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Dieser Beitrag ist Teil von Chancen und Risiken von Künstlicher Intelligenz für die deutsche Wirtschaft

Ist es nicht wie bei allen technologischen Hypes? Die neue Technologie wird die Welt revolutionieren, nichts bleibt wie es ist. Gleichzeitig werden Innovationen beflügelt und die Produktivität erfährt nie dagewesene Wachstumsschübe – haben wir dies nicht alles schon mal gehört oder gelesen? In der Regel läuft dann alles langsamer und moderater ab als erwartet. Doch wie steht es um die Künstliche Intelligenz (KI)? Läuft es dieses Mal doch anders als bei Computer und Internet? Verschiedene Studien liefern Evidenz dafür, dass KI die Eigenschaften einer Querschnittstechnologie aufweist, d. h. dass sie sich durch eine hohe technologische Dynamik auszeichnet, in vielen Branchen einsetzbar ist und durch ihre Anwendung Innovationen ermöglicht. Diese Eigenschaften sind es, die auch ein hohes Potenzial für Produktivitätswachstum mit sich bringen (z. B. Brynjolfsson et al., 2019; Cockburn et al., 2019). Erste ökonometrische Analysen zeigen, dass Unternehmen, die KI nutzen, sowohl innovativer als auch produktiver sind, auch wenn dies nicht unbedingt eine kausale Wirkung von KI belegt (Rammer et al., 2022; Czarnitzki et al., 2023).

In den vergangenen zehn Jahren hat sich vor allem das Maschinelle Lernen als KI-Methode weiterentwickelt. Es beruht darauf, dass Softwareprogramme – in der Regel neuronale Netze – aus Daten lernen und Vorhersagen treffen. Agrawal et al. (2018) sprechen daher von „prediction technologies“. Im Gegensatz dazu basiert die symbolische KI darauf, Regeln zu entwickeln, die es ermöglichen, aus verarbeiteten Informationen Schlussfolgerungen zu ziehen. Sie hat jedoch seit 2012 an Bedeutung verloren (z. B. EFI, 2019). Die zunehmende Verfügbarkeit von Daten und Rechenkapazität ermöglicht es große neuronale Netze, sogenannte Transformermodelle bzw. Large Language Models zu berechnen und damit Chatbots, wie ChatGPT von OpenAI, zu entwickeln (z. B. Albrecht, 2023). Dessen Einführung hat die Welt ordentlich aufgerüttelt, weil er Erstaunliches schafft und als „generative KI“ Texte, Bilder und Programmcodes generieren kann.

USA und China dominieren KI-Entwicklung

Bei der Entwicklung von KI ist es ähnlich wie beim Internet. Es sind die großen Tech-Konzerne, wie Microsoft und Google, die viel in KI investieren. Doch wo steht Deutschland im internationalen Vergleich? Die Plattform Lernende Systeme verfolgt die Entwicklung verschiedener KI-Indikatoren.1 Betrachtet man die Zahl wissenschaftlicher Publikationen zu KI als Indikator für die Forschungsleistung, so liegt im Jahr 2022 China mit über 70.000 Publikationen mit Abstand an der Spitze. Es folgen die EU inklusive Großbritannien sowie die USA. Bezogen auf die Einwohnerzahl liegen die USA, Deutschland und Israel fast gleichauf. China ist das Land, aus dem wissenschaftliche KI-Publikationen weltweit am häufigsten zitiert werden, mit einem Anteil von 40 % der Zitationen. Bei der Zahl neu angemeldeter KI-Patente führen im Jahr 2020 die USA. Allerdings hat China auch hier in den Jahren 2019 und 2020 deutlich aufgeholt. An dritter Stelle liegt die EU inklusive Großbritannien, Deutschland folgt mit deutlichem Abstand. Die Reihenfolge der Länder ändert sich, wenn die absoluten Zahlen auf die Zahl der Einwohner:innen bezogen werden. Dann nimmt Israel bei der Zahl neu angemeldeter KI-Patente eine Vorreiterrolle ein.

KI-Start-ups: Finanzierung und Fachkräftemangel

Die Zahl wirtschaftsaktiver KI-Start-ups2 in Deutschland nahm, einer aktuellen Studie von Rammer (2023) zufolge, von rund 1.200 im Jahr 2007 auf rund 3.000 im Jahr 2021 zu. Für 2022 und 2023 zeigt sich eine leichte Abnahme, die unter anderem in einem Rückgang der neugegründeten KI-Start-ups begründet sein dürfte.3 KI-Start-ups sehen vor allem die Finanzierung für neue Projekte (83 % der Start-ups) als auch den Fachkräftemangel (78 %) als Herausforderung an. Aber auch rechtliche Regelungen zum Datenschutz (74 %) und der Zugang zu Daten (68 %) stellen für viele KI-Start-ups eine Herausforderung dar.

Eine Voraussetzung dafür, gesamtwirtschaftliche Produktivitätswirkungen zu erzielen, ist die Nutzung von KI in der Breite der Wirtschaft. Auf der Anwenderseite hat sich die Nutzung von KI durch Unternehmen in Deutschland von knapp 6 % 2019 auf 10 % im Jahr 2021 fast verdoppelt, wie repräsentative Umfrageergebnisse aus dem Mannheimer Innovationspanel zeigen (Rammer, 2022). Wie üblich bei neuen digitalen Technologien finden sich die Nutzer:innen eher unter großen Unternehmen und eher in Branchen, in denen die Verarbeitung von Informationen eine vergleichsweise große Rolle spielt. Im europäischen Vergleich nimmt die deutsche Wirtschaft einen Platz im oberen Drittel ein und liegt mit 11 % KI-nutzender Unternehmen im Jahr 2021 knapp über dem EU-Durchschnitt von 8 % (vgl. Abbildung 1). Dänemark weist mit 24 % die höchste Nutzerrate unter den EU-Ländern auf (Eurostat, 2022).

Abbildung 1
Unternehmen, die KI-Technologien nutzen, nach Ländern, 2021
Unternehmen, die KI-Technologien nutzen, nach Ländern, 2021

Anteil der Unternehmen mit mindestens 10 Beschäftigten, die KI nutzen.

Quelle: Eurostat, 2022.

KI vor allem für Texterkennung und -generierung

KI ist kein homogenes Konstrukt, sondern beschreibt vielfältige Verfahren. Beispiele sind die Text-, Bild- oder Sprach­erkennung oder die KI-gestützte Robotik. In Deutschland nutzen derzeit 37 % der Unternehmen in der Informationswirtschaft4 und 18 % der Unternehmen im verarbeitenden Gewerbe KI für die Texterkennung oder Textgenerierung (vgl. Abbildung 2). Prognosen im kaufmännischen oder technischen Bereich werden von 8 % der Unternehmen in der Informationswirtschaft und von 5 % im verarbeitenden Gewerbe genutzt. Die KI-gestützte Robotik kommt bisher nur bei wenigen Unternehmen zum Einsatz (vgl. Abbildung 2).

Abbildung 2
Anteil der Unternehmen in Deutschland, die das jeweilige KI-Verfahren einsetzen
Anteil der Unternehmen in Deutschland, die das jeweilige KI-Verfahren einsetzen

KI umfasst selbstlernende Computersysteme zur eigenständigen Lösung von Problemen, die insbesondere auf Maschinellem Lernen basieren.

Quelle: ZEW-Konjunkturumfrage, 1. Quartal 2023.

Forschungs- und innovationsfreundliche Rahmenbedingungen schaffen

Mit der im Jahr 2018 verabschiedeten und im Jahr 2020 fortgeschriebenen KI-Strategie hat sich die damalige Bundesregierung (2018, 2020) das ambitionierte Ziel gesetzt, „Deutschland zu einem weltweit führenden Standort bei der Erforschung, Entwicklung und Anwendung von Künstlicher Intelligenz“ zu machen. Von den seit 2019 insgesamt 2,65 Mrd. Euro bereitgestellten Mitteln waren Stand November 2022 1,13 Mrd. verausgabt. Der Bund fördert sechs KI-Kompetenzzentren, d. h. ein Netzwerk bestehend aus elf Standorten bundesweit, KI-Professuren und Nachwuchsgruppen. Hinzu kommen Förderprogramme, die KMU fokussieren sowie die Förderung von KI-Start-ups. Initiativen auf Länderebene, wie das Cyber Valley in Tübingen5, ergänzen die Aktivitäten des Bundes. Bei der anstehenden Aktualisierung der KI-Strategie sollte die Bundesregierung vor allem auf die Schaffung forschungs- und innovationsfreundlicher Rahmenbedingungen hinwirken. Wesentliche Elemente stellen dabei Daten, Fachkräfte und Reallabore dar.

Daten nutzbar machen und Expertise aufbauen

Forschungsgelder zur Verfügung zu stellen und insbesondere wachstumsorientierte KI-Start-ups zu fördern, ist sicherlich eine wichtige Grundlage, um den Forschungs­standort und die Entwicklung innovativer Anwendungen zu unterstützen. Doch finanzielle Förderung alleine wird nicht ausreichen. Maschinelles Lernen und insbesondere generative KI wie ChatGPT benötigen Algorithmen, Daten und Rechenleistung. Gerade bei der Bereitstellung und Nutzung von Daten hat sich Deutschland bislang nicht als Vorreiter erwiesen. Eine enge Auslegung des Datenschutzrechts und eingeschränkte Möglichkeiten, Datensätze nutzbar und miteinander verknüpfbar zu machen, sind Hindernisse, die es zu überwinden gilt. Ein Beispiel hierfür ist das Gesundheitssystem: Trotz langer Planungsphase ist es bislang nicht gelungen, die elektronische Patientenakte in die breite Anwendung zu bringen und Gesundheitsdaten für die Forschung, unter anderem mit Methoden der KI, nutzbar zu machen (Cantner et al., 2023). Das Gesundheitsdatennutzungsgesetz, das seit Juni 2023 im Entwurf vorliegt, soll dazu beitragen Hindernisse aus dem Weg zu räumen, aber dessen Umsetzung ist noch nicht in Sicht.

Eine weitere große Herausforderung besteht darin, Fachkräfte mit geeigneter Expertise zu entwickeln und zu gewinnen, und zwar sowohl für die Spitzenforschung als auch für die Anwendung von KI in Unternehmen. Dem Angebot in den Studienfächern Informatik, Statistik und Ethik kommt damit eine wichtige Bedeutung zu, ebenso wie der Flexibilität, internationale Spitzenforscher:innen mit attraktiven Rahmenbedingungen gewinnen zu können.

Lernende Regulatorik ermöglichen

Auf EU-Ebene befindet sich derzeit der Artificial Intelligence (AI) Act (EU-Kommission, 2021) zur Regulierung von KI in den Trilogverhandlungen zwischen EU-Parlament, EU-Kommission und Mitgliedstaaten und soll bis Ende des Jahres 2023 verabschiedet werden. Eine große Herausforderung besteht darin, einerseits innovative KI-Lösungen und darauf aufbauende Innovationen nicht zu verhindern, aber gleichzeitig die Risiken, die mit der Nutzung von KI verbunden sein können, im Zaum zu halten. Um Chancen und Risiken von KI-Lösungen bewerten zu können und deren Kategorisierung in Risikogruppen, wie sie im AI Act vorgesehen sind, zu erleichtern, kommt Reallaboren eine wichtige Rolle zu (EU-Kommission, 2021; BMWi, 2018). Reallabore erlauben es, innovative Lösungen in zeitlich und räumlich begrenztem Umfeld auszuprobieren, bevor sie nach erfolgreicher Evaluation in die breite Anwendung gebracht werden. Auf Basis des Erkenntnisgewinns kann dann nicht nur die innovative Lösung, sondern auch der regulatorische Rahmen weiterentwickelt werden (acatech, 2023). Für Deutschland ist es daher wichtig, das geplante Reallabore-Gesetz auf den Weg zu bringen und zu verabschieden, um es – nicht nur, aber auch – für KI-Lösungen anwenden zu können.

Ich danke Daniel Erdsiek und Bettina Schuck für die Unterstützung bei der Erstellung des Beitrags.

Literatur

acatech (2023), Lernende Regulatorik als Innovationstreiber – Anregungen zur Ausgestaltung des Reallabore-Gesetzes, acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften.

Albrecht, S. (2023), ChatGPT und andere Computermodelle zur Sprachverarbeitung – Grundlagen, Anwendungspotenziale und mögliche Auswirkungen, TAB-Hintergrundpapier, 26.

Agrawal, A., J. Gans und A. Goldfarb (2018), Prediction Machines – The Simple Economics of Artificial Intelligence, Harvard Business Review Press.

BMWi – Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (2018), Reallabore als Testräume für Innovation und Regulierung. Innovation ermöglichen und Regulierung weiterentwickeln.

Brynjolfsson, E., D. Rock und C. Syverson (2019), Artificial Intelligence and the Modern Productivity Paradox: A Clash of Expectations and Statistics, in A. Agrawal, J. Gans und A. Goldfarb (Hrsg.), The Economics of Artificial Intelligence: an Agenda, National Bureau of Economic Research conference report, The University of Chicago Press.

Bundesregierung (2018), Strategie Künstliche Intelligenz der Bundesregierung – Fortschreibung 2020.

Bundesregierung (2020), Strategie Künstliche Intelligenz der Bundesregierung – Fortschreibung 2020.

Cantner, U., I. Bertschek, G. Bünstorf, C. Häussler, T. Requate und F. Welter (2023), Gesundheitswirtschaft in der digitalen Transformation, Wirtschaftsdienst, 103(7), 460-466.

Cockburn, I. M., R. Henderson und S. Stern (2019), The Impact of Artificial Intelligence on Innovation, in A. Agrawal, J. Gans und A. Goldfarb (Hrsg.), The Economics of Artificial Intelligence: an Agenda, National Bureau of Economic Research conference report, The University of Chicago Press.

Czarnitzki, D., G. P. Fernández und C. Rammer (2023), Artificial Intelligence and Firm-level Productivity, Journal of Economic Behavior & Organization, 211, 188-205.

EU-Kommission (2021), Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council Laying Down Harmonised Rules on Artificial Intelligence (Artificial Intelligence Act) and Amending Certain Union Legislative Acts, https://artificialintelligenceact.eu/the-act/.

Eurostat (2022), Use of artificial intelligence in enterprises, https://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php?title=Use_of_artificial_intelligence_in_enterprises#Enterprises_using_artificial_intelligence_technologies (7. August 2023).

EFI – Expertenkommission Forschung und Innovation (2019), Jahresgutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands.

Rammer, C. (2023), Das Ökosystem für KI-Startups in Deutschland – Vermarktung, Finanzierung, Fachkräfte und Vernetzung in Unternehmensgründungen im Bereich Künstliche Intelligenz, Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (Hrsg.).

Rammer, C. (2022), Kompetenzen und Kooperationen zu Künstlicher Intelligenz – Ergebnisse einer Befragung von KI-aktiven Unternehmen in Deutschland, Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (Hrsg.).

Rammer, C., D. Czarnitzki und G. P. Fernández (2022), Artificial Intelligence and Industrial Innovation, Research Policy, 51(7).

Title:Keeping Pace with Technology – Status Quo, Potentials and Challenges of Artificial Intelligence

Abstract:Artificial Intelligence (AI) is likely to be the next general purpose technology. The U.S. and China are important players in the
development of AI. Germany has a vibrant AI startup scene and is among the fi rst third of EU countries in applying AI technologies. In
order not to lose touch with international developments, Germany should work toward creating research- and innovation-friendly framework
conditions. Appropriate measures include improving data availability, building AI expertise and enabling fl exible regulation.

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© Der/die Autor:in 2023

Open Access: Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht (creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de).

Open Access wird durch die ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft gefördert.


DOI: 10.2478/wd-2023-0149