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Wir leben in einer Zeit geopolitischer Krisen. Die Präsidentschaft von Donald Trump, die Coronapandemie und der Ukrainekrieg führen uns in Europa vor Augen, wie abhängig wir von anderen Staaten und Weltregionen sind. Das gilt besonders für technische Produkte und Systeme der Medizin und Energieversorgung, Verteidigung oder Digitalisierung, die moderne Gesellschaften für ihren Fortbestand brauchen. Aus der Erkenntnis vielfältiger Abhängigkeiten ergibt sich die Frage, wie wir uns aus ihnen lösen können. „Technologische Souveränität“ ist deshalb zu einem Leitbegriff der politischen Debatte avanciert. Deutschland und Europa sollen in zentralen Bereichen stärker auf eigene Fähigkeiten und Kapazitäten zurückgreifen können und sich damit unabhängiger von den Regierungen anderer Staaten, den weltweit verflochtenen Lieferketten und den strategischen Interessen anderer Mächte machen.

Bei allen richtig erkannten Defiziten entspringt das Interesse der Europäer:innen für ihre Souveränität unverkennbar auch der Sehnsucht, eigenen Schwächen zu entkommen und der Welt den Stempel unserer Wertvorstellungen aufzudrücken. Mit den Worten der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen: „Dieser Begriff beschreibt die Fähigkeit, über die Europa verfügen muss, um im Einklang mit den eigenen Werten und Regeln eigene Entscheidungen treffen zu können“ (EU-Kommission, 2020). Denn technologische Souveränität steht einerseits für den Wunsch, größtmögliche Unabhängigkeit für Deutschland und Europa in zentralen Technologiefeldern zu erreichen. Andererseits beschreibt sie gerade die starke Abhängigkeit von nichteuropäischen Lieferanten und Partnern, was sich in mangelnden Fähigkeiten und Verfügbarkeiten niederschlägt und die Verwundbarkeit des Standorts erhöht.

Als Folge der Rückbesinnung auf eigene Kapazitäten nimmt protektionistische Politik zu. Engmaschige europäische Regulierungsvorhaben lösen in den USA Irritationen aus. Umgekehrt sorgt der US-amerikanische „Inflation Reduction Act“ (IRA) mit seiner Bevorzugung einheimischer Lieferanten für Irritationen in Europa. Der mögliche Ausschluss europäischer Unternehmen von den Subventionsregeln des IRA fördert die deutsch-französische Annäherung in der Industrie- und Technologiepolitik. Schon im November 2022 forderten die Wirtschaftsminister von Frankreich und Deutschland ein koordiniertes Vorgehen beider Länder. Bei Wasserstoff und Batterien, künstlicher Intelligenz (KI) und Quanten-Computing, Gesundheit und Rohstoffen will die EU ihre eigenen Fähigkeiten stärken und faktisch in einen Subventionswettlauf eintreten. Um zu einer gemeinsamen europäischen Strategie für Daten und vertrauenswürdige Clouddienste zu kommen, werden umfassende Cybersicherheitsstandards gefordert (BMWK, o.J.). Inzwischen hat die EU-Kommission wichtige Klarstellungen und mögliche Ausnahmen für europäische Unternehmen erreicht. Mit dem „Green Deal Industrial Plan“ hat sie zudem angekündigt, Beihilferegeln sektorspezifisch auszuweiten und existierende EU-Finanzmittel als Gegengewicht zum IRA für grüne Technologien, wie erneuerbare Energien, Wärmepumpen oder Elektrolyseure, verfügbar zu machen (EU-Kommission, 2023). Es zeichnet sich ab, dass darauf ein „Souveränitätsfonds“ folgen könnte, der zusätzliche europäische Fördermittel bereitstellt und möglicherweise sogar „Buy European“-Regeln einführt. Gleichgültig, ob diese industriepolitischen Träume wahr werden: Es scheint, als ob Washington es mit der Ausgrenzung Chinas endgültig geschafft hat, ein multilateral und wirtschaftsliberal gesonnenes Deutschland an die Seite des dirigistischen Frankreich zu treiben (Lynch et al., 2023).

Definition: Was ist technologische Souveränität?

Der Begriff der Souveränität – abzugrenzen von Autarkie (vollständige Selbstversorgung mit Gütern und Dienstleistungen) und Autonomie (das Recht, sich als Staat oder Gruppe eigene Regeln zu geben) – bezeichnet die höchste Letztentscheidungsbefugnis des Staates. In diesem Sinne nutzte der Staatsrechtler Jean Bodin (1530 bis 1596) dieses ganz auf die Staatsgewalt zugeschnittene Konzept und wies dabei die allgemeine Souveränität dem König zur Ausübung seiner absoluten Herrschaft zu (Bodin, 2005). Folgerichtig wurde der Souveränitätsbegriff zunächst stark mit nationaler Machtausübung und der merkantilistischen Gestaltung von Märkten in Verbindung gebracht (Crespi et al., 2021). In Deutschland kam der Begriff wohl 2011 auf, als ein vom Bundesinnenministerium eingerichteter Arbeitskreis zur Sicherung kritischer Anwendungen und Architekturen der Informations- und Kommunikationstechnik von technologischer Souveränität sprach (ITG, o. J.). Der Begriff ist umfassender als die „digitale“ Souveränität und schließt Technologiefelder wie Energie, Biotechnik, Pharmazie und Rüstung ein. Bei digitaler Souveränität handelt es sich nach Ansicht der meisten Definitionen um einen Spezialfall technologischer Souveränität, wenngleich ihre politische und analytische Verwendung sehr nahe beieinander liegen (ITG, o. J., 6).1

Einige Definitionen heben vor allem auf das materielle Endergebnis ab. Gemeint ist damit die nationale oder regionale Verfügbarkeit bestimmter Rohstoffe, Produkte und Schlüsseltechnologien dank eigener Beschaffungs- und Produktionsmöglichkeiten. So versteht das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF, 2021, 3) technologische Souveränität als den „Anspruch und die Fähigkeit zur kooperativen (Mit-)Gestaltung von Schlüsseltechnologien und technologiebasierten Innovationen“. Diese sollen in Europa entwickelt und produziert werden, wenngleich damit keine Abkehr von globalen Handelsbeziehungen und Wertschöpfungsketten gemeint ist. Diese Perspektive teilen weitere Untersuchungen der vergangenen Jahre aus den deutschen Natur- und Ingenieurswissenschaften (Edler et al., 2020; EFI, 2022). Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK, 2021, 8) fordert in diesem Zusammenhang, bestehende technologische Abhängigkeiten abzubauen, „auf bestehenden Stärken aufzubauen und insbesondere in Zukunftstechnologien wie Quantencomputer, KI und in die IT-Sicherheit zu investieren.“ Auch für die Technologie-Organisation VDE liegt das Wesensmerkmal des Konzepts in der Verfügbarkeit über Technologien, wenngleich mit der „Fähigkeit eines Staates oder einer Gesellschaft, politische und gesellschaftliche Prioritäten umsetzen zu können“ eine wichtige Erweiterung vorgenommen wird. Hier werden „Grade souveränen Handelns“ benannt, die von weitgehender Autarkie bis zum vollständigen Mangel an eigener Kompetenz reichen, sodass „Fertigung und Betrieb“ anderen überlassen werden können (ITG, o. J., 2, 14).

Diesen Definitionen, die als „Herstellungssouveränität“ charakterisiert werden können, steht eine zweite Sichtweise gegenüber. Sie zielt auf die Fähigkeiten und Kompetenzen, mit Technologien selbstbestimmt umzugehen. Ein solches Verständnis von „Anwendungssouveränität“ ist grundsätzlicher, ohne die Ausrichtung auf Rohstoffe, Produkte und Technologien aus den Augen zu verlieren. Ein Beispiel ist die Definition der Deutschen Akademie für Technikwissenschaften (acatech) für digitale Souveränität. Sie spricht von der „Fähigkeit von Individuen, Unternehmen und Politik, frei zu entscheiden, wie und nach welchen Prioritäten die digitale Transformation gestaltet werden soll“ (Kagermann et al., 2021, 8). In dieser Definition ist sowohl der Aspekt der Fähigkeiten wie auch das zentrale Element der Selbstbestimmung enthalten. Darin ist die Verfügbarkeit und Herstellung von kritischen Technologien und Daten nur einer von drei entscheidenden Hebeln für Anwendungssouveränität. Die beiden weiteren Hebel sind zum einen die Kompetenz von Staat, Unternehmen und Individuen, Technologien zu bewerten, zu überprüfen und einzusetzen, sowie zum anderen die „strategische regulatorische und industriepolitische Begleitung“ kritischer Geschäftsmodelle, Produkte und Dienste im europäischen Binnenmarkt (Kagermann et al., 2021, 8). Die Studie der acatech fokussiert weitgehend auf den Technologie- und Datenhebel und entwickelt ein Schichtenmodell, das den Handlungsbedarf auf den verschiedenen Technologiefeldern analysiert. Die überragende Bedeutung von Bewertungs- und Anwendungskompetenzen sowie von Regulatorik und Industriepolitik wird auch in anderen aktuellen Untersuchungen zur technologischen Souveränität herausgearbeitet. Das Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI, 2020) befasst sich bereits seit längerer Zeit mit digitaler Souveränität als umfassender Befähigung von Individuen und Organisationen wie der öffentlichen Verwaltung, ihre „Rolle in der digitalen Welt sicher und selbständig ausüben zu können“. Der hohe Stellenwert individueller Souveränität, also des Rechts und der Kompetenzen von Einzelnen, mit (digitalen) Technologien umzugehen und diese zu nutzen, steht auch im Mittelpunkt der Position des „Progressiven Zentrums“ (Falk und Schroeder, 2022). Das Positionspapier des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI, 2020) wiederum konzentriert sich auf die Anforderungen der Anwendungssouveränität und sieht wie acatech drei wesentliche Maßnahmenfelder für das politische Handeln:

  1. Individuelle Kompetenzen durch schulische, akademische Bildung sowie Aus- und Weiterbildung fördern;
  2. Zukunftstechnologien durch innovationsfördernde regulatorische Rahmenbedingungen fördern;
  3. die Wahrung bzw. Wiedererlangung von Souveränität durch unter anderem industrie- und innovationspolitische Strategien für ein ganzheitliches Ökosystem.

Mit dieser Definition und ihren Wesensmerkmalen, die sich auch in einer Reihe weiterer Positionspapiere finden (BITKOM, 2019), lässt sich technologische Souveränität verstehen als der selbstbestimmte Umgang von Menschen und Organisationen mit technologischen Herausforderungen. Dieser selbstbestimmte Umgang hängt im Wesentlichen von drei Voraussetzungen ab: den notwendigen Kompetenzen, den regulatorischen Rahmenbedingungen und der Verfügbarkeit von Schlüsseltechnologien dank industriepolitischer Maßnahmen. Im Folgenden gehen wir auf die drei Voraussetzungen nochmals näher ein, um Möglichkeiten und Grenzen des Konzepts schärfer herauszuarbeiten.

Erste Voraussetzung technologischer Souveränität: Wissen und Fähigkeiten

Unter Wissen und Fähigkeiten verstehen wir kognitive und technische Kompetenzen, die eine Gesellschaft in die Lage versetzen, Technologien zu bewerten, zu überprüfen und im eigenen Interesse einzusetzen. Dazu bedarf es umfassender Bildung und Forschung, ebenso persönlicher Mündigkeit und eines Wertegerüsts, das für das Bewerten und Handeln unerlässlich ist. Diese individuelle Dimension ist die Basis für alle weiteren Formen technologischer Souveränität. Besonders wichtig sind technische und naturwissenschaftliche Kompetenzen sowie die entsprechende Verfügbarkeit von gut ausgebildeten Menschen. Tatsächlich können viele Unternehmen in Europa aus Mangel an Fachkräften keine technologiebasierten Geschäftsmodelle erfolgreich etablieren; noch weniger sind Hochschulen und Behörden in der Lage, den Anforderungen an Wissen und Fähigkeiten zur Erlangung technologischer Souveränität gerecht zu werden. In der gesamten EU fehlt es an Kompetenzen für den selbstbestimmten Umgang mit einigen der wichtigsten Technologien wie KI und Mikrosystemtechnik. In Umfragen und Studien zeigt sich immer wieder, dass Deutschland und Europa im internationalen Vergleich zurück liegen. So gaben in einer BITKOM-Studie 78 % der befragten deutschen Unternehmen an, dass Anwendungen der KI entscheidend für den Erfolg im globalen Wettbewerb sind. Doch nur 4 % der befragten Unternehmen einer PwC-Studie nutzen KI-Systeme bereits. Gerade in Deutschland besteht ein gravierender Mangel an Ingenieur:innen und Informatiker:innen, der die Nachteile von öffentlichen Arbeitgebern gegenüber großen Unternehmen zusehends verschärft. Eine Untersuchung des DIHK bestätigte, dass für 56 % der befragten, vorwiegend kleinen und mittleren Unternehmen der Fachkräftemangel das größte Risiko für Produktinnovationen und damit für technologische Fortschritte ist.2

Einer aktuellen Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft zufolge steigt der Bedarf an Fachkräften aus der Mathematik, der Informatik, den Natur- und Technikwissenschaften, doch geht die Zahl der Absolventen an Hochschulen und anderen Bildungseinrichtungen zurück. Deutschlandweit können mehr als 300.000 Stellen in den entsprechenden Berufen nicht besetzt werden. In der Energiewirtschaft und im Maschinenbau sind die Lücken trotz attraktiver Bezahlung am größten. Besonders problematisch erweist sich, dass jährlich 65.000 Akademiker:innen aus MINT-Fächern in den Ruhestand gehen, und sich der Bedarf bei Unternehmen und öffentlicher Hand weiter erhöhen wird. Die Zahl der jährlich auf den Arbeitsmarkt kommenden Fachkräfte von Hochschulen und aus der beruflichen Bildung sinkt jedoch permanent. Vom Studienjahr 2016/2017, als noch etwa 200.000 MINT-Studierende im ersten Semester eingeschrieben waren, ist die Zahl bis 2021/2022 auf 172.000 gesunken (Anger et al., 2022). Angesichts dieser Situation sollte die Politik alles unternehmen, um technologische Kompetenzen durch die verbesserte Ausstattung von Bildungs- und Forschungseinrichtungen zu erleichtern. Ebenso liegt es nahe und wird seit vielen Jahren gefordert, bisher nicht ausgeschöpfte Potenziale von Talenten zu nutzen. Mädchen und Frauen müssen für technische Fächer und Berufe gewonnen, der Zugang von ausländischen Fachkräften erleichtert werden. Im Bildungssystem kommt es auf die Steigerung der Bildungschancen an, indem die Betreuung in Kindergärten und Schulen verbessert und die Digitalisierung des Unterrichts vorangebracht wird. Während sich die Entwicklung von digital ausgerichteten Lerncurricula vielerorts noch in den Anfängen befindet, hat die Ausstattung von Schulen und anderen Lehreinrichtungen mit digitalen Lernwerkzeugen aufgeholt. Die Umsetzung des Digitalpakts II stockt jedoch seit vielen Monaten und ein Beschluss ist nicht in Sicht. Insgesamt müssen Bildung, Wissen und Fähigkeiten als Basis technologischer Souveränität in den Mittelpunkt rücken.

Zweite Voraussetzung technologischer Souveränität: Politische und rechtliche Rahmenbedingungen

Zur Förderung ihrer technologischen Souveränität ergreifen die EU und die Mitgliedstaaten politische und regulatorische Schritte, die darauf abzielen, besseren Schutz vor Gefahren und Abhängigkeiten im Sinne der technologischen Souveränität zu gewährleisten. Unterschiedlichste Politiken, wie Normung und Standardisierung, Cybersicherheit, Datenschutz, Wettbewerbsrecht sowie Sozial- und Arbeitsmarktpolitik, sollen ein „level playing field“ mit ausländischen Staaten und Unternehmen schaffen, die Rechte und Sicherheit der Bürger:innen wahren sowie europäische Werte schützen und nach Möglichkeit in die ganze Welt tragen. Die Ambition dieses „Brüssel-Effekts“ ist es, dass politische und regulatorische Vorgaben der EU auf die gesamte Welt ausstrahlen, indem die in Europa tätigen Adressaten – vor allem Unternehmen – diese Regelungen für ihre Produkte und Dienstleistungen weltweit anwenden (Bradford, 2020). Für diesen Effekt gibt es Belege, etwa im Datenschutz, in der Chemikalienpolitik oder dem Kartellrecht, wenngleich andere Staaten und Volkswirtschaften ebenfalls bemüht sind, ihre eigenen Interessen und Wertevorstellungen auf regulatorischem Wege (etwa in der Standardisierung) durchzusetzen (Webber, 2016). Am Beispiel des Datenschutzes und der transatlantischen Datentransfers lässt sich zeigen, wie eine werteorientierte Politik und Rechtsordnung ausgestaltet werden sollte, um Staat und Gesellschaft einen souveränen Umgang mit Technologien zu erlauben. Die Wahl dieses Beispiels ist auch deshalb naheliegend, weil der Begriff der digitalen Souveränität zunächst verwendet wurde, um die individuelle Kontrolle der Einzelnen über ihre personenbezogenen Daten zu bezeichnen, und erst im weiteren Verlauf politischer Debatten auch auf ganze Staaten und Bündnisse übertragen wurde (Propp, 2019).

Die 2016 beschlossene und seit 2018 geltende Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) der EU regelt und vereinheitlicht die Verarbeitung personenbezogener Daten durch private und öffentliche Akteure.3 Ihre Anforderungen treffen schon innerhalb der EU auf unterschiedliche Kulturen und Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten; umso komplexer ist ihre Umsetzung außerhalb Europas. Um den Transfer und die Verarbeitung von Daten europäischer Bürger:innen in anderen Teile der Welt zu ermöglichen, trifft die EU-Kommission Angemessenheitsentscheidungen, die den jeweiligen Drittstaaten bescheinigen, dass das Datenschutzniveau dort dem europäischen adäquat (nicht identisch) ist.

Von besonderer wirtschaftlicher und politischer Bedeutung, und zugleich besonders umstritten ist die Frage der Datentransfers in die USA. Bereits zum zweiten Mal hat der Europäische Gerichtshof jüngst das entsprechende Datenabkommen zwischen der EU und den USA für verfassungswidrig erklärt, weil die Anforderungen der DSVGO nicht erfüllt seien: Der mögliche Zugriff US-amerikanischer Sicherheitsbehörden auf die von international tätigen US-Unternehmen verarbeiteten personenbezogenen Daten gefährde den Schutz der persönlichen Daten europäischer Bürger:innen, und damit entsprächen die Regelungen zum Datenaustausch nicht der EU-Verfassung. Für europäische Unternehmen und andere Organisationen, die Daten mittels Cloud-Anwendungen verarbeiten und speichern lassen oder Software und Dienste von US-amerikanischen Anbietern nutzen, entstehen damit erhebliche Rechtsunsicherheiten und Hemmnisse für den transatlantischen Handel und Austausch. Die EU-Kommission (2022a) hält am Ziel eines ungehinderten Datenaustauschs fest. Nach dem Erlass einer Executive Order des US-Präsidenten, die die Befugnisse von Sicherheitsbehörden in Bezug auf europäische Bürger:innen einschränkt und erweiterte Beschwerdemöglichkeiten schafft, hat sie das Verfahren für einen Angemessenheitsbeschluss eingeleitet, der künftig als Rechtsgrundlage für den Datenverkehr mit den USA dienen kann. Doch die Aussicht auf verbesserte Rechtssicherheit in Europa ist weiterhin getrübt. Während US-amerikanische Regierungsstellen beteuern, dass die Daten europäischer Bürger:innen bei kommerziellen Transaktionen in ihrem Land nicht ausspioniert würden, mutmaßen amerikanische Think Tanks bereits, dass die Sorge vor der Ausforschung durch Strafverfolgungsbehörden zu einem Rechtfertigungsnarrativ für das protektionistische Streben nach technologischer Souveränität wird (Burwell und Propp, 2022).

Angesichts dieser verfahrenen Lage wäre es zielführender, zunächst die Widersprüche, Ineffizienzen und Lähmungen zu beseitigen, die einen wirksamen Datenschutz in Deutschland und Europa behindern. Denn im Grundsatz sind sich alle Beteiligten einig: ein ambitioniertes Datenschutzniveau ist unverzichtbar und sollte den Aufbau von Fähigkeiten und Kompetenzen sowie die erfolgreiche Etablierung von technologischer Innovation und Geschäftsmodellen nicht behindern, sondern begünstigen. Doch bedarf es einer klaren Trennung derjenigen Bereiche, in denen personenbezogene Daten geschützt und ihr Entstehen von vornherein minimiert werden solle, von anderen Nutzungen von Daten im Interesse der digitalen Souveränität Europas, etwa bei KI (EU-Kommission, 2022b). Schließlich repräsentiert das Schutzkonzept der DSGVO ein hochgradig dirigistisches System des Datenschutzes. Sie begegnet einer „Datensouveränität“ durch Einzelne geradezu mit Misstrauen. Nicht die Abschottung von Ländern oder Regionen von der übrigen Welt, sondern der informierte und abwägende Zugriff auf unterschiedliche digitale Dienste und Produkte wird Menschen in die Lage versetzen, diese im Einklang mit ihren Werten, Freiheiten und Rechten zu nutzen.

Erste Vorschläge, wie eine längst überfällige Novellierung der DSGVO den gewandelten Anforderungen der Datensouveränität, des transatlantischen Datenaustauschs und des digitalen Binnenmarkts (oder gar eines transatlantischen Wirtschaftsraums) gerecht werden könnte, sind bereits vorgelegt worden (Heilmann und Schön, 2020; AmCham Germany, 2021). Übereinstimmend mit dem risikobasierten Ansatz der DSGVO sollten für den Datentransfer außerhalb der EU nur dann erweiterte Schutzmaßnahmen gefordert werden, wenn sie nach der Natur der Daten, der potenziellen Gefährdung der Betroffenen und der Form ihrer Verarbeitung angemessen sind. Im Sinne des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung sollte eine Datenübermittlung ins EU-Ausland auf der Grundlage einer freiwilligen Einwilligung weiterhin möglich bleiben. Unternehmen und Privatpersonen müssen durch umfassende Informationen zum Datenschutzniveau in Drittstaaten dabei unterstützt werden, schnell und rechtssicher über die jeweiligen Voraussetzungen für Datentransfers informiert zu sein. Im Übrigen streben auch die EU und nationale Regierungen Rahmenvereinbarungen an, planen Rechtsvorschriften oder haben diese – wie das deutsche Telekommunikationsgesetz – bereits beschlossen, die den Zugriff der Strafverfolgungsbehörden auf die personenbezogenen Daten von Nicht-EU-Bürger:innen erweitern sollen. In einem Akt extraterritorialer Rechtsanwendung bemühen sie sich in letzter Konsequenz ähnlich wie US-amerikanische Behörden darum, im Rahmen ihrer eigenen strafrechtlichen Ermittlungen auf im In- oder Ausland gespeicherte Daten zugreifen zu können (Bauer und Erixon, 2020, 18). Statt also auf den jeweiligen rechtlichen und technologiepolitischen Standpunkten zu beharren, sollten Europa und die USA auf eine engere regulatorische Zusammenarbeit hinarbeiten. So könnten globale Normen für den Datenaustausch auf Basis gemeinsamer Werte und damit Leitlinien für eine gemeinsame technologische Souveränität geschaffen werden (Smith und Browne, 2020, 322).

Dritte Voraussetzung technologischer Souveränität: Industriepolitik für Schlüsseltechnologien

Mit Schlüsseltechnologien sind horizontale und grundlegende Technologien aus Energie, Informatik, Materialien oder Biologie gemeint, die in vielen Aufgabenbereichen einsetzbar und unverzichtbar sind. Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass die Abgrenzung solcher Schlüsseltechnologien nicht einfach und daher eine breit angelegte Sichtweise sinnvoll ist. Acatech hat für den digitalen Bereich eine solche Abgrenzung unternommen und beschreibt in einem Schichtenmodell insgesamt acht Ebenen der Souveränität. Sie reichen von Rohstoffen und Komponenten über Kommunikations- und Service-Infrastrukturen hin zu Plattformen, Datenräumen, Software und dem europäischen Rechts- und Wertesystem (Kagermann et al., 2021).

Die Studie analysiert den Status quo für die einzelnen Ebenen im Hinblick auf Autonomie und Abhängigkeit und macht Lösungsvorschläge zur Steigerung der Souveränität. Dabei zeigt sich, dass Deutschland beachtliche eigene Kapazitäten und technologische Akteure von globaler Bedeutung aufweist – etwa in der Leistungselektronik, bei B2B-Softwareanbietern oder Cybersicherheit. Sie sind Keimzellen für die Entwicklung weiterer Fähigkeiten und bieten Verhandlungspotenzial für industriepolitische Interessen gegenüber anderen Ländern und Regionen. Auch die Schaffung gegenseitiger Abhängigkeiten – etwa bei kritischen Rohstoffen, aber auch bei Produktionsanlagen für Schlüsseltechnologien wie Halbleiter – spielt bei diesen Überlegungen eine Rolle (Kagermann et al., 2021, 12, 15).

Dennoch ist Deutschland auf keiner der acht Ebenen vollständig souverän. So ist die Abhängigkeit von Lieferanten kritischer Rohstoffe und Komponenten insbesondere aus dem asiatischen Raum zuletzt gestiegen, und US-amerikanische Technologieanbieter dominieren in hohem Maße das Geschäft im Bereich der Plattformen, Daten und Softwaretechnologien. Für acatech bedeutet Souveränität letztlich die Chance, sich für oder gegen die Auswahl und Gestaltung von Technologien entscheiden zu können. Dies werde nicht durch protektionistische Abschottung erreicht, sondern vor allem durch die Möglichkeit, zwischen mehreren Anbietern wählen zu können. Wo es diese Wahlfreiheit nicht gibt, müsse in die nächste Generation von Technologie investiert, müssten Lock-in-Effekte mittels offener Standards und Interoperabilität vermieden und „strategisch relevante Assets“ durch Kooperationen auf globalen Märkten gefördert werden (Kagermann et al., 2021, 9).

Der gesamte Blick auf das Schichtenmodell und das jeweilige Potenzial für technologische Souveränität macht deutlich: Deutschland und Europa können hinsichtlich Versorgung und Zugang zu kritischen Rohstoffen, Komponenten und Technologien nicht autark sein, wenn sie finanz- und wirtschaftspolitisch handlungsfähig bleiben und einen hohen Lebensstandard halten wollen. Deshalb sind viele weitgehende Forderungen nach Souveränität bei technologischen Schlüsselkomponenten unrealistisch. Wenn nicht genau definiert werden kann, zu welchem Zweck und in welcher Form technologische Souveränität auf einer bestimmten Ebene erreicht werden soll, dürfte es sich um politische Buzzwords oder eine Bemäntelung von Subventionsforderungen handeln. Wer die Verfügbarkeit und Nutzung von Schlüsseltechnologien verbessern will, muss auf eine Balance verschiedener Maßnahmen und damit auch auf Eigenproduktion und Diversifizierung, auf globale Risikoverteilung und das Eingehen gegenseitiger Abhängigkeiten setzen.

Zunächst muss analysiert werden, in welchen Technologiefeldern die Souveränität für eine Gesellschaft überhaupt realistisch erreicht werden und wünschenswert sein kann. Zugleich ist abzuschätzen, mit welcher Dringlichkeit die Bürger:innen und Unternehmen bestimmter Technologien bedürfen, um mit komplexen Herausforderungen und aktuellen Krisen umzugehen. Zwischen Sehnsucht und Sachzwang muss deshalb ein realistischer Weg zu technologischer Souveränität gefunden werden: Staatliches Engagement wäre nicht sinnvoll in Bereichen, in denen eine erhöhte Selbständigkeit keinen signifikanten Nutzen bringen oder übermäßig hohe Kosten verursachen würde. Umgekehrt haben vergangene Krisen gezeigt, dass der souveräne Zugriff auf bestimmte Technologien eine politische Zwangsläufigkeit bekommen kann, an denen die Handelnden nicht vorbeigehen können.

Beispielhaft lässt sich dieses Dilemma bei der Entwicklung und Produktion von Halbleitern beobachten. Industriebranchen wie der Automobilbau erwarteten in der Pandemie einen drastischen Auftragsrückgang und stornierten daher Bestellungen für Mikrochips. Die Unternehmen der Digital- und Unterhaltungselektronik hingegen erlebten einen Nachfrageschub und orderten zusätzliche Kapazitäten für Halbleiter, die in dieser Branche nur mit Vorläufen von mehreren Monaten zu schaffen sind. Als sich das wirtschaftliche Geschehen wieder normalisierte, fehlten in der Industrie wichtige Chipprodukte mit der Folge anhaltender Engpässe und Produktionsstopps. Die schockartige Erfahrung des Stellenwerts einer Schlüsseltechnologie für die europäische Wirtschaft hat maßgeblich zu den jüngsten politischen Aktivitäten in der EU beigetragen. Ein anderer Faktor sind die wachsenden geopolitischen Spannungen zwischen den USA und China, in denen die US-amerikanische Regierung bestrebt ist, der Volksrepublik den Zugang zu westlicher Hochtechnologie zu erschweren und dabei auch die Lieferung von Produktionstechnologien für Halbleiter einzuschränken (Miller, 2022; Heß, 2023).

In dieser Gemengelage hat die EU-Kommission das Ziel formuliert und im Entwurf des „EU Chips Act” konkretisiert, ein „hochmodernes europäisches Chip-Ökosystem“ zu schaffen: Europa soll führend werden bei Entwicklung, Herstellung und Packaging von modernsten Halbleitern; der Produktionsanteil Europas soll von heute unter 10 % bis zum Jahre 2030 auf 20 % gesteigert werden; und die staatlichen Kompetenzen bei Monitoring und Beschaffung über die Lieferketten hinweg sollen ausgebaut werden (EU-Kommission, o. J.). Seither wird intensiv diskutiert, welche staatlichen Unterstützungsmaßnahmen geeignet sind, um die Entwicklung und die Produktion von Halbleitern in Europa zu fördern. Ist es beispielsweise sinnvoll, auf die Förderung der Produktion von Chips der neuesten Generation zu setzen, die von europäischen Unternehmen auf absehbare Zeit gar in größerer Stückzahl benötigt werden (Kleinhans, 2021)? Haben Regierungen in absehbarer Zeit überhaupt das Know-how und die unmittelbaren Branchenzugänge, um die Wertschöpfungsketten zuverlässig einschätzen zu können (Kleinhans et al., 2022)?

Auch wenn die Diskussion anhält und sich mit dem US-amerikanischen IRA nochmals intensiviert hat, steht bereits heute fest: Ohne sorgfältige Analyse der globalen Marktbedingungen für die Entwicklung und Produktion von Halbleitern sollten keine politischen Entscheidungen getroffen werden. Europäische Industrieunternehmen werden heute und in Zukunft unterschiedliche Chip-Technologien brauchen. Die Zulässigkeit der Förderung von Investitionen in die allerneueste Generation (first of its kind) von Halbleitern bezieht sich nicht allein auf Strukturgrößen von 5 Nanometer und kleiner, sondern auch auf innovative Produktionsprozesse wie extrem ultraviolettes Licht (EUV) oder neuartige Materialien wie Siliziumkarbid (Kagermann et al., 2021, 13-15).

Weiterhin muss das regulatorische Umfeld für die Halbleiterindustrie über die Bereitstellung von Fördermitteln hinaus umfassend verbessert werden, um unter anderem die Verfügbarkeit von Fachkräften, Anreize für Forschungstätigkeiten und den Aufbau moderner Produktionskapazitäten gleichermaßen zu unterstützen (ZVEI, 2022). Schließlich muss berücksichtigt werden, dass die globalen Halbleitermärkte vielfältig verschränkt und extrem zyklisch sind. Nur mit einer langfristigen industriepolitischen Strategie, global diversifizierten Lieferstrukturen und umfassendem Kapitaleinsatz kann es gelingen, hochmoderne Produktionskapazitäten dauerhaft nach Europa zurückzuholen. Dabei wird zunehmend nicht (nur) der asiatische Wirtschaftsraum, sondern immer mehr die Zusammenarbeit mit westlichen Handels- und Technologiepartnern und insbesondere die transatlantische Kooperation bedeutsam sein (Barker und Hagebölling, 2022, 45). Dennoch stehen industriepolitische Strategien zum Aufbau von technologischer Souveränität im Verdacht diskriminierender und protektionistischer Motive. Sie drohen, den Zugang zu fortschrittlichen Technologien zu beschränken, die doch eigentlich für die eigene Souveränität erforderlich sind. Ob die weltweite regulatorische Führungsrolle Europas nicht nur eigene Märkte schützt, sondern auch europäische Champions in neuen Technologiefeldern schaffen kann, bleibt zweifelhaft. Dazu fehlt es an vergleichbarem Zugang zu Risikokapital wie in anderen Märkten, an einem voll funktionsfähigen europäischen digitalen Binnenmarkt, vor allem aber an erforderlichem technologischen Know-how, Talent und Unternehmungsgeist. Immer geht es also darum, angesichts begrenzter Ressourcen strategische Entscheidungen zu treffen, in welchen Bereichen eigene Forschungs- und Produktionskapazitäten geschaffen werden sollen und wo dies nicht sinnvoll erscheint. Hier müssen dann die Diversifizierung von Beschaffungsmärkten, verbesserte internationale Zusammenarbeit und letztlich auch gegenseitige Abhängigkeiten im Vordergrund stehen.4

Schlussfolgerung: von technologischer zu transatlantischer Souveränität

Die Auseinandersetzung mit der Zielsetzung, Definition, den Stärken und Schwächen des Begriffs der technologischen Souveränität hat gezeigt, dass ein richtiger politischer Impuls – in ungewisser Weltlage die Fähigkeiten, Technologien und Regularien zu entwickeln, um souverän zu werden – sehr leicht verkürzt und geschwächt werden kann. Die richtig erkannte überragende Bedeutung von Wissen und Fähigkeiten, die eine geeignete Bildungs- und Forschungspolitik erfordern, wird in vielen Bereichen nur halbherzig umgesetzt. Die regulatorischen Rahmenbedingungen für Technologie und Daten in Europa und Deutschland sind zerklüftet und uneinheitlich. Bei der industriepolitischen Förderung von Schlüsseltechnologien fehlt eine ganzheitliche und realistische Strategie. Und insgesamt entsteht der Eindruck, als ob die Auseinandersetzung mit Technologien in Europa aus einer Position der Schwäche und Verletzlichkeit geführt wird. Damit wirkt jedes politische Handeln defensiv, statt in ein Narrativ der Stärke und Zukunftsgewissheit überzugehen.

Falsch wäre es, in diesem Zusammenhang davon zu sprechen, dass es um „Eigenständigkeit im Systemwettbewerb der technologischen Supermächte“ gehe. Einen unabhängigen „dritten Weg“ zwischen US-amerikanischen und der chinesischen Politik- und Wertesystemen kann es nicht geben (schon wird in Indien von einem „vierten Weg“ gesprochen) (Barker und Hagebölling, 2022, 18 f.). Nicht nur würde damit europäischen Bürger:innen der Zugang zu Produkten und Technologien aus anderen Teilen der Welt verwehrt, die möglicherweise günstiger, hochwertiger und klimafreundlicher sind. Es wird auch der falsche Eindruck erweckt, Europa hätte es in der Hand, autonom darüber zu entscheiden, in welcher Weise welche Technologien verwendet werden. Stattdessen ist der Kontinent, wie zahlreiche Studien zeigen, auf unterschiedlichen Stufen der technologischen Wertschöpfungsketten von Rohstoffen, Vorprodukten, Komponenten, Technologien und nicht zuletzt auch von Know-how und Fachkräften aus anderen Teilen der Welt abhängig – und wird es bleiben.

Es ist immer noch nachvollziehbar und legitim, ambitionierte und weitreichende Ziele der technologischen Souveränität zu setzen. Aber sie müssen mit europäisch abgestimmten, präzisen Umsetzungsplänen und einer realistischen Perspektive auf Verwirklichung verbunden werden. Doch die Lücke zwischen öffentlich gesetzten Zielen und den technologiepolitischen Realitäten in Deutschland und Europa wächst. Deshalb sollten sich die USA und die EU gemeinsam auf geeignete Foren und Möglichkeiten der Zusammenarbeit konzentrieren. Der „Trade and Technology Council“ bietet hierfür eine Gelegenheit, doch sollten die beiden Partner weitere Verbündete suchen, um den Bestrebungen autoritärer und diktatorischer Staaten, ihre technologische Souveränität zu unterminieren, entgegenzuwirken. Dazu könnten internationale und multilaterale Arrangements wie die G7 und die OECD genutzt werden, um zu belastbaren Kooperationen zu kommen, die über die schlichte „Ja/Nein“ Logik der Blockzuweisungen hinausgeht.

Letztlich kann es nur darum gehen, mit der Tatsache gegenseitiger Abhängigkeiten umzugehen. Dazu braucht es einer Abschichtung solcher Handlungsbereiche, die für die nationale Sicherheit und Handlungsfähigkeit kritisch und unverzichtbar sind, von allen anderen Bereichen, in denen eine möglichst breite und diverse Lieferantenstruktur ausreichend ist. Um eine wertebasierte technologische Souveränität zu erreichen, sollte daher der transatlantische Wirtschaftsraum immer mitgedacht und mit berücksichtigt werden, jedenfalls wo dies mit nationalen und europäischen Sicherheitsinteressen vereinbar ist (AmCham Germany, 2022). So sind US-amerikanische Technologieunternehmen unverzichtbare Partner heimischer Unternehmen für funktionsfähige und kostenwürdige Lösungen in unterschiedlichen Bereichen von Forschung und Entwicklung sowie IT-Hardware, Unternehmenssoftware, Cloudlösungen und KI. Eine „transatlantische Souveränität“ würde dem Anspruch deutscher Staatsbürger:innen gerecht, dass ihr Staat für eine wertegeleitete, verlässliche Handlungsfähigkeit sorgt, ohne auf die immensen Innovations- und Wertschöpfungspotenziale der Zusammenarbeit mit Unternehmen aus beiden Wirtschaftsräumen zu verzichten.

  • 1 Unter konzeptionellen Gesichtspunkten werden „digitale“ und „technologische“ Souveränität wegen ihrer großen Nähe im Folgenden synonym verwendet. Anders definiert es zuletzt das BMBF (2023), demzufolge technologische Souveränität die Mitgestaltung und Verwertung von Schlüsseltechnologien, digitale Souveränität hingegen umfassender die Fähigkeit zur selbstbestimmten Gestaltung der digitalen Transformation beschreibt.
  • 2 Alle Studien zitiert nach Bauer und Erixon (2020, 21).
  • 3 Verordnung (EU) 2016/679 des EU-Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung), https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/ALL/?uri=celex%3A32016R0679 (16. Mai 2023).
  • 4 Nur „perspektivisch“ hält es z. B. die Datenethikkommission für richtig, dass Deutschland Europa auch in der technischen Infrastruktur ein höheres Maß an Souveränität entwickeln (BMI, 2019, 227).

Literatur

AmCham Germany – American Chamber of Commerce Germany (Hrsg.) (2021), Position Paper: Digital Transatlantic Economic Zone.

AmCham Germany – American Chamber of Commerce Germany (2022), Making Zeitenwende a Success – Strengthening Transatlantic Sovereignty, November, https://www.amcham.de/fileadmin/user_upload/Public-Affairs/04_Position_Papers/PosPap_Zeitenwende_Web_E.pdf (16. Mai 2023).

Anger, C., J. Betz, E. Kohlisch und A. Plünnecke (2022), MINT-Herbstreport 2022: MINT sichert Zukunft, https://www.iwkoeln.de/studien/christina-anger-julia-betz-enno-kohlisch-axel-pluennecke-mint-sichert-zukunft.html (16. Mai 2023).

Barker, T. und D. Hagebölling (2022), Eine digitale Grand Strategy für Deutschland. Digitale Technologien, wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit und nationale Sicherheit in Zeiten geopolitischen Wandels, DGAP Bericht, 8, November.

Bauer, M. und F. Erixon (2020), Europas Streben nach Technologiesouveränität: Chancen und Risiken für Deutschland und die Europäische Union, ECIPE Occasional Paper, 05/2020.

BDI – Bundesverband der Deutschen Industrie (2020), Europas digitale Souveränität nachhaltig stärken. Technologien fördern, Kompetenzen weiterentwickeln, ein ganzheitliches Ökosystem gezielt aufbauen.

BITKOM e. V. (Hrsg.) (2019), Digitale Souveränität: Anforderungen an Technologie- und Kompetenzfelder mit Schlüsselfunktion, Stellungnahme.

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Title:Technological Sovereignty: Concept and Preconditions in the Transatlantic Context

Abstract:In uncertain geopolitical times, demand is high for political concepts to grasp the unfolding change and give direction. To Europeans and Germans, the presidency of Donald Trump, the Covid-19 pandemic and the Russian war of aggression in Ukraine have all demonstrated how dependent they are from other states and regions in the world. This is particularly true for technology in sectors such as health, energy, defense and digital. In order to reduce these dependencies,”technological sovereignty“ has become a key concept - some say a buzz word - in the political debate in Europe. In this article, we analyse prominent views of technological sovereignty particularly in Germany, and suggest a definition and three-pronged analysis framework to understand the key political challenges in implementing the concept. In today‘s highly connected world order, there is no sovereignty without a measure of interdependence. For Germany and Europe, this translates into a “transatlantic sovereignty“ in close alignment with the USA as a principal partner.

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© Der/die Autor:in 2023

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DOI: 10.2478/wd-2023-0115