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Dieser Beitrag ist Teil von Wachstum und Wohlstand in Deutschland

Zur Erreichung der ökologischen Nachhaltigkeitsziele muss in den nächsten beiden Jahrzehnten eine „Große Transformation“ (WBGU, 2011) von Wirtschaft und Gesellschaft gelingen. Dabei soll der Wohlstand der Nation und seiner Bürger:innen erhalten bleiben. Die Bundesregierung stellt sich dieser Herausforderung jenseits des Krisenmodus, der ihr unter anderem durch den Ukrainekrieg und die Inflation aufgezwungen wird. Die Soziale Marktwirtschaft soll zur Sozial-ökologischen Marktwirtschaft weiterentwickelt werden (SPD et al., 2021). Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) stellt den Grundgedanken „Wohlstand erneuern“ in den Vordergrund und hat dazu sowohl im Jahreswirtschaftsbericht (BMWK, 2023a) als auch in einem aktuellen Werkstattbericht „Wohlstand klimaneutral erneuern“ (BMWK, 2023b) Bausteine vorgelegt. Erhebliche Lücken bestehen aber weiterhin in der langfristigen strategischen Orientierung (z. B. Kurz, 2019; WPKS, 2023). Insbesondere wird der zentralen Frage des langfristigen Wachstumstrends wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Damit wird eine wesentliche strategische Dimension für gelingende Transformation und Wohlstandssicherung vernachlässigt. Eine zukunftsfähige Strategie muss den Test der Wachstumsunabhängigkeit bestehen. Nur wenn sie auch ohne Wirtschaftswachstum zur Zielerreichung führt, kann eine Strategie als „resilient“ (WPKS, 2023) bezeichnet werden.

Zielkonflikt: Klimaschutz oder Wirtschaftswachstum

Geht man von der simplen Identität CO2 = CO2/BIP * BIP aus (die zur viel zitierten IPAT-Equation erweitert werden kann), so ergeben sich zwei strategische Optionen zur Reduktion der CO2-Emissionen: das gesamtwirtschaftliche Produktionsvolumen (reales BIP) und die CO2-Intensität der Produktion (CO2/BIP). In Deutschland sind die CO2-Emissionen von 1990 bis 2020 um ca. 40 % gesunken; gleichzeitig ist das BIP (real) um ca. 40 % gewachsen. Die CO2-Intensität CO2/BIP ist also um mehr als 60 % gesunken, d. h. die Dekarbonisierungsrate lag bei ca. 2,8 % p. a. Innerhalb von zwei Jahrzehnten müssten nun die CO2-Emissionen von 746 Mio. t (2022) auf eine im Klimaschutzgesetz (KSG) vorgesehene Rest-Emission 2045 von 40 Mio. t (kompensiert durch bio-basierte und/oder technische Negativ-Emissionen) sinken. Dazu wäre eine Dekarbonisierungsrate von mehr als 10 % p. a. erforderlich. Im Ergebnis müsste sich also die Dekarbonisierungsrate ab sofort und über zwei Jahrzehnte anhaltend mehr als verdreifachen, die Reduktionsmenge in den nächsten Jahren bei ca. 70 Mio. t p. a. liegen. Tatsächlich ist 2022 eine Reduktion um nur 14 Mio. t erreicht worden. Ein solcher Quantensprung ist nicht unmöglich. Die Hoffnung auf einen Quantensprung darf aber nicht zur alleinigen strategischen Grundlage der Klimapolitik gemacht werden – zumal zeitgleich auch die Entkoppelung der Wirtschaftsaktivität von Stoffströmen (Dematerialisierung) und vom Flächenverbrauch (Artenschutz, Biodiversität) gelingen muss.

Im relevanten Transformationszeitraum ist daher von einem Zielkonflikt zwischen Wirtschaftswachstum (reales BIP) und Klimaschutz (Klimaneutralität 2045) auszugehen, der sich allein mit neuen Technologien (Effizienz und Substitution) nicht auflösen lässt. Zwar ist absolute Entkoppelung möglich und findet statt, verläuft jedoch viel zu langsam. Weil der Zielkonflikt zunehmend (an)erkannt wird, nehmen Bemühungen zu, technische Entnahmeverfahren (CCS, DAC etc.) zu forcieren (WPKS, 2023). Allerdings werden auch mit dieser Option lediglich Klimarisiken verlagert (in Deponien) und es können damit bis 2045 keine signifikanten Effekte erzielt werden. Es muss daher auch die umfassende Reduzierung von Produktion und Konsum (in reichen Ländern) als strategische Option in Betracht gezogen werden. Neben „anders produzieren und konsumieren“ tritt „weniger konsumieren“ in allen Bedarfsfeldern. Damit wird nicht nur Technikänderung, sondern auch Verhaltensänderung (Konsumgewohnheiten, Lebensstile, Arbeitsformen) angesprochen. Makroökonomisch bedeutet das ein kleineres BIP bzw. ein kleineres Produktionspotenzial (Schrumpfung). So können alle Energie- und Stoffströme (Emissionen) sowie der Flächenverbrauch gesenkt werden. Diese Option hat bislang in Wissenschaft und Politik zu wenig Aufmerksamkeit erfahren und steht hier im Mittelpunkt. Welche Wahrscheinlichkeit ein solche Entwicklung hat, ist im nächsten Schritt zu prüfen.

Wachstumsschwäche und Schrumpfungsperspektive

Die sinkenden Wachstumsraten und die Wachstumsschwäche (nicht nur in Deutschland) sind gut dokumentiert und viel diskutiert worden (z. B. SVR, 2022; Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose, 2023; Vollrath, 2020; Duernecker und Sanchez-Martinez, 2023). Auch die wichtigsten Gründe dafür scheinen wenig kontrovers. Das BIP (bzw. das Produktionspotenzial) wird nicht weiter wachsen, da von allen Bestimmungsfaktoren des Wachstums (A = Arbeit, K = Kapital, T = technischer Fortschritt) Bremseffekte ausgehen:

BIP = BIP (↓A, ↓K, ↓T)

Empirisch ergibt sich für Deutschland folgendes Bild:

  1. Die jährliche Wachstumsrate lag 1990 bis 2020 bei 1,2 %. In der aktuellen Gemeinschaftsdiagnose wird mittelfristig (bis 2027) noch mit einer Wachstumsrate von 0,7 % p. a. gerechnet (Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose, 2023, 61 ff.). Es wird auch ein Szenario (mit dem Produktionsfaktor Energie) gerechnet, in dem die Wirtschaftsleistung schon bis 2030 um 14 % sinkt (83 ff.). In längerfristigen Szenarien (bis 2060), wie sie z. B. dem Tragfähigkeitsbericht des Bundesministeriums der Finanzen zugrunde liegen (BMF, 2020; Werding et al., 2020), wird mit einer Wachstumsrate zwischen 0,5 % und 1,1 % p. a. gerechnet.
  2. Diese Ergebnisse der Wachstumsprojektionen gehen von Annahmen aus, die sich als zu optimistisch erweisen dürften:
    • Das Arbeitsangebot könnte noch stärker sinken (weniger Netto-Zuwanderung, sinkende Erwerbstätigenquote und/oder Arbeitszeit).
    • Sowohl der private als auch der öffentliche Kapitalstock wachsen faktisch nicht, sondern schrumpfen, wenn man die signifikant höheren Abschreibungen (stranded assets) im ökologischen Strukturwandel (und in der geostrategischen Neuorientierung) berücksichtigt.
    • Der Trend des Produktivitätswachstums wird aus der Vergangenheit fortgeschrieben. In disruptiven Transformationsprozessen kann ein Rückgang der Arbeitsproduktivität nicht ausgeschlossen werden (dazu Gordon, 2016), sodass von der totalen Faktorproduktivität kein positiver Wachstumsbeitrag ausgeht.

Insgesamt muss mit einer dauerhaft negativen Wachstumsrate gerechnet werden – zumindest ist ein solches Szenario nicht mit hinreichender Sicherheit auszuschließen.

  1. Mit der konventionellen Berechnungsmethode (Growth Accounting) wird nicht erfasst, welche (weiteren) Einschränkungen der Produktion sich ergeben, wenn implizit unterstellte Potenzialfaktoren ihre Leistung nicht mehr voll abgeben: vom Naturkapital N über das Sozialkapital S bis hin zu stabilen Institutionen I. In einer vollständigen Produktionsfunktion kämen also weitere bremsende Faktoren hinzu:

BIP = BIP (↓A, ↓K, ↓T, ↓N, ↓S, ↓I)

Ohne das (zum Teil der Datenlage geschuldete) „Mismeasuring“ wäre die Schrumpfung des Produktionspotenzials deutlicher erkennbar.

  1. Selbst wenn das BIP nicht sinken sollte, sondern nur die Wachstumsrate weiter gegen null konvergiert, wird es aufgrund der zunehmenden Staatsaufgaben und der (demografiebedingten) Belastungen der sozialen Sicherungssysteme zu einem Anstieg der Steuer- und Abgabenquote kommen – und damit zum Sinken der verfügbaren Einkommen. Das erzwingt (bei konstanter Sparquote) einen dauerhaften Rückgang des Konsums.
  2. Zur Illustration eine einfache Beispielrechnung: Wenn das Konsumbudget von heute 100 über 20 Jahre um 1 % p. a. wächst, erreicht es ein Niveau von ca. 120; wenn es dagegen um 1 % p. a. sinkt, wird nur 80 erreicht (in etwa das Niveau des Jahres 2000). Es entsteht eine riesige „Erwartungs-(Frustrations-)Lücke“: Wer tatsächlich 80 erhält und weiter einer Wachstumsvorstellung nachhängt, hatte 50 % höhere Konsummöglichkeiten (120) erwartet – und ist entsprechend frustriert, wütend, politikverdrossen, systemkritisch. Damit ist das zentrale Resilienzproblem umrissen.

Die vorherrschende Antwort auf die „Wachstumsschwäche“ und das absehbare Schrumpfen der Wirtschaft, ist eine Verstärkung der Wachstumspolitik mit dem Ziel einer Rückkehr zu hohen Wachstumsraten. Dazu könnte eine eher „konventionell“ angelegte Angebotspolitik (z. B. von Bundesfinanzminister Lindner, dazu Kurz, 2022) dienen oder aber eine „zeitgemäße Interpretation“ in der BMWK-Konzeption einer „transformativen Angebotspolitik“ (BMWK, 2023c). Angesichts der dargelegten massiven Veränderungen der Wachstumsdeterminanten darf nicht unterstellt werden, dass damit ein (klimaverträglicher) Wachstumspfad erreicht werden kann. Vielmehr muss auch gefragt werden, wie die Lücke, die das über Jahrzehnte gepflegte eindimensionale Wachstumsversprechen hinterlässt, (rasch) geschlossen werden könnte.

Wohlstand erneuern

Grundsätzlich ist es möglich, das Wohlstandsversprechen aufrechtzuerhalten und zu erneuern. Mit dem Wirtschaftswachstum endet weder Fortschritt und Innovation noch müssen alle Wohlstandshoffnungen begraben werden. Wohlstand hängt nicht nur vom Einkommen (BIP bzw. BIP/Kopf) ab, sondern auch von einer Vielzahl anderer Bestimmungsfaktoren jenseits des Einkommens, z. B. (Verteilungs-)Gerechtigkeit, (soziale) Sicherheit, öffentliche Güter, Arbeitsbedingungen, Freizeit, Gesundheit und Umweltqualität. Vereinfachend kann man daher die gesellschaftliche Wohlfahrtsfunktion W = W (BIP, X) formulieren, in der X für die Gesamtheit der Bestimmungsfaktoren jenseits des Einkommens steht. Durch Verbesserung des Faktorbündels X kann es gelingen, das Wohlstandsversprechen weiterhin aufrechtzuerhalten:

W = W (↓BIP, ↑X) mit Wt ≥ W0

Die Etablierung einer neuen Wohlstandsperspektive ist im Kern ein umfassender Kulturwandel und die Durchsetzung eines neuen Grundkonsenses über gesellschaftliche Prioritäten. Die Debatte darüber wird seit Jahrzehnten geführt, hat eine umfangreiche Literatur mit einer Vielzahl von Vorschlägen zur Definition und zur Messung von Wohlstand hervorgebracht (z. B. BUND und Misereor, 1996; Stiglitz et al., 2010; Enquete-Kommission, 2013; Jackson, 2017; Petschow und aus dem Moore, 2018; OECD, 2020; Kurz, 2020). Zu den politisch sichtbaren und wirksamen Ergebnissen zählen die UN SDG (2015) und die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie (aktueller Stand 2021). Ein Perspektiven- oder gar Paradigmenwechsel hat aber nicht stattgefunden. Bislang ist es nicht gelungen, die Dominanz der eindimensionalen BIP-Orientierung in der politischen Praxis zu brechen.

Innerhalb von wenigen Jahren hat nun allerdings der Problemdruck extrem zugenommen. Die eskalierenden ökologischen Krisen sind verstärkt worden durch die Krisentreiber Pandemie, Krieg, geostrategische Polarisierung – insgesamt eine Zeitenwende weit jenseits des Wehretats. Angesichts der getrübten Wachstumsaussichten ist nun eine breitere Wohlstandsperspektive „systemrelevant“. Sie muss unter Krisenbedingungen und unter erheblichem Zeitdruck entwickelt und umgesetzt werden. Eine ausgearbeitete Konzeption dafür liegt nicht vor. Stattdessen gibt es eine Vielzahl von Sektorenzielen und Teil-„Strategien“ – von Bioökonomie bis Wasserstoff. Das Strategie-Defizit ist unübersehbar (auch WPKS, 2023). Was muss angesichts dieser Ausgangslage jetzt getan werden, damit „slower by design, not disaster“ (Victor, 2008) noch gelingen kann? Wie können Wohlstand und Wachstum entkoppelt werden (Wachstumsunabhängigkeit)? Der notwendige Paradigmenwechsel, die Ablösung des Wachstumsimperativs (Entscheidungen unter „Wachstumsvorbehalt“) durch breit angelegte Wohlstandspolitik, betrifft alle Politikbereiche. Einige zentrale Aufgabenstellungen und Handlungsfelder sind:

  • Erwartungsmanagement: Über Jahrzehnte geprägte Erwartungen müssen sich verändern. Die Erfüllung immer neuer Konsumwünsche ist nicht mehr möglich. Stattdessen werden auf alle Bürger:innen „Zumutungen“ (Robert Habeck) zukommen, d. h. vor allem Lernprozesse, wie gutes Leben mit geringerem Einkommen möglich ist. In einer wachstumsfixierten Gesellschaft ist das „inconvenient truth“ (Al Gore). Es finden sich daher nur wenige Akteure, die diesen gesellschaftlichen Lernprozess vorantreiben. Für jede Akteursgruppe (Parteien, Gewerkschaften, Unternehmen, Kirchen, Wissenschaft etc.) ist damit hoher Aufwand verbunden, dem kurzfristig kein gruppenspezifischer Ertrag gegenübersteht. Der hohe Aufwand entsteht nicht nur durch die Trägheit von Gewohnheiten und Institutionen, sondern auch durch organisierten Widerstand (potenzieller) Verlierergruppen. Ohne Akteure, die bereit sind, eine Führungsrolle zu übernehmen, vollzieht sich die Korrektur (Modernisierung) der mentalen In­frastruktur viel zu langsam. Dann werden die zunehmenden Schocks Lernprozesse erzwingen, die weit jenseits der „comfort zone“ liegen und daher Blockaden aller Art auslösen. Wenn es aber nicht gelingen sollte, die Erwartungen zu korrigieren und das Wohlstandsversprechen mit neuen Inhalten zu füllen, d. h. zu erneuern, dann ist die freiheitliche Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung im Kern bedroht. Es müssen daher jetzt alle Formen und Foren für diesen dringlichen gesellschaftlichen Diskurs genutzt und gestärkt werden.
  • Verteilung: Ohne Wachstum fehlt ein „social mollifier“. Es wird nicht mehr möglich sein, Verteilungskonflikte durch „Vergrößerung des Kuchens“ zu befrieden. Zu den ungelösten Verteilungsproblemen aus der Vergangenheit kommen nun die Zusatzlasten von Transformation, Krieg und globaler Polarisierung hinzu. Daher wird ein massiver Zugriff auf die hohen Einkommen und Vermögen unvermeidbar sein und es wird auch die Belastung der mittleren Einkommensschichten zunehmen. Nur so können die unteren Einkommensschichten und die vulnerablen Gruppen so geschützt werden, wie es dem Leitbild der Sozial-ökologischen Marktwirtschaft entspricht. Eine höhere Steuer- und Abgabenlast wird auch notwendig sein, um die Leistungsfähigkeit der Sozialen Sicherungssysteme zu stabilisieren, die ohnehin (unter anderem durch Demografie und Pandemie-Vorsorge) unter Stress stehen. Damit nähert man sich kritischen Grenzen der Abgabenbelastung. Gefragt ist daher die Balance auf dem schmalen Grat zwischen mehr Verteilungsgerechtigkeit und dem Überschreiten von sozioökonomischen Kipppunkten.
  • Staat: Im Transformationsprozess werden die Anforderungen an den Staat zunehmen (vgl. auch WBGU, 2011). Das betrifft alle Staatsaufgaben:

• Die Allokationsfunktion des Marktes allein ist in vielen Sektoren überfordert und verlangt nach staatlicher Flankierung und Mitwirkung. Der Staat wird viel stärker in die Gestaltung des Strukturwandels verwickelt – von der Energiewirtschaft über die Stahlindustrie und die Autoindustrie bis zu Chemie und den „Hightech“-Zukunftsmärkten. Die Gewährleistung von Effektivität und Effizienz staatlicher Industriepolitik wird damit zur Herausforderung. Es drohen Subventionswirtschaft und Protektionismus.

• Die Distributionsfunktion gewinnt in einer Wirtschaft ohne Wachstum an Bedeutung. Durch die Beschleunigung des Strukturwandels im Transformationsprozess entstehen mehr Verlierergruppen, es wachsen Angst und Bedrohung durch sozialen Abstieg. Staatlich geschaffene Sicherheit und Gerechtigkeit sichert Akzeptanz und verhindert, dass Verteilungskonflikte eskalieren. Damit stellt sich die Frage, wie es gelingen kann, dass der Staat die Distributionsfunktion wirksamer als in der Vergangenheit ausübt.

• Stabilisierungsfunktion: Bei der Stabilisierungsfunktion sind keine Entlastungen zu erwarten, weil die Krisenanfälligkeit der Volkswirtschaft im Schrumpfungsprozess eher zu- als abnehmen dürfte. Viel politische Aufmerksamkeit wird daher immer wieder durch Krisenmanagement gebunden sein.

Die Notwendigkeit eines starken, leistungsfähigen Staates trifft auf einen Staat, der Jahrzehnte der Vernachlässigung hinter sich hat. Die Modernisierung und das „capacity building“ (auch personell) wird Jahre dauern, in denen die öffentliche Wahrnehmung vor allem „Staatsversagen“ sein wird.

  • Außenwirtschaft und globale Verantwortung: Eine Konsequenz der globalen ökologischen Krisen und (der Einschränkung) des Ressourcenraubbaus sind höhere (Rohstoff-)Kosten und Zahlungsforderungen an Deutschland (Reparationszahlungen, „loss & damages“), die weit über 0,7 % des BIP hinaus gehen. Hinzu kommt durch den Ukrainekrieg und die chinesische Expansionsstrategie der gleichzeitige Verlust sowohl der Friedensdividende als auch der Globalisierungsdividende. Nun fallen hohe Kosten für Kriegsführung und für Aufrüstung an. Es entfallen Effizienzvorteile der internationalen Arbeitsteilung bzw. diese müssen durch Neustrukturierung von Lieferketten erst wieder aufgebaut werden. Alle Einschränkungen des Freihandels und Formen des Protektionismus werden vor allem für das exportorientierte deutsche Geschäftsmodell zur Belastung. Im Hinblick auf (europäische) Souveränität und Sicherheit muss die Abhängigkeit von globalen Stoffströmen, Lieferketten und Absatzmärkten aber zwingend reduziert werden. Die ökologischen Ziele der Dematerialisierung und Kreislaufwirtschaft haben eine Freiheitsdimension. Gesucht ist also eine Außenwirtschaftspolitik, die einen Entkopplungs-Schock vermeidet, Kooperationsmöglichkeiten (im Hinblick auf die Global Commons) offenhält, aber nicht „naiv“ ist und damit aggressives Verhalten toleriert und befeuert.

Fazit

Mit dem Ende des Wachstums und dem Übergang in eine Schrumpfungsphase sind ökologische Entlastungseffekte verbunden – aber eben auch sozioökonomische Effekte, die den Transformationsprozess erschweren. Niemand kann heute mit Sicherheit diagnostizieren, dass das Wachstumszeitalter (unter anderem für Deutschland) vorbei ist. Wer diese Möglichkeit aber vollständig ausschließt, handelt fahrlässig. Die Analyse der Bestimmungsfaktoren des Wirtschaftswachstums zeigt, dass die Wahrscheinlichkeit von Schrumpfung zunimmt. Die dominierende Reaktion darauf ist eine Politik, die auf Restauration gerichtet ist und die Machbarkeit von Wirtschaftswachstum verspricht. Notwendig wäre aber eine Politik, die auf WachstumsUNabhängigkeit gerichtet ist. Dazu ist eine Neuorientierung weg vom eindimensionalen Wachstum und hin zu einer breiter angelegten Wohlstandsperspektive unverzichtbar. Das BMWK ist mit dem Ansatz „Wohlstand erneuern“ auf dem richtigen Weg – allerdings mit Defiziten in der strategischen Orientierung und viel zu zögerlich angesichts des Zeitfensters, das für die Neuorientierung noch zur Verfügung steht. Die Leistungsfähigkeit von Politik und Staat darf nicht überschätzt werden. Die Suche nach einem neuen Wohlstandsmodell sollte nicht primär als Staatsaufgabe begriffen werden. Die ganze Kreativität einer freiheitlichen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung ist im Suchprozess gefordert.

Literatur

BMWK – Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (2023a), Jahreswirtschaftsbericht 2023, https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Schlaglichter-der-Wirtschaftspolitik/2023/02/03-jahreswirtschaftsbericht-2023-wohlstand-erneuern.html (21. Juni 2023).

BMWK – Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (2023b), Wohlstand klimaneutral erneuern. Werkstattbericht, https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Publikationen/Wirtschaft/werkstattbericht-des-bmwk.html (21. Juni 2023).

BMWK – Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (2023c), Zeit für eine transformative Angebotspolitik, https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Infografiken/Schlaglichter-der-Wirtschaftspolitik/2023/05/04-zeit-fuer-eine-transformative-angebotspolitik-download.pdf?__blob=publicationFile&v=4 (21. Juni 2023).

BUND – Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland und Misereor (Hrsg.) (1996), Zukunftsfähiges Deutschland. Ein Beitrag zu einer global nachhaltigen Entwicklung, Studie des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt und Energie, Birkhäuser.

Duernecker, G., M. Sanchez-Martinez (2023), Structural Change and Productivity Growth in Europe – Past, Present and Future, European Economic Review, 151.

Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags (2013), Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität – Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt in der Sozialen Marktwirtschaft.

Gordon, R. J. (2016), The Rise and Fall of American Growth. The U.S. Standard of Living since the Civil War, Princeton University Press.

Jackson, T. (2017), Prosperity Without Growth: Foundations for the Economy of Tomorrow, 2. Aufl.

Kurz, R. (2019), Unsustainable Germany: Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie auf dem Prüfstand, Zeitschrift für Umweltpolitik und Umweltrecht, 42(3), 342-357.

Kurz, R. (2020), Postgrowth, in S. Idowu et al. (Hrsg.), Encyclopedia of Sustainable Management, Springer.

Kurz, R. (2022), Lindner-Papier: Mit Angebotspolitik zurück in die Zukunft?, MAKRONOM, Online-Magazin für Wirtschaftspolitik, 26. Mai, https://makronom.de/christian-lindner-strategiepapier-mit-angebotspolitik-zurueck-in-die-zukunft-41895 (21. Juni 2023).

OECD (2020), Beyond Growth: Towards a New Economic Approach.

Petschow, U., N. aus dem Moore et al. (2018), Gesellschaftliches Wohlergehen innerhalb planetarer Grenzen. Der Ansatz einer vorsorgeorientierten Postwachstumsposition, Umweltbundesamt.

Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose (2023), Inflation im Kern hoch – Angebotskräfte jetzt stärken, Gemeinschaftsdiagnose 1-2023, https://gemeinschaftsdiagnose.de/2023/04/05/gemeinschaftsdiagnose-fruehjahr-2023-inflation-im-kern-hoch-angebotskraefte-jetzt-staerken/ (21. Juni 2023).

SPD, Bündnis90/Die Grünen und FDP (2021), Mehr Fortschritt wagen, Koalitionsvertrag 2021 - 2025.

Stiglitz, J. E., A. Sen und J.-P. Fitoussi (2010), Mismeasuring Our Lives. Why GDP Does Not Add Up. Report by the Commission ln the Measurement of Economic Performance and Social Progress, New Press.

SVR – Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (2022), Energiekrise solidarisch bewältigen, neue Realität gestalten, Jahresgutachten, 2022/23.

Victor, P. A. (2008), Managing Without Growth. Slower by Design, Not Disaster, Edward Elgar.

Vollrath, D. (2020), Fully Grown. Why a Stagnant Economy Is a Sign of Success, University of Chicago Press.

WBGU – Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (2011), Welt im Wandel. Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation.

Werding, M. et al. (2020), Modellrechnungen für den Fünften Tragfähigkeitsbericht des BMF, Studie im Auftrag des Bundesministeriums der Finanzen, ifo Forschungsberichte 111.

WPKS – Wissenschaftsplattform Klimaschutz (2023), Lücken in der deutschen Klimapolitik – Herausforderungen für eine wirksame Langfriststrategie, https://www.wissenschaftsplattform-klimaschutz.de/de/WPKS-Stellungnahme-Luecken-in-der-deutschen-Klimapolitik-1791.html (21. Juni 2023).

Title:Growth Independence: Transformation and Prosperity – Without Growth

Abstract:Radically changed global conditions are forcing a “Great Transformation” of the economy and society. Predominantly, this is understood as a modernisation process associated with massive investments and a surge in (green) growth. However, the likelihood of such a scenario is fading and it seems necessary to invest more research activity and more political attention in alternative scenarios. The resilience of the economic and social order will depend on whether it is possible to establish a prosperity perspective that is independent of growth. With “Renewing Prosperity,” the German Federal Ministry of Economic Affairs and Climate Action has presented some building blocks that can be part of a strategic reorientation.

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© Der/die Autor:in 2023

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DOI: 10.2478/wd-2023-0131