„Mehr oder weniger Staat?“ ist nicht die einzig entscheidende Kategorie. Es geht auch um die Fragen: Wie ist der Staat organisiert? Wie setzt die öffentliche Verwaltung Steuergelder ein und welche Leistungen erbringt sie damit? Die Antwort darauf, wie leistungsfähig die Verwaltung ist, ist so wichtig, da epochale Veränderungen drängen: Dekarbonisierung, Digitalisierung, demografischer Wandel und De-Risking. Überall dort wird die Verwaltung gebraucht, um die Weichen zu stellen. Doch ist die Verwaltung dazu in der Lage? Die föderale Struktur aus EU, Bund, Ländern und Gemeinden führt zu einer komplexen Ausgangslage, die differenzierte Antworten erfordert. In Deutschland folgt die öffentliche Verwaltung dem Subsidiaritätsprinzip und wird zu großen Teilen von den Ländern und Gemeinden ausgeführt. Dabei gibt es im öffentlichen Dienst einen besonderen institutionellen Schutz und eine hierarchische Struktur, die auf oberster Leitungsebene politisch ist. Das Verwaltungshandeln muss rechtmäßig, wirtschaftlich, legitim und effektiv sein. Wirtschaftliche Effizienz ist also nur eines der Ziele. Mithilfe des Theoriegebäudes „neues Steuerungsmodell“ wurde seit den 1990er Jahren versucht, die öffentliche Verwaltung effizienter zu machen.1
Verwalten wie zu Bismarcks Zeiten
Bisherige Reformen ließen die alten Strukturen weitestgehend unangetastet. Unsere Verwaltung beruht immer noch auf den Ideen des 19. Jahrhunderts, als Preußen einen bemerkenswerten Standard setzte. In einer digitalisierten Welt, die existenziell vom Klimawandel bedroht ist, können die Antworten von damals aber nicht ungeprüft fortgeschrieben werden, nur weil die politisch Verantwortlichen die Stakeholder nicht verprellen wollen! Hier wird einem (nachvollziehbaren) Impuls des geringsten Widerstandes nachgegeben, anstatt Vorschläge zu machen, wie die Verwaltung zukunftsfest wird. Als Preußen Großmacht wurde, musste der Staat zunächst vor allem sein Territorium nach innen und außen schützen sowie die Finanzen sichern. Später kamen Wirtschaftsförderung und Leistungen des Wohlfahrtsstaats hinzu. Heute steht der Staat mit Dekarbonisierung, Digitalisierung, demografischer Wandel und De-Risking vor weiteren Aufgaben. Diese Veränderungen gilt es zum Wohle seiner Bürger:innen zu gestalten. Um die nötigen Reformen auf den Weg zu bringen, wird politisches Kapital benötigt. Damit die Beharrungskräfte der Verwaltung überwunden werden können, muss jede Reform Mehrwert auf institutioneller und individueller Ebene schaffen.
Ineffizient, intransparent und zu weit weg von den Bürger:innen
In deutschen Amtsstuben wird gründlich und korrekt gearbeitet. Sowohl während der Fluchtbewegungen aus Syrien, der Coronapandemie als auch während der Energiekrise hat die Verwaltung insgesamt gezeigt, dass sie zügig und angemessen handeln kann. Gleichzeitig haben diese Krisen auch Schwächen offengelegt. Die Pandemie hat gezeigt, dass z. B. die Datenerhebung verbessert werden muss und es vielfach zu wenige Anreize gibt, um mutige Entscheidungen zu treffen, wenn Probleme schnell gelöst werden müssen oder Gesetze nicht eindeutig sind. Die Mitarbeiter:innen benötigen Ermessensspielräume, um adäquat handeln zu können. Angela Merkel sprach gegen Ende ihrer vierten Amtszeit von einer „Schnittstellenrepublik“ und brachte damit zum Ausdruck, dass selbst sie zum Teil an den zähen Prozessen im föderalen System scheiterte. Von einer Krise der administrativen Wirksamkeit spricht Michael Hüther. Diese Krise werde durch mangelnde Zielsetzung, Strukturprobleme, Verwaltungsprozesse, mangelnde Digitalisierung und unzureichendes E-Government befeuert. Zudem sind Planungs- und Genehmigungsverfahren oftmals langsam und die Versuche, das zu ändern, noch nicht erfolgreich.2 Diese Regulierungsdichte lähmt nicht nur Bürger:innen und Unternehmen, sondern auch die Verwaltung.
Die Zeit ist reif, den Staat zukunftsfest zu machen
Die öffentliche Verwaltung muss sich am Output und am Ressourceneinsatz messen lassen. Auch einzelne Mitarbeiter:innen sollten konkret Rechenschaft über ihre Arbeitsleistung ablegen und die jeweilige Organisationseinheit die Erreichung der Ziele verantworten. Manchmal fehlt auch die nötige Erkenntnis, dass die Verwaltung vom Souverän bezahlt und damit dem Gemeinwohl verpflichtet ist. Zu oft kreist die Verwaltung um sich selbst und hat zuvorderst die Ausweitung des eigenen Budgets im Sinn. Ebenso muss über Mechanismen nachgedacht werden, die Anreize und Sanktionen für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes schaffen. Es darf nicht sein, dass, sobald die Beamtenurkunde ausgehändigt ist, der Dienstherr vor allem auf die intrinsische Motivation der Beamt:innen hoffen muss.3
Politisch hat die Frage nach einer tiefen Reform der öffentlichen Verwaltung keine Priorität, weil im Dickicht aus föderaler Struktur und Subsidiarität keine einfachen Antworten zu erkennen sind und das obwohl zumindest einige Ziele von Demokrat:innen einhellig unterstützt werden müssten: Ein leistungsfähiger Staat, der effizient mit seinen Ressourcen umgeht und versteht, dass er den Bürger:innen Rechenschaft und Transparenz schuldet. Schon aus Eigeninteresse sollte die Verwaltung an einer nachvollziehbaren Mittelverwendung und funktionierendem Verwaltungshandeln interessiert sein, um die Legitimität nicht zu verlieren und die Bürger:innen davon zu überzeugen, dass staatliches Handeln zielgerichtet sein kann. Das wachsende Lager der Nicht- und Rechtsaußen-Wähler:innen macht deutlich, dass viele das Vertrauen in den Staat bereits verloren haben. Dabei wäre eine verlässliche und an den Bürger:innen orientierte Verwaltung die beste Visitenkarte, um Vertrauen zurückzugewinnen!4
Die Herausforderungen sind zu drängend und die Verwaltungen zu wichtig, um nicht zu handeln: Es liegt grosso modo kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem vor! Und für die Umsetzung politischer Ziele ist die Verwaltung zuständig – von A wie Agrarsubventionen, über B wie Baurecht und D wie Datenschutz bis Z wie Zugverkehr. Daher sollten im Parteienwettbewerb die Debatten jetzt geführt werden, wie wir zu einer zukunftsfesten Verwaltung kommen. Dabei dürfen nicht die Partikularinteressen von Beamt:innen oder Unternehmer:innen entscheiden, sondern der gemeinsame Wille, Steuern so sinnvoll wie möglich zu verwenden. Sinnvoll wäre es die Verwaltung zu vereinfachen und bürgernäher zu machen, Regeln zu streichen, Unternehmen und Bürger:innen One-Stop-Shops anzubieten und eine gut ausgestattete Digitalagentur die Modernisierung der deutschen Verwaltung vorantreiben zu lassen.
- 1 In diesem Modell wurden auf Grundlage des New Puplic Management eine Markt- und Outputorientierung, dezentrale Strukturen sowie eine an den Bürger:innen ausgerichtete Verwaltung gefordert. Zu nennen ist exemplarisch der Versuch, von kameralistischer auf kaufmännische Buchführung (Doppik) umzustellen. Die Idee ist richtig, wird aber aus politischen Gründen nur teilweise umgesetzt.
- 2 Eine der Ausnahmen stellt die schnelle Genehmigung der Flüssiggasterminals in Wilhelmshaven 2022 dar.
- 3 Mitarbeiter:innen sollten auch flexibler bezahlt werden können. Vor allem bei IT- und Ingenieur:innen-Stellen ist die vorgesehene Bezahlung oft zu niedrig, um die Stellen adäquat zu besetzen.
- 4 Auf EU-Ebene ist Gaia-X hervorzuheben (Dateninfrastruktur) und auf Ebene der Gebietskörperschaften das Onlinezugangsgesetz, das aus Sicht des Nationalen Normenkontrollrates bisher gescheitert ist.