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In seinem Kommentar warnt Wolfram Richter (2023) im Maiheft des Wirtschaftsdienstes vor dem Ende des Multilateralismus. Dabei ist dieser so lebendig wie selten. Mit der EU-Richtlinie zur Umsetzung der von mehr als 140 Regierungen unterstützten globalen Mindeststeuer befinden sich die EU-Mitgliedstaaten in bester Gesellschaft. Auch United Kingdom, Norwegen, Japan, Australien, Kanada und Indonesien haben den Gesetzgebungsprozess bereits angestoßen und vieles deutet auf eine erfolgreiche Umsetzung zu Beginn des nächsten Jahres hin. Die Demokraten in den USA scheiterten mit der Umsetzung der globalen Mindeststeuer (sowie notwendiger Klimaschutzmaßnahmen) trotz ihrer Mehrheit in beiden Kammern am demokratischen Senator Manchin.

Die Verzögerung von Säule Eins ist zu thematisieren, angesichts der technischen Komplexität aber durchaus nachvollziehbar. Darüber hinaus gibt es weitere Kritik am Zwei-Säulen-Konzept und dessen Entstehungsprozess: Einerseits sind Regierungen des globalen Südens aufgrund mangelnder Expertise oftmals benachteiligt in den Verhandlungen über komplexe technische Details, andererseits bewerten Expert:innen die Mindeststeuerrate von 15 % als zu niedrig.

Die Republikaner:innen möchten multinationalen Konzernen die Stirn bieten, kritisieren jedoch die mit dem Deal einhergehende Beschränkung der Steuersouveränität (Kamin und Kysar, 2023). Viele Regierungen sehen sich mit Verweis auf den internationalen Steuerwettbewerb längst in ihrer Souveränität beschränkt. Multinationale Konzerne führen den Steuerwettbewerb gerne als Argument ins Feld, um eine Drohkulisse zugunsten ihrer Interessen zu schaffen. Möchte man diesem Gebaren Grenzen setzen, ist die koordinierte Souveränitätsabgabe unumgänglich.

Ein Teil der US-amerikanischen Politikelite hat die steuerpolitischen Zeichen der Zeit erkannt, das Zwei-Säulen-Konzept mitgestaltet und (inter-)national beworben. Das Ziel war einerseits eine Erhöhung der GILTI-Rate (Global Intangible Low Taxed Income) durch Säule Zwei, andererseits eine anhaltende Befriedung der seit 2016 schwelenden Handelskonflikte mit Säule Eins. Die Verhinderung unilateraler Maßnahmen, Bedingung für Säule Eins, bedeutet gleichzeitig Steuersicherheit für multinationale Konzerne. Zudem verspricht nach bisherigen Erkenntnissen Säule Eins für den Haushalt der USA im internationalen Vergleich die höchsten Einnahmen (Baraké und Le Pouhäer, 2023). In dieser Hinsicht ist es erstaunlich, dass das Zwei-Säulen-Konzept der OECD nicht längst ein parteiübergreifendes Projekt der US-amerikanischen Politik geworden ist. Der innenpolitische Stillstand wiegt finanziell umso schwerer, da die USA deutliche Mehreinnahmen erzielen könnten, solange Niedrigsteuerländer ihr System noch nicht angepasst haben (Baraké et al., 2022). Statt den multinationalen Konzernen die Stirn zu bieten, spielen die Republikaner:innen ihnen in die Hände.

Die innenpolitische Auseinandersetzung zeigt jedoch auf, dass Regierungspräferenzen Gegenstand (inter-)nationaler und konfliktbehafteter Verhandlungsprozesse sind und sich gemäß strukturellen Rahmenbedingungen sowie der Wahrnehmung dieser durch zentrale Akteure ändern. Die Republikaner bieten dafür ein anschauliches Beispiel: Während sie die nationale Mindeststeuer auf globale Einkünfte unter Obama noch ablehnten, setzten sie ihrerseits das von dieser Idee inspirierte GILTI-Regime noch im ersten Jahr von Trumps Amtszeit um – mit freundlicher Unterstützung der OECD-Verantwortlichen und auf Basis der Ergebnisse der ersten BEPS-Verhandlungen (Base Erosion and Profit Shifting) bis 2015. GILTI wiederum diente als Grundlage für die Ausarbeitung der globalen Mindeststeuer auf OECD-Ebene.

Das ist natürlich kein Garant für eine erfolgreiche Umsetzung der aktuellen Reform. Doch es zeigt, wie sehr das nationale und das internationale Steuersystem auch in den USA mittlerweile verwoben sind. In Anbetracht bereits zuvor nicht umgesetzter Steuerreformen der OECD und der 100-jährigen Steuerkooperation wäre ein wie auch immer geartetes Scheitern des Zwei-Säulen-Konzeptes bei weitem kein Gnadenstoß für den Multilateralismus. Vielmehr wäre es der Startschuss für die nächste Runde internationaler Verhandlungen. Regierungen des globalen Südens erwarten diese bereits, selbst bei erfolgreicher Umsetzung von Säule Eins. Ein erfolgreicher Abschluss des Prozesses wäre eine wichtige Erfahrung für den Multilateralismus. Denn mit den Herausforderungen des Klimawandels hat die globale Gemeinschaft die zurzeit dringendste Aufgabe noch vor sich.

Literatur

Baraké, M. et al. (2022), Revenue Effects of the Global Minimum Tax Under Pillar Two, INTERTAX, 50 (10), 689 - 710.

Baraké, M. und E. Pouhaër (2023), Tax Revenue from Pillar One Amount A: Country-by-Country Estimates, Paris School of Economics.

Kamin, D. und R. Kysar (2023), Implement the global minimum tax and don’t undermine it, The Washington Post.

Richter, W. (2023), Mindestbesteuerung europäischer Konzerne: Internationale Zusammenarbeit!, Wirtschaftdienst, 103(5), 291.

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© Der/die Autor:in 2023

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DOI: 10.2478/wd-2023-0106