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Die NSDAP kopierte nicht nur von Anfang an den Stil der Arbeiterbewegung, sondern verlagerte auch den Schwerpunkt ihrer Propaganda ab 1928 von nationalistischer Außenpolitik auf innenpolitische und soziale Fragen. Bis 1932 wurde diese Ausrichtung jedoch durch kein wirtschaftspolitisches Programm untermauert. Dies änderte sich in der Endphase der Weimarer Republik, als die NSDAP die politische Bedeutung der Massenarbeitslosigkeit erkannte und als einzige Partei frühkeynesianische Ideen aufgriff. Diese sozioökonomische Ausrichtung mag wesentlich zum Wahlerfolg vom Juli 1932 beigetragen haben, als die NSDAP die SPD als stärkste Partei im Reichstag ablöste.

Die NSDAP profitierte am stärksten vom Niedergang des evangelisch-bürgerlichen Lagers, während SPD und KPD bei den entscheidenden Reichstagswahlen im Juli 1932 gemeinsam immer noch beinahe gleich viele Stimmen erreichen konnten wie die Nazis. Diese relative Resistenz der Linksparteien gegenüber dem Nationalsozialismus verstellte lange den Blick auf die erheblichen Erfolge, die die Nazis im Arbeitermilieu erzielen konnte. Obwohl die Arbeiterschaft innerhalb der NSDAP-Wählerschaft leicht unterrepräsentiert war, war die Partei ab Juli 1932 die stärkste Partei innerhalb der Arbeiterschaft (Falter, 1991). Der zweimalige SPD-Finanzminister Rudolf Hilferding (1930, 293) bezeichnete die NSDAP bereits 1930 als ‚Sammelpartei‘ und konstatierte: „In diesem Deutschland der Standesunterschiede ist die Überschreitung der bisher trennenden Schranken kein geringer Erfolg.“ Berman (2006, 143) kommentiert den NS-Wahlerfolg von 1932: „For the first time since 1912, the SPD lost its status as the country’s largest party (…) and was replaced by the NSDAP (…). The 1932 elections revealed that the reorientation that the party had undergone over the past years had helped it achieve something that no other Weimar party had: It had become a true ‘people’s party’, with a support base that was more equally distributed among the different social and demographic categories than any other major party of the Weimar Republic.“

Dieser klassen- und milieuübergreifende Charakter der NS-Wählerschaft fiel nicht vom Himmel, sondern war Resultat einer beharrlichen Agitationstätigkeit, bei der die Arbeiterschaft zunehmend ins Zentrum der Bemühungen rückte. Vorerst propagandistisch, wie Paul (1992) detailliert nachweist, gegen Ende der Weimarer Republik und im Lichte der enormen Arbeitslosigkeit aber auch politisch-programmatisch (Gates, 1974; Bons, 1995; Berman, 2006). Tatsächlich war die NSDAP die einzige Partei, die 1932 die in frühkeynesianischen und gewerkschaftlichen Kreisen entwickelten Vorschläge für eine Arbeitsbeschaffung mittels Kreditschöpfung aufgriff und vor den entscheidenden Wahlen unter dem Schlagwort „Arbeit und Brot“ erfolgreich kampagnisierte.

Die Arbeiterschaft als NSDAP-Zielgruppe

Die aus den Kriegsanleihen stammende interne Verschuldung der jungen Weimarer Republik sowie die enormen externen Reparationsverpflichtungen führten in Deutschland nach 1918 zu einer dramatischen Skepsis gegenüber dem (internationalen) Finanzsystem. In diesem Klima traf der NS-Wirtschaftstheoretiker Gottfried Feder (1919) seine Unterscheidung in raffendes und schaffendes Kapital. Das raffende Finanzkapital wird als parasitär dargestellt und mit den Juden im Allgemeinen sowie der Familie Rothschild im Speziellen in Verbindung gebracht. Das schaffende industrielle Kapital wird mit werteschaffender Arbeit, Beschäftigung, Unternehmergeist sowie mit der Familie Krupp assoziiert. Hitler habe nach einem Vortrag Feders sofort erkannt, dass mit dieser Deutung „die soziale Unruhe breiter Gesellschaftsschichten auf den Antisemitismus abzuleiten war“ (Barkei, 1988, 29). In diesem Sinne nutzte Hitler die antisemitische Stimmung der Nachkriegsjahre für zahlreiche antijüdische Tiraden (Mayer, 2002). Dies schlägt sich auch in der NS-Bildsprache nieder, etwa in antisemitischen Plakaten zur Reichstagswahl 1924 (Paul, 1992, Abb. 38-39). Die NSDAP brach dabei zunehmend mit der traditionellen bürgerlich-nationalen Ikonographie (Ritter, Schlangen, Adler etc.) und modernisierte ihr Erscheinungsbild. Gemäß dem neuen Stil spielte vor allem die Figur des Arbeiterprometheus, des muskulösen Titanen, wie er auch bei SPD und KPD zu finden war, eine herausragende Rolle. Alles, was sich dieser Figur in den Weg stellte (Hochfinanz, Juden, Korruption oder „Systemparteien“) wurde abgewehrt oder zerschmettert, das Erscheinungsbild proletarisiert (Paul, 1992). Der Philosoph Ernst Bloch sprach im Zusammenhang mit der Übernahme linker Symbolik durch die Nazis von „Entwendungen aus der Kommune“ (zitiert nach Paul, 257). Falter (1992) betont, dass sich die NSDAP die großen Linksparteien organisatorisch und propagandistisch zum Vorbild machte.

Turner (1985) konstatiert, dass mit Ausbreitung der Partei vom süddeutschen Raum in die industriellen Zentren, der Schwerpunkt der NS-Propaganda sich im Laufe der 1920er Jahre auch inhaltlich von nationalen und außenpolitischen Fragen (Versailles etc.) hin zu sozialen Fragen verschob. Eine wesentliche Rolle spielte dabei Gregor Strasser, die Führungsfigur des „linken“, also kapitalismuskritischen, Flügels der NSDAP, und bis 1933 neben Hitler die einflussreichste und öffentlich bekannteste Persönlichkeit der Partei. Szejnmann (2013, 360) bezeichnet ihn als „second in command in the NSDAP by the early 1930s“. Paul (1992) zeichnet die Entwicklung im Detail nach: Die Reichstagwahl von 1928 war noch durch zwei propagandistische Schwerpunktsetzungen geprägt – eine vom Strasser-Flügel vorangetriebene innenpolitisch-soziale und eine außenpolitisch-nationalistische. Letztere dominierten die Wahlpropaganda unter Schlagworten wie „außenpolitische Knechtschaft“ und „Erfüllungspolitik“, womit die konsequente Erfüllung der finanziellen Vorgaben des Versailler Vertrags geschmäht wurde. Die NSDAP erreichte 1928 nicht mehr als 2,6 %, was eine Grundsatzdiskussion in der Partei auslöste. Die desaströsen Ergebnisse in den Großstädten führten zu einem von Gregor Strasser maßgeblich beeinflussten Strategiewechsel, hin zu einer innenpolitischen Schwerpunktsetzung: Der Marxismus habe die sozialen Ziele von 1918 verraten, die SPD versinke mit der ganzen parlamentarischen Demokratie im Korruptionssumpf und die deutsche Arbeiterschaft sei den Interessen der internationalen Hochfinanz preisgegeben worden. Der Verrats-Vorwurf gegenüber der SPD hatte ursprünglich eine außenpolitische Schlagseite, doch im Laufe der Weltwirtschaftskrise wandelte sich das Narrativ vom „nationalen Verrat“ zum „sozialen Verrat“ (Paul, 1992). Bei den Reichstagswahlen 1930 konnte die NSDAP tatsächlich auf 18,2 % zulegen und erzielte auch in den Städten passable Ergebnisse (Paul, 1992). In etwa jeder zehnte Wähler der NSDAP kam 1930 von der SPD (Falter, 1991).

Auch der „Radau-Antisemitismus“ wurde vom Strasser-Flügel kritisiert und infolge aus taktischen Gründen zurückgefahren. Diese Weichenstellung bedeutet laut Paul (1992, 87) mitnichten, dass die NSDAP „die Perspektive einer gewaltsamen ‚Lösung der Judenfrage‘ aufgegeben hätte“. Mayer (2002) beobachtet bereits seit 1925/1926 ein deutliches Zurückfahren des Antisemitismus in Hitlers Reden, weil sich auf diesem alleine offenkundig keine Massenbewegung begründen ließe. Selbst bei internen Reden vor SA und SS fand er kaum noch antijüdische Anspielungen. Dies sei auf rein taktischen Gründen erfolgt, die Nazis blieben weiterhin fanatische Antisemiten (Mayer, 2002).

Die von Feder (1919) auf neue Beine gestellte Verbindung von Judentum und Großkapital war sowohl 1928 als auch 1930 Bestandteil der Propaganda. Sie zeigte sich 1928 etwa in der Mobilmachung gegen den Dawes-Plan, sowie 1930 gegen den Young-Plan (Paul, 1992). Konkret wurde auf Plakaten gegen die „internationale Hochfinanz“, „den Weltfeind“ sowie gegen den „Finanz- und Young-Kapitalismus“ mobilgemacht (Paul, 1992, Abb. 45-50). Allerdings wurde auch innerhalb dieses Topos der Antisemitismus zurückgefahren. Das Hauptwahlkampfthema der Nazis war 1930 zwar der Young-Plan, doch war die Propaganda „mehr durch Kapitalismuskritik und Agitation gegen die Republik geprägt als durch antijüdische Anspielungen. Die naheliegende Verbindung zwischen Juden und Kapitalisten wurde selten gezogen“ (Mayer, 2002, 9).1 Gestützt wird diese Sichtweise durch Pauls (1992) Untersuchung von 124 NS-Plakaten zur Kompromittierung der Gegnerschaft im Zeitraum 1928 bis 1932: „Aus der Analyse der Agitationsplakate (...) ergibt sich somit eine deutliche Feindbildhierarchie der NSDAP-Plakatagitation nach Gegnergruppen. In erster Linie konzentrierte sich der Kampf gegen die SPD, gefolgt von katholischem Zentrum und BVP [Bayrische Volkspartei, Anmk.]. An dritter Stelle rangierte die »Reaktion« in Gestalt der DNVP und Papens »Herrenklub«. Die Frontstellung gegenüber Juden und Kommunisten fiel demgegenüber kaum ins Gewicht“ (Paul, 1992, 220).

Paul (1992) zitiert mehrere Autoren, die darauf hinweisen, dass antisemitische Bildplakate eher typisch für die Frühzeit der NSDAP waren. Militanter Antisemitismus, wie er etwa im Stürmer anzutreffen war, habe eine Rolle für die Binnenintegration der NSDAP gespielt, war jedoch in den frühen 1930er Jahren untypisch für die Außenpropaganda der Partei.2 „Radikal antisemitische oder offen terroristische Bilder, Allegorien und Handlungsappelle, wie sie 1928 die Litfaßsäulen füllten, traten zunehmend zurück zugunsten eines allgemeineren Befreiungs-, Erneuerungs- und Aufbauimages (...)“ (Paul, 1992, 221).

Während die SPD diffamiert wurde, gab sich die NSDAP im Reichstag ausgesprochen arbeiterfreundlich und versuchte gelegentlich sogar die KPD in kapitalismuskritischer Rhetorik zu übertrumpfen, wie Turner (1985) ausführt: Die Partei beantragte die Konfiskation des gesamten Vermögens der „Bank und Börsenfürsten“, votierte gegen Erhöhungen indirekter Steuern, weil diese eine degressive Verteilungswirkung hätten, unterstütze Vorschläge zur Ausweitung der Sozialausgaben und votierte gegen Bedürftigkeitsprüfungen bei Sozialhilfe. In einigen Fällen stimmte die NSDAP als einzige Partei mit der KPD, z. B. bei Lohnsteuerbefreiungen für Geringverdienende und höheren Steuern für Reiche. Es wurde zu einer Schlüsselfrage, wer die authentischere „antikapitalistische“ Kraft war (Szejnmann, 2013).

Die zielgruppenspezifische Agitation in Bezug auf die Arbeiterschaft wurde speziell von der Nationalsozialistischen Betriebszellenorganisation (NSBO) vorangetrieben, die unter der Schirmherrschaft von Gregor Strasser gegründet wurde (Turner, 1985). In ihrer Zeitschrift „Arbeitertum“ stellte sich die NSBO als „Spezialwaffe gegen den Betriebsmarxismus“ dar und proklamierte auf der anderen Seite den Kampf gegen das „liberal-kapitalistische Wirtschaftssystem“ (Tjiok, 1997, 130-133). Die NSBO nahm 1932 nach eigenen Angaben an 108 Streiks aktiv teil (Bons, 1995). Im September 1931 initiierte Josef Goebbels als Gauleiter von Berlin eine große Propagandakampagne unter dem Motto „Hinein in die Betriebe“ (Turner, 1985). Bons (1995, 52) spricht von einer „unübersehbaren Offensive in der Arbeiterfrage“ in der Endphase der Weimarer Republik.

Diese Stoßrichtung schlug sich auch in der zielgruppenspezifischen Propaganda der NSDAP nieder, wie Paul (1992) auf Grundlage von 168 NS-Plakaten aus fünf Urnengängen im Zeitraum 1928 bis 1932 nachweist. Im Wahlkampf vom Juli 1932 richteten sich zehn von 44 Plakaten explizit an die Arbeiterschaft, im Wahlkampf vom November 1932 neun von 36. Innerhalb der zielgruppenspezifischen Plakate (Frauen, Bauern etc.) dominierten die an Arbeiter gerichteten eindeutig. „Entsprechend ihrem Selbstverständnis galt der NSDAP die Arbeiterschaft in allen Wahlkämpfen als die mit Abstand wichtigste Zielgruppe“ (Paul, 1992, 217). Das widerspräche der herkömmlichen Annahme, dass die Mittelschicht die NSDAP-Hauptzielgruppe gewesen sei (Falter, 1992).

Strasser Programm für die Realpolitik

Die Wirtschaftsauffassung der Nationalsozialisten war grundsätzlicher, ideologischer Natur. Sie schlug sich in militantem Antiliberalismus, staatsdirigistischen Ideen sowie zu einer vom Weltmarkt unabhängigen Wirtschaft nieder (Barkai, 1988). Die Nazis wollten Kapitalismus und Eigentum nicht abschaffen, aber das Primat der Politik über die Wirtschaft herstellen (Barkai, 1988; Berman, 2006; Szejnmann, 2013). Eine konkrete wirtschaftspolitische Ausgestaltung, etwa ein Programm zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, hatte die NSDAP jedoch nicht zu bieten – ihre Wirtschaftspolitik beschränkte sich bis Ende 1930 auf „Polemik in der Reparationsfrage“ (Barkai, 1988, 32). Die Herausforderung lag für die NSDAP darin, ihren neuen Fokus auf innenpolitisch-soziale Fragen in ein plausibles wirtschaftspolitisches Konzept zu gießen. Dieser Frage widmete sich Gregor Strasser, der sich so viel Sachkenntnis aneignete, dass er trotz Zugehörigkeit zum „linken“ Parteiflügel von Unternehmensseite in wirtschaftlichen Fragen als einzige ernst zu nehmende Persönlichkeit der NSDAP wahrgenommen wurde (Turner, 1985). Ab 1930 sammelte er wirtschaftspolitisches Know-how innerhalb der NSDAP, ab Anfang 1931 mittels einer personell großzügig ausgestatten wirtschaftspolitischen Abteilung (Barkai, 1988).

Strasser scheute auch nicht den Kontakt mit wirtschaftswissenschaftlich beschlagenen Reformern außerhalb der Partei (Kissenkoetter, 1978). Damals befassten sich mehrere ökonomische Zirkel in Deutschland mit der Entwicklung einer kreditfinanzierten antizyklischen Konjunkturpolitik.3 Als diese Zirkel im Winter 1931/1932 parallel Programme zur Arbeitsbeschaffung mittels produktiver Kreditschöpfung entwarfen, waren die Fachleute Strassers mehrfach unmittelbar in die konzeptionellen Prozesse eingebunden. Strasser entging auch nicht, dass die Gewerkschaften sich nach langen internen Diskussionen und gegen den Widerstand der SPD-Reichstagsfraktion Anfang 1932 dazu durchringen konnten, ein keynesianisches Programm mit Fokus auf Arbeitsbeschaffung vorzustellen, den sogenannten WTB-Pan4 (Kowall, 2023). „Strasser wurde so in die Lage versetzt, am 10. Mai 1932 in seiner Reichstagsrede die wichtigsten und werbewirksamsten Aspekte eines neuen NS-Wirtschaftsprogramms der Öffentlichkeit vorzustellen“ (Kissenkoetter ,1978, 108).“ Diese Rede war die erste Ausbuchstabierung einer „keynesianischen“ Agenda in einem deutschen Parlament.

Strasser sprach dabei über eine „große antikapitalistische Sehnsucht“ die das Volk erfasst habe (Bombach et al., 1976, 247). Er warf der SPD vor, der Arbeitslosigkeit nichts als Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich entgegenzusetzen zu haben.5 Strasser benannte die negativen makroökonomischen Effekte, die durch Lohnkürzung und Rückgang der Kaufkraft zu erwarten seien. Der negativen Abwärtsspirale stellte Strasser ein Arbeitsbeschaffungsprogramm entgegen, mit einer Begründung, die später als Multiplikatoreffekt bezeichnet werden sollte: „Der Bedarf, der nun durch die Durchführung all dieser Arbeiten an Gerät, Unterkunft, Bekleidung entsteht, wird weitere Arbeitskräfte in Handwerk, Industrie, Handel und Verkehr in Arbeit setzen“ (Bombach et al., 1976, 254). Es gehe darum, den Motor überhaupt wieder einmal in Gang zu bringen, was durch eine große Arbeitsbeschaffung vonseiten des Staates umgesetzt werden müsse, weil die Privatwirtschaft dazu nicht in der Lage sei. Genau wie der WTB-Plan wählte Strasser für sein Finanzierungsmodell die Kreditschöpfung durch die Zentralbank. Auch bezog sich Strasser positiv auf das Programm der Gewerkschaften „über das man absolut reden kann, und bei dem wir jederzeit unter entsprechenden Bedingungen zur Mitarbeit bereit sind“ (Reichstagprotokoll, 1932, 2512).

„Im Vergleich zu dem damals insbesondere von den Nationalsozialisten geübten Stil fiel diese Rede durch ihre gemäßigte, gelegentlich geradezu verbindlich-kooperative Form auf“ (Kissenkoetter, 1978, 83). Strassers Rede vom 10. Mai 1932 fand weite Verbreitung in der deutschen Presse und Öffentlichkeit, sorgte für breites Interesse weit über die NSDAP hinaus und kann als inhaltliche Basis sowie als Auftakt der NSDAP für den Wahlkampf zu den Reichstagswahlen vom Juli 1932 gelten. Die Wahlkampagne stand dadurch programmatisch von Beginn an unter der Devise „Arbeit und Brot“. Das NSBO-Organ „Arbeitertum“ druckte die gesamte Strasserrede im Wortlaut ab (Kissenkoetter, 1978). Die Rede wurde zusätzlich in der Broschüre „Arbeit und Brot“ aufgelegt und erschien 1932 in vier Auflagen – auf Basis der Rede entstand auch das wirtschaftliche Sofortprogramm der NSDAP (Humann, 2011). Kern ist eine Initiative zum Bau von Eigenheimen mit der 1 Mio. Arbeitsplätze geschaffen werden sollen – eine Dimension, die sich auch im WTB-Plan findet. Ebenfalls analog zum WTB-Plan sollte die Finanzierung zum Teil mittels Kreditschöpfung durch die Zentralbank erfolgen, die im Sofortprogramm durch Preisregulierungen flankiert wird6 (Bombach et al., 1976, 261-269). Im Sofortprogramm heißt es unter anderem: „Nicht Kapital schafft Arbeit, Arbeit schafft Kapital. Die neunmalklugen kapitalistischen Wirtschaftspolitiker behaupten, wir könnten nicht arbeiten, weil uns die Mittel dazu fehlen. Das ist Unsinn. Je weniger wir arbeiten, desto geringer müssen unsere Mittel werden, desto größer wird der unproduktive Verzehr und die Vernichtung unseres Volksvermögens. Je mehr wir arbeiten, desto mehr Kapital können wir bilden und desto ertragreicher können wir unsere Arbeit gestalten“ (Bombach et al., 1976, 261).

Das Sofortprogramm wurde zur Vorbereitung für die Reichstagswahlen im Juli 1932 in einer Auflage von 600.000 Stück gedruckt und den Rednern der NSDAP empfohlen (Kissenkoetter, 1978). Der NSBO-Informationsdienst bezeichnete das Arbeitsbeschaffungsprogramm als bestes Werbemittel bei Arbeitern und Arbeitslosen (Bons, 1995). Die Publikation wurde von Hitler stillschweigend anerkannt. Der Umstand, dass sie von ihm weder autorisiert noch vom eigentlich zuständigen Josef Goebbels herausgegeben wurde, ist bezeichnend für die damaligen Machtverhältnisse in der Partei. In den Folgemonaten wurden in etlichen Landtagen Anträge der jeweiligen NSDAP-Fraktion im Sinne von Strassers Sofortprogramm eingebracht, so beispielsweise in Anhalt (Kissenkoetter, 1978). Im Programm wird betont, dass die Nazis die ersten gewesen seien, die ein Arbeitsbeschaffungsprogramm aufgelegt hätten. Das ist insofern unzutreffend, als die Vorarbeiten vom Gewerkschaftsbund geleistet und bereits im Februar 1932 in Form des WTB-Plans verabschiedet wurden. Dennoch ist Fakt, dass die NSDAP die einzige Partei war, die das von den Gewerkschaften forcierte Konzept der Arbeitsbeschaffung durch Kreditschöpfung offensiv kampagnisierte.

Die Reichstagswahlen 1932

Das Jahr 1932 wurde von der NSBO zum Jahr der Entscheidung ausgerufen (Tjiok, 1997), was in Hinblick auf die Reichstagswahlen vom Juli und die Folgeentwicklungen eine nicht unzutreffende Prognose war. Die NSDAP konnte ihren Stimmenanteil gegenüber den Wahlen von 1930 auf über 37 % verdoppeln und wurde zur stimmen- und mandatsstärksten Fraktion im Reichstag.7 Es war auch der blutigste aller deutschen Wahlkämpfe mit 86 Toten alleine im Juli (Humann, 2011). Gemäß der innenpolitisch-sozialen Ausrichtung der NSDAP wurde im Wahlkampf vom Juli 1932 endgültig die SPD als Hauptgegnerin auserkoren. Von den 124 von Paul (1992) untersuchten Plakaten zur Kompromittierung der Gegnerschaft richteten sich über 30 % gegen die Sozialdemokratie. Die SPD wurde erneut des Verrats bezichtigt, konkret betraf der Vorwurf die Themen „Lohn- und Rentenraub“ (Zustimmung zu den Notverordnungen), Korruption & Bonzentum sowie „Tributpolitik“ (Versailles, Dawes- und Youngplan) (Abb. 67-69). „Statt seine revolutionären Versprechen von 1918 einzulösen, habe sich der Marxismus als ‚Schutzengel des Kapitalismus‘ erwiesen (Paul, 1992, 226-227).“ Die NSDAP machte der SPD die Rolle als Vertreterin der sozialen Frage offensiv streitig. Strasser erklärte, die NSDAP sei die einzige politische Kraft, die gewillt und in der Lage sei, die Arbeiterfrage zu lösen (zitiert nach Bons, 1995). In diesem Kontext muss die Rede Gregor Strassers vom 10. Mai 1932 als inhaltlich richtungsweisend angesehen werden. Nicht der für Propaganda zuständige Goebbels bestimmte die Programmatik, sondern Strasser. Seine „Wahlslogans die ‚das Recht auf Arbeit‘ forderten und ‚Arbeit und Brot‘ versprachen, zündeten“ (Kissenkoetter, 1978, 137). Diese inhaltliche Schwerpunktsetzung auf sozioökonomische Fragen schlug sich auch in den von Paul (1992, Abb. 67-70) dokumentierten Wahlplakaten nieder, wo Arbeitslosigkeit, Verelendung sowie „Arbeit und Brot“ zentrale Themen waren. Im Jahr 1983, also 50 Jahre nach den (letzten) Reichstagswahlen vom März 1933, wurde eine Befragung unter 600 ehemaligen NS-Wähler:innen durchgeführt. Das wichtigste Wahlmotiv, das von 29,7 der Befragten genannt wurde, war „Arbeit und Brot“ (Dokumentarfilm, 1983: „Warum sie Hitler wählten“).

Eine jeder Partei zustehende Sendezeit im Rundfunk überließ Hitler sowohl am 14. Juni als auch am 29. Juli 1932 jeweils Strasser. Die erste Rede sei von mehr als 20 Mio. Menschen verfolgt worden und habe einen „ungeheuren Eindruck auf Millionen Rundfunkteilnehmer gemacht“, so ein Mitglied der Reichspropagandaleitung in einem internen Schreiben (nach Paul, 1992, 196-197). Strasser betonte neben seinen wirtschaftspolitischen Zielsetzungen den Willen zur Überwindung von Klassengegensätzen, etwa mittels Arbeitsdienst. „Körperliche Arbeit erzieht den Respekt vor der Handarbeit, überwindet Klassendünkel und Klassenhass und stellt über die Heimatscholle hinweg die Verbindung mit dem deutschen Staatsgedanken wieder her“ (Strasser nach Kissenkoetter, 1978, 114) Kissenkoetter (1978) führt aus, dass im Juli-Wahlkampf 1932 von der lokalen Hamburger NSDAP 106.000 Druckwerke Strassers verteilt wurden, jedoch nur 48.000 Hitlerreden. Strasser konnte in Hamburg als Redner mit 50.000 Zuhörenden auch fast gleich viele Menschen anziehen, wie Hitler eine Woche zuvor mit 60.000. Der NS-Wahlsieg vom Juli 1932 ist für Kissenkoetter (1978, 120) „ohne Strassers Wirtschaftsprogramm in dieser Höhe nicht denkbar“, denn er und die Nazis boten „ein allgemein einsichtiges und verständliches Programm und die NSDAP nutzte diese propagandistische Möglichkeit voll aus.“ Auch Barkai (1988, 44) kommt zu dem Schluss, dass das Sofortprogramm „allem Anschein nach nicht wenig zum nationalsozialistischen Wahlerfolg beitrug“.

Falter (1991) analysiert auf Basis empirischer Regressionsanalysen die Affinität verschiedener sozialer Milieus für den Nationalsozialismus. Dabei ergibt sich in Bezug auf die Arbeiterschaft eine knappe Unterrepräsentation im Vergleich zur Gesamtgesellschaft.8 Bei der wegweisenden Reichstagswahl vom Juli 1932 ergeben die Schätzungen beispielsweise, dass 31 % aller Wahlberechtigten (!) sowie 27 % der Arbeiterschaft nationalsozialistisch gewählt haben.9 Obwohl die Arbeiterschaft innerhalb des NSDAP-Elektorats etwas unterrepräsentiert war, wurde die Partei durch ihren Größenvorsprung ab Juli 1932 zur stärksten Kraft innerhalb der Arbeiterschaft. Falter (1991) untersucht nicht nur die Anfälligkeit sozialer Milieus für den Nationalsozialismus, sondern auch jene der politischen Lager. Er teilt das Elektorat in ein linkes (SPD, KPD), ein katholisches (Zentrum, BVP) sowie ein evangelisch-bürgerliches (DDP, DVP, DNVP) Lager ein. Letzteres war am anfälligsten für den Nationalsozialismus. Dementsprechend profitierte die NSDAP bei der Wahl vom Juli 1932 laut Falter (1991) am stärksten vom Kollaps der diesbezüglichen Splitterparteien. Trotzdem konnte die NSDAP in absoluten Zahlen gemessen aus dem wesentlich größeren linken Lager ebenfalls viele Stimmen gewinnen. Im Saldo gewann die Partei zwischen 1928 und 1933 größenordnungsmäßig 2 Mio. Stimmen von der SPD, das entspricht ca. 6,5 Prozentpunkten gemessen an den Wahlen von 1928. Die NS-Nettogewinne von der KPD waren hingegen mäßig. Die geringste Anfälligkeit für den Nationalsozialismus wies das katholische Lager auf.

Nach massiven Interventionen aus Wirtschaftskreisen (Barkai, 1988) wurde das Sofortprogramm von Hitler vor der Novemberwahl 1932 eingezogen und durch das gemäßigtere und weniger kapitalismuskritische „Wirtschaftliche Aufbauprogramm der NSDAP“ ersetzt. Dieses enthielt jedoch ebenfalls die „produktive Kreditschöpfung“ durch die Reichsbank sowie die „direkte Arbeitsbeschaffung“, doch die Rhetorik war weniger „antikapitalistisch“ (Abelshauser, 1999, 511). Auch die Rolle Gregor Strassers als Organisator und Redner war im November nicht ganz so exponiert wie im Wahlkampf vom Juli 1932 (Kissenkoetter, 1978). Allerdings verschärfte die NSDAP die Tonart gegenüber der Regierung und die NSBO beteiligte sich an zahlreichen Streiks, sodass der Partei vom bürgerlichen Lager klassenkämpferische Anwandlungen vorgehalten wurden (Bons, 1995). Die an die Arbeiterschaft gerichteten Plakate nahmen im November ähnlich viel Raum ein wie im Juli. Auf Basis der Quellenlage lässt sich zwischen Juli und November 1932 für die Propaganda höchstens ein marginales Zurückschrauben von Strassers Generallinie „Arbeit und Brot“ erkennen. Der Anteil der Arbeiterschaft an der gesamten NS-Wählerschaft lag mit 29 % sogar etwas höher als im Juli (Falter, 1991). Aus Sicht der Partei war das Resultat vom November, als die NDSAP von 37 % auf 33 % zurückfiel, allerdings ein schwerer Schlag (Kissenkoetter, 1978).

Während die Nazis sich keynesianischer Ideen im Allgemeinen und jener aus dem WTB-Plan im Speziellen bedienten, herrschte innerhalb der Arbeiterbewegung eine erbittert geführte Auseinandersetzung um die richtige Antwort auf die Krise (Gates, 1974; Schneider, 1985; Kowall, 2023). In der SPD gab es grundsätzliche Vorbehalte gegen die seit der Jahrhundertwende zunehmende Selbständigkeit der Freien Gewerkschaften (Schneider, 1976). Die eigenständige wirtschaftspolitische Positionierung der Gewerkschaften wurde in dem Moment pikant, als es in der NSDAP plötzlich mehr Verständnis dafür zu geben schien als in der SPD. Die Avancen, die der in der NSDAP „mächtigste Mann neben Hitler“ (Kissenkoetter, 1978, 146), Gregor Strassers, an die Adresse der freien Gewerkschaften in der Reichstagsrede vom 10. Mai 1932 richtete, brachten die SPD zur Jahresmitte unter Zugzwang (Schneider, 1983). „So ist nicht zu übersehen, dass im Sommer 1932 »Arbeitsbeschaffung« zur durchschlagenden Parole der NSDAP geworden war; die SPD tat sich indessen immer noch schwer, aus dem Plan der Gewerkschaften ein zugkräftiges politisches Programm zu machen“ (Schneider, 1983, 65).

Fazit: Das Alleinstellungsmerkmal der NSDAP

Büttner (1989) erachtet die aktive Konjunkturpolitik als die entscheidende politische Fragestellung der frühen 1930er Jahre, denn von der Überwindung des Elends sei zunehmend die Einstellung gegenüber dem politischen System abgehangen. Die Nationalsozialisten hatten spätestens seit 1928 ihren Fokus auf die Arbeiterschaft und innenpolitisch-soziale Themen neujustiert und auf dieser Basis eine konkrete politische Programmatik entwickelt. Büttner (1989, 250) ist der Auffassung, dass die Ignoranz der Regierung Brüning gegenüber antizyklischer Konjunkturpolitik die NSDAP in die Lage versetzte, „die Vorschläge aufzugreifen und sich als einzige Partei darzustellen, die einen Ausweg aus dem Wirtschaftselend wisse und ihn zu gehen bereit sei.“ Auch Abelshauser (1999), Barkai (1988) und Berman (2006) betonen, dass die Nationalsozialisten mit dem Sofortprogramm die ersten waren, die einer Beschäftigungspolitik mittels Kreditschöpfung Eingang in die Programmatik einer Massenpartei ermöglichten. Insgesamt ist unverkennbar, dass gerade die Reichstagswahl vom Juli 1932, die die NSDAP zur stärksten Kraft im Reichstag machte, im Zeichen von Strassers Generallinie „Arbeit und Brot“ stand.10

Gates (1974), Barkai (1988), Bons (1995) und Abelshauser (1999) erachten das Sofortprogramm von 1932 vielfach als richtungsweisend für die Wirtschaftspolitik nach der Machtergreifung. Die NSDAP hatte mit der Kombination aus staatlicher Geldschöpfung und aktiver Konjunktursteuerung ab 1933 praktische Instrumente zur öffentlichen Arbeitsbeschaffung parat.11 Die Arbeitslosigkeit wurde bis 1937 beseitigt und Kaufkraft sowie Lebensstandard stiegen moderat an. Die Wochenlöhne erreichten (unter anderem durch Anstieg der Wochenarbeitszeit) – je nach Quelle – zumindest knapp das Niveau von 1928 (Siegel, 1982; Buchheim, 2008). Der Großteil des Wirtschaftsaufschwungs – Verdoppelung der Industrieproduktion und glänzende Gewinnentwicklung – kam jedoch der Aufrüstung zugute und nicht der Konsumgüterindustrie (Buchheim, 2010). Die destruktive Verwendung der erhöhten Produktionskapazitäten („Kanonen statt Butter“) ist ein Spezifikum des Nationalsozialismus.

Aktive Konjunkturpolitik ist eine wirtschaftspolitische Innovation der 1930er Jahre. Schneider (1982) listet auf, wie ähnliche Maßnahmen in Großbritannien, den USA und Schweden unter demokratischen Bedingungen den Krisenverlauf entweder abgeschwächten, oder einen Konjunkturaufschwung eingeleitet haben. Dafür seien weder Diktatur noch Aufrüstung Voraussetzungen (siehe auch Gates, 1973). Barkai (1988) und Büttner (1989) betonen, dass es entschiedene Demokraten und Befürworter der internationalen Verständigung waren, die sich seit dem Frühsommer 1931 für jene alternative Wirtschaftspolitik eingesetzt hatten, die sich dann aber die Nazis zunutze machten. Die keynesianische Ökonomin Joan Robinson (1972) relativiert die theoretische Leistung des Keynesianismus in diesem Kontext: „I do not regard the Keynesian revolution as a great intellectual triumph. On the contrary, it was a tragedy because it came so late. Hitler had already found how to cure unemployment before Keynes had finished explaining why it occurred.“

Der Aufstieg der Nazis steht in direkter Verbindung zu den politischen Defiziten der demokratischen Parteien: „The Nazis rather than the Social Democrats were the first to act on the imperative to risk unorthodox measures in time of economic crisis“ (Gates, 1974, 358). Das Propagieren einer Arbeitsbeschaffung mittels Kreditschöpfung zur Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit – propagandistisch wirksam aufbereitet unter der Parole „Arbeit und Brot“ –, war im Deutschland der 1930er Jahren exklusiv der NSDAP vorbehalten. Diese sozioökonomische Schwerpunktsetzung der NSDAP in der Spätphase der Weimarer Republik ist ein weiterer Mosaikstein zur Erklärung des rasanten Aufstiegs des Nationalsozialismus.

  • 1 Die direkte Kampagne für einen Volksentscheid zum Young-Plan 1929 wurde hingegen von einem Bündnis rechter Gruppierungen, dem „Reichsausschuss“ getragen, dem auch die Nazis angehörten (Heyde, 2000). „Ein eigenständiger Bildbeitrag der NSDAP zur Anti-Young-Kampagne ist nicht erkennbar“ (Paul, 1992, 89).
  • 2 Für eine ausführliche Darstellung zum Rückgang des Antisemitismus in Hitlers Reden von Mitte der 1920er Jahre bis 1933 siehe Mayer (2002).
  • 3 Für einen Überblick über die frühkeynesianische Szene siehe Barkai (1988).
  • 4 Der WTB-Plan ist nach seinen Autoren benannt, Wladimir Woytinsky, Leiter der statistischen Abteilung des Gewerkschaftsbundes, Holzarbeitergewerkschafter Fritz Tarnow und dem Beamten im Reichsernährungsministerium Fritz Baade.
  • 5 Der Vorwurf ergibt sich aus einer schwammigen Position der SPD zu dem Thema. Diese forderte im Juni 1930 eine Verkürzung der Arbeitszeit im Rahmen internationaler Vereinbarungen (Schneider, 1978), im Oktober 1930 eine Verkürzung der Arbeitszeit bei Erhalt der Massenkaufkraft, im März 1931 die Verkürzung von der 48-Stunden-Woche zur 40-Stunden-Woche (Osterroth und Schuster, 1980) und im August, also erst nach Strassers Rede, die 40-Stunden-Woche bei Zahlung der Lohndifferenz durch den Staat (Schneider, 1978). Die Forderung nach einer Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich wurde nicht erhoben. Schneider (1984, 86) interpretiert die SPD-Forderung als Verteilung noch vorhandener Arbeitsplätze und kon­statiert: „Je länger die Krise dauerte, desto geringer musste also der Arbeitsmarkteffekt der Einführung der 40-Stundenwoche sein; auch schmolz der Spielraum für eine Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich dank der verordneten Reallohnkürzungen dahin.“
  • 6 Gefordert wird im Sofortprogramm überdies ein Recht auf Arbeit und die kapitalistische Presse wird kritisiert, weil sie von Überproduktion spreche, wo doch die Produktion deutlich hinter dem Lebensbedarf zurückbleibe. Die Maßnahmen zur Arbeitsbeschaffung erforderten eine Abkehr vom Fokus auf internationale Konkurrenzfähigkeit und eine Umstellung auf den Binnenmarkt, was nur funktioniere, wenn die entsprechende Kaufkraft gegeben sei (Bombach et al., 1976).
  • 7 Die NS-Spitzen waren nicht euphorisch über das Resultat, weil die Partei gegenüber der Reichspräsidentenwahl vom Frühjahr kaum zulegte (jeweils gut 13 Mio. Stimmen). Für Goebbels war die Tolerierung der Regierung Papen die Ursache für die Stagnation. Auch Strasser äußerte, dass die Tolerierung 1,5 Mio. bis 2 Mio. Stimmen gekostet hätte (Bons, 1995).
  • 8 Falter (1991) kann nachweisen, dass die erwerbstätige Arbeiterschaft NS-affiner war als die erwerbslose. Es zeigt sich auch, dass die Landarbeiterschaft im Vergleich zur Gesamtbevölkerung überdurchschnittlich, die Industriearbeiterschaft hingegen unterdurchschnittlich anfällig für die Nazis war. Für die Arbeiterschaft in Handwerk und Dienstleistung ergeben sich keine Abweichungen zum Durchschnitt.
  • 9 Die Zahlen beziehen sich explizit auf alle Wahlberechtigten, also auch jene, die nicht zur Wahl gingen. Der Anteil der NSDAP an den gültigen abgegebenen Stimmen lag hingegen bei 37,3 %.
  • 10 Der Umstand, dass die NSDAP im November 1932 mit einer beinahe genauso stark auf „Arbeit und Brot“ zugespitzten Kampagne wie im Juli um 4 Prozentpunkte weniger erreichte, mag aus Sicht der Partei ein schwerer Schlag gewesen sein. Für die Bewertung der Durchschlagskraft der Programmatik ist der Unterschied zwischen 37,3 % und 33,1 % nachrangig. In beiden Fällen war die NSDAP jeweils mit über 10 Prozentpunkten Abstand die stärkste Partei.
  • 11 Für eine genaue Analyse, welche Maßnahmen aus dem Sofortprogramm (Geldpolitik, Konjunkturpolitik, Regulierungen) nach 1933 tatsächlich realisiert wurden, siehe Barkai (1988).

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Title:“Work and Bread” – the Socio-Economic Nazi Propaganda Before 1933

Abstract:The NSDAP not only copied the style of the labour movement from the start, but also shifted the focus of its propaganda from 1928 onward from nationalistic foreign policy to domestic and social issues. Until 1932, however, the new socio-economic focus was not underpinned by any concrete economic policy programme. This changed in the final phase of the Weimar Republic, when the NSDAP recognised the political importance of taking action against mass unemployment like no other party. Ideas for active economic policy using central bank-financed employment programmes, which the leading National Socialist Gregor Strasser adopted from early Keynesian and trade union circles, served as the programmatic basis. The topic was job creation, the slogan was “work and bread” and the explicit main opponent, the SPD, was blamed for unemployment, misery and bankruptcy. This socio-economic focus may have contributed significantly to the electoral success of the NSDAP in July 1932, when it replaced the SPD as the strongest party in the Reichstag. The Nazis were able to garner more than a quarter of the workers‘ votes and became the strongest party - even among the workers. With this, the NSDAP turned into a people‘s party, which was drawn from all milieus.

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© Der/die Autor:in 2023

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DOI: 10.2478/wd-2023-0118

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