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Auf der politischen Agenda stehen vermehrt Probleme, deren Lösung kurzfristig Erfolge verspricht. Doch angesichts der langfristigen Herausforderungen, wie grüner und digitaler Transformation, demografischem Wandel und geopolitischen Risiken, müssen Bereiche in den Fokus rücken, die die langfristige Prosperität der deutschen Wirtschaft zu sichern vermögen. Als treibende Kraft hinter einer langfristig prosperierenden Wirtschaft ist der technologische Fortschritt von herausragender Bedeutung. So war es bereits im 19. Jahrhundert, als der technologische Fortschritt die Menschen in den sich industrialisierenden Ländern trotz eines hohen Bevölkerungswachstums aus der Malthusianischen Falle befreite und zu langfristigem Wirtschaftswachstum und steigendem Wohlstand beigetragen hat. Malthus hingegen hatte in seinen Überlegungen diesen Faktor nicht bedacht.

Damit Innovationen geschaffen werden können, muss Humankapital in der entsprechenden Quantität aber vor allem auch Qualität vorhanden sein. So verdeutlicht ein Blick zurück, welch zentrale Rolle das Bildungssystem und das vorhandene Humankapital sowohl beim Aufholen an die technologische Grenze (Catching-up) als auch bei Innovationen an dieser Grenze spielen. Deutschland war einst im internationalen Vergleich führend, was die Fortschrittlichkeit und die Qualität des Bildungssystems anbelangt. Das ist zwar eine ganze Weile her, aber in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts haben die vielen hochqualifizierten Arbeitskräfte jenen Industrien an die Weltspitze verholfen, die selbst heute noch das Bild der deutschen Industrie prägen. Hierzu zählen die Elektrotechnik, die chemische Industrie und der Maschinenbau (Murmann, 2003).

Umso bedauerlicher ist es, dass Deutschland bereits seit längerer Zeit zu den Sorgenkindern im internationalen Vergleich hinsichtlich der Bildungserfolge zählt. Wößmann et al. (2023) zeigten kürzlich eine ansteigende und anschließend abfallende Kurve – den „traurigen Smiley“, der – wenn er könnte – wohl bitterlich weinen würde. Demnach schneiden deutsche Schüler:innen bei PISA-Tests nicht nur im internationalen Vergleich verhältnismäßig schlecht ab, sondern ihre Leistungen haben sich auch im Laufe der Zeit – nach einer positiven Entwicklung infolge des Pisa-Schocks – wieder verschlechtert. Es ist erstaunlich, dass in einem hoch entwickelten Land wie Deutschland das Bildungssystem in einem derart schlechten Zustand ist und somit in unzureichender Weise in künftiges Humankapital investiert wird. Noch erstaunlicher ist allerdings, dass auch nicht der Eindruck vermittelt wird, dass die Bildungspolitik bei den Regierungen oberste Priorität hat bzw. dass durch große Reformen ein nachhaltiger Wandel angestoßen wird. Dabei wird die desolate Lage des deutschen Bildungssystems seit Längerem diskutiert.

Zudem zieht sich das Bildungs-Drama durch alle Bereiche: Es beginnt bei der Unterversorgung mit Kita-Plätzen und einem Mangel an Erzieher:innen (Kohlrausch, 2023), geht über in einen sich verschärfenden Lehrkräftemangel (bis 2035 fehlen rund 66.000 Lehrkräfte) und ein qualitativ schlechtes Bildungssystem hinsichtlich Vergleichbarkeit und Chancengerechtigkeit. Es macht bei unbesetzten Ausbildungsstellen nicht halt und endet mit fehlenden Fachkräften, z. B. in den wichtigen MINT- und Gesundheitsbereichen. Laut einer aktuellen IW-Studie (Anger et al. 2023) konnten im April 2023 um die 300.000 Stellen im MINT-Bereich nicht besetzt werden. Dabei sind es vor allem MINT-Fachkräfte, die in den Unternehmen, etwa in den Zukunftsbereichen Biotechnologie und Künstliche Intelligenz (KI), für innovative Lösungen dringend gebraucht werden. Doch eine langfristige Lösung der Bildungsmisere ist nicht in Sicht.

Damit stellt sich auch die Frage, wie es um die Innovationsfähigkeit Deutschlands bestellt ist. Die neuesten Ergebnisse des umfangreichen Innovationsindikators zeigen (Frietsch et al., 2023), dass Deutschland im Vergleich zu 34 Industrie- und Schwellenländern im Jahr 2021 den 10. Platz einnimmt. An dieser Position hat sich seit 2005 wenig geändert, was zwar auf Stabilität, aber auch auf wenig Dynamik hindeutet. Wesentliche Hemmnisse sind laut der Studie der Fachkräftemangel, zu geringe Gründungszahlen sowie fehlende Forschungskooperationen. Diverse Studien machen deutlich, dass das Fachkräftepotenzial besser genutzt und ausgebaut werden muss, damit der Fachkräftemangel nicht die Innovationsfähigkeit der Unternehmen hemmt. Die negativen Auswirkungen dieses Mangels haben zuletzt stark zugenommen. Neben der Zuwanderung von Fachkräften muss die Ausbildung und die (Weiter-)Qualifizierung der Arbeitskräfte im Land vorangetrieben werden. Ebenso muss die Erwerbsbeteiligung der Frauen erhöht werden, was aber wiederum auch an der unzureichenden Betreuungssituation scheitert.

Zudem müssen die Bedingungen für innovative Start-ups weiter verbessert werden, da vor allem junge Unternehmen sehr innovativ sein können. Ihre finanzielle Förderung sollte zügiger vonstattengehen und darf nicht an bürokratischen Hürden scheitern. Zwar hat sich die Zahl der Gründungen in Deutschland in den vergangenen Jahren positiv entwickelt, jedoch steht Deutschland speziell bei den technologieorientierten Gründungen nicht gut da (Sternberg et al., 2023). Schließlich sollte die Kooperation von Wissenschaft und Wirtschaft und damit der Technologietransfer weiter verbessert werden. Die Grundlagenforschung spielt vor allem für Innovationen im Deeptech-Bereich eine zentrale Rolle. Jedoch sind in Deutschland vergleichsweise wenig Unternehmen an der Grundlagenforschung beteiligt und es gibt zu wenig Ausgründungen aus Universitäten. Staatliche Maßnahmen wie die Bundesagentur für Sprunginnovationen (SPRIND) existieren bereits bzw. sind z. B. mit der Deutsche Agentur für Transfer und Innovation (DATI) in Planung. Belege für deren erfolgreiche Umsetzung und vor allem deren langfristige positive Wirkung müssen aber noch folgen.

Die grüne und digitale Transformation der Wirtschaft kann nur gelingen, wenn verstärkt nach innovativen Lösungen gesucht wird. Hierzu ist eine intensive Forschung notwendig. Neben der bereits existierenden staatlichen Forschungsförderung, die weiter verbessert werden kann, werden gut ausgebildete Arbeitskräfte und innovative Unternehmen benötigt, die bereit sind, in Deutschland zu investieren und zu forschen. Im Bereich KI etwa investieren und forschen andere Länder deutlich mehr und hängen Deutschland in diesem Zukunftsfeld ab. Daher sollte es im Interesse der Politik sein, Humankapital zu fördern – vom Kleinkind in der Kita bis zum erfahrenen Beschäftigten – und für Unternehmen die Rahmenbedingungen bestmöglich zu gestalten. Ressourcenschonendes und nachhaltiges Wirtschaftswachstum und Wohlstand werden erst durch innovative Lösungen möglich. So sagte kürzlich auch Volker Wieland (2023): „Große Innovationen werden eben nicht am Schreibtisch im Bundeswirtschaftsministerium entdeckt.“

Literatur

Anger, C., J. Betz und A. Plünnecke (2023), MINT-Frühjahrsreport 2023.

Frietsch, R. et al. (2023), Innovationsindikator 2023, Studie 
von BDI, Roland Berger, Fraunhofer ISI und ZEW.

Kohlrausch, B. (2023), Kinderbetreuung: 57 Prozent der erwebstätigen Eltern mit Schließungen oder verkürzten Betreuungszeiten Betroffen, Pressemitteilung vom 4. August, Hans-Böckler-Stiftung.

Murmann, J. P. (2003), Knowledge and Competitive Adventage, The Coevolution of Firms, Technology, and National Instutions, Cambridge University Press.

Sternberg et al. (2023), Global Entrepreneurship Monitor: Unternehmensgründungen im weltweiten Vergleich.

Wieland, V. (2023), Deutschland braucht keine Subventionen, sondern Pragmatismus, Handelsblatt, 3. August.

Wößmann, L. et al. (2023), Sinkendes Leistungsniveau, hohe Chancenungleichheit, Wirtschaftsdienst, 103(4), 233-237.

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© Der/die Autor:in 2023

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Open Access wird durch die ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft gefördert.


DOI: 10.2478/wd-2023-0161