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Dieser Beitrag ist Teil von Familienpolitik – Quo vadis?

Familienpolitik stand diesen Sommer im Mittelpunkt der öffentlichen Debatte: Themen wie Einsparungen beim Elterngeld, Reformen des Ehegattensplittings sowie die Ausgestaltung einer Kindergrundsicherung wurden teils sehr heftig diskutiert. In der Debatte ging es um Verteilungs- und Gerechtigkeitsfragen, um gleichstellungspolitische Fragen und nicht zuletzt auch um Haushaltsfragen: In welchem Ausmaß kann und soll sich die deutsche Gesellschaft öffentliche familienbezogene Leistungen leisten?

Die Debatte hat zahlreiche altbekannte Konflikte zwischen verschiedenen familienpolitischen Zielen aufgezeigt: Zum einen wurde in der Diskussion um die Kindergrundsicherung der Zielkonflikt zwischen Armutsvermeidung einerseits und Stärkung der Erwerbsanreize andererseits als eine Variante des klassischen Equity-Efficiency Trade-offs deutlich. Zum anderen zeigte sich in der Debatte um die Streichung des Elterngeldes für Paare mit hohem Einkommen der bekannte Zielkonflikt zwischen Verteilungs- und Gleichstellungspolitik: Aus verteilungs- bzw. sozialpolitischen Gründen ist die Streichung des Elterngeldes für Paare mit hohem Einkommen gerechtfertigt, aber sie konterkariert die gleichstellungspolitischen Ziele des Elterngeldes, das unter anderem die ökonomische Unabhängigkeit beider Elternteile befördern sollte.

Während sich Bewertung und Priorisierung verschiedener familienpolitischer Ziele im Laufe der Zeit immer wieder ändern, bleiben die Wirkungsweisen der vorhandenen familienpolitischen Instrumente über die Jahre ziemlich konstant. Diese Wirkungsweisen wurden vor zehn Jahren im Rahmen der Gesamtevaluation ehe- und familienorientierter Leistungen umfassend empirisch untersucht (Bonin et al., 2013). An dieser Gesamtevaluation, die gemeinsam vom Bundesfinanzministerium und Bundesfamilienministerium in Auftrag gegeben wurde, waren zahlreiche wissenschaftliche Institutionen beteiligt. Die wichtigsten ehe- und familienorientierten Leistungen wie z. B. Kindergeld und Kinderfreibetrag, öffentliche Subventionierung der Kindertagesbetreuung, Elterngeld, Ehegattensplitting, Kinderzuschlag usw. wurden hinsichtlich ihrer Wirkung in Bezug auf fünf von der Politik vorgegebene Ziele untersucht.1

Ein zusammenfassender Bericht, der von den an der Gesamtevaluation beteiligten Wissenschaftler:innen der Wirtschaftsforschungsinstitute ifo (München), ZEW (Mannheim) und DIW (Berlin) gemeinsam verfasst wurde, folgerte aus den zentralen Resultaten einige wesentliche Empfehlungen an die Familienpolitik (Bonin et al., 2013). Zum einen empfahlen die Forscher:innen vor zehn Jahren, die Kindertagesbetreuung, einschließlich der Nachmittagsbetreuung für Schulkinder, quantitativ und qualitativ weiter auszubauen. Eine weitere Empfehlung war, das Elterngeld weiterzuentwickeln, um mehr Anreize für eine partnerschaftliche Arbeitsteilung zu setzen. Schließlich empfahl die Gruppe, das Ehegattensplitting zu einem gedeckelten Realsplitting umzubauen.2

Die Politik des vergangenen Jahrzehnts hat diese Empfehlungen nur in Teilen umgesetzt. Der Ausbau der Kindertagesbetreuungsplätze und der Ganztagsschulen wurde zwar vorangetrieben. Allerdings ist in den vergangenen zehn Jahren auch die Nachfrage nach diesen Betreuungsformen gestiegen, sodass nach wie vor ein Mangel an Betreuungsplätzen herrscht.3

Beim Elterngeld gab es 2015 mit der Einführung des „Elterngeld Plus“ kleine Veränderungen, die die Möglichkeiten zur Teilzeit-Erwerbstätigkeit während der Elternzeit verbessert haben (Samtleben et al., 2019). Eine große Reform, die die Anreize zu einer gleichmäßigeren Aufteilung der Elternzeit zwischen Müttern und Vätern spürbar verbessert, ist jedoch bislang ausgeblieben. Ebenso wenig wurde eine Reform des Ehegattensplittings angegangen. Auch wenn Mitte des Sommers die Debatte über das Ehegattensplitting kurzzeitig aufgeflammt ist – Reformen des Ehegattensplittings sind im Koalitionsvertrag der Ampelregierung nicht vorgesehen und daher in naher Zukunft auch nicht zu erwarten.4

Handlungsbedarfe und Reformvorschläge sind jedoch in beiden Politikbereichen seit langem bekannt. Die ungleiche Aufteilung der Erwerbs- und Sorgearbeit zwischen Männern und Frauen, die mit der Familiengründung und der ungleichen Aufteilung der Elternzeit beginnt und sich bis zum Ende des Erwerbslebens fortsetzt (Schäper et al., 2023), ist ein wesentlicher Grund für viele geschlechtsspezifische Ungleichheiten am Arbeitsmarkt, z. B. bei Löhnen (Gender Pay Gap) sowie bei der Arbeitszeit. Die Teilzeitquote von Frauen ist in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern sehr hoch (OECD, 2023). Viele Frauen reduzieren ihre Erwerbstätigkeit von einer Vollzeit-Tätigkeit auf eine Teilzeit-Tätigkeit in der Lebensphase mit kleinen Kindern. Das Modell „Vater arbeitet Vollzeit, Mutter arbeitet Teilzeit“ ist in Deutschland die am häufigsten verbreitete Variante der innerfamiliären Arbeitsteilung (Müller et al., 2020). Aus gleichstellungs- aber auch arbeitsmarktpolitischer Sicht problematisch ist, dass sehr viele Frauen auch nach der Phase mit Kleinkindern ihr Arbeitsvolumen nicht wieder ausdehnen (Schrenker und Zucco, 2020). Dies liegt vermutlich unter anderem an der verfestigten Aufteilung der unbezahlten Sorgearbeit innerhalb der Familie.

Familienpolitische Regelungen wie die des Elterngeldes oder des Ehegattensplittings haben aufgrund der durch sie gesetzten finanziellen Anreize einen wesentlichen Einfluss auf die Arbeitsteilung innerhalb der Familie. So hat beispielsweise die Einführung des Elterngeldes mit seinen zwei Partnermonaten im Jahr 2007 dazu geführt, dass der Anteil der Väter, die Elternzeit nehmen, deutlich gestiegen ist. Vor Einführung des Elterngeldes waren es etwa 3 % aller Väter, die Elternzeit genommen haben. Mittlerweile liegt dieser Anteil bei über 40 % (Brehm et al., 2022). Gleichzeitig ist es kein Zufall, dass der überwiegende Teil der Väter, die Elternzeit nehmen, dies exakt für zwei Monate tun – das sind genau die zwei Partnermonate, die für jeden Elternteil individuell vorgesehen und nicht übertragbar sind, die bei Nicht-Inanspruchnahme also verfallen würden.

Eine Ausweitung der Partnermonate wäre ein naheliegender Schritt, stärkere Anreize für eine gleichmäßigere Aufteilung der Kinderbetreuung zwischen Müttern und Vätern zu setzen. Eine andere Möglichkeit wurde vom Sachverständigenrat des 9. Familienberichts vorgeschlagen: Die Lohnersatzrate beim Elterngeld könnte für die ersten sieben Monate von derzeit 65 % auf 80 % erhöht werden. Gleichzeitig, so der Vorschlag, könnten die Partnermonate von zwei auf drei Monate ausgeweitet werden. Drei der sieben Monate wären so jeweils individuell an einen Elternteil gebunden und könnten nicht auf den anderen Elternteil übertragen werden. Nach dem Zeitraum von sieben Monaten würde die Lohnersatzrate des Elterngeldes nach diesem Vorschlag auf 50 % sinken, für maximal vier Monate. Dieser Vorschlag würde bedeuten, dass das gemeinsame Elterngeld dann am höchsten ist, wenn beide Elternteile jeweils sieben Monate Elternzeit nehmen, denn die Lohnersatzrate liegt in diesem Fall durchschnittlich bei 80 % für beide Elternteile. Aber selbst bei einer asymmetrischen Aufteilung von z. B. elf Monaten (Frau) und drei Monaten (Mann) läge die Lohnersatzleistung mit 69 % (Frau) und 80 % (Mann) höher als heute (BMFSFJ, 2021). Durch die Erhöhung der Partnermonate von zwei auf drei Monate sowie durch die dynamischen Lohnersatzraten stärkt dieser Ansatz die finanziellen Anreize zu einer gleichmäßigeren Aufteilung der Elternzeit.

Nach Ablauf der Elternzeit bzw. des Bezugs von Elterngeld beeinflussen weitere institutionelle Regelungen des Steuer- und Transfersystems die innerfamiliäre Aufteilung der Erwerbs- und Sorgearbeit. Das Zusammenspiel der gemeinsamen Besteuerung im Rahmen des Ehegattensplittings, der beitragsfreien Mitversicherung von Ehepartner:innen in der gesetzlichen Krankenversicherung sowie der steuerlichen Behandlung der Einkünfte aus Minijobs führen dazu, dass die Konstellation „Vater arbeitet Vollzeit, Mutter arbeitet im Minijob“ für viele Familien finanziell sehr attraktiv ist. Die negativen Auswirkungen, die von diesen institutionellen Regelungen insbesondere auf das Arbeitsangebot verheirateter Frauen ausgehen, wurden in zahlreichen empirischen Studien aufgezeigt.5 Deutschland wurde von Institutionen wie der EU-Kommission, der OECD oder dem Internationalen Währungsfonds in diesem Bereich immer wieder zu Reformen aufgerufen. Zahlreiche konkrete Reformvorschläge liegen seit geraumer Zeit auf dem Tisch.6

Eine mögliche Reform wäre beispielsweise die Umwandlung des Ehegattensplittings in ein Realsplitting mit Übertragungsbetrag in Höhe des Grundfreibetrags. Beim Realsplitting kann der oder die höher verdienende Partner:in einen maximalen Übertragungsbetrag als Sonderausgaben von seinem bzw. ihrem steuerpflichtigen Einkommen abziehen. Diesen Betrag muss dann der oder die empfangende Partner:in als sonstiges Einkommen versteuern.7 Eine Möglichkeit wäre, den Übertragungsbetrag in Höhe des Grundfreibetrags anzusetzen (derzeit 10.908 Euro). Dieser Vorschlag würde der rechtlichen Anforderung, dass private Unterhaltsverpflichtungen zumindest in Höhe des Existenzminimums als Minderung der steuerlichen Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen sind, Rechnung tragen.8 Simulationen haben gezeigt, dass eine solche Reform mit einer moderaten Erhöhung sowohl der Erwerbsquote als auch der wöchentlichen Arbeitszeit von Frauen verbunden wäre (Bach et al., 2020). Die positiven Arbeitsangebotseffekte einer Reform des Ehegattensplittings könnten mit einer gleichzeitigen Abschaffung der Minijobs noch deutlich verstärkt werden (Blömer et al., 2021).9

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Reformen beim Elterngeld, dem Ehegattensplitting und den Minijobs – insbesondere wenn gleichzeitig umgesetzt – stärkere finanzielle Anreize für eine gleichmäßigere Aufteilung der Erwerbs- und Sorgearbeit zwischen Frauen und Männern setzen könnten. Damit hätten sie mittelfristig das Potenzial, geschlechtsspezifische Ungleichheiten am Arbeitsmarkt zu verringern. Zudem könnten so auch Erwerbshemmnisse für verheiratete Frauen abgebaut werden – was nicht zuletzt auch angesichts des zunehmenden Arbeitskräftemangels dringend notwendig wäre.

  • 1 Diese Ziele waren (1) die Sicherung der wirtschaftlichen Stabilität der Familien, (2) die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, (3) die frühe Förderung von Kindern, (4) die Erfüllung von Kinderwünschen und (5) der Nachteilsausgleich zwischen den Familien (vgl. dazu Bonin et al., 2013).
  • 2 Weitere Empfehlungen waren die steuerliche Absetzbarkeit der Betreuungskosten an Betreuungsqualität zu koppeln, das Kindergeld nicht zu erhöhen sowie die Evaluationskultur weiter zu entwickeln. Zu weiteren Details siehe Bonin et al. (2013).
  • 3 Vgl. hierzu z. B. das Kita-Ländermonitoring der Bertelsmann-Stiftung: https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2022/oktober/2023-fehlen-in-deutschland-rund-384000-kita-plaetze#detail-content-2c3e-222833 (4. September 2023).
  • 4 Im Koalitionsvertrag findet sich eine Vereinbarung über eine Reform der Lohnsteuer von Ehepartner:innen. Die Kombination der Lohnsteuerklassen III und V soll abgeschafft werden. Dies ist allerdings nicht zu verwechseln mit einer Reform des Ehegattensplittings (vgl. dazu Bach et al., 2022).
  • 5 Eine ausführliche Zusammenfassung empirischer Studien zu den Anreizwirkungen des deutschen Steuer- und Transfersystems auf das Arbeitsangebot von Zweitverdienenden findet sich in Lembcke et al. (2021).
  • 6 Ein Vergleich verschiedener Reformoptionen des Ehegattensplittings sowie die Simulation ihrer potenziellen fiskalischen Effekte und Verhaltenseffekte findet sich in Bach et al. (2020).
  • 7 Dieses Realsplitting können geschiedene Ehepartner:innen in Deutschland praktizieren. Der maximale Übertragungsbetrag liegt derzeit bei 13.805 Euro pro Jahr (Bach et al., 2020).
  • 8 Im Fall so einer Reform müssten auch die Regelungen für den Übertragungsbetrag geschiedener Ehepartner:innen entsprechend angepasst werden, sodass es nicht zu einer steuerlichen Besserstellung geschiedener Paare im Vergleich zu verheirateten Paaren kommt.
  • 9 Für bestimmte Gruppen wie Schüler:innen, Studierende und Rentner:innen könnten Minijobs beibehalten werden. Vgl. zu diesem Vorschlag Wrohlich (2023).

Literatur

Bach, S., B. Fischer, P. Haan und K. Wrohlich (2020), Reform des Ehegattensplittings: Realsplitting mit niedrigem Übertragungsbetrag ist ein guter Kompromiss, DIW Wochenbericht, 41, 785-794.

Bach, S., P. Haan und K. Wrohlich (2022), Abschaffung der Lohnsteuerklasse V sinnvoll, ersetzt aber keine Reform des Ehegattensplittings, DIW Wochenbericht, 10, 159-165.

Blömer, M., P. Brandt und A. Peichl (2021), Raus aus der Zweitverdienerinnenfalle. Reformvorschläge zum Abbau von Fehlanreizen im deutschen Steuer- und Sozialversicherungssystem, Studie im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung.

BMFSFJ – Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.) (2021), Neunter Familienbericht. Eltern sein in Deutschland.

Bonin, H., A. Fichtl, H. Rainer, C. K. Spiess, H. Stichnoth und K. Wrohlich (2013), Zentrale Resultate der Gesamtevaluation familienbezogener Leistungen, DIW Wochenbericht, 40, 3-13.

Brehm, U., M. Huebener und S. Schmitz (2022), 15 Jahre Elterngeld: Erfolge, aber noch Handlungsbedarf. Ein Blick auf partnerschaftliche Arbeitsteilung und Karrieren, Bevölkerungsforschung aktuell, 6.

Lembcke, F., L. Nöh und M. Schwarz (2021), Anreizwirkungen des deutschen Steuer- und Transfersystems auf das Erwerbsangebot von Zweitverdienenden, Arbeitspapier 06/2021, Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.

Müller, K.-U., C. Samtleben, J. Schmieder und K. Wrohlich (2020), Corona-Krise erschwert Vereinbarkeit von Beruf und Familie vor allem für Mütter – Erwerbstätige Eltern sollten entlastet werden, DIW Wochenbericht, 19, 331-340.

OECD (2023), Joining Forces for Gender Equality. What is Holding us Back?, OECD Publishing, https://doi.org/10.1787/67d48024-en.

Samtleben, C., C. Schäper und K. Wrohlich (2019), Elterngeld und Elterngeld Plus: Nutzung durch Väter gestiegen, Aufteilung zwischen Müttern und Vätern aber noch sehr ungleich, DIW Wochenbericht, 35, 607-613.

Schäper, C., A. Schrenke und K. Wrohlich (2023), Gender Pay Gap und Gender Care Gap steigen bis zur Mitte des Lebens stark an, DIW Wochenbericht, 9, 99-105.

Schrenker, A. und A. Zucco (2020), Gender Pay Gap steigt ab dem Alter von 30 Jahren stark an, DIW Wochenbericht, 10, 137-145.

Wrohlich, K. (2023), Wie lässt sich die Erwerbsbeteiligung von Frauen erhöhen?, Makronom, 8. März.

Title:Reforms of Parental Leave Benefi ts and the Taxation of Married Couples Could Enhance Gender Equality

Abstract:Germany is characterised by large gender gaps in the labour market. Both the gender pay gap as well as the gender gap in working hours are among the highest in Europe. Family policy reforms such as increasing the parental leave period that is ear-marked for fathers as well as reducing the high marginal tax rates for secondary earners resulting from the joint taxation of married couples with full income splitting (“Ehegattensplitting”) could help to mitigate the existing gender gaps in the labour market. These reforms are also paramount due to the increasing labour scarcity stemming from the demographic change.

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© Der/die Autor:in 2023

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DOI: 10.2478/wd-2023-0169