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Die Ampelkoalition ringt dieser Tage wieder um Lösungen vielfältiger Probleme, etwa in der Klima-, Industrie- oder Finanzpolitik. Die Meinungen und Lösungsvorschläge sind vielfältig. Oft erscheint es schwierig einen Kompromiss zu finden, der in der Lage ist, die Mehrheit der Politiker:innen und der Bevölkerung zu versöhnen. Um die aktuelle Lage zu relativieren, lohnt mitunter ein Blick in die Vergangenheit. Etwa in das Jahr 1973, in dem die Inflationsrate zuletzt so hoch war wie 2022. Was geschah vor 50 Jahren und wie hat die Politik damals reagiert?

Das Jahr 1973 war für die damalige Bundesregierung unter dem sozialdemokratischen Kanzler Willy Brandt eine besondere Herausforderung. Es trafen gleich mehrere Schocks auf die deutsche Wirtschaft, die eine lange Phase wirtschaftlicher Prosperität jäh beendeten (z. B. Giersch et al., 1994; Plumpe, 2010). Neben dem Zusammenbruch des internationalen Währungssystems von Bretton Woods im März 1973, das eine starke Aufwertung der D-Mark gegenüber dem US-Dollar zur Folge hatte und damit die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Exporte auf dem Weltmarkt verringerte, kam es im Herbst 1973 zur ersten Ölpreiskrise. Im Zuge des Jom-Kippur-Krieges beschlossen die erdölexportierenden Länder im Nahen Osten eine Drosselung der Erdölförderung und eine Erhöhung des Erdölpreises, die die erdölabhängigen Industrienationen, darunter auch Deutschland, schwer trafen. Erdöl hatte mit einem Anteil von 55 % zuvor die Kohle als den wichtigsten Primärenergielieferanten in Deutschland abgelöst. Dabei musste Erdöl im Gegensatz zur Kohle größtenteils (90 %) importiert werden. Schließlich war diese Zeit von hohen Lohnforderungen der Gewerkschaften geprägt, die aufgrund der hohen Inflation eine Angleichung der Reallöhne erwirken wollten und damit die Inflation weiter befeuerten. Zwar wuchs die Wirtschaftsleistung 1973 noch mit 4,8 %, jedoch waren die Folgen dieser Schocks eine hohe Inflation von 7,1 % und ein starker Wirtschaftseinbruch in den beiden darauffolgenden Jahren 1974 und 1975 mit Wachstumsraten von 0,9 % bzw. -0,9 %. Die Stagflation war geboren. Die Arbeitslosenquote stieg von ihrem Vollbeschäftigungsniveau von unter 1 % in den 1960er Jahren langsam an, kehrte aber anschließend nie wieder auf dieses niedrige Niveau zurück. Dieser Wirtschaftseinbruch wog umso schwerer, als dass er das Ende des „Wirtschaftswunders“ bedeutete. Die Zeit des „Wirtschaftswunders“ war von überaus hohen Wachstumsraten des Bruttoinlandsprodukts (durchschnittlich 8,2 % in den 1950er Jahren und 4,4 % in den 1960er Jahren) sowie von Vollbeschäftigung, insbesondere in den 1960er Jahren, geprägt und wurde lediglich von einer kurzen Rezession 1967/68 unterbrochen.

Wie wurde von der Politik auf diese Schocks reagiert? Nach dem Ende des Bretton-Woods-Systems nutzte auf der einen Seite die deutsche Zentralbank ihre neu gewonnene Freiheit, um mit Hilfe einer kontraktiven Geldpolitik die hohe Inflation in Deutschland zu bekämpfen. Durch die Anhebung des Diskontsatzes auf 7 % und eine Verknappung der Geldmenge konnte die Inflationsrate bis 1978 kontinuierlich auf 2,7 % gesenkt werden, stieg allerdings anschließend wieder rasch an. Auf der anderen Seite reagierte die Bundesregierung auf die Ölpreiskrise sehr zügig mit dem „Energiesicherungsgesetz“, das bereits am 10. November 1973 in Kraft trat. Dieses Gesetz ermächtigte die Regierung Energie zu rationieren, Höchstpreise festzusetzen und die Nutzung von Motorfahrzeugen einzuschränken. Um den Treibstoffverbrauch zu reduzieren, sah das Gesetz unter anderem ein Fahrverbot an vier Sonntagen sowie eine Geschwindigkeitsbegrenzung vor. Höchstpreise wurden hingegen nicht festgelegt, dafür erhielten 3 Mio. Wohngeldbezieher:innen und Empfänger:innen von Sozialhilfe oder Kriegsopferfürsorge einen Wohnkostenzuschuss von 100 DM bis 300 DM im Dezember 1973. Zudem appellierte die Regierung an die Bevölkerung, weniger Auto zu fahren und weniger zu heizen, um Kraftstoff und Heizöl einzusparen. Die folgende Rezession 1974/75 konnte jedoch trotz ergriffener konjunkturpolitischer Maßnahmen nicht aufgehalten werden. Willy Brandt trat 1974 zurück und Helmut Schmidt wurde sein Nachfolger.

1973 sowie die 1970er Jahre insgesamt waren ereignis- und folgenreich. So markierte das Jahr 1973 das Ende des „Wirtschaftswunders“. Ebenso kam es zu einem Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik, da man zu der Überzeugung kam, dass keynesianische, nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik eben nicht dauerhaftes Wirtschaftswachstum erzeugen konnte. Vor allem aber wurde deutlich, welche zentrale Rolle die Energiepolitik spielt und dass eine zu starke Abhängigkeit von einzelnen Ländern die Wirtschaft und Stabilität eines Landes gefährden kann. Hieran hat sich bis heute nichts geändert.

Literatur

Giersch, H., K.-H. Paqué und H. Schmieding (1994), The fading miracle: four decades of market economy in Germany, Cambridge University Press.

Plumpe, W. (2010), Wirtschaftskrisen, Geschichte und Gegenwart, C.H. Beck.

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© Der/die Autor:in 2023

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DOI: 10.2478/wd-2023-0108