Kaum eine Technologie wird derzeit so kontrovers diskutiert wie Künstliche Intelligenz (KI). Dabei gibt es sehr unterschiedliche Perspektiven auf das, was man eigentlich unter KI versteht. Sehr allgemein kann man unter KI Systeme, Maschinen oder Instrumente verstehen, die in der Lage sind, Aufgaben zu erfüllen, die eigentlich menschliche Intelligenz erfordern (Russel und Nordvig, 2021). Intelligente Assistenten können Informationen aus der Umwelt aufnehmen, verarbeiten, Aktionen ausführen und aus den entstehenden Wirkungen lernen, sodass die Performance des Systems schrittweise optimiert wird. Bekannte Beispiele stammen aus der industriellen Robotik in lernenden Fabriken (Smart Factory) oder in der Service Robotik (Medizin, Pflege, Sicherheit, Smart Home), bei denen KI physisch z. B. durch intelligent gesteuerte Montagearbeiten oder gar durch einen humanoiden Aufbau des Roboters erlebbar werden. In vielen anderen Bereichen begegnen uns KI-Anwendungen eher virtuell, etwa bei der Nutzung digitaler Assistenten, Suchmaschinen, Bild- oder Spracherkennungsanwendungen oder in den Bereichen Cyber Security, Betrugserkennung oder beim (teil)autonomen Fahren. Vor allem Fortschritte in den Methoden des Maschinellen Lernens in Verbindung mit der Entwicklung immer leistungsfähigerer grafischer Prozessoren (GPU) haben in den vergangenen Jahren das Spektrum von KI-basierten Systemen erweitert und deren Performance massiv verbessert. Dies verdeutlichen auch die seit einigen Monaten im Fokus stehenden sogenannten GAI (Generative ArtificiaI Intelligence) Systeme, wie der inzwischen sehr bekannte Chatbot ChatGPT, der seit seiner Erstveröffentlichung im November 2022 einen Schub in der KI-Diskussion nicht nur hierzulande ausgelöst hat (Brühl, 2023; Cao et al., 2023). GAI-Anwendungen können Texte, Bilder, Videos oder Computer Code selbst als Response auf die Eingaben der Nutzer:innen erzeugen. Die immer besser werdende Qualität des jeweiligen Outputs ist eine Folge der stark steigenden Leistungsfähigkeit solcher Systeme. GAI-Anwendungen basieren häufig auf sogenannten Large Language Models (LLM), die auf sehr leistungsfähigen neuronalen Netzen basieren. Diese werden auf der Basis von riesigen Textdatenmengen trainiert, sodass diese die Syntax und Semantik von Texten lernen, Assoziationen und Zusammenhänge erkennen und eigenständige Schlussfolgerungen ziehen können. Interessant ist, dass die bekannten großen Technologie-Konzerne (BigTech), wie Alphabet (Google), Meta (Facebook), Microsoft, Amazon und Apple, diese gerade entstehenden Märkte für GAI-Anwendungen bereits zu dominieren beginnen. So wurde ChatGPT sowie das dazu gehörige LLM (GPT-3) von OpenAI entwickelt, an dem Microsoft beteiligt ist. Google hat das Konkurrenzprodukt Bard veröffentlicht. Auch die anderen großen Technologie-Konzerne arbeiten an ähnlichen Lösungen. Kritische Marktbeobachter:innen befürchten, dass deutsche und europäische Technologieunternehmen einmal mehr den Anschluss an die US-amerikanischen Tech-Giganten verlieren könnten.
Auch wenn KI ein weites Feld ist und die Wachstumsprognosen gerade in einem noch recht jungen Markt mit großen Unsicherheiten behaftet sind, gehen die meisten Marktbeobachter:innen von einem enormen Wachstum der KI-Märkte in den kommenden Jahren aus. KI hat das Potenzial, die Wettbewerbsfähigkeit von deutschen Unternehmen in zahlreichen Sektoren und damit letztlich auch die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft insgesamt zu beeinflussen.
KI-Forschung in Deutschland
Es stellt sich die Frage, wie Deutschland eigentlich im internationalen Vergleich dasteht. Dazu haben wir die Forschungsproduktivität bei KI untersucht, um herauszufinden, wie deutsche KI-Forschung im internationalen Vergleich positioniert ist. Grundlage für unsere Analyse ist die Publikationsdatenbank DBLP, die mit Unterstützung der Universität Würzburg entsprechende Auswertungen ermöglicht. Wir haben ein Ranking der KI-Forscher:innen gemessen an der über alle Kategorien (unter anderem Natural Language Processing, Machine Learning, Problem Solving, Cognitive AI, Knowledge Representation, Uncertainty, Computer Vision, Robotics) aggregierten Zahl der Publikationen erstellt. Rankings der Forschenden nach den unterschiedlichen KI-Segmenten haben wir ebenfalls erstellt, aber an dieser Stelle nicht veröffentlicht, da es hier nicht um die individuelle Exzellenz der Forscher:innen auf einem spezifischen Gebiet, sondern vielmehr um einen Indikator für die Forschungsproduktivität im Bereich KI insgesamt geht. Eine wünschenswerte Differenzierung der jeweiligen Publikationen z. B. nach Zitierhäufigkeit oder wissenschaftlicher Qualität der jeweiligen Zeitschrift/Konferenz wurde wegen der fehlenden Daten nicht vorgenommen. Abbildung 1 zeigt, dass US-amerikanische Autor:innen dieses Ranking gemessen an der Zahl der wissenschaftlichen KI-Publikationen oder Konferenzbeiträge für den Zeitraum 2013 bis 2022 deutlich anführen. Deutsche Forscher:innen liegen hinter chinesischen Autor:innen jedoch bereits auf Rang drei. Man kann also festhalten, dass die deutsche KI-Forschung auch international eine Spitzenposition einnimmt.
Abbildung 1
Anzahl der KI-Publikationen1 nach Nationalität der Forschenden, 2013 bis 2022
1 Wissenschaftliche Publikationen und Konferenzbeiträge über alle KI-Segmente hinweg (unter anderem Natural Language Processing, Machine Learning, Problem Solving, Cognitive AI, Knowledge Representation, Uncertainty, Computer Vision, Robotics).
Quelle: eigene Berechnungen, https://airankings.professor-x.de/, Universität Würzburg.
Überträgt man diese Auswertung auf die Universitäten, an denen die jeweiligen Forscher:innen tätig oder mit denen diese assoziiert sind, ergibt sich ein verändertes Bild (vgl. Tabelle 1). Denn die Forschenden kommen vor allem an den Spitzeninstituten aus sehr unterschiedlichen Ländern. Es ist zu berücksichtigen, dass in Deutschland bei KI-Forschung sehr bedeutsame Institutionen, wie insbesondere das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) mit seinen unterschiedlichen Standorten oder auch Fraunhofer-Institute, die ebenfalls hochkarätige Forschung mit KI-Bezug betreiben, namentlich hier nicht auftauchen, da die Forscher:innen über ihre jeweiligen Universitäten erfasst werden.
Tabelle 1
Führende Institutionen im Bereich KI
Rang | Institution | Land | KI-Publikationen (2013-2022) | KI-Publikationen in % | Kumulativ in % |
---|---|---|---|---|---|
1 | Carnegie Mellon University | USA | 1.544 | 5,5 | 5,5 |
2 | ETH Zürich | CHE | 1.509 | 5,4 | 10,8 |
3 | U.C. Berkeley | USA | 1.482 | 5,3 | 16,1 |
4 | Stanford University | USA | 1.287 | 4,6 | 20,7 |
5 | Tsinghua University | CHN | 1.227 | 4,4 | 25,0 |
6 | University of Illinois | USA | 1.196 | 4,2 | 29,3 |
7 | MIT | USA | 992 | 3,5 | 32,8 |
8 | The Chinese University of Hong Kong | HGK | 842 | 3,0 | 35,8 |
9 | UCLA | USA | 762 | 2,7 | 38,5 |
10 | Shanghai Jiao Tong University | CHN | 731 | 2,6 | 41,1 |
11 | University of Texas | USA | 727 | 2,6 | 43,6 |
12 | University of Sydney | AUS | 644 | 2,3 | 45,9 |
13 | TU München | GER | 634 | 2,2 | 48,2 |
14 | University of Science and Technology of China | CHN | 619 | 2,2 | 50,4 |
15 | Institute of Computing Techonology, CAS | CHN | 611 | 2,2 | 52,5 |
16 | University of Oxford | GBR | 603 | 2,1 | 54,7 |
17 | University of Pennsylvania | USA | 597 | 2,1 | 56,8 |
18 | TU Darmstadt | GER | 585 | 2,1 | 58,9 |
19 | Italian Institute of Technology (IIT) | ITA | 530 | 1,9 | 60,8 |
20 | The University of Tokyo | JPN | 502 | 1,8 | 62,5 |
21 | University of Washington | USA | 501 | 1,8 | 64,3 |
22 | University of Amsterdam | NLD | 464 | 1,6 | 66,0 |
23 | Arizona State University | USA | 453 | 1,6 | 67,6 |
24 | Harvard University | USA | 441 | 1,6 | 69,1 |
25 | Nanyang Technological University, Singapore | SGP | 439 | 1,6 | 70,7 |
26 | Zayed University of Artificial Intelligence | UAE | 426 | 1,5 | 72,2 |
27 | Zhejiang University | CHN | 399 | 1,4 | 73,6 |
28 | University of Maryland | USA | 383 | 1,4 | 75,0 |
29 | Michigan State University | USA | 380 | 1,3 | 76,3 |
30 | TU Nürnberg | GER | 374 | 1,3 | 77,7 |
31 | Inria - Institut national de recherche en informatique et en automatique | FRA | 373 | 1,3 | 79,0 |
32 | Graduate School at the University of Tokyo | JPN | 371 | 1,3 | 80,3 |
33 | École polytechnique fédérale de Lausanne | CHE | 365 | 1,3 | 81,6 |
34 | National University of Singapore | SGP | 361 | 1,3 | 82,9 |
35 | Max Planck Institute for Informatics Saarbrücken | GER | 356 | 1,3 | 84,1 |
36 | University of Toronto | CAN | 342 | 1,2 | 85,4 |
37 | Texas A&M University | USA | 333 | 1,2 | 86,5 |
38 | Universität Bonn | GER | 328 | 1,2 | 87,7 |
39 | Max Planck Institute for Intelligent Systems Tübingen | GER | 308 | 1,1 | 88,8 |
40 | Ben-Gurion University | ISR | 306 | 1,1 | 89,9 |
41 | Karlsruher Institut für Technologie (KIT) | GER | 300 | 1,1 | 90,9 |
42 | University of Montreal | CAN | 300 | 1,1 | 92,0 |
43 | Hong Kong University of Science and Technology | HGK | 290 | 1,0 | 93,0 |
44 | Loughborough University | GBR | 290 | 1,0 | 94,1 |
45 | Sun Yat-Sen University | CHN | 289 | 1,0 | 95,1 |
46 | University of Adelaide | AUS | 284 | 1,0 | 96,1 |
47 | University of California at Merced | USA | 280 | 1,0 | 97,1 |
48 | Peking University | CHN | 276 | 1,0 | 98,1 |
49 | Nanjing University | CHN | 275 | 1,0 | 99,0 |
50 | Beijing Academy of Artificial Intelligence | CHN | 269 | 1,0 | 100,0 |
Anzahl der Publikationen gesamt | 28.180 |
Quelle: eigene Berechnungen, https://airankings.professor-x.de/, Universität Würzburg.
Es zeigt sich, dass unter den Top 10 mit Carnegie-Mellon, Stanford, MIT, Berkeley, University of Illinois und UCLA gleich sechs US-amerikanische Universitäten zu finden sind, gefolgt von drei Universitäten aus China bzw. Hong Kong. Einzig die ETH Zürich befindet sich als europäische Universität in der absoluten Spitzengruppe. Aber unter den Top-50-Universitäten für KI findet man gleich mehrere deutsche Hochschulen, wie die TU Darmstadt, die TU München, das KIT, Bonn, Nürnberg, Saarbrücken (MPI) und Tübingen (MPI). Wenn man unterstellt, dass exzellente Forschung in der Regel auch mit einer hervorragenden fachspezifischen Ausbildung nicht nur von wissenschaftlichem Nachwuchs, sondern auch für die berufliche Qualifizierung einhergeht, so ist Deutschland mit seinen Instituten auch hier sehr gut aufgestellt.
KI-Start-ups
Der Schritt von erfolgreicher Forschung hin zu praktischen Anwendungen ist gemeinhin eine Herausforderung, die im Technologiesektor traditionell US-amerikanischen Gründer:innen besonders gut gelingt. Dies belegen nicht zuletzt die großen Technologiekonzerne wie Alphabet, Amazon, Meta, Microsoft oder Apple, die oftmals im Umfeld der US-amerikanischen Spitzenuniversitäten gegründet worden sind und ihren Nachwuchs häufig von diesen Hochschulen rekrutieren. Hier hängt nicht nur Deutschland, sondern die EU insgesamt hinterher. Dies belegt exemplarisch die Aufstellung der jährlich vom Marktforschungsinstitut CB Insights (2022) gekürten Top-100-KI-Start-ups. Diese Liste basiert auf einem komplexen Scoring-Modell, in das zahlreiche Faktoren, wie etwa Innovativität, Marktpotenzial, Alleinstellungsmerkmal, Kompetenz/Track-Record des Teams und Patente, einfließen. Es sei erwähnt, dass es neben der hier zitierten Auswahl natürlich auch andere Listen von erfolgversprechenden KI-Start-ups gibt, die alle auf unterschiedlichen Kriterien und zum Teil auch subjektiven Einschätzungen der jeweiligen Marktanalysten beruhen. Daher gehen wir auf einzelne Unternehmen nicht ein. Es geht vielmehr um eine Indikation für die geografische Verteilung von KI-Start-ups, denen man eine gewisse Erfolgswahrscheinlichkeit zuordnet. Innerhalb der Top-100 wird keine Reihenfolge gebildet. Für das Jahr 2022 ergibt sich das folgende Bild (vgl. Abbildung 2).
Abbildung 2
Verteilung der Top-100 KI-Start-ups, 2022
Quelle: CBInsights 2023, eigene Berechnungen.
Allein 73 der im Jahr 2022 ausgewählten KI-Start-ups kommen aus den USA, gefolgt von Großbritannien (8), Kanada (5) und Israel (4). Bei den Anwendungsfeldern halten sich Entwicklungs-Tools, industriespezifische und industrieübergreifende Applikationen in etwa die Waage. Nur zwei der Top-100-Unternehmen kommen aus Deutschland.
Fazit
Es besteht also eine deutliche Diskrepanz zwischen der Forschungsproduktivität deutscher KI-Wissenschaftler:innen sowie der Qualität der universitären Einrichtungen einerseits und den (erfolgreichen) Unternehmensgründungen auf diesem Gebiet andererseits. Die möglichen Gründe für diese Beobachtung können vielfältig sein. Viele Spitzenforscher:innen mögen eine Tätigkeit in der Forschung bevorzugen oder ihre berufliche Perspektive eher in einem größeren bereits etablierten Unternehmen suchen und somit die hohen Risiken einer Unternehmensgründung meiden. Manche Beobachter:innen machen das Fehlen von Risikokapital (Venture Capital) dafür verantwortlich. Andere Stimmen sehen einen Mangel an Pioniergeist in der jungen Generation, dem man etwa durch entsprechende Bildungsangebote in Schulen oder durch Studiengänge wie Entrepreneurship an den Hochschulen begegnen müsste. Vielleicht müssen wir in Deutschland und Europa stärker in Clustern denken, in denen Forschung, Gründungen und industrielle Kooperationen leichter gedeihen als in einem fragmentierten, dezentralen System wie wir es hier in Deutschland pflegen.
Literatur
Brühl, V. (2023), Generative Artificial Intelligence (GAI) – foundations, use cases and economic potential, 19. Juli, Center for Financial Studies Working Paper, 713, https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=4515593 (28. Juli 2023).
Cao, Y., S. Li, Y. Liu, Z. Yan, Y. Dai, P. S. Yu und L. Sun (2023), A comprehensive survey of ai-generated content (aigc): A history of generative ai from gan to chatgpt, arXiv, preprint arXiv:2303.04226.
CB Insights (2022), The most promising artificial intelligence startups of 2022, Top 100 AI Startups, 17. Mai.
Russel, S. J. und P. Nordvig (2021), Artificial Intelligence – A Modern Approach, 4. Aufl., Pearson.