Seit der Deutschen Wiedervereinigung unterlag die Bauwirtschaft einem erheblichen Wandel. Zunächst nahm die gesamtwirtschaftliche Bedeutung des Bausektors, gemessen an seinem Anteil an der gesamten Bruttowertschöpfung, deutlich zu, was vor allem auf den enormen Sanierungsbedarf in den neuen Bundesländern zurückzuführen war. Mitte der 1990er Jahre ebbte der Sanierungs- und Bauboom zunehmend ab. In der Folge begann der Abbau der Überkapazitäten, was zu einer Schrumpfung der Bedeutung des Bausektors über eine komplette Dekade führte. Seit dem Jahr 2005 wächst der Bruttowertschöpfungsanteil des Bausektors wieder spürbar und lag im Jahr 2022 bei immerhin 6 % (vgl. Abbildung 1). Die Beschäftigung im Bausektor zeigte eine ähnliche Entwicklung. Im Jahr 2005 erreichte die Beschäftigtenanzahl mit 3,32 Mio. Personen ihr Maximum, fiel dann aber bis zum Jahr 2006 auf 2,27 Mio. Beschäftigte. Seitdem wurde im Bausektor wieder stetig Beschäftigung aufgebaut; im Jahr 2022 waren immerhin wieder 2,63 Mio. Arbeitnehmer:innen in der Bauwirtschaft beschäftigt (vgl. Abbildung 1).
Abbildung 1
Anteil des Baugewerbes an der nominalen Bruttowertschöpfung und Erwerbstätige, jährlich
Quelle: Statistisches Bundesamt (Destatis), 2023.
Zwar erwies sich die Bauwirtschaft früh in der COVID-19-Pandemie noch als starke konjunkturelle Stütze, inzwischen steht aber auch die Bauwirtschaft vor erheblichen Herausforderungen. Die Unterbrechungen der weltweiten Lieferketten infolge der Pandemie führte an vielen Stellen zu Materialknappheiten, die die Baustoffpreise erheblich steigen ließen. Besonders stark nahmen z. B. die Preise für Flachglas (49,3 %), Bitumen (38,5 %), Betonstahl (31,6 %), Dämmwolle (20,9 %) und Zement (17,9 %) zu. Zusammen mit den Energiepreissteigerungen (relevant ist hier insbesondere der Preis für Dieselöl, der um 41,6 % zulegte) führte dies im Jahr 2022 zu einem Preisanstieg für Leistungen des Bauhauptgewerbes von 16,7 % im Vergleich zum Vorjahr (Hauptverband der Deutschen Bauindustrie, 2023). Zudem sah sich die Europäische Zentralbank im Sommer 2022 vor dem Hintergrund der stark steigenden Inflation gezwungen, von der bisherigen Niedrigzinspolitik zu einer restriktiveren Geldpolitik überzugehen und die Leitzinsen in bisher acht Schritten auf 4,0 Prozentpunkte anzuheben. Im Zuge der gedämpften gesamtwirtschaftlichen Nachfrage nimmt die Inflationsrate zwar inzwischen deutlich ab; gleichwohl sind noch weitere Zinsschritte zu erwarten, um die Inflationsrate auf ihren Zielwert von maximal 2 % zu senken. Die höheren Zinsen bewirken eine Verschlechterung der Finanzierungskonditionen für Bauherren und lassen auch die gewerbliche Nachfrage nach Bauinvestitionen schrumpfen. Zudem führen sie zu einer Preiskorrektur an den Immobilienmärkten. So ist der Immobilienpreisindex des Verbands deutscher Pfandbriefbanken im ersten Quartal um 2,3 % gegenüber dem Vorquartal gesunken (Verband deutscher Pfandbriefbanken, 2023).
Insgesamt hat das Bauhauptgewerbe im Jahr 2022 einen nominalen Rekordumsatz erzielt, der sich insgesamt auf 160,3 Mrd. Euro belief. Durch die hohen Preissteigerungen gingen die Umsätze real jedoch um 5,1 % gegenüber dem Vorjahr zurück. Besonders deutlich fiel der reale Umsatzrückgang im öffentlichen Bau mit einem Minus von 6,2 % aus. Aber auch der Wohnungsbau und der Wirtschaftsbau wiesen mit 4,7 bzw. 4,4 real im Jahr 2022 ein deutliches Minus im Vergleich zum Vorjahr aus.
Verschiedene konjunkturelle Frühindikatoren, wie die Zahl der erteilten Baugenehmigungen, der Auftragsbestand und die Auftragseingänge, weisen auf eine sich verschlechternde konjunkturelle Lage hin. So nimmt die in Abbildung 2 dargestellte Zahl der erteilten Baugenehmigungen seit Anfang 2021 deutlich ab und liegt derzeit sogar unter dem Niveau von Anfang 2015.
Abbildung 2
Baugenehmigungen und Auftragseingang, monatlich
Der Index Auftragseingänge enthält Werte von Betrieben mit 20 oder mehr Beschäftigten. Zahl der Genehmigungen ist die Summe aus der Zahl der Genehmigungen im Hochbau für die Errichtung neuer Gebäude und Baumaßnahmen an bestehenden Gebäuden an Wohn- und Nichtwohngebäuden und der Zahl der Genehmigungen für Wohn- und Nichtwohngebäude im Fertigteilbau (Neubau).
Quelle: Destatis (2023).
Im Durchschnitt fielen die erteilten Genehmigungen im ersten Quartal 2023 für Deutschland insgesamt um 23,3% gegenüber dem jeweiligen Vorjahresmonat. Regional fällt der Rückgang allerdings unterschiedlich aus. So waren insbesondere Sachsen (-36,3%), Sachsen-Anhalt (-28,7%) und Nordrhein-Westfalen (-27,5%) von einem relativ starken durchschnittlichen Rückgang betroffen, wohingegen Brandenburg (-3,6%), Hamburg (-5,5%) und Niedersachsen (-12,9%) noch relativ moderate Rückgänge zu verzeichnen hatten.
Seit Anfang 2022 sinkt zudem auch der Auftragseingang trendmäßig ab (vgl. Abbildung 2). Die Auftragsbücher sind derzeit zwar noch gut gefüllt, aber dennoch seit dem 2. Quartal 2022 rückläufig (vgl. Abbildung 3).
Abbildung 3
Entwicklung der Auftragsbestände der Bauwirtschaft (relativ zum Vorjahresquartal)
Der Index Auftragsbestände enthält Werte von Betrieben mit 20 oder mehr Beschäftigten.
Quelle: Destatis (2023).
Besonders besorgniserregend ist die Situation im privaten Wohnungsbau. Das Ziel der Regierung des Neubaus von 400.000 Privatwohnungen pro Jahr dürfte auf absehbare Zeit kaum zu erreichen sein. Dieser Zielwert wurde bereits im Jahr 2022 um immerhin 100.000 Wohnungen verfehlt und im Moment deutet alles darauf hin, dass der Fehlbetrag im laufenden Jahr noch größer ausfallen wird. Aber auch im Bereich der Gewerbeimmobilien ist momentan eine spürbare Zurückhaltung zu beobachten. Dennoch planen die allermeisten Unternehmen derzeit trotz der schwieriger werdenden konjunkturellen Lage keine signifikanten Entlassungen (Hauptverband der Deutschen Bauindustrie, 2023) – zu groß ist vor dem Hintergrund des wachsenden Fachkräftemangels die Sorge, das mühsam gewonnene Fachpersonal an andere Unternehmen zu verlieren.
Literatur
Destatis (2023), Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung des Bundes: Bruttowertschöpfung (nominal/ preisbereinigt): Deutschland, Jahre, Wirtschaftsbereiche, Statistisches Bundesamt Wiesbaden.
Destatis (2023), Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung des Bundes: Erwerbstätige: Deutschland, Jahre, Wirtschaftsbereiche, Statistisches Bundesamt Wiesbaden.
Destatis (2023), Wirtschaftsbereiche: Auftragsbestand (Wert-, Volumenindex) im Bauhauptgewerbe (Betriebe mit 20 u.m. tätigen Personen): Deutschland, Quartale, Bauarten, Statistisches Bundesamt Wiesbaden.
Destatis (2023), Wirtschaftsbereiche: Auftragseingang (Wert- und Volumenindex) im Bauhauptgewerbe (Betriebe mit 20 u.m. tätigen Personen): Deutschland, Monate, Bauarten, Original- und bereinigte Daten, Statistisches Bundesamt Wiesbaden.
Destatis (2023), Wohnen, Umwelt: Baugenehmigungen im Hochbau: Deutschland, Monate, Bautätigkeiten, Gebäudeart/Bauherr, Statistisches Bundesamt Wiesbaden.
Destatis (2023), Wohnen, Umwelt: Baugenehmigungen im Fertigteilbau (Neubau): Deutschland, Monate, Gebäudeart/Bauherr, Statistisches Bundesamt Wiesbaden.
Hauptverband der Deutschen Bauindustrie (2023), Bau-Telegramm Konjunktur, Ausgabe 12, Februar.
Verband deutscher Pfandbriefbanken (2023), Vdp-Immobilienpreisindex, Q1.202, Preiskorrektur am Immobilienmarkt hält an.