) und Netzwerk-Externalitäten (Klodt, 1992, 3-8). Bei einer Netzwerk-Externalität hängt der Nutzen, den einzelne Verbraucher:innen aus dem Konsum eines Produkts ziehen, auch davon ab, wie viele andere Konsument:innen das Produkt nutzen. Je mehr Teilnehmende z. B. in sozialen Netzwerk anzutreffen sind, desto attraktiver ist es für Menschen, sich dem entsprechend großen Netzwerk anzuschließen. Langfristig entscheiden sich also alle Nutzer:innen für das Unternehmen, das die meisten Teilnehmer:innen hat. In allen drei Fällen setzt sich in einem Land das Unternehmen durch, das die größte Gütermenge anbietet – entweder weil es den geringsten Preis aller Anbieter fordert oder weil es die meisten Nutzer:innen eines Netzwerkgutes hat und daher der attraktivste Anbieter ist. Eine strategische Handelspolitik bietet sich also an, wenn sich der Weltmarkt für ein bestimmtes Produkt durch strukturelle Besonderheiten auszeichnet, die zu einer hohen Marktkonzentration führen und damit hohe Marktzutrittsschranken für mögliche Konkurrenten etablieren. Bei der strategischen Handelspolitik beschränken sich die wirtschaftspolitischen Maßnahmen des Staates nur auf diese Märkte (von Weizsäcker und Waldenberger, 1992, 403).

Die hohen Marktzutrittsschranken sorgen für überdurchschnittliche Gewinne, die als Oligopolrenten bezeichnet werden. Ein Land kann darauf defensiv oder aggressiv reagieren (von Weizsäcker und Waldenberger, 1992, 404; Nowak-Lehmann Danzinger, 1994, 4; Hilpert, 2022, 1 f.):

Bei einer defensiven strategischen Handelspolitik reagiert das Inland auf eine aggressive strategische Handelspolitik des Auslands. Es geht also um den Schutz der einheimischen Unternehmen vor ausländischen Anbietern. Dazu kann auch zählen, dass das Inland eine strategische Handelspolitik einsetzt, um zu verhindern, dass bedeutsame Schlüsseltechnologien durch ausländische Unternehmen monopolisiert werden. Im Mittelpunkt einer defensiven Handelspolitik steht der Schutz der Importsubstitutionsgüterindustrie. Bei einer aggressiven bzw. offensiven strategischen Handelspolitik geht es um die Erschließung neuer Absatzmärkte oder eine Stärkung der Wettbewerbsposition inländischer Unternehmen auf bereits existierenden Absatzmärkten. Das Inland setzt wirtschaftspolitische Instrumente ein, um die Wettbewerbsposition der einheimischen Unternehmen im Ausland zu stärken und so die Gewinne des Inlands zu erhöhen. Bei dieser Ausformung der strategischen Handelspolitik steht die Exportgüterindustrie im Mittelpunkt.

Die Gemeinsamkeit beider Ansätze besteht darin, dass die Förderung der einheimischen Unternehmen einen Teil der Oligopolrenten aus dem Ausland ins Inland umleitet. Es kommt zu einer Rentenumlenkung, die die Wohlfahrt des Inlands erhöht. Ziel kann auch die Rentenschaffung sein. Sie liegt vor, wenn die strategische Handelspolitik den einheimischen Unternehmen eine starke Position auf neuen, zukunftsträchtigen Märkten ermöglicht (Siebert, 2000, 126). Ein prominentes Beispiel für eine defensive strategische Handelspolitik ist die finanzielle Förderung des Flugzeugbauers Airbus durch die EU. Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre dominierten zwei US-amerikanische Unternehmen, Boeing und McDonell Douglas, den Weltmarkt für zivile Großraumflugzeuge. Beide wurden nach Ansicht Europas von den USA indirekt subventioniert, indem Finanzmittel im Bereich der militärischen Flugzeuge gezahlt wurden und diese Einfluss auf die Qualität und die Produktionskosten der zivilen Großraumflugzeuge hatten. Airbus erhielt daher ebenfalls Subventionen von der EU (von Weizsäcker und Waldenberger, 1992, 405).

Instrumente der strategischen Handelspolitik

Für eine strategische Handelspolitik gibt es unterschiedliche Instrumente, die nicht zwingend handelspolitische Maßnahmen sein müssen. Ein gängiges Instrument einer strategischen Handelspolitik sind Subventionen. Als Subvention im engen Sinne gilt jede finanzielle Begünstigung, die der Staat Unternehmen gewährt, ohne dass er dafür eine entsprechende Gegenleistung erhält. Bei einem weiter gefassten Verständnis zählen auch Steuervergünstigungen sowie staatliche Bürgschaften und Garantien dazu. Im Kontext der strategischen Handelspolitik ist vor allem an zwei Arten von Subventionen zu denken:

Zum einen geht es um Subventionen, die die Produktionskosten der Unternehmen reduzieren. Um eine dauerhafte staatliche Unterstützung zu vermeiden, sollten sich die Subventionen auf Investitionen in Sachkapital, Humankapital sowie Forschung und Entwicklung beschränken. Durch die Förderung dieser Investitionen werden die Produktionsbedingungen in den inländischen Unternehmen verbessert. Es kommt zu einer quantitativen oder qualitativen Verbesserung der Produktionsfaktoren, was zu einer Steigerung der Produktivität und damit einer Verringerung der Stückkosten führt. Wenn die inländischen Unternehmen die erforderlichen Investitionen erfolgreich durchgeführt und eine preisliche Wettbewerbsfähigkeit erlangt haben, kann der Staat seine Subventionszahlungen einstellen. Zum anderen sind Exportsubventionen möglich. Unternehmen erhalten nicht für alle Produkte eine Subvention, sondern ausschließlich für die, die exportiert werden. Diese Subventionen verbessern nicht die Produktivität im Inland. Sie erhöhen lediglich die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der einheimischen Unternehmen durch einen staatlichen Eingriff, der den Preis künstlich senkt. Falls die einheimischen Unternehmen keine technologischen Maßnahmen durchführen und daher auch keine Preissenkungen realisieren können, muss der Staat seine Subventionen dauerhaft zahlen.

Zur strategischen Handelspolitik können auch öffentliche Investitionen zählen. Wenn der Staat Investitionen in den Bereichen Sachkapital, Humankapital und Know-how bzw. Technologie tätigt, kommt das auch den privaten Unternehmen zugute. Sofern diese Investitionen die Produktivität der Unternehmen erhöhen, z. B. weil diese nun besser ausgebildete Fachkräfte einstellen können, kommt es zu einer Reduzierung der Produktionskosten. Das verbessert wiederum die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen. Zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der einheimischen Unternehmen auf oligopolistischen Weltmärkten können schließlich auch klassische handelspolitische Instrumente wie Zölle und nicht tarifäre Handelshemmnisse eingesetzt werden.

Gründe für eine strategische Handelspolitik 2.0

Jenseits der Besonderheiten, die zu einer oligopolistischen Marktstruktur führen, gibt es heute zusätzliche ordnungspolitische Motive für eine strategische Handelspolitik:

  1. Klumpenrisiken bei importierten Rohstoffen, Vorleistungen und Endprodukten können einen staatlichen Eingriff begründen. Der Begriff des Klumpenrisikos stammt ursprünglich aus dem Finanzsektor und beschreibt eine Situation, in der Anleger:innen ihr Geld ausschließlich oder zum größten Teil für eine Vermögensform ausgeben. Wenn es dort zu einem rapiden Preisrückgang kommt, verlieren die Anleger:innen wegen der fehlenden Risikostreuung viel Geld. Klumpenrisiken können sich auch im Außenhandel ergeben: Einzelwirtschaftlich ist es z. B. aus Sicht eines deutschen Unternehmens absolut rational auf russisches Gas zu setzen, weil dies vor dem russischen Angriff auf die Ukraine am günstigsten war. Es wäre betriebswirtschaftlich nicht rational, auf andere Zulieferländer auszuweichen. Wenn sich jedoch alle deutschen Unternehmen für Russland als Beschaffungsmarkt für Erdgas entscheiden, ergibt sich ein Klumpenrisiko, das die gesamte deutsche Wirtschaft abhängig von russischem Gas macht. Das Ausbleiben dieser Erdgasimporte führt dann zu Produktionseinbrüchen, die die gesamte Volkswirtschaft betreffen – also nicht nur die Unternehmen, die dieses Erdgas importieren. Damit liegt eine negative Beschaffungsexternalität im Außenhandel vor (Braml und Felbermayr, 2022, 24).
  2. Staatliches Eingreifen in den Außenhandel ergibt sich auch, wenn nicht alle Volkswirtschaften in gleichem Ausmaß auf einen negativen externen Effekt reagieren. Ein negativer externer Effekt liegt vor, wenn wirtschaftliche Akteur:innen nicht alle Kosten ihrer Entscheidungen tragen. Ein Beispiel ist der Ausstoß von CO2. Ein negativer externer Effekt führt zu einem Marktversagen, weil eigeninteressierte Wirtschaftssubjekte bei ihren Entscheidungen lediglich die privaten Kosten und den privaten Nutzen berücksichtigen. Durch das Abwälzen eines Teils der insgesamt anfallenden Kosten auf die Gesellschaft wählt ein eigeninteressiertes Individuum ein im Vergleich zum gesamtgesellschaftlichen Optimum zu großes Aktivitätsniveau. In Deutschland und der EU reagiert die Politik auf dieses Marktversagen, indem sie Treibhausgasemissionen in vielen Fällen nur erlaubt, wenn die Verursacher:innen dafür Emissionszertifikate erwerben. Dadurch werden diese Emissionen mit einem CO2-Preis belegt. Ein zusätzlicher staatlicher Eingriff wird erforderlich, wenn im Rest der Welt keine oder nur sehr geringe CO2-Preise vorliegen. In diesem Fall ist zu erwarten, dass emissionsintensive wirtschaftliche Aktivitäten in Länder mit einer weniger strengen Klimapolitik verlagert werden, sodass es zu einem Carbon Leakage kommt (Petersen, 2021, 116-124). Das Ziel eines nationalen CO2-Preises – die Verringerung des CO2-Emissionsvolumens – wird dadurch konterkariert. Theoretisch ist es sogar möglich, dass der weltweite Ausstoß an Treibhausgasen zunimmt. Dies ist der Fall, wenn die im Ausland eingesetzten Produktionsverfahren mehr Emissionen verursachen als eine klimafreundlichere Produktionstechnologie in Deutschland. Die im Inland erzielte Emissionsreduzierung wird dann von den zusätzlichen Emissionen im Ausland überkompensiert.
  3. Die voranschreitende Digitalisierung führt dazu, dass es vermehrt zu natürlichen Monopolen kommt. Hierzu kommt es aus zwei zentralen Gründen. Eine Ursache ist die spezielle Kostenstruktur vieler digitaler Güter und Plattformen: Während die Entwicklung dieser Güter bzw. der Aufbau der Plattformen mit hohen Fixkosten verbunden ist, tendieren die Grenzkosten der Produktion gegen null. Zudem haben viele digitale Produkte den bereits skizzierten Charakter eines Netzwerkgutes. In der Digitalökonomie besteht somit „die Tendenz, dass natürliche Monopole zum Normalfall werden“ (Quitzau und Broders, 2019, 1).
  4. Handelspolitische Intervention können notwendig werden, wenn es auf den Weltmärkten keinen freien Marktzugang gibt. Dies ist z. B. der Fall, wenn ausländische Unternehmen keinen Zugang zu öffentlichen Ausschreibungen im Inland haben oder wenn sie keinen Zugang zu Unternehmensbeteiligungen im Inland erhalten. Grund dafür können Kapitalverkehrskontrollen sein, die eine Beteiligung ausländischer Investor:innen an inländischen Unternehmen verbieten.
  5. Eine Regierung kann sich für handelspolitische Maßnahmen entscheiden, wenn es im Ausland Marktverzerrungen gibt, also z. B. Subventionen des ausländischen Staates für dessen Unternehmen oder Importzölle des Auslands. Derartige Verzerrungen sind nicht neu, aber sie dürften in Zukunft zunehmen. Grund dafür ist, dass die internationalen Handelsbeziehungen zukünftig stärker als bisher nicht mehr nur unter dem Kriterium der wirtschaftlichen Vorteilhaftigkeit betrachtet werden, sondern auch vermehrt im Hinblick auf geopolitische Erwägungen. Das bedeutet, dass Länder bei der Ausgestaltung ihrer außenwirtschaftlichen Beziehungen auch darauf achten, ihre politischen Ziele durchzusetzen. So ging es z. B. bei den Handelsstreitigkeiten zwischen den USA unter Donald Trump und China nicht nur um das US-amerikanische Handelsbilanzdefizit, sondern vielmehr um die weltweite Technologieführerschaft. Technologische Überlegenheit ist immer mehr eine zentrale Voraussetzung für wirtschaftliche Stärke – und wirtschaftliche Stärke ist wiederum eine wichtige Voraussetzung für politische und militärische Macht bzw. Überlegenheit (Rudolf, 2020, 11). Generell ist zu befürchten, dass viele Volkswirtschaften in Zukunft verstärkt handelspolitische Instrumente einsetzen, um damit ihre politischen Ziele zu erreichen. Mögliche Instrumente dafür sind neben Zöllen und nicht tarifären Handelshemmnissen auch Sanktionen, Exportbeschränkungen, Exportverbote und vieles mehr (Görg und Kamin, 2021, 854 f.).

Schließlich gibt es eine weitere Begründung für eine staatliche Intervention in den Außenhandel: Bei der strategischen Handelspolitik der 1980er und 1990er Jahre ging es um die Förderung der inländischen Exporte und einen Schutz der heimischen Unternehmen vor Importen. Dass wichtige Importe aus dem Ausland unterbleiben, wurde nicht problematisiert – warum sollten ausländische Unternehmen auf den Verkauf ihrer Produkte verzichten? Wird der eigene Außenhandel jedoch auch zur Verfolgung geopolitischer Ziele eingesetzt, kann der Verzicht auf Exporte sinnvoll sein, weil das im Abnehmerland zu erheblichen wirtschaftlichen und sozialen Problemen führen kann. Zu einer modernen strategischen Handelspolitik gehört daher auch die Verringerung von Importabhängigkeiten, um so die eigene wirtschaftliche Verletzbarkeit und eine daraus resultierende politische Erpressbarkeit zu verringern sowie die Versorgungssicherheit zu erhöhen.

Instrumente für eine strategische Handelspolitik 2.0

Sowohl mit Blick auf die Klumpenrisiken als auch auf die Importabhängigkeit von Staaten, die ihre außenwirtschaftlichen Aktivitäten zur Erreichung geopolitischer Ziele einsetzen, bietet sich eine Importbegrenzung aus einzelnen Ländern an – und damit eine größere Diversifizierung der Importquellen. Wenn die einzelnen Unternehmen diese Diversifizierung nicht erreichen, weil sie aus betriebswirtschaftlichen Gründen alle mit dem gleichen Importland zusammenarbeiten, ist eine staatliche Intervention erforderlich. Sie könnte z. B. darin bestehen, dass für ausgewählte kritische Produkte eine maximale Importmenge aus einzelnen Ländern festgelegt wird. Um diese Mengenbeschränkungen praktisch durchzusetzen, könnten entsprechende Importlizenzen versteigert werden, „um eine möglichst effiziente und wohlstandsmaximierende Zuteilung zu erreichen“ (Braml und Felbermayr, 2022, 27). Eine Diversifizierung der Importquellen kann zudem über den Abschluss neuer Freihandelsabkommen erreicht werden. Der Aufbau von entsprechenden Produktionskapazitäten in Deutschland bzw. der EU ist eine andere Möglichkeit. Er dient der Stärkung der Importsubstitution. Diese Lösungsoption ist jedoch mit höheren Produktionskosten verbunden, die von den inländischen Wirtschaftssubjekten – also den Konsument:innen oder den Steuerzahler:innen – getragen werden müssen. Um die damit verbundenen Mehrkosten möglichst gering zu halten, bietet es sich an, dass lediglich in Kapazitätsreserven investiert wird. Dieses Vorgehen wird z. B. in der deutschen Stromversorgung angewendet. Dort hat die Politik die Übertragungsnetzbetreiber verpflichtet, Produktionskapazitäten vorzuhalten. Diese werden nur im Notfall eingesetzt. Die damit verbundenen Vorhaltungskosten werden auf die Netzentgelte umgelegt und folglich von den Endverbraucher:innen getragen.

Schließlich ist auch an den Aufbau strategischer Reserven zu denken, so wie in Deutschland bei der strategischen Erdölreserve. Die anfallenden Kosten tragen entweder die Verbraucher:innen über eine Einpreisung der Lagerhaltungskosten in die Preise oder die Steuerzahler:innen, falls der Staat die Reservehaltung finanziert bzw. selbst durchführt (ausführlicher Haucap et al., 2020). Um die negativen externen Effekte, die mit wirtschaftlichen Entscheidungen verbunden sind, zu internalisieren, bieten sich staatliche Preise an. Sie entsprechen im theoretischen Idealfall der Differenz zwischen den privaten Kosten und den gesamtwirtschaftlichen Kosten einer Aktivität. Im Fall von Treibhausgasemissionen entspricht der staatliche CO2-Preis also den gesellschaftlichen Zusatzkosten, die sich ergeben, wenn wirtschaftliche Aktivitäten 1 t CO2 ausstoßen. Wenn jedoch nur einzelne Länder den negativen externen Effekt von Treibhausgasemissionen bepreisen, drohen die Produktionsortverlagerungen mit einem Carbon Leakage. Um dies zu verhindern, bietet sich ein „Carbon Border Adjustment Mechanism“ an. Dessen Grundstruktur sieht, wie folgt, aus: Wenn der Staat den Ausstoß von Treibhausgasemissionen mit einem Preis belegt, werden die Exporte der inländischen Unternehmen von dieser Bepreisung befreit. Der inländische Emissionspreis erhöht nicht die Exportpreise, sodass die internationale preisliche Wettbewerbsfähigkeit der inländischen Unternehmen bestehen bleibt. Produkte, die aus dem Ausland importiert und im Inland verkauft werden, haben im Fall eines inländischen Emissionspreises einen Wettbewerbsvorteil, wenn die ausländischen Unternehmen in ihrem Land keinen Emissionspreis zahlen müssen. Zum Ausgleich dieses Wettbewerbsnachteils für inländische Unternehmen werden die Importe daher mit einer Emissionsabgabe belastet. Wenn andere Staaten protektionistische Maßnahmen einsetzen, z. B. weil sie damit geopolitische Ziele erreichen wollen, erlauben die Regeln des Welthandels Vergeltungsmaßnahmen. Erlaubte Reaktionen auf Marktverzerrungen im Ausland sind vor allem Antidumpingzölle und Antisubventionszölle. Schließlich bieten sich auch ausländische Direktinvestitionen als Ansatzpunkt für außenwirtschaftspolitische Maßnahmen an. Hierbei sind zwei Richtungen zu unterscheiden:

  • Begrenzung von Direktinvestitionen ausländischer Investor:innen im Inland: Um Schlüsselindustrien und Schlüsseltechnologien im Inland zu halten, können Kapitalverkehrskontrollen sinnvoll sein. Damit lässt sich der Erwerb entsprechender Unternehmensanteile durch ausländische Investor:innen verhindern.
  • Förderung von Direktinvestitionen einheimischer Unternehmen im Ausland: Wenn deutsche Unternehmen Anteile oder sogar ganze Unternehmen im Ausland erwerben, die für Deutschland essenzielle Vorleistungen oder Endprodukte herstellen, können sich diese Unternehmen durch ihre Unternehmensbeteiligung den Zugriff auf diese Produkte sichern. Das verringert die Gefahr, dass der Import dieser Produkte unterbleibt. Sollte das Ausland jedoch mit sehr restriktiven handelspolitischen Maßnahmen arbeiten, also z. B. einem Exportverbot dieser Produkte nach Deutschland, lässt sich diese Unterbrechung der Importe nicht verhindern. Im schlimmsten Fall besteht sogar die Gefahr, dass die Unternehmensbeteiligungen im Ausland ihren Wert für den Investor verlieren und abgeschrieben werden müssen – so wie nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine, der dazu führte, dass viele westliche Unternehmen ihre Sachanlagen in Russland aus den Bilanzen gestrichen haben.

Wirtschaftspolitische Herausforderungen

Die theoretische Begründung, dass eine strategische Handelspolitik im Fall einer oligopolistischen Konkurrenz den Wohlstand einer Volkswirtschaft erhöhen kann, basiert auf einer Reihe von Annahmen. Wenn diese in der Realität jedoch nicht erfüllt sind, ist auch nicht mehr garantiert, dass staatliche Interventionen in den internationalen Handel tatsächlich wohlfahrtssteigernd wirken. Fünf Herausforderungen spielen dabei eine zentrale Rolle.

Damit eine staatliche Intervention im Bereich des Außenhandels die Wohlfahrt des eigenen Landes erhöht, muss der Staat erstens über das dafür erforderliche Wissen verfügen. Geht es um die Förderung von Zukunftsbranchen bzw. Zukunftstechnologien, basiert der Erfolg einer strategischen Handelspolitik darauf, dass die geförderten Sektoren tatsächlich Erfolg versprechende Produkte und Technologien umfassen. Der Staat muss also wissen, welche Produkte und Technologien in Zukunft nachgefragt werden und wettbewerbsfähig sind. Es ist jedoch keinesfalls garantiert, dass der Staat über das dafür erforderliche Wissen verfügt. Damit ist auch nicht gewährleistet, dass er die richtigen Sektoren und Technologien fördert.

Zweitens müssen bei der Förderung ausgewählter Sektoren die damit verbundenen Opportunitätskosten berücksichtigt werden. Wenn der Staat ausgewählte Produkte, Technologien oder Sektoren fördert, erhöht er damit den Einsatz von Produktionsfaktoren in den geförderten Bereichen. Angesichts der Knappheit von Produktionsfaktoren stehen diese dann nicht mehr für alternative Verwendungszwecke zur Verfügung. Es ist zumindest theoretisch nicht ausgeschlossen, dass die in Geldeinheiten ausgedrückten Opportunitätskosten größer sind als der Wert der umgelenkten bzw. neu geschaffenen Renten.

Zu den Kosten einer strategischen Handelspolitik gehören drittens auch alle negativen Konsequenzen, die mit dem Einsatz von handelspolitischen Instrumenten für das eigene Land entstehen (von Weizsäcker und Waldenberger, 1992, 404). Zunächst einmal ist an die Finanzierung der staatlichen Subventionen zu denken. Werden diese durch eine Steuererhöhung finanziert, bedeutet das an anderer Stelle Preissteigerungen. Sie schwächen die preisliche Wettbewerbsfähigkeit aller inländischen Unternehmen. Gleiches gilt für Importbeschränkungen, weil sie die Preise für importierte Rohstoffe und Vorleistungen erhöhen. Daraus ergeben sich weitere negative Folgen für das Inland: Bei den privaten Haushalten kommt es zu einem Kaufkraftverlust, der zu einer Einschränkung der Konsumgüternachfrage führen kann. In den inländischen Unternehmen steigen die Produktionskosten, was zu Produktionsrückgängen mit Beschäftigungs- und Einkommensverlusten führt. Ein Beispiel dafür sind die Schutzzölle für Stahl, die unter Präsident Bush 2002 in den USA eingeführt wurden. Der damit verbundene Anstieg des Stahlpreises führte nach empirischen Schätzungen im Laufe des Jahres 2002 in den USA insgesamt zu einem Verlust von rund 200.000 Arbeitsplätzen. Das waren mehr Arbeitsplätze als die gesamte amerikanische Stahlindustrie in diesem Jahr hatte (187.500 im Dezember 2002, Francois und Baughman, 2003, 12). Schließlich ist noch zu berücksichtigen, dass geschützte Wirtschaftssektoren wegen des geringeren Wettbewerbsdrucks zur Ineffizienz neigen können. Das schwächt dann auch den technologischen Fortschritt.

Ein vierter Grund, der gegen eine Wohlfahrtssteigerung durch eine strategische Handelspolitik spricht, können ausländische Direktinvestitionen sein. Wenn ein Land einen bestimmten Sektor im eigenen Land fördert und damit die Gewinne der dort involvierten Unternehmen erhöht, steigert dies nur dann die nationale Wohlfahrt, wenn diese Gewinne im Inland verbleiben. Sollten die Eigentümer:innen der betroffenen Unternehmen jedoch im Ausland ansässig sein, fließen diese Gewinne ins Ausland. Das für die nationale Wohlfahrt relevante Bruttonationaleinkommen steigt also nicht um den Zuwachs der Gewinne (Nowak-Lehmann Danzinger, 1994, 38 f.).

Fünftens ist zu berücksichtigen, dass die Vorteilhaftigkeit der strategischen Handelspolitik für die nationale Wohlfahrt darauf basiert, dass das Ausland keine Gegenmaßnahmen ergreift. Ausländische Regierungen können jedoch mit Vergeltungsmaßnahmen reagieren. Das verschlechtert die Exportchancen der Unternehmen des Landes, das eine strategische Handelspolitik anwendet. Und es betrifft gegebenenfalls nicht nur die Unternehmen der geschützten inländischen Branchen, sondern zahlreiche andere Branchen. Wenn diese Reaktion des Auslands die inländische Regierung zu weiteren handelspolitischen Maßnahmen motiviert, droht ein Subventionswettlauf. Er erhöht nicht die Gewinne der beteiligten Unternehmen, bedeutet für die Staaten aber zusätzliche Subventionsausgaben (Klodt, 1992, 9).

Wirtschaftspolitische Handlungsempfehlungen

Eine zentrale Schlussfolgerung lautet, dass es in den kommenden Jahren voraussichtlich eine Vielzahl von Fällen geben wird, in denen eine handelspolitische Intervention des Staates die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt Deutschlands bzw. der EU steigern kann. Grund dafür ist die Erwartung, dass es mehr Situationen geben wird, die zu einem Marktversagen führen. Damit ein staatlicher Eingriff angemessen auf dieses Marktversagen reagieren kann, sind jedoch zwei Herausforderungen zu beachten.

Die erste wirtschaftspolitische Herausforderung besteht in der Identifikation von Wirtschaftsbereichen, für die eine strategische Handelspolitik angewendet werden sollte. Um z. B. die inländische Importabhängigkeit zu reduzieren, muss der Staat in der Lage sein, die Rohstoffe, Vorleistungen und Endprodukte zu identifizieren, bei denen aus gesamtwirtschaftlicher Sicht eine kritische Importabhängigkeit besteht. Dies ist keine triviale Aufgabe. Zwar gibt es etablierte Methoden, mit denen z. B. die EU-Kommission die Importabhängigkeit diagnostiziert. Kriterien für eine kritische Importabhängigkeit bei einem bestimmten Produkt sind das Ausmaß der Konzentration auf Lieferländer dieses Produkts, der Anteil der Importe aus Nicht-EU-Ländern an den gesamten Importen dieses Produkts und das Verhältnis der Importe aus Nicht-EU-Ländern zu den entsprechenden Exporten der EU (European Commission, 2021, 19-22). Allerdings geben diese Indikatoren keinen Hinweis darauf, ob es für die so identifizierten Produkte Substitute gibt – aus anderen Ländern oder durch alternative Produkte. Unklar ist auch, wie hoch der inländische Bedarf in Zukunft ist – wenn ein als kritisch identifiziertes Importprodukt zukünftig kaum noch benötigt wird, sind gegebenenfalls keine Maßnahmen erforderlich, um die Importabhängigkeit zu verringern. Zudem wird nicht berücksichtigt, wie wichtig diese Produkte für weitere Produktionsprozesse im Inland sind (ausführlicher Overdiek, 2023).

Die zweite wirtschaftspolitische Herausforderung besteht in der Identifikation der geeigneten handelspolitischen Instrumente inklusive der genauen Ausgestaltung dieser Instrumente. So sind z. B. bei dem konkreten Design eines „Carbon Border Adjustment Mechanism“ zahlreiche Detailfragen zu klären: Wie wird der CO2-Gehalt eines Importprodukts festgelegt? Wie werden im Ausland geltende Emissionspreise berücksichtigt? Wie lässt sich ein Verstoß gegen die internationalen Regeln des grenzüberschreitenden Handels vermeiden (ausführlicher Holzmann, 2022)?

Diese und weitere Fragen müssen auf Basis einer belastbaren Empirie beantwortet werden. Dabei sind auch indirekte Effekte und ökonomische Wechselwirkungen zu berücksichtigen. Gelingt dies nicht, droht die Gefahr, dass die Instrumente einer modernen Handelspolitik mehr ökonomischen Schaden anrichten, als sie Nutzen stiften.

Literatur

Braml, M. T. und G. J. Felbermayr (2022), Außenwirtschaftliches Gleichgewicht im 21. Jahrhundert, Nachhaltige Soziale Marktwirtschaft – Focus Paper, 1, Bertelsmann Stiftung (Hrsg.).

European Commission (2021), Strategic dependencies and capacities, Commission Staff Working Document, SWD(2021) 352 final.

Francois, J. und L. M. Baughman (2003), The Unintended Consequences of U. S. Steel Import Tariffs: A Quantification of the Impact During 2002.

Görg, H. und K. Kamin (2021), Globalisierung trifft Geoökonomie, Wirtschaftsdienst, (101)11, 854-857, https://www.wirtschaftsdienst.eu/inhalt/jahr/2021/heft/11/beitrag/globalisierung-trifft-geooekonomie. html (2. März 2023).

Haucap, J., T. Petersen und T. Stühmeier (2020), Resilienz internationaler Lieferketten, Policy Brief Zukunft Soziale Marktwirtschaft, 6.

Hilpert, H. G. (2022), Zeitenwende in der EU-Handelspolitik, SWP-Aktuell, 61.

Holzmann, S. (2022), Zwischen Klimaschutz und Industrieerhalt – Was kann der CBAM leisten?, Policy Brief Nachhaltige Soziale Marktwirtschaft, 4, Bertelsmann Stiftung (Hrsg.).

Klodt, H. (1992), Theorie der strategischen Handelspolitik und neue Wachstumstheorie als Grundlage für eine Industrie- und Technologie-politik?, Kieler Arbeitspapier, 533.

Nowak-Lehmann Danzinger, F. (1994), Strategische Handelspolitik und nationale Wohlfahrt: Eine kritische Analyse, John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien Working Paper, 69.

Overdiek, M. (2023), Kritische Abhängigkeiten auf dem Weg zur Kli-maneutralität, Policy Brief der Bertelsmann Stiftung, (Arbeitstitel, im Erscheinen).

Petersen, T. (2021), CO2 zum Nulltarif? Warum Treibhausgasemissionen einen Preis haben müssen.

Quitzau, J. und A. Broders (2019), Marktwirtschaft in Gefahr? Digitale Monopole.

Rudolf, P. (2020), Der sino-amerikanische Weltkonflikt, in B. Lippert und V. Perthes (Hrsg.), Strategische Rivalität zwischen USA und China, 10-12.

Siebert, H. (2000), Außenwirtschaft, 7. Aufl.

von Weizsäcker, C. C. und F. Waldenberger (1992), Wettbewerb und strategische Handelspolitik, Wirtschaftsdienst, (72)8, 403-409.

Title:Strategic Trade Policy 2.0

Abstract:The theory of strategic trade policy came into being in the early 1980s. It addressed the question of how a country can increase its own economic welfare through state intervention in the case of oligopolistic world markets. Today, there are many reasons that justify government intervention in foreign trade: Cluster risks in importing raw materials and intermediate inputs, different responses to the negative externalities of greenhouse gas emissions, monopolies in the digital economy, and the growing importance of geopolitical considerations. These developments are likely to lead to a renaissance of strategic trade policy interventions, i.e. subsidies, investment controls and trade restrictions, to name only the most important ones.

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© Der/die Autor:in 2023

Open Access: Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht (creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de).

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DOI: 10.2478/wd-2023-0099