Während die Arbeitsmärkte in Europa und auf der ganzen Welt unter den Auswirkungen der großen Rezession 2008/2009 und der europäischen Schuldenkrise 2012/2013 zu leiden hatten, war in Deutschland ein starker und anhaltender Aufschwung auf dem Arbeitsmarkt zu beobachten. Bis vor Corona hatte sich die Arbeitslosigkeit im Vergleich zum Höchststand von 2005 mehr als halbiert, und die Beschäftigung wies auch in Zeiten schwacher Konjunktur einen stabilen Aufwärtstrend auf. Selbst kurz nach Corona und der Energiekrise erreicht die Beschäftigung neue Rekordstände. Auf Basis einer empirischen Analyse werden die möglichen Einflussfaktoren systematisch gegeneinander abgewogen, um die Relevanz und zeitliche Abfolge der verschiedenen Effekte einschätzen zu können.
Nach 2005 verzeichnete Deutschland einen viele Jahre dauernden, starken Aufschwung am Arbeitsmarkt. Wichtige Treiber des Aufschwungs waren höhere Matching-Effizienz, Stellenschaffung und Suchintensität, was auf eine wichtige Rolle der Arbeitsmarktreformen Mitte der 2000er Jahre hindeutet. Auch die deutlich sinkende Entlassungsneigung stützte den Arbeitsmarkaufschwung. In den vergangenen Jahren war dies eine Folge der zunehmenden Knappheit am Arbeitsmarkt, welche die Betriebe veranlasste, sich Arbeitskräfte zu sichern. Die Ausweitung des Arbeitskräftepotenzials über Zuwanderung und höhere Erwerbsbeteiligung schuf dabei den nötigen Raum für Beschäftigungssteigerungen. Die schwache Lohnentwicklung hatte begrenztere Auswirkungen. Bis zur großen Rezession zeigten sich beschäftigungssteigernde Effekte der Zurückhaltung bei der Lohnsetzung. Ein Teil dieser Lohnschwäche ging auf zunehmende Kompromissbereitschaft und Suchintensität zurück, die mit den Reformen in Verbindung stehen. Keine wichtige Rolle spielte dagegen das Wirtschaftswachstum, wie etwa ein Exportboom. Arbeitsmarkt und BIP-Entwicklung haben sich zunehmend entkoppelt.
Abbildung 1
Entwicklung der Beschäftigung in Deutschland
Zahl der Erwerbstätigen in Mio., Arbeitsort in Deutschland, saisonbereinigt
Quelle: Destatis.
Abbildung 1 zeigt die monatliche Beschäftigungsentwicklung anhand der Zahl aller Erwerbstätigen (sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, marginal Beschäftigte, Selbstständige sowie Beamte) von Januar 1992 bis Mai 2023. Insbesondere nach 2005 gab es einen beständigen, steilen Aufwärtstrend: Am aktuellen Rand waren ca. 6,7 Mio. Personen mehr beschäftigt als noch 2005. Insbesondere die robuste Beschäftigungsentwicklung während der Großen Rezession 2008/2009 gab Anlass zur Debatte; trotz der immensen Rückgänge beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) und der Produktivität erlebte Deutschland eine ausgeprägte Phase des Hortens von Arbeitskräften. Aufgrund der Rezession war die Beschäftigung kaum zurückgeworfen worden. Im Gegensatz dazu mussten viele andere Volkswirtschaften zunächst große Beschäftigungsverluste ausgleichen. Auch die europäische Schuldenkrise 2012/2013 schlug sich kaum auf die Beschäftigungsentwicklung nieder, obwohl auch zu dieser Zeit die Wirtschaftsentwicklung in Deutschland schwach war. Zuletzt gab es einen Rückschlag im Zuge der Coronakrise, aber auch dieser war relativ schnell überwunden, und die Beschäftigung ist seitdem wieder aufwärts gerichtet.
Abbildung 2
Entwicklung der Arbeitslosigkeit in Deutschland
Zahl der Arbeitslosen in Mio., saisonbereinigt
Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit.
Abbildung 2 zeigt die Entwicklung der Arbeitslosigkeit. Diese sank in den Jahren nach ihrem Höchststand (über 5 Mio. Personen im März 2005) deutlich. Gleichzeitig stieg aber insbesondere zu Beginn dieser Phase die Zahl der offenen Stellen bei Weitem nicht in gleichem Ausmaß. Die Beveridge-Kurve, die normalerweise negativ verlaufende Kurve in einem Arbeitslosigkeits-Stellen-Diagramm, wanderte deutlich nach innen, was ein klares Zeichen dafür war, dass die Matching-Effizienz gestiegen war. Auch bei der Arbeitslosigkeit stoppte die Große Rezession den günstigen Trend nur kurz; sie fiel fast kontinuierlich weiter, bis sie 2019 ihren vorläufigen Tiefstand erreichte. Zuletzt hinterließen die Coronakrise (ab 2020) sowie die Integration ukrainischer Geflüchteter (ab 2022) ihre Spuren in der Arbeitslosenstatistik. Insgesamt bleibt festzuhalten, dass die Zahl der Arbeitslosen auch am aktuellen Rand immer noch nur halb so groß ist wie bei ihrem Höchststand im März 2005. Diese Entwicklung ist umso beeindruckender, als Deutschland in den Jahrzehnten zuvor eigentlich treppenförmige Anstiege der Arbeitslosigkeit gewohnt war: Arbeitslosigkeit stieg in Rezessionen, sank aber im jeweils anschließenden Aufschwung dann nicht wieder auf das Ausgangsniveau ab. Etwas war also passiert, das diese gewohnte sklerotische Verfestigung der Arbeitslosigkeit durchbrochen hatte.
Die Frage nach den entscheidenden Ursachen für diesen deutschen Arbeitsmarktboom steht auch im Zentrum intensiver Debatten in Wissenschaft und Politik. Einige Fragestellungen lauten dabei: Welche Rolle spielten die Arbeitsmarktreformen Mitte der 2000er Jahre (Hartz-Reformen)? War der Arbeitsmarktaufschwung durch eine starke Konjunktur bedingt? Hat die schwache Lohnentwicklung erst die Voraussetzung für die Beschäftigungsausweitung geschaffen? Welche Rolle spielten der demografische Wandel und die Zuwanderung?
Diese Fragen sind auch heute von hoher Bedeutung. Schließlich stockt ein weiterer Abbau der Arbeitslosigkeit nach Corona und der Energiekrise erheblich. Zu Zeiten von Transformation und demografischem Wandel bestehen erhebliche Herausforderungen für die Zukunft der Beschäftigung. Deshalb beleuchten wir, wie der bemerkenswerte Arbeitsmarktaufschwung zustande kam.
Während sich eine produktive wissenschaftliche Literatur zu diesem Thema entwickelt hat, konzentrieren sich die meisten Arbeiten allerdings auf einzelne potenzielle Faktoren des Arbeitsmarktaufschwungs. Auch wenn dies bereits wichtige Erkenntnisse gebracht hat, soll hier ein weitergehender Beitrag geleistet werden: Mit der Analyse werden systematisch die möglichen Gründe für den Aufschwung des Arbeitsmarkts empirisch gegeneinander abgewogen, um zum einen die Relevanz und zum anderen die zeitliche Abfolge der verschiedenen Effekte einschätzen zu können. Wir stützen uns dabei auf die Studie von Hutter et al. (2022), die für den Zeitraum Januar 1992 bis Dezember 2017 eine makroökonometrische Analyse in einem einheitlichen methodischen Rahmen umsetzt.
Es gibt viele mögliche Einflussfaktoren
Wir stellen die Frage, was zu den starken Verbesserungen bei Arbeitslosigkeit und Beschäftigung geführt hat. Im Folgenden diskutieren wir dafür die möglichen Einflussfaktoren, die in der empirischen Analyse berücksichtigt werden.
Arbeitskräfteangebot: Eine Beschäftigungsausweitung auf dem Arbeitsmarkt folgt dem Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage. Die Beschäftigung ist im Arbeitsmarktaufschwung deutlich stärker gestiegen als die Arbeitslosigkeit gesunken ist. Während die demografische Komponente der deutschen Erwerbsbevölkerung eindeutig negativ ist, stieg die Erwerbsbevölkerung dennoch aufgrund der Rekordzuwanderung und der höheren Erwerbsbeteiligung stark an. Insgesamt belief sich die Nettozuwanderung zwischen 2006 und 2017 auf 3,8 Mio., während sich die Erwerbsquote der 15- bis 65-Jährigen von 73,7 % im Jahr 2005 auf 78,2 % im Jahr 2017 erhöhte. Deshalb sprechen etwa Burda und Seele (2016) sowie Klinger und Weber (2020) von wesentlichen Effekten des Arbeitskräfteangebots.
Arbeitszeit: Die Arbeitszeit könnte für den Arbeitsmarktaufschwung in zweierlei Hinsicht eine Rolle gespielt haben. Die Teilzeitquote stieg von 34,0 % im Jahr 2006 auf 38,5 % im Jahr 2017. Dies könnte zum Beschäftigungswachstum gemessen in Köpfen beigetragen haben. Weiterhin reagierten die Unternehmen auf die Große Rezession 2008/2009 – und noch ausgeprägter in der Coronapandemie – mit starken Arbeitszeitverkürzungen. Dieses Horten von Arbeitskräften könnte die Beschäftigung gestützt haben, wie von mehreren Studien analysiert wurde (Balleer et al., 2017; Weber, 2015; Herzog-Stein und Zapf, 2014; Burda und Hunt, 2011).
Wirtschaftswachstum: Wirkungen des Wirtschaftswachstums werden über zwei Faktoren abgebildet. Zum einen geht es um Effekte, die längerfristig die Gesamtproduktivität verbessern, also vor allem der technologische Wandel. Zum anderen könnte auch ein eher nachfrageseitig getriebener Konjunkturzyklus eine Rolle spielen. Beispielsweise wurde der deutsche Arbeitsmarktaufschwung mit der kräftigen Wirtschaftsentwicklung in China Mitte der 2000er Jahre und der starken deutschen Exportorientierung in Zusammenhang gebracht. Die deutsche Wirtschaft durchlief in der Zeit des Arbeitsmarktaufschwungs sehr unterschiedliche Phasen, etwa von solidem Wachstum bis hin zur Großen Rezession und der Eurokrise. Im Durchschnitt stieg das BIP zwischen 2005 und 2018 um 1,5 % pro Jahr.
Lohnsetzung: Geringere Lohnkosten könnten Arbeitgeber dazu bewegen, ihren Personalbestand aufzubauen. In der Tat entwickelten sich die Löhne seit den 1990er bis in die 2000er Jahre insgesamt schwach. Eine Rolle könnte dabei die zunehmende Flexibilisierung der Lohnsetzung gespielt haben (Dustmann et al., 2014), etwa die zunehmende Verbreitung tariflicher Öffnungsklauseln. Auch der Grad der Tarifbindung ist zu nennen. Ein weiteres Beispiel einer für die Lohnsetzung relevanten Institution ist die Einführung des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns. Bei diesen Punkten geht es also um Institutionen der Lohnsetzung.
Konzessionsbereitschaft: Weiterhin spielen die sogenannten Außenoptionen der Arbeitnehmer eine wesentliche Rolle. So reduzierten die Hartz-Reformen die Länge des Anspruchs auf Arbeitslosengeld, ersetzten die einkommensabhängige Arbeitslosenhilfe durch die bedarfsgeprüfte Grundsicherung und führten schärfere Sanktionen und Zumutbarkeitsregeln ein. Dies verringerte Reservationslöhne und Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer. So war die Bereitschaft zu Lohnzugeständnissen im Zuge der Hartz-Reformen nach Ergebnissen von Krebs und Scheffel (2013) oder Rebien und Kettner (2011) gestiegen. Hierbei geht es also um die Bereitschaft zu Zugeständnissen bzw. die Suchintensität, die von Außenoptionen abhängen.
Matching-Effizienz: Beschäftigung steigt, wenn mehr offene Stellen ausgeschrieben werden, aber auch, wenn Stellen und Arbeitsuchende besser zueinander finden. Genau dieses Matching ist Kernaufgabe eines Arbeitsmarkts. Hier spielt auch die Bundesagentur für Arbeit eine wichtige Rolle, bei der es mit den Hartz-Reformen zu umfassenden Änderungen kam. Stichworte sind Fallmanager, Kundensegmentierung, Arbeitgeberservice, Einbeziehung der Sozialhilfeempfänger in die arbeitsmarktpolitischen Bemühungen, stärkere Orientierung arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen an Grundsätzen der Wirksamkeit, Vereinbarung von Eingliederungsziel und -anstrengung, Einführung von Online-Jobplattformen. In der Tat wurde eine Steigerung der Matching-Effizienz nach den Reformen beispielsweise von Launov und Wälde (2016), Klinger und Weber (2016), Stops (2016), Hertweck und Sigrist (2015), Klinger und Rothe (2012) sowie Fahr und Sunde (2009) festgestellt.
Entlassungsneigung: Beschäftigungssteigerungen können nicht nur aus mehr Einstellungen, sondern auch aus weniger Entlassungen resultieren. Die Rolle von Entlassungen bei der Erklärung des Arbeitsmarktaufschwungs in Deutschland wurde etwa von Klinger und Weber (2020, 2016) und Hartung et al. (2018) beleuchtet. Die Entlassungsneigung von Unternehmen hängt einerseits von den Entlassungskosten ab. Dabei sind Kündigungsschutz- und Befristungsregeln relevant, die unter anderem mit den Hartz-Reformen gelockert wurden. Derartige Maßnahmen sollen die Schaffung von Arbeitsplätzen begünstigen. Üblicherweise verstärkt sich die Bewegung am Arbeitsmarkt, klare Auswirkungen auf den Beschäftigungsstand müssen sich jedoch nicht zwangsläufig ergeben (Kahn, 2010; Cahuc und Postel-Vinay, 2002). Andererseits spielen Opportunitätskosten für Entlassung und Einstellung eine Rolle. Diese werden durch die Knappheit am Arbeitsmarkt beeinflusst. Je teurer und zeitaufwändiger der Einstellungsprozess ist, desto zurückhaltender sind die Unternehmen mit Entlassungen.
Intensität der Stellenschaffung: „Arbeitsplätze schaffen“ war lange ein politisches Schlagwort in Deutschland. Ökonomisch entspricht das der Ausschreibung zusätzlicher offener Stellen. Diese Stellenschaffung wird üblicherweise durch Faktoren wie Produktivität und Lohnkosten bestimmt. Diese beiden Variablen sind im Modell abgebildet und deren Einflüsse damit kontrolliert. Darüber hinaus isolieren etwa Gehrke und Weber (2018) eine Komponente, die über diese Standardfaktoren hinaus beschreibt, wie intensiv Stellen geschaffen werden. Insbesondere die Deregulierung des Arbeitsmarkts wirkt sich auf die Schaffung von Arbeitsplätzen aus, da sie die Kosten für die Einhaltung gesetzlicher Beschränkungen in Arbeitsverträgen senkt. In Deutschland haben etwa Leiharbeit und geringfügige Beschäftigung nach der Deregulierung durch die Hartz-Reformen einen erheblichen Anteil an der Arbeitsmarktdynamik ausgemacht. Hochmuth et al. (2021) finden einen wesentlichen Effekt der Arbeitslosengeldreform auf die Stellenschaffung, wie auch auf die Selektionsrate der Firmen.
Empirische Analyse ermittelt Einflüsse der Faktoren
Die Analyse geht in drei Schritten vor. Zunächst wird ein strukturelles makroökonometrisches Modell für die Variablen gemeldete Stellen, Arbeitslosigkeit, Beschäftigung, Übergangsrate von Arbeitslosigkeit in Beschäftigung, Lohn, Produktivität, Entlassungsquote und Arbeitszeit pro Kopf spezifiziert und geschätzt. Dieses Modell ermöglicht es, die treibenden Kräfte für den Arbeitsmarkt zu identifizieren – d. h. ihre Effekte eindeutig voneinander zu trennen – reduziert die Modellannahmen aber auf ein Minimum und lässt somit so weit wie möglich die Daten sprechen. Das Identifikationsschema kann Hutter et al. (2022) entnommen werden.
Basierend auf diesem Modell bestimmen wir die Reaktionen der Modellvariablen über die Zeit, falls ein bestimmter Impuls in einem der Einflussfaktoren auftritt. Schließlich ermitteln wir, wann welche Impulse auftraten und wie groß diese waren. Damit können wir über die Periode 2005 bis 2017 die Einflüsse der Faktoren auf Arbeitslosigkeit und Beschäftigung darstellen. Dabei betrachten wir drei Teilzeiträume (vgl. Tabelle 1).
Tabelle 1
Beiträge der Arbeitsmarktschocks zur Beschäftigungs- und Arbeitslosigkeitsentwicklung
Arbeitskräfteangebot | Arbeitszeit | Lohnsetzung | Konzessionsbereitschaft | Matching-Effizienz | Entlassungsneigung | Stellenschaffung | |
---|---|---|---|---|---|---|---|
Beschäftigung | |||||||
Aug. 2005 - Dez. 2008 | -398 | +79 | +287 | +23 | +350 | +426 | +237 |
Jan. 2009 - Dez. 2011 | -558 | +51 | -220 | +39 | +664 | -29 | +317 |
Jan. 2012 - Dez. 2017 | +640 | +326 | +83 | +9 | +565 | -217 | +80 |
Arbeitslosigkeit | |||||||
Aug. 2005 - Dez. 2008 | +26 | -63 | -338 | -67 | -576 | -388 | -268 |
Jan. 2009 - Dez. 2011 | +2 | -23 | +254 | -21 | -695 | -6 | -203 |
Jan. 2012 - Dez. 2017 | -3 | -189 | -68 | -77 | -572 | +205 | -95 |
Quelle: eigene Berechnungen.
Der Arbeitsmarktboom beginnt
Der erste Teilzeitraum umfasst die Zeitspanne zwischen August 2005, als die Arbeitslosigkeit zu sinken begann, und Dezember 2008, kurz bevor die große Rezession den Arbeitsmarkt erfasste. Diese Phase war geprägt von einem starken wirtschaftlichen Aufschwung, der aber laut unseren Ergebnissen gar nicht ausschlaggebend für den Arbeitsmarktaufschwung war. Stattdessen wurde die Beschäftigung hauptsächlich durch niedrigere Entlassungsneigung sowie gestiegene Matching-Effizienz und Intensität der Stellenschaffung gestützt. Auch spielten günstige Einflüsse der Lohnsetzung eine Rolle; es gab also Lohnmoderation, die die Beschäftigung steigen und die Arbeitslosigkeit sinken ließ. Dagegen war in dieser frühen Phase des Arbeitsmarktaufschwungs die damals noch schwache Entwicklung beim Arbeitsangebot sogar ein Hindernis.
Durch die große Rezession
Der zweite Teilzeitraum umfasst die große Rezession und die anschließende Erholung (Januar 2009 bis Dezember 2011). Vor allem die stark gesunkene Produktivität und ein immer noch schwaches Arbeitsangebot hätten in dieser Zeit, isoliert betrachtet, für sinkende Beschäftigung gesorgt, erstere auch für steigende Arbeitslosigkeit. Die Lohnsetzung hatte moderat negative Auswirkungen, denn die Löhne sanken in dieser Zeit bei Weitem nicht so stark wie die Produktivität. Dass der deutsche Arbeitsmarkt dennoch so gut durch die Krise kam, verdankt er im Wesentlichen zwei Faktoren: einer gestiegenen Matching-Effizienz sowie einer höheren Intensität der Stellenschaffung. Daneben trugen flexible Arbeitszeitregelungen zur Sicherung der Arbeitsplätze bei. Zudem schlugen sich die Hartz-Reformen nun verstärkt in einer höheren Konzessionsbereitschaft nieder, was die Beschäftigungsentwicklung in dieser Zeit ebenfalls stützte.
Der Aufschwung setzt sich fort
Der dritte Teilzeitraum umfasst die folgenden fünf Jahre – eine Phase größtenteils stabiler wirtschaftlicher Entwicklung und eines starken Arbeitsmarktbooms, trotz der Rezession in der Eurozone. Im Gegensatz zu den Jahren davor spielte nun ein steigendes Arbeitskräfteangebot die herausragende Rolle für den Arbeitsmarktaufschwung. Ohne die Integration von Migranten in den Arbeitsmarkt sowie eine höhere Erwerbsbeteiligung von Älteren wäre ein derartiges Beschäftigungswachstum gar nicht möglich gewesen, bei gleichzeitig zu vernachlässigenden Einflüssen auf die Arbeitslosigkeit. Zudem war erneut eine verbesserte Matching-Effizienz ein wichtiger Faktor. Hier dürften auch eine höhere Rekrutierungsintensität der Unternehmen sowie eine größere Bereitschaft der Arbeitgeber, ein gewisses Mismatch der Arbeitnehmerprofile in Kauf zu nehmen, eine Rolle gespielt haben (z. B. Bossler et al., 2018). Außerdem schritt die technologische Entwicklung bei der Online-Jobsuche voran (Faberman und Kudlyak, 2016; Kuhn und Mansour, 2014), was eine zunehmende Transparenz und somit ein schnelleres und effizienteres Matching ermöglichte. Auch die sinkende durchschnittliche Arbeitszeit stützte die Beschäftigungsentwicklung – also die Zunahme der Teilzeitjobs, die noch stärker wuchsen als die ebenfalls steigende Vollzeitbeschäftigung. Beispielsweise begünstigten neue Regelungen zur Elternzeit die Akzeptanz von Teilzeitbeschäftigung (Zimmert und Zimmert, 2020).
Fazit
Deutschland erlebte seit Mitte der 2000er Jahre einen starken Aufschwung am Arbeitsmarkt. Bis heute dauern die Diskussionen über dessen Ursprung an, insbesondere im Hinblick auf die umstrittenen Hartz-Reformen und die Tatsache, dass viele andere europäische Länder im gleichen Zeitraum eine Schwäche auf dem Arbeitsmarkt durchlebten. In diesem Beitrag haben wir basierend auf Hutter et al. (2022) eine breite Palette von potenziellen Einflussfaktoren gleichzeitig untersucht.
Unsere Ergebnisse deuten auf eine wichtige Rolle der Hartz-Reformen für den Aufschwung hin, über höhere Matching-Effizienz, Stellenschaffung und Suchintensität. Der Positivtrend in der Matching-Effizienz setzte sich auch in der großen Rezession fort und glich so konjunkturbedingte Negativeffekte aus. Effekte über stärkere Stellenschaffung zeigten sich vor allem vor der großen Rezession und seit 2015. Die schwache Lohnentwicklung hatte begrenztere Auswirkungen. Bis zur großen Rezession zeigten sich beschäftigungssteigernde Effekte der Zurückhaltung bei der Lohnsetzung. Ein Teil der Lohnschwäche geht aber auch auf zunehmende Kompromissbereitschaft und Suchintensität zurück, die mit dem durch die Reformen erhöhten Druck in Verbindung stehen. Diese Effekte nahmen kontinuierlich seit 2005 zu.
Die Entlassungsneigung ging deutlich zurück und stützte den Arbeitsmarkaufschwung. Im vorletzten Jahrzehnt könnte das darauf zurückzuführen sein, dass sich Alternativen etwa über die Verkürzung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes mit den Reformen verschlechtert hatten. In der Folge wurde die sinkende Entlassungsneigung aber ihrerseits durch die deutlich steigende Knappheit am Arbeitsmarkt verursacht, da Betriebe sich Arbeitskräfte sicherten. Der fortgesetzte Aufschwung wurde also von einem selbstverstärkenden Effekt getragen (Klinger und Weber, 2020). Die Ausweitung des Arbeitskräftepotenzials über Zuwanderung und höhere Erwerbsbeteiligung schuf dabei den nötigen Raum für Beschäftigungssteigerungen. Gerade die Zuwanderung wurde seit 2011, spätestens seit 2014, zu einem bedeutenden Faktor. Keine wichtige Rolle spielte dagegen das Wirtschaftswachstum, also etwa ein Exportboom. Dieses Ergebnis steht im Einklang mit der Feststellung von Klinger und Weber (2020), dass sich Arbeitsmarkt und BIP zunehmend entkoppelt haben. Stattdessen wird der Arbeitsmarkt von Impulsen auf dem Arbeitsmarkt selbst angetrieben.
Was lässt sich aus den Ergebnissen zu den Gründen eines Aufschwungs vor Corona für die Zeit nach Corona lernen? Einige Faktoren sind noch immer intakt. So liegt die Zahl offener Stellen außerordentlich hoch, sogar über dem Niveau vor der Pandemie. Auch der Trend zu geringeren Entlassungsquoten hat sich fortgesetzt. Nur kurzzeitig zu Pandemiebeginn gab es einen Entlassungsschub, aber über den Rest der Corona-Zeit und auch durch die Energiekrise hindurch hielten die Arbeitgeber an den knapper werdenden Beschäftigten fest.
Aus rein demografischen Gründen wird das Erwerbspersonenpotenzial in Deutschland bis 2035 um 7 Mio. schrumpfen (Hellwagner et al., 2022). Zwar kann es einen Ausgleich geben, wenn man Potenziale vor allem bei Frauen und Älteren hebt, die Zuwanderung zunimmt und Zugewanderte längerfristig integriert werden. Dennoch ist absehbar, dass ein zunehmendes Arbeitskräfteangebot als Beschäftigungsfaktor wegfallen wird und Wachstum über die Masse an seine Grenzen gerät.
Die Zeichen der Zeit haben sich also geändert: Arbeitskräfte sind seit Beginn des Arbeitsmarktaufschwungs deutlich knapper geworden. Heute sind sie so knapp wie seit dem Wirtschaftswunder nicht mehr, was auch am Arbeitskräfteknappheits-Index des IAB abzulesen ist. Zugleich verzeichnet Deutschland neben dem Arbeitsmarktboom eine schwache Produktivitäts- und eine eher mittelprächtige Lohnentwicklung. Der Fokus muss also künftig darauf liegen, über Qualität statt Quantität zu wachsen (Weber, 2019).
Darauf waren die Hartz-Reformen bei allen Erfolgen und bei allem Fördern neben dem Fordern nicht angelegt. Zu mehr Beschäftigung hat das geführt, aber nicht unbedingt zu guter Beschäftigung. So stellen Gartner et al. (2023) fest, dass die Hälfte der Erhöhung der Matching-Effizienz durch eine geringere Jobqualität erkauft wurde. Atypische Beschäftigung nahm in den ersten Jahren ab den Reformen deutlich zu. Die Lohnungleichheit bekam noch einmal einen Schub – und Forschungsergebnisse (Hutter und Weber, 2023) zeigen, dass diese Ungleichheit der Beschäftigung und Produktivität geschadet hat. Unsere Schätzungen implizieren, dass die schwache Lohnsetzung kein entscheidender Faktor des Arbeitsmarktbooms war. Dementsprechend waren auch bei der starken Mindestlohnerhöhung 2022 kaum negative Beschäftigungswirkungen wahrnehmbar. Nach Jahren der Reallohnverluste sollten künftig stärkere Zugewinne möglich sein.
Während die Entlassungsquoten weiter gesunken sind, haben sich die Jobchancen von Arbeitslosen bis heute nicht von ihrem Corona-Knick erholt. Mittlerweile sind klare Verfestigungstendenzen erkennbar (Gartner und Weber, 2021). Gerade die Langzeitarbeitslosigkeit und die Zahl der Arbeitslosen ohne abgeschlossene Berufsausbildung liegen weiter deutlich über dem Vor-Corona-Niveau. Der für den Arbeitsmarktaufschwung entscheidende Faktor, die steigende Matching-Effizienz, ist also nicht mehr intakt. Neben der Integration der ukrainischen Zugewanderten erklärt das auch die aktuell ungünstige Entwicklung der Arbeitslosigkeit. Investitionen in individuelle Qualifizierung und Vermittlung sind deshalb wichtiger denn je. Vollbeschäftigung bis 2030 (Weber, 2014) ist noch immer möglich, aber ein Selbstläufer ist sie auch bei Rekord-Arbeitskräfteknappheit nicht.
Literatur
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