Christian Lindner, Bundesminister der Finanzen, stellt den Regierungsentwurf für den Bundeshaushalt 2024 und den Finanzplan bis 2027 in den Kontext seiner finanzpolitischen Strategie und leitet den weiteren Handlungsbedarf ab. Um Prioritäten zur Stärkung von Zukunftsausgaben setzen zu können, hat die Bundesregierung alle Ausgaben im Bundeshaushalt auf den Prüfstand gestellt. Es werden Einsparpotenziale gehoben und Ausgabeansätze abgesenkt. Angesichts anstehender Herausforderungen wie dem demografischen Wandel oder der Dekarbonisierung müssen jedoch weitere Schritte folgen, um die Zusammensetzung und Prioritätensetzung des Bundeshaushalts konsequent an zukunftsorientierten Aufgaben auszurichten und die Attraktivität des Standorts Deutschland durch angebotsseitige Maßnahmen zu stärken.
Wachstumsschwäche, hohe Inflation, geoökonomische Verschiebungen, demografischer Wandel und Fachkräftemangel, unser Bürokratismus – die Liste der Herausforderungen ist lang. Abgesänge auf den Standort Deutschland aber wären verfrüht. Denn wir wissen, wie es besser geht. Wir haben das vergangene Jahr mit Corona-Folgen und dem Beginn der Energiepreiskrise besser überstanden, als es zunächst von vielen Kommentatoren erwartet worden war. Die Bundesregierung hat flankierend unterstützt. Die eigentliche Anpassungsleistung aber haben unsere Unternehmen sowie die Bürger:innen erbracht. Dies zeigt, wozu unser Land in der Lage ist. Das Vertrauen in Marktkräfte hat sich gelohnt, die Soziale Marktwirtschaft hat erneut ihre Leistungsfähigkeit bewiesen. In einer Stärkung und Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft liegt auch die Lösung für unsere Probleme. In diesem Bewusstsein leiten wir jetzt auch eine finanzpolitische Zeitenwende ein und schaffen damit das Fundament für Wachstum.
Nach intensiven Haushaltsverhandlungen zwischen den Ressorts hat das Bundeskabinett am 5. Juli 2023 den Entwurf des Bundeshaushalts 2024 (im Folgenden RegE 2024) und den Finanzplan bis 2027 beschlossen. Dabei wurde zuerst die Höhe der Ausgaben des Bundeshaushalts wieder mit dessen Einnahmen in Einklang gebracht. Die Gesamtausgaben werden auf den Pfad vor der Coronapandemie zurückkehren und damit auch in allen Jahren der mittelfristigen Finanzplanung gegenüber dem laufenden Haushaltsjahr abgesenkt. Zugleich wird die Nettokreditaufnahme im Vergleich zu den krisenbedingten Ausnahmejahren massiv zurückgefahren (vgl. Tabelle 1).
Tabelle 1
Wesentliche Kennziffern der Haushaltsplanung
in Mrd. Euro
Soll | Entwurf | Finanzplan | |||
---|---|---|---|---|---|
2023 | 2024 | 2025 | 2026 | 2027 | |
Ausgaben | 476,3 | 445,7 | 451,8 | 460,3 | 467,2 |
Veränderung gegenüber Vorjahr in % | -0,9 | -6,4 | 1,4 | 1,9 | 1,5 |
Einnahmen | 476,3 | 445,7 | 451,8 | 460,3 | 467,2 |
Steuereinnahmen | 358,1 | 375,3 | 394,6 | 409,1 | 421,3 |
Nettokreditaufnahme | 45,6 | 16,6 | 16,0 | 15,4 | 15,0 |
nachrichtlich: Ausgaben für Investitionen1 (Hauptgruppe 7 und 8 des Gruppierungsplans) | 71,5 | 54,2 | 60,2 | 59,1 | 57,2 |
1 Ausgaben für Investitionen im Jahr 2023 enthalten Sondereffekte (Darlehen an das Generationenkapital in Höhe von 10 Mrd. Euro, an den RST-Trust des IWF in Höhe von 6,3 Mrd. Euro sowie an den Gesundheitsfonds in der Gesetzlichen Krankenversicherung in Höhe von 1 Mrd. Euro, die haushaltsrechtlich als Investitionen zu verbuchen sind). Sondereffekte im RegE 2024 und Finanzplan bis 2027 durch Auflösung des Sondervermögens „Digitale Infrastruktur“ und Verlagerung der Ausgaben in den Kernhaushalt sowie gegenläufige Verlagerung investiver Ausgaben für Mikroelektronik und Wasserstoff in den Klima- und Transformationsfonds.
Quelle: BMF.
Dennoch hat die Bundesregierung keinen Sparhaushalt vorgelegt. Die im Entwurf vorgesehenen Ausgaben des Bundes im Jahr 2024 liegen mit 445,7 Mrd. Euro rund 25 % über dem Vorkrisenniveau von 2019. Von einer Austeritätspolitik kann also keine Rede sein.
Um Prioritäten setzen zu können, hat die Bundesregierung alle Ausgaben im Bundeshaushalt auf den Prüfstand gestellt. Es werden Einsparpotenziale gehoben und Ausgabeansätze abgesenkt, die in der Vergangenheit nicht voll ausgeschöpft wurden. Die Ressorts – mit Ausnahme des Bundesministeriums der Verteidigung – erbringen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit einen jährlichen Einsparbeitrag in Höhe von rund 3,5 Mrd. Euro in den Jahren 2024 und 2025. Das diesjährige regierungsinterne Aufstellungsverfahren war daher für alle Beteiligten ein großes Stück Arbeit.
Zudem steuert die Bundesregierung in Bereichen mit besonders starkem Ausgabenwachstum gegen. Statt einfach Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt immer weiter dynamisch zu erhöhen, wollen wir die Finanzierung der Sozialsysteme auf ein solideres Fundament stellen. Deshalb ist es beispielsweise nicht möglich, den Zuschuss des Bundes zur Gesetzlichen Krankenversicherung von einem hohen Niveau aus dynamisch anwachsen zu lassen. Auch ist es notwendig, auf eine Fortführung des im Jahr 2022 im Lichte der Pandemie eingeführten Zuschusses des Bundes zur Pflegeversicherung zu verzichten. Im Hinblick auf die kurzfristig gute Finanzlage der gesetzlichen Rentenversicherung wird der zusätzliche Bundeszuschuss abgesenkt. Für den RegE 2024 wird weiterhin ein Beitragssatz von 18,6 % zugrunde gelegt. Gleichwohl können diese Maßnahmen insbesondere angesichts des demografischen Wandels nur ein erster Schritt zu einer strukturelleren Lösung sein. Soweit für einzelne Maßnahmen Gesetzesänderungen erforderlich sind, werden diese durch ein Haushaltsfinanzierungsgesetz umgesetzt werden.
Weitere Schritte müssen folgen, um nach der Höhe auch die Zusammensetzung und Prioritätensetzung des Bundeshaushalts entschlossen auf die Zukunftsaufgaben auszurichten, vor denen Deutschland steht. Das Vorgehen folgt der finanzpolitischen Strategie, die das Bundesministerium der Finanzen (BMF) zu Beginn der Legislaturperiode veröffentlicht hat. Im Folgenden möchte ich den RegE 2024 und Finanzplan bis 2027 in diese einordnen, um aus den vielen Einzelmaßnahmen ein Gesamtbild zu erstellen. Da die Strategie für verschiedene Umstände unterschiedliche Antworten formuliert, gilt es zuvor das kurzfristig erwartbare wirtschaftliche Umfeld kurz darzustellen und die mittel- und langfristigen ökonomischen Herausforderungen für das Land und die Finanzpolitik zu skizzieren.
Ausgangssituation für den Haushaltsentwurf und die mittelfristige Finanzplanung
Kurzfristiges wirtschaftliches Umfeld der deutschen Finanzpolitik
Ausgangsbasis für die diesjährigen Haushaltsverhandlungen war der Finanzplan bis 2026, den die Bundesregierung am 1. Juli 2022 beschlossen hatte. Seit der Verabschiedung des Finanzplans wurden mit den Entlastungspakten allerdings erhebliche einnahme- und ausgabeseitige Maßnahmen beschlossen, die sich direkt auf den Bundeshaushalt auswirken und im RegE 2024 sowie dem Finanzplan bis 2027 abzubilden waren. Vor allem galt es, die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Energiepreiskrise infolge des Überfalls Russlands auf die Ukraine abzufedern. Die sehr hohen Inflationsraten und merklich gestiegene Zinsen haben die wirtschaftliche Aufwärtsbewegung, die sich an die Verwerfungen durch die Pandemie angeschlossen hat, aufgehalten. Zum starken Anstieg der Inflationsraten 2022 hatten die extremen Preisspitzen auf den Energiemärkten maßgeblich beigetragen. Derzeit wird in Konjunkturprognosen erwartet, dass sich im späteren Jahresverlauf 2023 wieder eine wirtschaftliche Aufwärtsbewegung einstellt, auch aufgrund der gesunkenen Energiepreise.
Die Inflation ist mittlerweile in der Breite angekommen. Dies zeigt beispielsweise die Entwicklung der am BIP-Deflator gemessenen Teuerung der inländischen Produktion.1 Für das laufende Jahr prognostiziert die Deutsche Bundesbank eine Binnenteuerung von 6 %, für das Jahr 2024 trotz besserer Wirtschaftsaussichten eine gesunkene, aber noch erhöhte Binneninflation von über 3 % (Deutsche Bundesbank, 2023). Dass für das Jahr 2024 ein deutlicher Rückgang der inländischen Teuerung und zugleich ein Anstieg des realen BIP prognostiziert wird, spiegelt die erwartbar nachlassende Wirkung von deutlich spürbaren Angebotsstörungen wider. In diesem Erwartungsbild sind selbst schwache Wachstumsaussichten für das restliche Jahr kein Ausweis für einen Nachfragemangel, dem mit einem „Konjunkturpaket“ zu begegnen wäre.
Mittel- und langfristige Herausforderungen
Für die mittelfristige Finanzplanung ist von einem anhaltend anspruchsvollen wirtschaftlichen Umfeld auszugehen, voraussichtlich geprägt durch reale Knappheiten. Diese können beispielsweise durch knappe Kapazitäten und vergleichsweise hohe Energie- oder Baupreise zum Ausdruck kommen und die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts für Unternehmen, Investoren und Fachkräfte beeinträchtigen. Vor allem durch die nunmehr beschleunigte gesellschaftliche Alterung dürften der Wirtschaft mittel- und langfristig signifikant weniger Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Zwar ist die Partizipationsrate in den vergangenen zwei Jahrzehnten gestiegen, allerdings ist zugleich eine verstärkte Teilzeitarbeit und eine Verringerung der Arbeitszeit je Erwerbstätigem zu beobachten. In der Summe dürfte das Arbeitsvolumen ab dem Jahr 2025 voraussichtlich sinken und für sich genommen negativ auf das Wachstumspotenzial wirken.
Mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz hat die Bundesregierung endlich die Weichen gestellt, um Deutschland zu einem modernen Einwanderungsland weiterzuentwickeln, bürokratische Hürden abzubauen und den zunehmenden Engpässen entgegenzuwirken. Es wird allerdings Zeit in Anspruch nehmen, bis das Gesetz seine volle Wirkung entfaltet. Allgemein kann Fachkräfteeinwanderung ein wichtiger, aber nicht der einzige Baustein sein, um das Fachkräfteangebot langfristig zu sichern. Es wird auch auf das Heben inländischer Potenziale ankommen.
Eine weitere dauerhafte Herausforderung für die deutsche Finanzpolitik ist der möglichst kostengünstige und technologieoffene Umbau der deutschen Wirtschaft zur Klimaneutralität. Diese Dekarbonisierung wird dabei unter realen Knappheiten stattfinden müssen. Zudem wirkt die frühzeitige Abschreibung des „fossilen Kapitalstocks“ zum Schutz des Klimas den an sich potenzialstärkenden Investitionen in den Aufbau eines „klimaneutralen Kapitalstocks“ zunächst entgegen. Den künftigen Erträgen aus dem Klimaschutz gehen voraussichtlich spürbare Kosten und ein in der Tendenz geringeres Wirtschaftswachstum sowie gegebenenfalls höherer Inflationsdruck voraus.
Schließlich stellen geoökonomische Veränderungen mittel- und langfristige Risikofaktoren dar, die reale Knappheiten zusätzlich verstärken, das Wachstum dämpfen und den Verbraucherpreisen Auftrieb geben könnten. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn beschleunigte geoökonomischen Veränderungen in einem adversen Szenario zu internationalen Subventionswettläufen und einer für Deutschland nachteiligen, weil zunehmend protektionistischen und unsicheren Neuordnung des internationalen Handels führen. Diese „neuen“ Abwärtsrisiken für die internationale Wettbewerbsfähigkeit und Wirtschaftskraft Deutschlands treten den vielen aufgrund einer zu lange vernachlässigten Standortpolitik bestehenden Belastungen und Risiken hinzu. Dabei wirkt eine Vielzahl vermeidbarer staatlicher Hürden, Vorgaben und Fehlanreize unserer traditionell starken Innovationskraft entgegen, bremst in ihrer Summe den Fortschrittsmotor der deutschen Wirtschaft und so die Produktivitätsentwicklung sowie ihre inflationsdämpfende Wirkung.
Umsetzung der finanzpolitischen Strategie im RegE 2024 und Finanzplan bis 2027
Die Drei-Säulen-Strategie des BMF für eine effiziente, vorausschauende und gestaltende Finanzpolitik (vgl. Abbildung 1) spiegelt sich im RegE 2024 und Finanzplan bis 2027 wider. Gleichzeitig begründet sie die nächsten Handlungserfordernisse.
Abbildung 1
Drei-Säulen-Strategie des BMF
Quelle: BMF.
Säule 1: Kurzfristige Stabilisierung in der Krise, Rückkehr in den Normalmodus nach der Krise
Die kurzfristige fiskalische Ausrichtung2, die mit dem RegE 2024 einhergeht, hängt entscheidend davon ab, in welchem Umfang die Maßnahmen der Bundesregierung zur Krisenbewältigung 2023 finanzwirksam werden. Deutschland hat mit der Pandemie und der Energiepreiskrise infolge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine zwei außergewöhnliche und sich überlappende Krisen erlebt. Die Finanzpolitik reagierte mit außergewöhnlichen Stabilisierungsmaßnahmen unter Anwendung der Ausnahmeklausel der Schuldenregel nach Art. 115 Absatz 2 Satz 6 GG auch im Jahr 2022. Insbesondere hat die Bundesregierung zeitlich befristete Entlastungen bereitgestellt, auch um Erwartungen zu stabilisieren und so die Übersetzung angebotsseitiger Störungen und hoher Unsicherheit in eine Nachfragekrise zu verhindern. Wie bei adversen Angebotsschocks unvermeidbar, musste die Finanzpolitik dabei eine Balance zwischen wirtschaftlicher Stützung und Vermeidung inflationärer Impulse finden.
Konkret hat die Bundesregierung drei umfangreiche Entlastungspakete mit einem Gesamtvolumen von etwa 100 Mrd. Euro für die Jahre 2022 und 2023 beschlossen und mit dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds Energie (WSF-Energie) einen wirtschaftlichen Abwehrschirm aufgespannt, über den zeitlich begrenzt bis zu 200 Mrd. Euro für streng zweckgebundene Maßnahmen zur Abfederung der wirtschaftlichen Folgen der Energiekrise zur Verfügung stehen. Entlastungsleistungen aus dem WSF-Energie sind bis Ende April 2024 möglich. Dies zeigt ein weiteres Mal, dass die deutschen Fiskalregeln flexibel sind, um auf außergewöhnliche Krisensituationen reagieren zu können.3 Sie schaffen in den Jahren vor den außergewöhnlichen Krisen die notwendigen Spielräume, um dann flexibel und umfangreich reagieren zu können. In den Fiskaljahren 2022 und 2023 hat die Bundesregierung mit expansiven diskretionären Fiskalimpulsen reagiert, also mit im Vergleich zum jeweiligen Vorjahr konjunkturbereinigt steigenden (Primär-)Defizit- und Schuldenstandsquoten.
Nach den Jahren des krisenbedingten Ausnahmezustands wird der Bundeshaushalt wie bereits im Jahr 2023 auch 2024 die reguläre Kreditobergrenze der grundgesetzlich verankerten Schuldenregel einhalten. Auch in dem Finanzplanzeitraum bis 2027 wird die reguläre Kreditobergrenze unter Ausweis eines in kommenden Aufstellungsverfahren noch aufzulösenden haushaltspolitischen Handlungsbedarfs in Höhe von rund 5 Mrd. Euro pro Jahr eingehalten. Die damit einhergehende Rückkehr zur finanzpolitischen Normalität ist nicht nur ein Gebot der Verfassung, sondern entspricht auch dem makroökonomischen Umfeld: Wir befinden uns in einer Phase der Inflationsbekämpfung durch die Geldpolitik, einhergehend mit schnell und stark steigenden Zinsen. In diesem makroökonomischen Umfeld wären weitere expansive fiskalische Impulse kontraproduktiv. Diese würden lediglich die Konkurrenz um knappe Arbeitsstunden und Kapazitäten weiter anfachen und daher tendenziell inflationstreibend wirken. Dieser zusätzliche Inflationsdruck könnte zu vermeidbaren Zinserhöhungen beitragen – also die Ausrichtung der Geldpolitik konterkarieren – und somit die insbesondere für die Modernisierung und Dekarbonisierung des Kapitalstocks in Deutschland dringlichen privaten Investitionen verdrängen.
Insbesondere mit dem Auslaufen der Entlastungsleistungen aus dem WSF-Energie bis spätestens Ende April 2024 ergibt sich voraussichtlich ein in der Tendenz restriktiver Fiskalimpuls: Im Vergleich zum Vorjahr wird die konjunkturbereinigte (Primär-)Defizitquote des Jahres 2024 tendenziell sinken. Wie stark der restriktive fiskalische Impuls im Jahr 2024 letztlich ausfallen wird, hängt unter anderem von der Größe des expansiven Impulses im Jahr 2023 ab.4 Mit den wieder stark gefallenen Großhandelspreisen für Gas und Strom, die sich seither sukzessive in sinkenden Vertragspreisen bei Endverbrauchern niederschlagen, reduzieren sich automatisch die Entlastungsleistungen aus den Energiepreisbremsen für Gas, Strom und Wärme sowie die Hilfen für Gasimporteure, die vom russischen Gaslieferstopp betroffen sind. Insbesondere die Energiepreisbremsen haben wir als Versicherungsinstrumente gegen nicht erwartbare und daher privat nicht versicherbare kurzfristige Preisspitzen bewusst so kalibriert, dass sich die Entlastungsleistungen automatisch an das jeweilige wirtschaftliche Umfeld anpassen können. Je geringer die (Primär-)Defizitquote für das laufende Jahr dadurch ausfallen sollte, desto kleiner wird wiederum der sich ergebende restriktive Impuls im Jahr 2024 voraussichtlich sein. Diese Entwicklungen sind allerdings weiterhin unsicher und insoweit auch die exakte kurzfristige fiskalische Ausrichtung, die sich aus dem RegE 2024 ergeben würde.
Mit einem tendenziell restriktiven Fiskalimpuls im Jahr 2024 – insbesondere infolge abschmelzender Entlastungsleistungen – entspricht die kurzfristige Ausrichtung der deutschen Finanzpolitik nicht nur der finanzpolitischen Strategie, sondern auch den Empfehlungen supra- und internationaler Organisationen, wie der Eurogruppe (2023), dem Europäischen Fiskalrat (European Fiscal Board, 2023), dem Internationalem Währungsfonds (2023) und der OECD (2023).
Säule 2: Investitionen stärken, Standortbedingungen durch Angebotspolitik verbessern
Ziel der zweiten Säule der finanzpolitischen Strategie ist es, über eine Entfesselung der allokativen und produktiven Kräfte des Marktes den mit den Herausforderungen der mittleren und langen Frist verbundenen Risiken niedriger Wachstums- und erhöhter Inflationsraten entgegenzuwirken. Es gilt insbesondere, die Produktivität zu steigern, die Herausforderungen des demografischen Wandels und der Dekarbonisierung zu bewältigen sowie den Veränderungen der Globalisierung und der Sicherheitsordnung zu begegnen. Es bedarf also einer Angebotspolitik, die angesichts realer Knappheiten gezielt zum Aufbau zusätzlicher gesamtwirtschaftlicher Kapazitäten und unternehmerischer Freiheitsgrade beiträgt. Eine zentrale Stellschraube für eine erfolgreiche Angebotspolitik sind die inländischen Standortbedingungen für Unternehmen, bei denen die Steuerpolitik eine maßgebliche Rolle spielt.
Angesichts der absehbar engen Ressourcen- und Kapazitätsbeschränkungen ist zugleich die Zeit vorbei, in der sich jedes Problem und jede unterschiedliche politische Vorstellung zugleich und mit immer mehr Geld lösen ließ. Jede Arbeitsstunde, jede Kapazität, die der Staat durch zusätzliche Ausgaben bindet, fehlt potenziell an anderer Stelle und verdrängt in der Tendenz privatwirtschaftliche Aktivitäten wie private Investitionen. Daher muss aus Sicht der Finanzpolitik die Effizienz des staatlichen Mitteleinsatzes und somit dessen Priorisierung im Vordergrund stehen, insbesondere zugunsten der Zukunftsausgaben. Durch die mit der „Schuldenbremse“ erzwungenen Aushandlungsprozesse, die mit der Aufstellung des Haushaltsentwurfs und dem anschließenden parlamentarischen Verfahren einhergehen, werden die Zielkonflikte und konkreten Kosten vermehrter Zukunftsausgaben in Form entgangener zusätzlicher staatlicher Leistungen transparent und demokratisch entschieden. Je effizienter wir dabei unsere Mittel insgesamt ausgeben, desto geringer müssen diese Kosten ausfallen. Die qualitative Konsolidierung des Bundeshaushalts wird daher eine Daueraufgabe.
Hingegen löste eine zuvorderst über neue Schulden finanzierte Stärkung der Zukunftsausgaben den angesichts realer Knappheiten unvermeidlichen Ressourcenkonflikt tendenziell über die Inflation. Statt transparent, demokratisch und bei Anstrengung auch effizient wie bei der Ausgabenpriorisierung wird die Verschiebung zugunsten höherer Zukunftsausgaben ungeordnet und kostenreich herbeigeführt. Zudem trifft die Inflation einkommensschwache Privathaushalte besonders hart. Letztlich wäre es deren Konsum, der dann überproportional zur Ertüchtigung des Standorts beitragen würde. Das wäre eine ineffiziente Antwort der Finanz- und Wirtschaftspolitik auf die skizzierten Herausforderungen. Gleiches gilt für die zweite Alternative zum hier skizzierten Kurs: allgemeine Steuererhöhungen. Aufsetzend auf ein bereits hohes Niveau, würden zusätzliche Steuerbelastungen „Aktivitätsanreize“ weiter schwächen und dem Ziel entgegenlaufen, durch Angebotspolitik für bessere Standortbedingungen das gesamtwirtschaftliche Potenzial zu stärken. Sie sind daher im Koalitionsvertrag ausgeschlossen.
Die steuerlichen Rahmenbedingungen beeinflussen über ihren Einfluss auf Gewinnerwartungen die Entscheidungen der Unternehmen für Investitionen und Innovationen. Die Belastung von Kapitalgesellschaften ist in Deutschland in Bezug auf die nominalen Steuersätze im internationalen Vergleich hoch. Bei der tariflichen Besteuerung des Gewinns von Kapitalgesellschaften (Körperschaftsteuern, Gewerbeertragsteuern und vergleichbare andere Steuern des Zentralstaats und der Gebietskörperschaften) findet sich Deutschland international in der Gruppe der Hochsteuerländer wieder (vgl. Abbildung 2).
Abbildung 2
Internationaler Vergleich der nominalen Unternehmensteuersätze, 2023
Quelle: OECD.
Steuerliche Rahmenbedingungen setzen zugleich Anreize im Wettbewerb um Erwerbsmigration sowie für die Ausweitung von Arbeitsmarktpartizipation und Arbeitszeiten. Sowohl Erwerbsmigration als auch die Ausschöpfung des bestehenden Erwerbspersonenpotenzials sind angesichts des demografischen Wandels essenziell. Die Attraktivität Deutschlands als Zielland wird dabei neben anderen Standortfaktoren auch durch den Einkommensteuertarif mitbestimmt, insbesondere für hochqualifizierte Fachkräfte. Hier steht der Standort Deutschland in Konkurrenz zu anderen Ländern, wie beispielsweise den USA und der Schweiz, in denen deutlich niedrigere Einkommensteuersätze gelten. Hohe Grenzsteuersätze und vergleichsweise geringe Schwellenwerte im Einkommensteuertarif, ab denen diese gelten, gehen zudem mit einer zunehmenden Verzerrung von Arbeitsanreizen einher, was die Ausschöpfung des bestehenden Erwerbspersonenpotenzials erschwert.
Zur Stärkung der Zukunftsausgaben steht der Staat zunächst in der Verantwortung für die Quantität und Qualität der öffentlichen Infrastruktur, von der auch die private Investitionstätigkeit in Teilen abhängt. Für das laufende Jahr befinden sich die geplanten Ausgaben für Investitionen aus dem Bundeshaushalt mit 54,2 Mrd. Euro5 bereits auf sehr hohem Niveau (vgl. Tabelle 1). Trotz der merklichen Teuerungsraten sind sie damit auch real höher als das Vorkrisenniveau von 38,1 Mrd. Euro im Jahr 2019. Für 2024 sind Investitionsausgaben von 54,2 Mrd. Euro im Bundeshaushalt vorgesehen. Insgesamt stehen gegenüber dem alten Finanzplan (2027 überrollt) in den Jahren von 2024 bis 2027 im Bundeshaushalt rund 23,2 Mrd. Euro mehr für notwendige Zukunftsinvestitionen zur Verfügung.6 Der Investitionsanteil pro Jahr liegt nach dem RegE 2024 und dem Finanzplan bis 2027 regelmäßig bei über 12 % der Gesamtausgaben (Vorkrisenniveau rund 10 %).
Mit den geplanten Investitionen zum Aufbau und zur Modernisierung des öffentlichen Kapitalstocks verbessert der Bund maßgeblich das Umfeld für private Investitionen. Wir investieren in eine leistungsfähige Infrastruktur, in schnelleres Internet, in Straßen- und Schienennetze, in eine verlässliche Energieversorgung sowie in einen agilen und digitalen Staat und unterstützen damit die deutsche Volkswirtschaft bei der Bewältigung der Transformationsprozesse. Mit der mittelfristigen Finanzplanung löst die Bundesregierung das Versprechen ein, ein Jahrzehnt der Investitionen in ein modernes, digitales und treibhausgasneutrales Deutschland zu eröffnen. Zugleich erbringt sie den Nachweis, dass die Einhaltung der regulären Obergrenze der Schuldenregel mit steigenden öffentlichen Investitionen vereinbar ist.
Dabei lagen die geplanten öffentlichen Investitionen in den vergangenen drei Jahren (2020 bis 2022) durchweg über den tatsächlich abgeflossenen Investitionsausgaben. Das macht deutlich, dass die Modernisierung des öffentlichen Kapitalstocks durch angebotsseitige Faktoren, wie der Dauer von Planungs- und Genehmigungsverfahren, beschränkt wird, also nicht durch das bereitgestellte Potenzial für Investitionsausgaben aus dem Bundeshaushalt.
Darüber hinaus gilt es, private Investitionen durch eine angebotsorientierte Wirtschafts- und Finanzpolitik zu mobilisieren. Rund 90 % der gesamtwirtschaftlichen Investitionen werden in Deutschland im Privatsektor getätigt. Der Referentenentwurf zum Wachstumschancengesetz des BMF setzt an diesem Hebel der Kapitalbildung an, indem er die Spielräume für mehr private Investitionen und Innovationen erweitert. Kleinere und mittlere Betriebe sowie klimafreundliche Investitionen stehen dabei im Vordergrund. Das Paket setzt Wachstumsimpulse und leistet einen Beitrag dazu, die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland und das Umfeld für dauerhaft mehr Innovation und Investition zu stärken. Außerdem vereinfachen wir an vielen Stellen das Steuersystem und bauen bürokratische Hemmnisse ab.
Das Wachstumschancengesetz sieht dabei die Einführung einer Investitionsprämie vor, um die erforderlichen Transformationsprozesse zu beschleunigen und Investitionen in energieeffiziente Wirtschaftsgüter zu fördern. Unser Ziel ist eine bürokratiearme und beihilfekonforme Förderung, die unternehmerische Transformationsinvestitionen auf breiter Front freisetzt. Darüber hinaus hat das BMF vorgeschlagen, im Wachstumschancengesetz eine Ausweitung der Forschungsförderung, des Verlustabzugs und von Abschreibungsbedingungen vorzunehmen sowie das Steuersystem einfacher und fairer zu gestalten. Das sind wichtige Schritte, um die Investitionsbedingungen in Deutschland zu verbessern. Klar ist aber auch, dass es sich hierbei nur um erste Schritte handelt, die den fiskalischen sowie beihilferechtlichen Restriktionen Rechnung tragen.
Wie bereits ausgeführt, müssen die steuerlichen Rahmenbedingungen darüber hinaus verbessert werden, damit Deutschland an Wettbewerbsfähigkeit gewinnt. Sinnvoll und wichtig wäre es daher, den Solidaritätszuschlag vollständig abzuschaffen und den Körperschaftsteuersatz auf ein international attraktives und damit wettbewerbsfähiges Niveau zu senken. Deutschland soll nicht mehr das Land sein, in das international tätige Unternehmen aufgrund der hohen Steuersätze ihre Verluste verlagern. Vielmehr sollte Deutschland durch attraktive steuerliche Rahmenbedingungen wieder ein Magnet für ausländische Investitionen werden und auch heimischen Unternehmen ein gutes Umfeld für Investitionen bieten. Hierfür gilt es, mit einer angebotsorientierten Finanzpolitik wieder die notwendigen fiskalischen Spielräume zu erarbeiten.
Zudem sind klug eingesetzte Mittel für Bildung und Innovationen entscheidende Zukunftsausgaben, die angesichts des Fach- und zunehmenden Arbeitskräftemangels auch unverzichtbar sind. Das Startchancen-Programm bildet ein zentrales Vorhaben der Bundesregierung für mehr Bildungsgerechtigkeit und Aufstiegschancen, um sozial benachteiligte Schüler:innen gezielt zu stärken. Im Bundeshaushalt und der Finanzplanung ist hierfür eine zentrale Vorsorge getroffen. Mit dem Planungsbeschleunigungsgesetz bauen wir bürokratische Hürden ab.
Säule 3: Sicherung fiskalischer Resilienz und finanzpolitischer Solidität
Ziel der dritten Säule der finanzpolitischen Strategie ist die Sicherstellung der Tragfähigkeit der expliziten und impliziten Verbindlichkeiten des Bundes. Finanzpolitische Solidität bedeutet stetig und glaubwürdig nachweisen zu können, dass öffentliche Haushalte den aufgelaufenen Schuldenstand nebst künftigen Ausgaben durch künftige Einnahmen finanzieren. Mehr langfristiges Wachstum und dadurch entstehende Mehreinnahmen des Staates schaffen dabei Räume für die Modernisierung des öffentlichen Kapitalstocks und die Bereitstellung öffentlicher Güter sowie staatlicher Leistungen. Insoweit trägt eine in Säule 2 beschriebene angebotsorientierte Finanz- und Wirtschaftspolitik zur Tragfähigkeit bei.
Glaubhafte Fiskalregeln, wie die grundgesetzliche Schuldenregel, können die Solidität der Staatsfinanzen und die mittel- und langfristige Tragfähigkeit der gesamtstaatlichen Schuldenstandsquote gewährleisten und so krisenhaften Zuspitzungen vorbeugen. Als Ausdruck staatlicher Selbstbindung ist die „Schuldenbremse“ das Herzstück der deutschen Finanzpolitik und setzt damit auch den Rahmen für die finanzpolitische Strategie. Eine risikobewusste Strategie schirmt den Bundeshaushalt und die Wirtschaft gegen plötzlich auftretende disruptive Folgen von Finanzmarktturbulenzen ab, wirkt negativen Entwicklungen, wie beispielsweise der zunehmenden, aus der Demografie und alterungsbedingten Sozialausgaben (Rente, Gesundheit, Pflege) resultierenden „Versteinerung“ der Ausgaben des Bundes, entgegen. Sie entwickelt beste Antworten auf adverse Szenarien, wie einem persistenten Anstieg der Zins-Wachstumsdifferenz.
Das veränderte Zinsumfeld in Verbindung mit stark steigenden Zinsausgaben des Bundeshaushalts zeigt (vgl. Abbildung 3), dass Zinsänderungsrisiken trotz einer langen Niedrigzinsphase nicht außer Acht gelassen werden sollten. Die deutlich gestiegenen Renditen und die höhere Verschuldung des Bundes aufgrund der Maßnahmen in der Corona- und Ukrainekrise machen sich deutlich in den Zinsausgaben bemerkbar. Zum Teil ist dies auf die Begebungspraxis des Bundes und die kameralistische Buchung im Bundeshaushalt zurückzuführen: Um eine für die Wertpapiere eines Benchmark-Emittenten essenzielle gute Handelbarkeit und hohe Liquidität zu gewährleisten, stockt der Bund bereits ausstehende Bundeswertpapiere auf. Bei steigenden Marktzinsen entstehen durch Aufstockungen Disagio-Ausgaben, die im Bundeshaushalt komplett in dem Jahr, in dem sie anfallen, gebucht werden (im Soll 2023 belaufen sich die Disagien auf 15,8 Mrd. Euro bzw. 40 % der gesamten Zinsausgaben).
Abbildung 3
Zinsausgaben im Bundeshaushalt
Quelle: BMF.
Die Durchführung von Aufstockungen führt für den Bund über die gesamte Laufzeit der Papiere aber nicht zu Mehrkosten, da er grundsätzlich zu marktgerechten Konditionen emittiert. Auch ohne den Verschiebungseffekt durch die Buchung der Disagien ist bei den Zinsausgaben 2023 ein steiler Anstieg zu erkennen.
Der im historischen Vergleich rapide Zinsanstieg erinnert daran, dass die Tragfähigkeit der Staatsverschuldung in einer unsicheren Welt mit Zinsänderungs- und Wachstumsrisiken immer sichergestellt sein muss. Eine zeitweise günstige Zins-Wachstumsdifferenz kann nicht einfach für die weitere Zukunft fortgeschrieben und strukturelle Defizite dürfen nicht entsprechend ausgeweitet werden. Vielmehr ist zu gewährleisten, dass die Schuldenstandsquote nicht von Krise zu Krise weiter ansteigt, um zusätzliche Tragfähigkeitsrisiken aus strukturell zunehmenden Zinsausgaben des Bundes zu vermeiden. Nach den krisenbedingten Ausnahmejahren gilt es daher, den Bundeshaushalt zu konsolidieren und die Schuldenstandsquote schrittweise und konjunkturgerecht zurückzufahren, um so Risikopuffer für die nächste Krise und das mittel- und langfristige Zinsumfeld aufzubauen. Für einen Staat, der jederzeit und wenn nötig in großem Umfang finanziell handlungsfähig sein muss, ist das Ausdruck fiskalischer Resilienz.
Die zunehmende Alterung der Gesellschaft setzt die Sozialversicherungssysteme langfristig unter Druck und bewirkt strukturelle Defizite in den Bereichen Rente, Gesundheit und Pflege. Werden diese Defizite nicht abgebaut, etwa durch die Verlängerung der effektiven Lebensarbeitszeit, die Steigerung qualifizierter Einwanderung, das Nutzen von Renditevorteilen zur Gründung eines kapitalgedeckten Finanzierungsbausteins für die Gesetzliche Rentenversicherung wie beim „Generationenkapital“ oder durch das Heben von Effizienzpotenzialen in der Gesundheitsversorgung, dann müssen sie durch steigende Beitragssätze finanziert werden. Zusätzliche Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt können hierfür nicht dauerhaft aufgewendet werden, ohne die disponiblen Ausgaben im Bundeshaushalt weiter zu verringern. Der für zusätzliche Ausgaben in die Zukunftsfähigkeit Deutschlands verwendbare Spielraum im Bundeshaushalt ist durch diese Vorbindungen gering und wird absehbar immer geringer. Die quantitative Konsolidierung, zu der der aktuell vorgelegte Regierungsentwurf einen wichtigen ersten Schritt darstellt, muss daher auch um eine qualitative Konsolidierung ergänzt werden.
Zu dieser gehört auch, den Grundsatz der Einheit des Bundeshaushalts wieder stärker in den Blick zu nehmen. Neben dem Kernhaushalt sind Sondervermögen ein wichtiges Instrument zur Erfüllung einzelner Aufgaben des Bundes. Sondervermögen stellen aber, trotz ihrer Vorteile hinsichtlich Transparenz, Planungssicherheit und überjährige Verfügbarkeit der Mittel, eine Ausnahme von diesem Grundsatz dar. Sie benötigen nicht zuletzt aufgrund einer mit steigender Zahl einhergehenden höheren Komplexität stets eine besondere Begründung und Rechtfertigung.
Der Bund verfügt aktuell über 29 Sondervermögen, Zweckvermögen und Fonds. Im kommenden Jahr wird das Sondervermögen „Digitale Infrastruktur“ aufgelöst. Die Mittel an die Länder aus der Verwaltungsvereinbarung zum DigitalPakt Schule 2019 bis 2024 sowie die Förderung des Breitband- und Giganetzausbaus werden in Zukunft aus dem Kernhaushalt finanziert. Die notwendigen Regelungen zur Auflösung des Fonds nach §5 Mauergrundstücksgesetz (Mauerfonds) werden wir in die Wege leiten. Zudem werden wir uns gemeinsam mit den betroffenen Ländern anschauen, ob und gegebenenfalls wie das im Jahr 2013 errichtete Sondervermögen „Aufbauhilfe“ aufgelöst werden und die notwendige Restabwicklung über den Kernhaushalt erfolgen kann. Die Sondervermögen „Kinderbetreuungsausbau“ und Kommunalinvestitionsförderfonds werden im Finanzplanungszeitraum bis 2027 planmäßig auslaufen. Ihre Zwecke werden sie bis dahin erfüllt haben. Ob und wo künftig weitere Sondervermögen aufgelöst werden können, werden wir beständig prüfen.
Ausblick
In einem ersten und mit dem RegE 2024 und Finanzplan bis 2027 bereits eingeleiteten Schritt kommt es jetzt darauf an, den Bundeshaushalt quantitativ zu konsolidieren und die Höhe der Ausgaben an die Einnahmen anzupassen. Die Rückkehr zur finanzpolitischen Normalität ist dabei nicht nur ein Gebot unserer Verfassung, sondern ebenso eines der ökonomischen Klugheit, Ausdruck des Verantwortungsgefühls gegenüber kommenden Generationen und ein Signal der finanzpolitischen Solidität über die deutschen Grenzen hinaus. Gleichzeitig stellt der Haushaltsentwurf die Weichen für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands. Wir investieren auf hohem Niveau und setzen klare Prioritäten – für die Stärkung von Wachstum und Wohlstand, mehr Sicherheit, bessere Bildung, nachhaltigen Klimaschutz und die Beschleunigung der Digitalisierung. Um auch langfristig unseren Wohlstand zu sichern, gilt es, die Angebotsseite der deutschen Volkswirtschaft zu stärken.
Um den ökonomischen und finanzpolitischen Realitäten gerecht zu werden, ist es für unser Land erforderlich, die reguläre Kreditobergrenze der Schuldenregel in allen Finanzplanjahren bis 2027 einzuhalten. Der hierzu noch verbleibende haushaltspolitische Handlungsbedarf von rund 5 Mrd. Euro pro Jahr in den Jahren ab 2025 zeigt, dass weiterhin kein Weg daran vorbeiführt, fortlaufend alle Ausgaben auf den Prüfstand zu stellen und den Bundeshaushalt strikt an den aktuellen Handlungserfordernissen auszurichten. Zudem setzt ab dem Jahr 2028 die Tilgung der die Regelgrenze der Schuldenregel übersteigenden Kreditaufnahme des Bundes der Jahre 2020 bis 2022 ein, die nach derzeitigem Stand allein rund 12 Mrd. Euro pro Jahr betragen wird. Spätestens ab dem Jahr 2031 ist auch die Tilgung der Kredite des Sondervermögens „Bundeswehr“ und des WSF-Energie vorgesehen. Darüber hinaus werden nach der vorliegenden Planung die Mittel des Sondervermögens „Bundeswehr“ im Finanzplanzeitraum vollständig ausgeschöpft sein, sodass es ab dem Jahr 2028 erheblicher Mittel im Kernhaushalt bedarf, um weiterhin die angestrebten 2 % des BIP für Verteidigungsausgaben einsetzen zu können.
In einem zweiten Schritt ist es dann erforderlich, den Bundeshaushalt qualitativ zu konsolidieren. Der Bundeshaushalt ist bereits in hohem Maße durch Sozialausgaben, Personalausgaben und Zinslasten gebunden. In den Finanzplanjahren ab 2025 folgen die Sozialausgaben dem bisherigen Trend eines stetigen Anstiegs und liegen im Jahr 2027 bei 231,8 Mrd. Euro. Hinzu kommt spätestens mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine das Ende der Friedensdividende. Auch mittel- und langfristig bedarf es verstärkter Investitionen in Freiheit und Frieden. Daher sollen die Verteidigungsausgaben aus dem Bundeshaushalt perspektivisch steigen. Das wird insbesondere nach Erschöpfung des Sondervermögens „Bundeswehr“ ab dem Jahr 2028 dauerhaft zusätzliche und erhebliche Mittel erfordern. Dies erhöht den allgemeinen Konsolidierungsbedarf zur Stärkung „ziviler“ Zukunftsausgaben.
Darüber hinaus sind schon heute enorme zusätzliche Belastungen für den Bundeshaushalt aufgrund steigender Sozialausgaben absehbar, langfristig insbesondere in den Bereichen Rente, Gesundheit und Pflege aufgrund der steigenden Kosten der Alterung. Angesichts vieler nicht disponibler Ausgabeposten müssen wir einer zunehmenden „Versteinerung“ des Bundeshaushalts entgegenwirken. Aus Sicht des BMF ist es daher insgesamt geboten, die Steigerung der Sozialausgaben unter Kontrolle zu bringen. Dazu gehört die Treffsicherheit von Sozialleistungen zu erhöhen, Anreize zur Arbeitsaufnahme zu verbessern, kapitalgedeckte Komponenten in den Sozialversicherungen einzuführen, irreguläre Migration nach Deutschland zu unterbinden und Mischfinanzierungstatbestände zwischen Bund und Ländern zurückzuführen.
Dies verlangt fortlaufend kritische Überprüfungen der bisherigen und hieraus abgeleiteten Priorisierungen der geplanten staatlichen Ausgaben. Neue strukturelle Ausgaben können nur noch realisiert werden, wenn es strukturell wirksame Gegenfinanzierungen gibt. Nur so können neue Freiheitsgrade und Gestaltungsräume entstehen. Der Haushaltsentwurf ist in diesem Sinne kein Abschluss, sondern ein Auftakt für weitere Anstrengungen.
- 1 Die Binneninflation ist ein Maß für die Teuerung der inländischen Produktion, da die Teuerung bei Importen herausgerechnet ist, dafür aber Preisentwicklungen jenseits der Verbraucherpreise, beispielsweise die Preise für Investitionsgüter oder Exporte, erfasst werden.
- 2 Im Weiteren ist mit fiskalischer Ausrichtung die Veränderung des konjunkturbereinigten Primärsaldos eines staatlichen Haushalts einschließlich Sondervermögen gemeint: Dieser Indikator soll den diskretionären Fiskalimpuls anzeigen, also die Wirkung eines öffentlichen Haushalts auf den Wirtschaftskreislauf (zusätzlich zur Wirkung der automatischen Stabilisatoren). Der Primärsaldo ist dabei um Zinsausgaben bereinigt. Steigt der konjunkturbereinigte Primärsaldo, liegt ein restriktiver diskretionärer Fiskalimpuls vor (und umgekehrt).
- 3 Zu dieser Flexibilität gehört auch in Normalzeiten die verfassungsrechtlich verankerte konjunkturbedingte Anpassung des Verschuldungsspielraums über die sogenannte Konjunkturkomponente.
- 4 Die Bundesregierung wird Mitte Oktober mit dem Draft Budgetary Plan eine neue fiskalische Projektion vorlegen, anhand derer sich der voraussichtliche fiskalische Impuls für 2024 quantifizieren lassen wird.
- 5 Geplante Ausgaben für Investitionen im Jahr 2023 abzüglich des Darlehens an das Generationenkapital in Höhe von 10 Mrd. Euro, des Darlehens an den RST-Trust des IWF in Höhe von 6,3 Mrd. Euro sowie an den Gesundheitsfonds in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) in Höhe von 1 Mrd. Euro (vgl. Tabelle 1).
- 6 Hierbei berücksichtigt sind Sondereffekte im RegE 2024 und Finanzplan bis 2027 durch Auflösung des Sondervermögens „Digitale Infrastruktur“ und Verlagerung der Ausgaben in den Kernhaushalt sowie gegenläufige Verlagerung investiver Ausgaben für Mikroelektronik und Wasserstoff in den Klima- und Transformationsfonds.
Literatur
Deutsche Bundesbank (2023), Monatsbericht, Juni.
Eurogruppe (2023), Eurogroup statement on the euro area fiscal stance for 2024, 13. Juli, https://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2023/07/13/eurogroup-statement-on-the-euro-area-fiscal-stance-for-2024/ (8. August 2023).
European Fiscal Board (2023), Assessment of the fiscal stance appropriate for the euro area in 2024, Juni, https://commission.europa.eu/publications/european-fiscal-board-assesses-appropriate-fiscal-stance-euro-area-2022_en (8. August 2023).
International Monetary Fund (2023), World Economic Outlook, Update, Juli 2023, https://www.imf.org/en/Publications/WEO/Issues/2023/07/10/world-economic-outlook-update-july-2023 (8. August 2023).
OECD (2023), Economic Outlook, Juni, https://www.oecd.org/economic-outlook/june-2023/ (8. August 2023).