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Was für den Industriestrompreis spricht

Von Jens Südekum

Der Industriestandort Deutschland steht vor großen Herausforderungen. Eigentlich wären massive Investitionen erforderlich. Aber hierfür hat sich das Umfeld ungünstig entwickelt. Wesentlicher Treiber sind die Energiepreise. Nach der akuten Krise infolge des russischen Angriffskriegs haben sich die Preise für Erdgas und Strom zwar wieder zurückentwickelt. Sie liegen aber weiterhin deutlich höher als in anderen Standorten, die von den Angebotsschocks weniger betroffen sind, insbesondere den USA. Zudem werden von dort im Rahmen des Inflation Reduction Act (IRA) großzügige Subventionen für Ansiedlungen gezahlt, die den Druck nochmals erhöhen. Für die deutsche Wirtschaftspolitik gibt es zwei mögliche Reaktionen. Entweder sie interpretiert diese neuen Konstellationen als langfristiges Gleichgewicht. Dann müsste sie akzeptieren, dass sich die energieintensiven und besonders vom IRA fokussierten Industriezweige dauerhaft aus Deutschland verabschieden und sollte dann die Reallokation der freiwerdenden Ressourcen in andere Bereiche forcieren. Oder sie geht von der Prämisse aus, dass die derzeit hohen Energiepreise vorübergehende Krisenfolgen sind, die sich wieder relativieren. So wurde seit Kriegsausbruch der Ausbau von Wind- und Solarenergie erheblich beschleunigt und mit Überkapazitäten zur Anlandung von LNG-Flüssiggas kombiniert. Mit der weiteren Skalierung dürfte eine Kostendegression einsetzen, die letztlich zu spürbar sinkenden Strompreisen führen kann.

Ob diese Rechnung so aufgeht, ist naturgemäß ungewiss. Aber die Politik darf sie auch nicht vorschnell verwerfen. Deshalb hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) ein Zwei-Säulen-Konzept vorgelegt. Die unstrittige erste Säule (Transformationsstrompreis) versucht, mit nochmals neuen Instrumenten den Ausbau des grünen Stromangebots weiter zu beschleunigen. Kontrovers diskutiert wird nur die zweite Säule, der sogenannte Brückenstrompreis. Dieser gleicht für ein verbrauchsabhängiges Kontingent die Differenz zwischen Marktpreis und einer fixen Schwelle von 6 ct/kWh aus. Das hat zwei Effekte: erstens sorgt es für eine sofortige Dämpfung der Kosten bei heute schon stromintensiven Unternehmen und mildert dadurch den Abwanderungsdruck. Zweitens könnten Unternehmen profitieren, die noch an fossilen Energien hängen. Denn der garantierte Strompreispfad kann Investitionen zur Elektrifizierung der Produktion rentabel machen, die sonst aufgrund von Unsicherheit unterblieben.

Droht hier eine Dauersubvention der Industrie? Das hängt davon ab, welches Strompreisszenario tatsächlich eintritt. Sinken die Marktpreise wieder, macht sich der Brückenstrompreis bis 2030 von selber überflüssig. Ohne Strukturkonservatismus hätte er dann den Industriestandort stabilisiert, transformative private Investitionen induziert und eine realwirtschaftliche Reallokation vermieden, die mutmaßlich zu erheblichen Verwerfungen auf lokalen Arbeitsmärkten geführt hätte. Bleiben die Marktpreise für Strom hingegen hoch, droht die Brücke endlos zu werden. Ex post hätte man dann den Schlussstrich lieber eher ziehen sollen. Aber in diesem Szenario wäre es um den Industriestandort Deutschland eh schlecht bestellt und der gescheiterte Industriestrompreis wäre vermutlich unser geringstes Problem. Ex ante wissen wir nicht, welche Konstellation eintritt und wie die zukünftige Verteilung der komparativen Vorteile aussieht. Schon jetzt davon auszugehen, dass es für Industriezweige mit hohem Strombedarf ohnehin keine Zukunft mehr in Deutschland gibt – und deshalb temporäre Subventionen abzulehnen, obwohl andere Länder solche gewähren – ist ein politisches Vabanquespiel, auf das sich die Bundesregierung nicht einlassen kann.

Geld mit der Gießkanne kauft keine realen Standortvorteile

Von Alfons Weichenrieder

In den vergangenen 24 Monaten haben zwei Entwicklungen den deutschen Strompreis maßgeblich nach oben getrieben. Zum einen gab es beginnend in der zweiten Jahreshälfte 2021 einen rasanten Anstieg des Erdgaspreises. Dieser erhöhte die Kosten der mit Erdgas betriebenen Kraftwerke und verteuerte den gesamten Großhandelspreis für Strom, weil meist die Erdgaskraftwerke als marginale Produzenten preisbildend sind. Dieser Grund für hohe Strompreise ist weitgehend entfallen. Zuletzt ist der europäische Großhandelspreis für Erdgas wieder auf das Niveau von September 2019 gefallen. Kostennachteile bestehen weiterhin gegenüber den USA, die im Gegensatz zu Deutschland in die heimische Gasproduktion investiert haben, nicht dagegen gegenüber Asien.

Zum anderen erhöhte sich seit Ende 2020 der CO2-Preis im Europäischen Zertifikatehandel von ca. 24 Euro auf um die 90 Euro am aktuellen Rand. Diese Preiserhöhung hat einen nachhaltigen Effekt auf den Großhandelspreis am Strommarkt und bedeutet für Gaskraftwerke zusätzliche Grenzkosten von 4 ct/kWh und mehr. Gegenüber den Jahren vor der Energiekrise ergibt sich alleine daraus in etwa eine Verdoppelung des Großhandelspreises am Strommarkt. Letztlich ist diese Preiserhöhung politisch gewollt, auch wenn solche Kosten, die sich aus einer steigenden CO2-Bepreisung ergeben, in den meisten anderen Teilen der Welt – zumindest auf diesem Niveau – nicht existieren.

Während gerade über das Arbeitspapier des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) und dessen Vorschlag eines Brückenstromtarifs für die Industrie diskutiert wird, hat Deutschland dieses Jahr bereits knapp 3 Mrd. Euro an Beihilfen an die strom­intensive Industrie bereitgestellt, ohne dass dies in dem BMWK-Papier auch nur erwähnt wird. Bei diesen 3 Mrd. handelt es sich um Mittel für die sogenannte Strompreiskompensation, die für bestimmte, besonders stromintensive Industrien einen Ausgleich dafür schaffen soll, dass der europäische CO2-Handel den Strompreis inzwischen deutlich erhöht. Wegen der bereits erfolgten Steigerung des CO2-Preises ist absehbar, dass die Mittel 2024 auf fast 5 Mrd. anwachsen müssten, um den Preisanstieg abzufedern. Das Kabinett hat am 9. August im Umlaufbeschluss dafür 2,6 Mrd. Euro eingeplant.

Die Konstruktion der Strompreiskompensation, die im Gegensatz zu neuen BMWK-Vorschlägen bereits europäisch abgestimmt ist, mag nicht perfekt sein. Aber im Gegensatz zum Gießkannenprinzip der vom BMWK zum Vorbild ernannten „Besonderen Ausgleichsregelung“ bestimmt es die relevanten Sektoren noch vergleichsweise zielgenau. Darüber hinaus adressiert es einen Nachteil, der in der politischen Bepreisung liegt. Das Instrument versucht nicht gegen reale Kostennachteile „anzusubventionieren“.

Deutschland hat sich trotz gigantischer Herausforderungen entschieden, grundlastfähige, funktionsfähige Kraftwerke stillzulegen und hat damit das Vertrauen der stromintensiven Industrien in den Standort sicher nicht gestärkt. Die CO2-freie Stabilisierung der Stromversorgung ist eine Mammutaufgabe und erfordert einen teuren und technologisch noch nicht ausgereiften Einstieg in die Wasserstoffwirtschaft, der sicher nicht 2030 abgeschlossen sein wird, schon weil die Infrastruktur dafür noch nicht einmal in Ansätzen vorhanden ist. Deutschland, das weder besonders viel Wind, Sonne oder nennenswerte Stauseen zu bieten hat, sollte daher besser seine Mittel investieren, anstatt neue schuldenfinanzierte Subventionen auszuschütten, die reale Kostennachteile nicht verringern, sondern nur notdürftig zukleistern.

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© Der/die Autor:in 2023

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DOI: 10.2478/wd-2023-0142