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Deutschland hat endlich ein Heizungsgesetz. Nach wochenlangem Streit gibt es eine Lösung. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte ist: Das Gebäudeenergiegesetz ist ein Kompromiss, und zwar ein schlechter, zumindest für den Klimaschutz. Das Gebäudeenergiegesetz, kurz GEG, sah im ersten Entwurf vor, dass ab Januar 2024 möglichst jede neu eingebaute Heizung zu mindestens 65 % mit erneuerbarer Energie betrieben werden soll. Im jetzigen Kompromiss soll diese 65 %-Vorgabe wohl nur noch für „Neubauten in Neubaugebieten“ gelten. Somit dürfen in „Neubauten außerhalb von Neubaugebieten“ genau wie in Bestandsgebäuden weiterhin neue fossile Gasheizungen eingebaut werden – einzige Einschränkung: sie sollen „Wasserstoff-ready“ sein. Dazu sollen großzügige Übergangsfristen und Ausnahmen, umfangreiche Förderung und sozialer Ausgleich kommen sowie eine vorgelagerte Wärmeplanung der Kommune oder Region. So steht es in den aktuellen Leitplanken des Kompromisspapiers. Klingt nicht schlecht, hat aber einen ziemlichen Haken: Bis ein „klimaneutrales wasserstofffähiges Gasnetz“ geschaffen ist, wird locker ein Jahrzehnt vergehen, wenn es denn überhaupt kommt. Außerdem ist Wasserstoff extrem kostbar; er ist quasi der Champagner unter den Energieformen. Diese teure Energie im Gebäudesektor zu nutzen, ist ineffizient und pure Verschwendung. Es braucht drei- bis fünfmal so viel (erneuerbare) Energie, um Wasserstoff herzustellen, wie wenn man die (erneuerbare) Energie direkt nutzen würde. Vernünftigerweise sollte Wasserstoff deswegen nur dort eingesetzt werden, wo es keine direkt-elektrische Alternative gibt: etwa in der Stahl- oder der Zementindustrie. Selbst wenn man wollte, müsste der Ausbau der erneuerbaren Energien radikal forciert werden; angesichts des langsamen Ausbautempos scheint das illusorisch. Mit der Formel „Wasserstoff-ready“ wird der Gasheizungs-Kundschaft also eine kaum realistische Technologieoffenheit bloß vorgegaukelt. Schlimmstenfalls werden die Gasheizungen also bis 2045 weiter fossil betrieben.

Das nächste Problem: Wer beim Warten auf den Wasserstoff-Godot weiter mit Gas oder Öl heizt, muss irgendwann mit massiv steigenden Kosten rechnen. Denn um die international vereinbarten Klimaziele und eine dafür ausreichende Lenkungswirkung im Gebäudesektor zu ermöglichen, müsste der CO2-Preis kontinuierlich steigen. Denn Lenkungswirkung entsteht nur durch klare Preissignale. Die Preisentwicklung müsste also heute festgelegt und öffentlich klar kommuniziert werden. Nur dann würde für die Heizkunden erkennbar, ob und wann sich ein Wechsel zu erneuerbaren Energien lohnt – nämlich jetzt! Erstaunlich: Denn die FDP fordert doch stets, die Wärmewende über den Markt, also den CO2-Preis, steuern zu wollen. Trotzdem ist im GEG-Kompromiss von einem höheren CO2-Preis nicht die Rede. Hat hier jemand mal wieder Angst vor der eigenen Courage? Sobald fossile Preise wirklich steigen, besänftigen Regierungen die aufgeschreckte Bevölkerung mit Gaspreisbremsen und Tankrabatten. So wird das nichts mit der Wärmewende! Der GEG-Kompromiss ist weder Fisch noch Fleisch, weder Markt noch Ordnungspolitik. Dabei wissen wir aus vielen Forschungen, dass sich die Menschen mit eindeutigen Vorgaben wohler fühlen, selbst wenn sie sich kurzzeitig vielleicht aufregen. Ein klares Einbauverbot von Öl- und Gasheizungen ab einem bestimmten Zeitpunkt wäre unterm Strich einfacher. Das mag zwar kurzzeitig Zucker für den Populismus sein, aber mutloses Taktieren befeuert den Populismus erst recht; spätestens wenn die Menschen irgendwann durchschauen, dass ihnen kein reiner Wein eingeschenkt wurde.

Das Schlimmste aber ist: Die Klimaziele 2030 sind mit diesem GEG nicht mehr erreichbar. Über 40 Mio. Tonnen CO2-Emissionen müssen bis 2030 im Gebäudesektor eingespart werden. 2045 darf es nur noch emissionsfreie Gebäude geben. Heizungen halten aber meist länger als 20 Jahre. Wer in den nächsten Jahren noch Geld in neue fossile Heizungen investiert, wird die Lebenszeit der Geräte also kaum noch ausnutzen. Ein teures Unterfangen also, zumal die Gas- und Ölpreise steigen, selbst wenn sie gebremst sind. Deswegen sollte vor allem die energetische Gebäudesanierung im Fokus stehen. Energiesparen muss unabhängig von der Energiequelle höchste Priorität haben. Egal ob mit billiger erneuerbarer Energie oder mit edlem Wasserstoff erwärmt, warme Raumluft sollte nicht durch schlecht isolierte Fenster, Wände oder Dächer entweichen. Angesichts der steigenden Zahl an Hitzetagen geht es zunehmend auch darum, Räume im Sommer kühl zu halten. Die Energieeffizienz der Gebäude hat oberste Priorität!

Ein Blick ins Ausland lohnt. Was den Einbau von besonders effizienten Wärmepumpen angeht, steht Deutschland auf dem vorletzten Platz in Europa. Viele andere Länder treiben seit Jahrzehnten sehr effektiv die Wärmewende voran. Dänemark beispielsweise hat schon vor über 40 Jahren begonnen und jede Region verpflichtet, ein fossilfreies Wärmesystem aufzubauen. Im Ergebnis hat Dänemark heute den europaweit höchsten Anteil von Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen, eine sehr effiziente Form der Energiegewinnung. Der Anteil von Fernwärme liegt in Dänemark bei 60 %, in Deutschland nur bei 14 %. In Dänemark stammen über 50 % der Fernwärme-Energie aus erneuerbaren Quellen, in Deutschland nur etwa 20 %. Der Einbau von Öl- und Gasheizungen ist in Dänemark seit 2013 im Neubau verboten; seit 2016 dürfen alte Heizkessel nicht mehr gegen neue fossil befeuerte Heizkessel getauscht werden. Und: Fossile Brennstoffe werden seit langem hoch besteuert. So geht Wärmewende!

In Deutschland wird stattdessen gezaudert und gezögert, als drohe der Untergang des Abendlandes. Ausgerechnet das einstige Industrie- und Innovationsland Deutschland scheut die Modernisierung. Offenbar fruchten die Kampagnen der fossilen Industrie, vor allem der Gasindustrie, die ein aktives Interesse daran hat, die teuren Gasnetze möglichst lange zu erhalten und ergo um jeden einzelnen Gaskessel kämpft. Es geht um die Vermeidung von „Stranded Assests“, also in den Sand gesetzte Investitionen. Das Gebäudeenergiegesetz ist vor allem ein großes Zugeständnis an die Gaslobby. Zu allem Überfluss wird jetzt obendrein das Klimagesetz dahingehend aufgeweicht, dass die Sektorziele entfallen. Die sollten dafür sorgen, dass jeder Sektor (Industrie, Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft, Energie) spezifische Ziele erreicht, um das Gesamtziel sicher zu erreichen. Jetzt soll der eine Sektor dem anderen quasi aushelfen. Frühere Erfahrungen haben aber gezeigt, dass jeder Sektor lieber auf die schwachen Leistungen der anderen deutet als selbst aktiv zu werden. Um diesen Stillstand zu beenden, sind die Sektorziele überhaupt eingeführt worden. Jetzt fällt die Ampelregierung, die sich doch Modernisierung und Fortschritt auf die Fahnen geschrieben hatte, hinter die alte Regelung der GroKo zurück. Da absehbar weder der Verkehrssektor noch der Gebäudesektor diese Ziele erreichen, müssten vor allem der Energiesektor und der Industriesektor stärker Emissionen senken als geplant. Doch zur Überkompensation wird es hier kaum reichen, auch wenn die Industrie durch die Gaskrise bereits ihre Emissionen gesenkt hat und selbst wenn der Ausbau der erneuerbaren Energien nun deutlich schneller gehen sollte. Unterm Strich wird Deutschland seine Klimaziele nicht einhalten können. Ein Desaster! Nichthandeln ist teuer. Die Kosten der Klimaschäden steigen unaufhörlich weiter. Wir zahlen bereits heute einen enorm hohen Preis für die verschleppte Energiewende. Wir werden einen nochmal höheren Preis für die verschleppte Wärmewende zahlen. Und wir verpassen die Chancen einer global boomenden Klimaindustrie. Dabei gäbe es so viel zu gewinnen: Ökonomische Resilienz, Wertschöpfung, Arbeit. Worauf warten wir noch? Wirklich auf Godot?

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© Der/die Autor:in 2023

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DOI: 10.2478/wd-2023-0105