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Seit Mai 2021 überstieg die Inflationsrate in Deutschland das Stabilisierungsniveau von 2 % und führte im weiteren Verlauf zu Inflationsraten auf Rekordniveau (vgl. Abbildung 1). Im November 2022 erreichte die Inflationsrate mit 8,8 % ihren lokalen Maximalwert und pendelte sich im weiteren Zeitverlauf auf einem immer noch zu hohen Niveau bis zum aktuellen Rand ein. Ausschlaggebend für diese Entwicklung sind die COVID-19-Pandemie und der Überfall Russlands auf die Ukraine und die hiermit verbundenen Handelsbeeinträchtigungen und Sanktionen (Berlemann et al., 2022).

Abbildung 1
Entwicklung des deutschen BIP, des Verbraucherpreisindex und des Leitzinses
Quartalsdurchschnitte
Entwicklung des deutschen BIP, des Verbraucherpreisindex und des Leitzinses

Quelle: Deutsche Bundesbank und Statistisches Bundesamt (2023).

Die Europäische Zentralbank (EZB) steht dabei vor der schwierigen Herausforderung, auf der einen Seite mit einer restriktiveren Geldpolitik ihrem Mandat für Preisstabilisierung nachzukommen, aber auf der anderen Seite mit einer zu restriktiven Geldpolitik, das Wirtschaftswachstum abzuwürgen. Durch eine Erhöhung des Leitzinses und der resultierenden höheren Kreditkosten, soll die Nachfrage nach Investitions- und Verbrauchsgütern gesenkt werden und somit zu einem Nachlassen des Preisanstiegs führen. Gleichzeitig wird dadurch aber auch das Wirtschaftswachstum gebremst. Im Vergleich mit anderen Zentralbanken hat die EZB seit Beginn ihrer Zuständigkeit für die Geldpolitik im Jahr 1999 relativ wenig Erfahrungen mit einer kontraktiven Geldpolitik gemacht. So gab es bis vor der jetzigen Erhöhung des Leitzinses nur drei Phasen (Ende des Jahres 1999, Ende des Jahres 2005 und eine kurze Phase Anfang des Jahres 2011), in der die EZB die Zinsen erhöhte (vgl. Abbildung 1) und damit Erfahrungen sammeln konnte, wie das Wirtschaftswachstum der einzelnen Länder im Währungsraum reagiert.

Um das Zielniveau von 2 % wieder zu erreichen, erhöhte die EZB den Leitzins ab Juli 2022 innerhalb eines kurzen Zeitraums in mehreren Schritten auf aktuell 4 %. Abbildung 2 zeigt die Veränderungen der Teilaggregate des preisbereinigten Bruttoinlandsprodukts (Verwendungsseite) im Vergleich zum Vorjahresquartal. Ab dem zweiten Quartal 2021 steigen die Investitionen und Ausgaben aufgrund des Nachholeffektes nach dem Wegfall der Coronamaßnahmen. Im weiteren Verlauf verzeichnen sowohl Investitions- als auch Konsumgüter positive Wachstumsraten. Eine Ausnahme hiervon sind Ausrüstungs- und Bauinvestitionen, bei denen die Wachstumsraten bereits vor der Zinswende teilweise negativ waren.

Abbildung 2
Veränderungen ausgewählter Teilaggregate des preisbereinigten BIP (Verwendungsseite)

im Vergleich zum Vorjahresquartal, Q2 2021 bis Q1 2023

Veränderungen ausgewählter Teilaggregate des preisbereinigten BIP (Verwendungsseite)

Quelle: Statistisches Bundesamt (2023).

Trotz Zinswende ist die Nachfrage nach Investitionsgütern nach wie vor hoch und Unternehmen scheinen weiterhin zu investieren. So stiegen die Ausrüstungsinvestitionen und sonstigen Anlageinvestitionen konstant im Vergleich zum Vorjahresquartal bis zum aktuellen Rand. Hier sind die Investitionen insbesondere im Bereich der Ausrüstung mit 6,7 % stark gestiegen. Dieser starke Anstieg ist insbesondere auf die Zunahme von gewerblichen Pkw-Neuzulassungen zurückzuführen (Statistisches Bundesamt, 2023). Einzig und allein in den Bauinvestitionen, die im Jahr 2022 immerhin rund 48 % ausmachen, scheint sich ein Effekt der Zinswende und den damit verbundenen höheren Bauzinsen abzubilden. Bereits ab dem zweiten Quartal 2022 sinken die Investitionen im Vergleich zum Vorjahresquartal kontinuierlich um bis zu 5,2 % im vierten Quartal 2022. Hier sind insbesondere Investitionen im Bereich Wohnungsbau und Nichtwohnbauten (Hochbau) betroffen, die um immerhin 5,5 % bzw. 5,4 % fielen. Insgesamt lässt sich bisher noch keine eindeutige Trendumkehr in den Bruttoanlageinvestitionen feststellen. Zwar fielen diese im vierten Quartal 2022 um 1,4 %, stiegen aber im ersten Quartal 2023 wieder um 0,8 % an.

Ein etwas anderes Bild zeichnet sich bei der Betrachtung der Konsumgüter ab. Der Nachholeffekt bei den privaten Konsumausgaben scheint länger zu währen. Allerdings sinken die positiven Wachstumsraten kontinuierlich ab dem zweiten Quartal 2022 bis es am aktuellen Rand zu einem erstmaligen Rückgang von 1 % im Vergleich zum Vorjahresquartal kommt. Hier sind insbesondere die Ausgaben im Bereich Nahrungsmittel und Getränke zurückgegangen (Statistisches Bundesamt, 2023). Mit einem Rückgang von mehr als 5 % sanken aber auch die staatlichen Konsumausgaben am aktuellen Rand deutlich. Der Grund hierfür ist der Wegfall der staatlich finanzierten Coronamaßnahmen, wie z. B. der Durchführung von Coronaimpfungen und -testungen (Statistisches Bundesamt, 2023).

Zwar ist bekannt, dass die Geldpolitik der EZB sehr verzögert und variabel auf die Wirtschaft wirkt. Allerdings besteht weniger Klarheit über die Länge und Stärke von geldpolitischen Impulsen. Die Zinswende scheint am aktuellen Rand anzufangen, Wirkung zu zeigen. Das preisbereinigte Wirtschaftswachstum schwächt sich bereits ab dem zweiten Quartal 2022 ab und stagniert im zweiten Quartal 2023 nach vorläufigen Ergebnissen (Statistisches Bundesamt, 2023). Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob die Zinserhöhungen nicht bereits ausreichen und ein Zinsniveau erreicht ist, um im weiteren Zeitverlauf die Inflationsrate in den Bereich der 2 % Preisstabilität zu verringern und zu stabilisieren. So könnte bei keiner weiteren Verschärfung der Geldpolitik die Inflationsrate bereits bis Ende des Jahres 2023 unter die 4 % sinken und im darauffolgenden Jahr mit 2,8 % wieder in Richtung Preisstabilität gelangen (HWWI, 2023).

Die EZB hat jüngst zum neunten Mal infolge den Leitzins auf aktuell 4,25 % angehoben und scheint dabei vorsichtig agieren zu wollen und eher eine kontinuierliche Geldpolitik zu verfolgen, um nicht nach einer Lockerung wieder eine Erhöhung durchsetzen zu müssen. Durch die Wirkungsverzögerung besteht allerdings die Gefahr, die Zinsen zu stark zu erhöhen und somit eine tiefe Rezession zu verursachen. Daher sollten die Wirkungsdynamiken genau beobachtet werden und jede weitere Verschärfung genau abgewogen werden.

Literatur

Berlemann, M., M. Eurich und E. Haustein (2022), Inflation in Deutschland gewinnt an Fahrt, Wirtschaftsdienst, 102(4), 319-320, https://www.wirtschaftsdienst.eu/inhalt/jahr/2022/heft/4/beitrag/inflation-in-deutschland-gewinnt-an-fahrt.html (25. Juli 2023).

HWWI (2023), Aktuelle HWWI-Konjunkturprognose, https://www.hwwi.org/index.php?id=7199&tx_hwwinews_news %5Bnews %5D=8977&tx_hwwinews_news %5Baction %5D=details&tx_hwwinews_news %5Bcontroller %5D=News&cHash=c06da7f1836ad41dc7d7aa2880b9f717 (28. Juli 2023).

Statistisches Bundesamt (2023), Bruttoinlandsprodukt: Ausführliche Ergebnisse zur Wirtschaftsleistung im 1. Quartal 2023, Pressemitteilung, 203, https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2023/05/PD23_203_811.html (28. Juli 2023).

Statistisches Bundesamt (2023), Bruttoinlandsprodukt stagniert im 2. Quartal 2023, Pressemitteilung, 299, https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2023/05/PD23_203_811.html (28. Juli 2023).

 

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DOI: 10.2478/wd-2023-0160