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Der Beschluss der Ampelkoalition, die Ziele für erneuerbare Energien in Hinblick auf Heizungstypen – dynamisch über die Zeit – vorzugeben und dies in der Novelle des Gebäudeenergiegesetzes zu regeln, hat eine Kehrseite. Einerseits geht es um die wachsende Qualität des Endenergieträgers hinsichtlich der erneuerbaren Energien, der in einem Heizungssystem genutzt wird. Andererseits geht es um den Ausstieg aus einem leitungsgebundenen fossilen Energieträger in der Fläche, der auf Wasserstoff praktisch nicht umrüstbar ist. Es geht also um den Rückzug der Gasverteilnetzwirtschaft aus ihrem zentralen Vermögenswert. Die Netze werden schrittweise weniger genutzt, müssen schließlich stillgelegt und gemäß Konzessionsverträgen vielerorts rückgebaut werden. Drei Ausstiege aus etablierten Energieträgern, die dem Verbrennungsprinzip folgen, haben wir in Deutschland bereits erlebt: (1) aus der Atomkraft, (2) aus der Steinkohle und (3) aus der Braunkohle. In allen drei Fällen hat der Staat die Ausstiege finanziell unterstützt – sich teilweise übermäßig großzügig gezeigt. Vor diesem Hintergrund fällt auf, dass diese Lösung bei den Gasverteilnetzen nicht im Raum steht und von der betroffenen Wirtschaft, meist in kommunaler Hand, auch nicht gefordert wird. Dennoch ist es selbstverständlich so, dass auch hier „stranded assets“ entstehen. Wer soll die tragen? Darum wird gerungen. Nur die Bühne ist eine andere. Denn es geht nicht um Staatsgeld, bislang zumindest nicht.

Der Grund für den Bühnenwechsel: Die leitungsgebundene Gaswirtschaft ist reguliert. Gasnetze werden im Monopolmodus betrieben. Die regulierungspolitische Maxime lautet „Umlage der erforderlichen Kosten“ auf die Kunden. Das Abrechnungsverhalten der Monopolisten steht unter der Aufsicht der Bundesnetzagentur (BNetzA). Sie entscheidet, welche Kosten erforderlich sind, über welche Zeit die anfänglichen Investitionen in die Netze amortisiert werden dürfen und mit welchem Kapitalzins. In der geltenden Netzentgelt-Regulierung, genauer der Option einer Änderung der Gasnetzentgeltverordnung (GasNEV), liegt das Eisen im Feuer. Die Kosten der Gasverteilnetze, die es den Kunden „anteilig“ in Rechnung zu stellen gilt, bestehen aus drei Elementen: (1) für den laufenden Betrieb – diese periodengerecht in Rechnung zu stellen, ist einfach; (2) dem Aufwand für die Investitionen – da wird es mit der Perspektive des Ausstiegs recht „tricky“; (3) dem ebenfalls regulierten Preis für das vorgestreckte Kapital, dem Kalkulationszins – da muss man ganz grundsätzlich werden. Bei dem Aufwand für das sehr langlebige Gut „Gasverteilnetze“ gilt die Maxime: Er ist über die Jahre („Lebensdauer“), über die das Netz voraussichtlich noch genutzt wird, gleichmäßig zu verteilen. Damit sind die Kosten pro Periode bestimmbar, die auf die jeweiligen Netznutzer proportional zur bezogenen Gasmenge umgelegt werden. Hierfür sind Annahmen über die Zukunft zu machen, und eine zentrale lautet: Die Entgeltregulierung für Erdgasverteilnetze ist auf einen Netzbetrieb zugeschnitten, der auf unbegrenzte Dauer angelegt ist. Die Vorgaben mit dieser Ewigkeitsunterstellung, operationalisiert in einer linearen Abschreibungszeit von bis zu 65 Jahren, sind von der BNetzA vor gut 15 Jahren erst erlassen worden.

Da muss nun etwas geschehen. Die durch den russischen Angriffskrieg ausgelöste Gaskrise habe, so die BNetzA, die Dekarbonisierung des vom Erdgas versorgten Sektors in den Fokus gerückt. Mit Beschluss vom 8. November 2022 wurden die kalkulatorischen Nutzungsdauern von Erdgasleitungsinfrastrukturen für NEU-Investitionen (ab 2023) potenziell auf gut 20 Jahre (bis spätestens 2045) gesenkt. Damit sind die Kosten neuer Netzteile für die Endkunden um den Faktor Drei (!) erhöhbar gemacht worden. Die Erdgasnetz-Lobby fordert dasselbe nun für Bestandsnetze. Das aber wird die Gaskunden noch schneller zum Absprung drängen. Daher wird nun ergänzend gefordert, dass der Regulierer die Vorgabe linearer Abschreibung auf degressiv umstellt. Wer noch Gaskunde ist, soll die absehbaren Buchwertverluste noch mittragen.

Vollständig wird das nicht gelingen. Es wird ein Rest an Verlusten zu tragen sein. Die Branche aber, vertreten durch den Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft, fordert „keine Entwertung bestehender Vermögenswerte.“ Damit gerät der regulierte Kalkulationszinssatz in den Blick. Über die Bestimmung von dessen Höhe hatte es regelmäßig Konflikte gegeben. Die Pointe ist: Der Kalkulationszinssatz besteht aus zwei Teilen. Die genehmigte Eigenkapitalverzinsung setzt sich zusammen aus dem risikolosen Basiszins (2,49 %) und dem „Wagniszuschlag“ (3,15 %). Zu entscheiden ist nun, ob das Entstehen von „stranded assets“ im Rahmen der klimapolitisch motivierten Energiewende Teil jener „Wagnisse“ ist, für welche die Eigenkapitalgeber bereits entlohnt worden sind oder ob dieses Risiko für sie unabsehbar war, für das sie deshalb nicht zu zahlen haben. Es stehen interessante Debatten an.

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© Der/die Autor:in 2023

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DOI: 10.2478/wd-2023-0164